Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Haftung eines faktischen Geschäftsführers für Steuerschulden einer GmbH
Leitsatz (NV)
1. Der faktische Geschäftsführer einer GmbH hat gemäß § 108 AO (heute: § 35 AO 1977) die steuerlichen Pflichten eines gesetzlichen Vertreters, auch wenn er formell nicht zum Geschäftsführer bestellt ist.
2. Das Auftreten als faktischer Geschäftsführer setzt voraus, daß jemand mit dem entsprechenden Anschein einer Berechtigung tatsächlich nach außen hin auftritt.
3. Die tatsächliche Geschäftsführerstellung einer Person kann nicht allein aus deren Auftreten gegenüber dem FA während einer späteren Betriebsprüfung abgeleitet werden. Auch die Einflußnahmemöglichkeiten eines Darlehensgläubigers begründen in der Regel keine faktische Geschäftsführung beim Darlehensnehmer.
Normenkette
AO §§ 108, 165e
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb bis 1966 ein Einzelunternehmen. Nachdem über sein Vermögen der Konkurs eröffnet wurde, gründeten die Ehefrau des Klägers und andere Personen mehrere GmbHs, darunter die B-GmbH. Zum Geschäftsführer der B-GmbH wurde D, ein Neffe des Klägers, bestellt. Der Kläger und seine Ehefrau gewährten der B-GmbH erhebliche Darlehen. 1976 wurde die B-GmbH im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.
Die B-GmbH hatte gegenüber dem FA Steuerrückstände in Höhe von rd. . . . DM. Über diese Steuerschulden erließ das FA am 16. 9. 1977 gegenüber dem Kläger einen Haftungsbescheid. Es begründete die Haftungsinanspruchnahme des Klägers damit, daß dieser seit Gründung der B-GmbH deren faktischer Geschäftsführer gewesen sei.
Einspruch und Klage blieben im wesentlichen erfolglos.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 112 i. V. m. § 392 AO.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit diese mit der Revision angefochten wurde, und zur Zurückverweisung der Sache an das FG in diesem Umfang (§ 26 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Der angefochtene Haftungsbescheid ist - soweit er Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist - auf den Vorwurf gestützt, der Kläger habe Körperschaftsteuern, Ergänzungsabgaben und Umsatzsteuern 1970 und 1971 der B-GmbH vorsätzlich verkürzt. Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und für den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß die Verkürzung der genannten Steuern auf die Nichtverbuchung von Einnahmen verbunden mit der Abgabe falscher Steuererklärungen zurückzuführen ist. Dieser Sachverhalt wäre dem Kläger im Sinne eines Handelns oder Unterlassens als Täter zuzurechnen, wenn er entweder auf die Nichtverbuchung der Einnahmen und/oder auf die Abgabe falscher Steuererklärungen durch aktives Tun Einfluß genommen oder wenn er das FA pflichtwidrig über die Tatsache in Unkenntnis gelassen hätte, daß die B-GmbH tatsächlich höhere Einnahmen als erklärt erzielt hatte. Die zu diesen Möglichkeiten vom FG in tatsächlicher Hinsicht getroffenen Feststellungen reichen jedoch nicht aus, um die angenommene Täterschaft des Klägers revisionsrechtlich abschließend beurteilen zu können.
2. Das FG hat nicht festgestellt, daß der Kläger auf die Nichtverbuchung der Einnahmen und/oder auf die Abgabe falscher Steuererklärungen durch aktives Tun eingewirkt hätte. Damit scheidet die Annahme einer Steuerhinterziehung des Klägers durch aktives Tun aus.
3. Der Kläger würde jedoch eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begangen haben können, wenn ihn die Pflicht getroffen hätte, das FA über die von der B-GmbH tatsächlich erzielten Einnahmen zu informieren. Das FG hat eine solche Verpflichtung des Klägers aus dessen tatsächlicher Geschäftsführerstellung abgeleitet. Der Rechtsauffassung des FG ist insoweit zuzustimmen, als derjenige, der als Bevollmächtigter oder Verfügungsberechtigter auftritt, gemäß § 108 AO die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters hat, auch wenn er formell nicht zum gesetzlichen Vertreter bestellt wurde. Das Auftreten als Geschäftsführer einer GmbH i. S. des § 108 AO setzt jedoch voraus, daß jemand mit dem entsprechenden Anschein einer Berechtigung tatsächlich nach außen hin auftritt. Die interne Ermächtigung, wie ein Geschäftsführer auftreten zu dürfen, genügt nicht. Gerade deshalb kommt es auch im Streitfall darauf an, ab und bis wann der Kläger als tatsächlicher Geschäftsführer nach außen hin auftrat. Zwar hat das FG ein entsprechendes Auftreten des Klägers jedenfalls ab dem 1. Januar 1970 angenommen. Die dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen jedoch diese Beurteilung nicht.
Das FG hat die tatsächliche Geschäftsführerstellung des Klägers bei der B-GmbH einmal aus dessen Auftreten gegenüber dem FA während der Betriebsprüfung abgeleitet. Die Betriebsprüfung fand jedoch erst im Jahre 1975 statt. Aus dem Auftreten des Klägers im Jahre 1975 als tatsächlicher Geschäftsführer kann nicht ohne weiteres auf eine entsprechende Stellung in den Jahren 1970 und 1971 geschlossen werden. Sollte der Kläger erst im Jahre 1975 als tatsächlicher Geschäftsführer der B-GmbH aufgetreten sein, so könnte er für die zeitlich früher liegende Nichtverbuchung von Einnahmen und die Abgabe falscher Steuererklärungen nicht ohne weiteres verantwortlich gemacht werden. Zwar träfe den Kläger auch dann noch die Anzeigepflicht gemäß § 165 e AO. Jedoch käme es dann darauf an, ob der Betriebsprüfer nicht schon vor dem Auftreten des Klägers als tatsächlicher Geschäftsführer der B-GmbH Kenntnis von den nicht verbuchten Einnahmen hatte. Auch würde der Kläger dann allenfalls für die Steuern haften, die als Folge der vorsätzlichen Verletzung der Anzeigepflicht gemäß § 165 e AO von dem FA bei der B-GmbH nicht erhoben werden konnten.
Das FG hat zwar zusätzlich auf den ,,nicht unerheblichen rechtlichen Einfluß" des Klägers als Darlehensgläubiger der B-GmbH hingewiesen. Aus der Einflußnahme eines Darlehensgläubigers ergibt sich aber nicht das Auftreten als tatsächlicher Bevollmächtigter nach außen hin. Deshalb können aus diesem Gesichtspunkt keine weiteren Schlußfolgerungen gezogen werden. Zwar hat der Kläger nach den Feststellungen des FG außerdem eingeräumt, Verkäufe und Finanzierungsgeschäfte mitbestimmt zu haben. Auch daraus folgt jedoch kein Auftreten als tatsächlicher Geschäftsführer. Der Kläger kann insoweit - ähnlich einem mit diesen Aufgaben betrauten Angestellten - einen beschränkten Auftrag gehabt haben. Dann hätten sich seine Pflichten auf die Durchführung des Auftrags beschränkt. Sie hätten Mitteilungen an das FA über Besteuerungsgrundlagen nicht mitumfaßt.
4. Ist die vom FG angenommene Täterschaft des Klägers nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen belegt, so kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Der Senat kann nicht ausschließen, daß der Kläger tatsächlich ab dem 1. Januar 1970 Geschäftsführer der B-GmbH i. S. des § 108 AO war und daß dies im 2. Rechtszug nachgewiesen werden kann. Die entsprechenden Ermittlungen durchzuführen ist jedoch die Aufgabe des FG. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als sie mit der Revision angefochten wurde. In diesem Umfang war die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen