Entscheidungsstichwort (Thema)
Einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften aus sonstigen Leistungen
Leitsatz (NV)
1. Einkünfte aus sonstigen Leistungen, an denen mehrere Personen beteiligt sind, müssen grundsätzlich einheitlich und gesondert festgestellt werden.
2. Zur Frage, ob Einkünfte aus sonstigen Leistungen vorliegen, wenn eine öffentlich- rechtliche Körperschaft eine Entschädigung für einen hoheitlichen Eingriff in das Eigentumsrecht des Steuerpflichtigen zahlt.
Normenkette
AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 Nr. 2; EStG § 22 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist -- neben ihrer Tochter -- Miteigen tümerin zu 4/5 eines in S belegenen Grundstücks. Eine Teilfläche dieses Grundstücks veräußerte sie an die Bundesrepublik Deutschland, welche die Fläche für die Verlegung einer Bundesstraße benötigte. In dem zwischen der Bundesstraßenverwaltung und den Eigentümerinnen geschlossenen Vertrag vom 17. Dezember 1980 wurde zu verschiedenen Entschädigungsansprüchen vereinbart:"§
4. Folgende Entschädigungen wurden abschließend geregelt:
1. Zahlung von 1 500 DM für die vorhandene Einfriedung.§
5. Über folgende Entschädigungsforderungen des Eigentümers ist eine Einigung nicht erzielt worden:
1. Grund und Boden,
2. Aufwuchs,
3. Gartenneugestaltung,
4. Wertminderung einschließlich Lärmschutz,
5. Gutachterkosten,
6. Rechtsanwaltskosten.
Insoweit bleiben dem Eigentümer alle Rechte auf Entschädigung im Entschädigungsfeststellungsverfahren vorbehalten ...§
7. Der Unternehmer (scil.: das Straßenbauamt) leistet vor Fälligkeit eine Abschlagszahlung ... die Abschlagszahlung beträgt 95 300 DM ... "
In einem Ergänzungsvertrag vom 18. März 1981 ist bestimmt:"
Die Parteien sind sich darüber einig, daß in dem Abschlag von 95 300 DM ein Betrag in Höhe von 32 480 DM für Wertminderung des Restgrundstücks durch Immissionen von der neuen Bundesstraße aus und zur Abgeltung von Schallschutzmaßnahmen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz enthalten ist."
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) sah unter Bezug auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Oktober 1982 VIII R 83/79 (BFHE 138, 177, BStBl II 1983, 404) in dem Betrag von 32 480 DM sonstige Einkünfte i. S. des § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In der Einspruchsentscheidung vom 20. März 1985 verminderte das FA diese Einkünfte auf den Betrag von 25 984 DM, der auf den Miteigentumsanteil der Klägerin entfällt. Es führte aus, bei dem Betrag handele es sich nicht um das Entgelt für die Übertragung einer Grundstückssubstanz. Vielmehr sei die Wertminderung des Restgrundstücks die Bemessungsgrundlage für den Wert der von der Klägerin erbrachten Leistung. Der Rechtsvorgang wäre nur dann nicht steuerbar, wenn die Klägerin auch hinsichtlich der Entschädigung "ein eigenes Wirtschaftsgut übertragen" hätte.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage in einem im Gerichtsverfahren nicht mehr streitigen Punkte (weitere Werbungskosten in Höhe von 836 DM) stattgegeben; es hat die gegen die Besteuerung von Einkünften aus Leistungen (§ 22 Nr. 3 EStG) gerichtete Klage abgewiesen. Die Abschlagszahlung sei kein Entgelt für die Aufgabe eines Vermögenswertes in seiner Substanz, sondern -- wie sich aus dem Vertragswortlaut ergebe -- eine Entschädigung für die Wertminderung des der Klägerin verbliebenen Restgrundstücks durch Immissionen von einer Bundesstraße und zur Abgeltung von erforderlichen Schallschutzmaßnahmen. Die Klägerin habe nicht nur über ihren Grundstücksanteil verfügt, vielmehr habe sie gleichzeitig eine Wertminderung ihres Restgrundstücks hingenommen. In der "privatrechtlichen" entgeltlichen Einigung über die ihr aus der Wertminderung erwachsenen Entschädigungsansprüche liege eine Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG. Die Besteuerung nach dieser Vorschrift setze Freiwilligkeit der Leistung nicht voraus.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Die Vorentscheidung verletzt § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977).
Nach § 179 Abs. 2 Satz 2 und § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 werden die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind, gesondert und einheitlich festgestellt. Eine gesonderte und einheitliche Feststellung nach diesen Vorschriften ist schon dann erforderlich, wenn zweifelhaft ist, ob einkommensteuerpflichtige Einkünfte vorliegen, an denen mehrere Personen beteiligt bzw. ob sie mehreren Personen zuzurechnen sind (BFH-Urteil vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239). Auch im hier zu entscheidenden Fall ist zweifelhaft, ob die von der Bundesstraßenbauverwaltung gezahlte Entschädigung der Einkommensteuer unterliegt. Dies kann nur im Rahmen einer gesonderten und einheitlichen Feststellung entschieden werden. Das FG hätte das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen und den Abschluß eines Verfahrens der gesonderten Feststellung abwarten müssen. Der Verstoß hiergegen berührt die Grundordnung des Verfahrens. Er ist auch ohne entsprechende Verfahrensrüge zu beachten (Urteil in BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239, m. w. N.).
Die gesonderte und einheitliche Feststellung durfte vorliegend auch nicht deshalb unterbleiben, weil es sich um einen Fall von geringer Bedeutung (§ 180 Abs. 3 Nr. 2 AO 1977 i. d. F. des Steuerbereinigungsgesetzes -- StBereinG -- 1986) handelte. Ein Fall von geringer Bedeutung ist anzunehmen, wenn es sich um einen leicht überschaubaren Sachverhalt handelt, die Ermittlung der Einkünfte hinsichtlich Höhe und Zurechnung verhältnismäßig einfach und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidung nahezu ausgeschlossen ist (Urteil in BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239). Im Streitfall ist schon die Entscheidung schwierig, ob sonstige Einkünfte aus Leistungen vorliegen. Hinzu kommt die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, sofern für die Klägerin und ihre Tochter nicht dasselbe FA zuständig ist.
Das FG hätte auf die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO auch nicht im Hinblick auf § 155 Abs. 2 bzw. § 162 Abs. 3 AO 1977 i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 20. August 1980 (BGBl I 1980, 1545, 1554, BStBl I 1980, 589, 598) verzichten dürfen. Hiernach kann das FA einen Folgebescheid mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen erlassen, wenn ein Grundlagenbescheid noch nicht ergangen ist. Diese Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Das FA wollte im Hinblick auf die fraglichen Einkünfte keine vorläufige Maßnahme treffen, sondern ging davon aus, daß es eines Verfahrens zur Feststellung der umstrittenen Einkünfte nicht bedurfte (vgl. Urteil in BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239).
2. Hiernach war das angefochtene Urteil -- im Umfang des Revisionsantrags -- aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache geht an das FG zurück.
3. Zur weiteren Förderung des Verfahrens weist der Senat darauf hin, daß bei Erlaß eines Grundlagenbescheides folgendes zu beachten sein wird.
Die Rechtsprechung hat Entgelte für wertmindernde Einschränkungen der Rechte eines Grundeigentümers unter bestimmten Voraussetzungen nach § 22 Nr. 3 EStG erfaßt. Hierzu führt das BFH-Urteil vom 12. September 1985 VIII R 306/81 (BFHE 145, 320, 325, BStBl II 1986, 252; s. ferner BFH-Urteil vom 5. Juni 1985 I S 2/85, BFH/NV 1986, 433) im Zusammenhang mit der Entschädigung für eine faktische Bausperre aus, in jenen Fällen habe ein vertraglich vereinbartes Dulden vorgelegen. Werde hingegen hoheitlich in das Eigentumsrecht des Steuerpflichtigen eingegriffen, so sei kein Verhalten erkennbar, das als Dulden, Unterlassen oder sonstiges Tun angesehen werden könnte. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juni 1993 2 BvR 1148/92 (Steuerrechtsprechung in Karteiform -- StRK --, Ein kommensteuergesetz 1975, § 22 Nr. 3, Rechtsspruch 14) betont, es begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, bei der Auslegung des § 22 Nr. 3 EStG zwischen vertraglich vereinbarten Zahlungen des Grundstücksnachbarn und einer aufgrund hoheitlichen Eingriffs in das Eigentumsrecht geleisteten Entschädigung zu unterscheiden. Einkommensteuerrechtlich erheblich seien nicht Einnahmen schlechthin, sondern nur durch eine Tätigkeit erzielte Einnahmen; § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG deute diesen einkommensteuerrechtlichen Grundtatbestand durch das tätigkeitsbezogene Tatbestandsmerkmal "erzielt" an.
Geht es schwerpunktmäßig um das Dulden einer hoheitlichen Maßnahme, liegt eine nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbare Leistung auch nicht darin, daß ein Grundstücks eigentümer zwecks Vermeidung einer förmlichen Enteignung daran mitwirkt, mittels Vergleichs die Höhe einer Abschlagszahlung auf die Enteignungsentschädigung zu konkretisieren. Nach § 19 Abs. 2 a des Bundesfernstraßengesetzes (FStrG) kann das Entschädigungsverfahren unmittelbar durchgeführt werden, wenn sich ein Beteiligter mit der Übertragung oder Beschränkung des Eigentums oder eines anderen Rechtes schriftlich einverstanden erklärt hat. Diese Vorschrift beruht auf der Erwägung, daß erfahrungsgemäß in den meisten Fällen eine Einigung über die Übereignung eines Grundstücks auf den Träger der Straßenbaulast zu erreichen ist und vielfach lediglich die Höhe der Entschädigung strittig bleibt. Die Bestimmung dient der Vereinfachung und Beschleunigung des Enteignungsverfahrens (vgl. Marschall/Schroeter/Kastner, Bundesfernstraßengesetz, 4. Aufl., 1977, § 19 Rdnr. 5.1). Die Vorschrift ist gleichwohl ausweislich der amtlichen Überschrift zu § 19 FStrG der "Enteignung" zuzurechnen. Das Enteignungsverfahren wird wesensmäßig geprägt durch hoheitlichen Entzug bzw. die Beschränkung des Eigentums. Es zielt auf die vollständige oder teilweise Entziehung von Rechtspositionen zur Wahrung bestimmter öffentlicher Aufgaben. Nach näherer Maßgabe der Enteignungsgesetze der Länder (§ 19 Abs. 5 FStrG) ist nicht nur eine Entschädigung für den Entzug des Enteignungsobjekts, sondern auch für sonstige Vermögensein bußen zu zahlen, die als erzwungene oder unmittelbare Folge der Enteignung eintreten (sog. Folgeschäden). Danach wird eine Entschädigung nicht nur für den durch die Enteignung eintretenden Erwerbsverlust, sondern auch für die Wertminderung des Restbesitzes geleistet (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Niedersächsischen Enteignungsgesetzes vom 12. November 1973, Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1973, 441). Durch diese Re gelungen wird dem Umstand Rechnung getragen, daß der von einer Enteignung Betroffene mit der Entschädigung für den Rechtsverlust in vielen Fällen noch keinen angemessenen Ausgleich erhält (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Mai 1992 4 C 9/89, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1993, 477).
Fundstellen