Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von Früchten mit Zusatz von Zucker; erneute Einholung einer Vorabentscheidung
Leitsatz (NV)
1. Der Zuckergehaltswert nach der Zusätzlichen Vorschrift 3 zu Kap. 20 GZT ist ein absolutes Kriterium; auf die Herkunft des Zuckers (Fruchtzucker oder zugesetzter Zucker) kommt es nicht an.
2. Zur Frage der Einholung einer Vorabentscheidung, wenn der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften über die Auslegung der maßgebenden Vorschrift bereits entschieden hat.
Normenkette
GZT Zus. Vorschrift 3 zu Kap. 20; GZT Tarifst. 20.06 B II a 7 bb; EWGVtr Art. 177 Abs. 1; EWGV Art. 177 Abs. 3
Tatbestand
Die Klägerin ließ bei dem Hauptzollamt (HZA) im April 1983 in einem Tankzug enthaltenes spanisches Aprikosenmark, pasteurisiert, homogenisiert, ,,ohne Zusatz von Zucker", zum freien Verkehr abfertigen, das zunächst - vorläufig - entsprechend der Anmeldung der Tarifst. 20.06 B II c 1 aa des Gemeinsamen Zolltarifs - GZT - (,,. . . ohne Zusatz von Zucker"), später aber aufgrund des Ergebnisses der Untersuchung einer Probe im Hinblick auf den festgestellten Gehalt an Zucker (11,3 %) gemäß der Zusätzlichen Vorschrift 3 zu Kapitel 20 der Tarifst. 20.06 B II a 7 bb zugewiesen wurde (Änderungsbescheid vom 28. April 1983). Die nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhobene Klage, mit der die Klägerin gegen die Zollnachforderung geltend machte, dem Aprikosenmark sei kein Zucker zugesetzt worden, wurde vom Finanzgericht - FG - abgewiesen. Zur Begründung führte das FG aus, es sei unerheblich, ob der Ware Zucker zugesetzt worden sei, da nach der Zusätzlichen Vorschrift 3 zu Kapitel 20 GZT Früchte der Tarifnr. 20.06 - hier: Aprikosen - als ,,Früche mit Zusatz von Zucker" gälten, wenn ihr ,,Zuckergehalt" höher sei als 9 %. Die Vorschrift enthalte eine Fiktion, zumindest eine unwiderlegbare Vermutung. Für den Marktordnungsbereich sei die Vorschrift zwar als Beweislastregelung aufzufassen (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, Urteil vom 17. Juni 1971 Rs. 3/71, EuGHE 1971, 577), doch lasse sich dies nicht auf Fälle übertragen, in denen es um die Erhebung von Zoll gehe. Selbst wenn aber nur eine einfache Vermutung vorliege, sei der Änderungsbescheid rechtmäßig. Die Klägerin habe nicht den von ihr zu führenden Beweis erbracht, daß der Zuckergehalt natürlicher Art sei.
Mit der Revision gegen dieses Urteil wendet die Klägerin sich in erster Linie gegen die Annahme, die maßgebende Tarifvorschrift stelle eine unwiderlegbare Vermutung auf. Der EuGH habe seine vom FG herangezogene Entscheidung zwar vor dem Hintergrund der Abschöpfung getroffen, indessen vorrangig die Tarifvorschrift ausgelegt. Diese Auslegung müsse auch gelten, wenn die Erhebung von Abschöpfung nicht in Betracht komme. Die dem Urteil in EuGHE 1971, 577 widersprechende Entscheidung des EuGH vom 26. April 1972 Rs. 92/71 (EuGHE 1972, 231) sei nicht überzeugend. Im übrigen beruhe die Vorentscheidung, soweit sie auf die Hilfserwägung abstelle, auf einer Reihe von Verfahrensfehlern (insbesondere Verletzung der Aufklärungspflicht).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig.
Sie ist zulassungsfrei gegeben, weil sie sich gegen ein Urteil in einer Zolltarifsache richtet, § 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (zum Begriff Senat, Urteil vom 16. Oktober 1986 VII R 122/83, BFHE 148, 372, 374). Das FG hat über eine zolltarifliche Frage, die der Auslegung der Zusätzlichen Vorschrift 3 zu Kapitel 20 GZT, entschieden.
Die Revision ist nicht begründet.
Die Ware gehört, wie vom FG richtig entschieden, zu Tarifst. 20.06 B II GZT - Früchte, in anderer Weise zubereitet oder haltbar gemacht, ohne Zusatz von Alkohol - und dort als Erzeugnis ,,mit Zusatz von Zucker" entsprechend ihrer Aufmachung und Beschaffenheit zu Unterabsatz a 7 bb (Zuckergehalt von 13 Gewichtshundertteilen oder weniger). Wie das FG festgestellt hat, beträgt der Zuckergehalt der Ware (vgl. Zusätzliche Vorschrift 2 zu Kapitel 20) 11,3 %. Mit diesem den Wert von 9 Gewichtshundertteilen übersteigenden Zuckergehalt gelten ,,andere" Früchte der Tarifnr. 20.06, darunter Aprikosen, zolltariflich als ,,Früchte mit Zusatz von Zucker" (Zusätzliche Vorschrift 3 zu Kapitel 20). Ob der Zuckergehalt ein natürlicher ist oder tatsächlich auf Zusätzen beruht, spielt keine Rolle. Dies hat der EuGH in EuGHE 1972, 231, 245 zu der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kapitel 20 GZT a.F. - ihr entspricht die hier maßgebende Zusätzliche Vorschrift 3 - entschieden und damit zum Ausdruck gebracht, daß es auf die Herkunft des Zuckers nicht ankommt, der Zuckergehaltswert vielmehr ein ,,absolutes Kriterium" darstelle (vgl. auch Lux in Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, F II 1 Rz. 204). Auch der Senat geht davon aus, daß in der Zusätzlichen Vorschrift eine unwiderlegbare Vermutung aufgestellt ist. Es besteht keine Veranlassung, den EuGH in dieser Frage - erneut - anzurufen. Wie auch von der Klägerin grundsätzlich anerkannt wird, ist ein letztinstanzliches Gericht nicht zur Vorlage verpflichtet, wenn die maßgebende Gemeinschaftsvorschrift bereits Gegenstand der Auslegung durch den EuGH war (EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3429; vgl. auch Urteile vom 27. März 1980 Rs. 66, 127 und 128/79, EuGHE 1980, 1237, 1260, und Rs. 61/79, EuGHE 1980, 1205, 1223). Das Urteil in EuGHE 1971, 577, 590 bietet im Gegensatz zu der von der Revision vertretenen Ansicht keinen Grund, die Auslegung der Zusätzlichen Vorschrift 3 zu Kapitel 20 GZT abermals zur Entscheidung des EuGH zu stellen. In diesem Urteil hat der EuGH Vorschriften der gemeinsamen Marktordnung für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (in Verbindung mit der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kapitel 20) ausgelegt, und zwar dahin, daß nur diejenigen Verarbeitungserzeugnisse der Abschöpfung unterliegen, denen tatsächlich Zucker zugesetzt worden ist, daß aber bei Früchten mit einem Zuckergehalt von mehr als neun Gewichtshuntertteilen der Beteiligte beweisen müsse, daß nur natürlicher Zucker vorliege. Der EuGH ist insoweit - für den Bereich der Abschöpfung - der Auffassung des Generalanwalts gefolgt, derzufolge die Zusätzliche Vorschrift 2 zu Kapitel 20 GZT a.F. nur eine einfache (widerlegbare) Vermutung ,,iuris tantum" begründete (EuGHE 1971, 577, 597). In dem Urteil in EuGHE 1972, 231, 242 hat der EuGH sich jedoch mit seiner früheren Entscheidung auseinandergesetzt und sie mit der Eigenständigkeit der Marktordnungsvorschriften erklärt, die zu einer - wiewohl praktisch unbefriedigenden - unterschiedlichen ,,Bestimmung der Veranlagungsgrundlage von Abschöpfung einerseits und Zoll andererseits" führe (Absatz 5 der Entscheidungsgründe). Damit erscheint das - nur - die Tarifierung betreffende spätere Urteil in der Rechtssache 92/71 in einleuchtender Weise abgegrenzt von der früheren Entscheidung. Der von der Klägerin behauptete Widerspruch, der zur Einholung einer neuen Vorabentscheidung Anlaß geben könnte, besteht nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, gemäß der Zusätzlichen Vorschrift 3 zu Kapitel 20 als Obst mit Zuckerzusatz tarifierte Erzeugnisse der Abschöpfung nicht zu unterwerfen, wenn der Zuckergehalt nachgewiesenermaßen natürlichen Ursprungs ist. Ob - umgekehrt - Zweifel an der Auslegung der Marktordnungsvorschriften im Sinne des Urteils in EuGHE 1971, 577 bestehen könnten (vgl. insoweit Kommission und Generalanwalt in EuGHE 1972, 231, 240 und 251), braucht der Senat nicht zu entscheiden.
Nicht zu entscheiden ist auch über die Verfahrensrügen der Klägerin. Da bereits die Haupterwägung das angefochtene Urteil trägt (unwiderlegbare Vermutung aufgrund der Zusätzlichen Vorschrift 3 zu Kapitel 20), kommt es auf die Hilfserwägung nicht an, damit auch nicht darauf, ob das FG verfahrensfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt ist, die Klägerin habe nicht bewiesen, daß der Zuckergehalt der Ware auf Naturzucker beruhte.
Fundstellen
Haufe-Index 416375 |
BFH/NV 1989, 815 |