Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine offenbare Unrichtigkeit bei Verletzung der Amtsermittlungspflicht
Leitsatz (NV)
Die Berichtigung eines Steuerbescheides gemäß § 129 AO 1977 wegen der Übernahme einer in der Steuererklärung enthaltenen offenbaren Unrichtigkeit durch das FA scheidet dann aus, wenn unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht eine notwendige tatsächliche Ermittlung oder eine rechtliche Prüfung unterlassen worden ist.
Normenkette
AO 1977 § 129; EStDV § 82b
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wies in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1982 bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung Erhaltungsaufwendungen in Höhe von 36 692 DM aus und beantragte deren gleichmäßige Verteilung gemäß § 82 b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) auf fünf Jahre. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) entsprach dem und berücksichtigte bei der Steuerfestsetzung für das Jahr 1982 ein Fünftel der Erhaltungsaufwendungen (= 7 339 DM). Entsprechend verfuhr das FA bei der Veranlagung für das Jahr 1984. Bei den Steuerfestsetzungen für die Jahre 1983, 1985 und 1986 hingegen blieben die anteiligen Erhaltungsaufwendungen unberücksichtigt, da die Klägerin diese in ihren Steuererklärungen, die sie ohne einen steuerlichen Berater -- aber mit Hilfe eines Beamten des FA -- erstellte, nicht erwähnte.
Nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung für das Jahr 1986 (Streitjahr) beantragte die Klägerin, anteilige Erhaltungsaufwendungen in Höhe von 7 339 DM im Wege einer Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit i. S. von § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) zu berücksichtigen; das FA habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, indem es bei der Steuerfestsetzung nicht die Veranlagungen der Vorjahre beachtet und daher die Erhaltungsaufwendungen nicht berücksichtigt habe. Das FA lehnte eine Berichtigung ab. Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt und verpflichtete das FA, einen gemäß § 129 AO 1977 berichtigten Bescheid zu erlassen. Das Übersehen einer Verteilungsabrede gemäß § 82 b Abs. 1 EStDV, der eine besondere Bindungswirkung für die folgenden Steuerfestsetzungen des Verteilungszeitraumes zukomme, stelle eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 AO 1977 dar.
Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung des § 129 AO 1977 und des § 82 b EStDV.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat rechtsfehlerhaft das FA zum Erlaß eines gemäß § 129 AO 1977 berichtigten Bescheides verpflichtet.
1. Nach § 129 Satz 1 AO 1977 kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt das Tatbestandsmerkmal "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" voraus, daß die Unrichtigkeit einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich ist, d. h. daß es sich um einen "mechanischen" Fehler handelt, der ebenso "mechanisch", also ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden kann (BFH-Urteil vom 29. März 1990 V R 27/85, BFH/NV 1992, 711 m. w. N.). Eine offenbare Unrichtigkeit kann zwar auch dann vorliegen, wenn das FA eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, d. h. für das FA erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernimmt. Kein mechanisches Versehen liegt jedoch dann vor, wenn -- ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht -- eine notwendige tatsächliche Ermittlung oder eine rechtliche Prüfung unterlassen wird (BFH-Urteil vom 23. Januar 1991 I R 26/90, BFH/NV 1992, 359 m. w. N.).
Hiernach scheidet eine offenbare Unrichtigkeit im Streitfall bereits deshalb aus, weil der betreffende Finanzbeamte die Voraussetzungen einer Berücksichtigung der -- anteiligen -- Erhaltungsaufwendungen, die nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung in jedem Veranlagungszeitraum gesondert zu beurteilen sind (Senatsurteil vom 27. Oktober 1992 IX R 66/91, BFHE 170, 214, BStBl II 1993, 591), nicht geprüft hat.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat -- von seinem Standpunkt aus zu Recht -- nicht geprüft, ob im Streitfall die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 für eine Berichtigung der Steuerfestsetzung des Streitjahres vorlagen.
Fundstellen