Entscheidungsstichwort (Thema)
Anteilige Tilgung der Umsatzsteuer
Leitsatz (NV)
Der bei der Geschäftsführerhaftung geltende Grundsatz, daß Umsatzsteuerrückstände mit dem in etwa gleichen Anteil zu tilgen sind, wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern, gilt nicht für den Fall, daß eine Bank anläßlich einer von ihr finanzierten Umschuldungsmaßnahme gegenüber den sämtlichen Gläubigern bevorzugt befriedigt worden ist.
Normenkette
AO 1977 §§ 69, 34
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger war im Jahr 1977 Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer mit Tiefbau befaßten GmbH. Weiterer Geschäftsführer war der Mitgesellschafter B. Nach der von der GmbH abgegebenen Umsatzsteuererklärung 1977 vom 16. November 1979 ergab sich bei einer Jahressteuerschuld von 51 993,55 DM eine Abschlußzahlung von 39 704,85 DM (Bescheid vom 19. November 1979, Abrechnung des FA vom 7. Dezember 1979). Das FA ging davon aus, daß der Kläger hiervon persönlich die Hälfte (19 852 DM) zu zahlen habe und erließ gegen den Kläger - nachdem dieser 5 000 DM gezahlt hatte - im April 1980 einen Haftungsbescheid in Höhe von 15 013 DM (19 852 DM ./. 5 000 DM = 14 852 DM + 161 DM Nebenkosten).
Während des von dem Kläger mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids angestrengten Einspruchsverfahrens wurde bei der GmbH eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die Jahre 1977 bis 1979 durchgeführt. Aufgrund des Ergebnisses dieser Prüfung erließ das FA am 13. Oktober 1981 - anschließend bestandskräftig gewordene - Änderungsbescheide, in denen es die Umsatzsteuer 1977 höher, nämlich auf 68 492 DM (Erhöhung 16 498,71 DM), und die Umsatzsteuer 1978 niedriger, nämlich auf 33 327 DM (Minderung 33 213,07 DM), als ursprünglich festsetzte.
Aufgrund im Anschluß daran von den Gesellschaftern erbrachten Zahlungen und vom FA vorgenommene Umbuchungen kam das FA in der Einspruchsentscheidung zu dem Ergebnis, daß die Haftungsschuld für die Umsatzsteuer 1977 noch in Höhe von 10 525,42 DM bestehe.
Die mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage hat das FG abgewiesen. Es hat ausgeführt:
Das FA sei zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH verpflichtet gewesen wäre, für die Bezahlung der Ende 1979 fällig gewordenen Umsatzsteuerrückstände zu sorgen. Diese Verpflichtung habe er grob fahrlässig, also schuldhaft verletzt. Der Einwand, für die steuerlichen Belange sei aufgrund einer mit dem Mitgeschäftsführer B getroffene Absprache in erster Linie B, nicht aber er - der Kläger - verantwortlich gewesen, sei nicht stichhaltig. Sollte der Kläger von den Steuerfestsetzungen des FA keine Kenntnis erlangt haben, könnte ihn dies ebenfalls nicht entlasten. Insoweit handele es sich um eine grundlegende Angelegenheit, hinsichtlich derer ein Geschäftsführer nicht auf die Verantwortlichkeit eines Mitgeschäftsführers verweisen könne. Jeder Geschäftsführer müsse sich in solchen Fällen zumindest über den Gang der Geschäfte, d.h. ob der (Mit-)Geschäftsführer seinen Aufgaben im wesentlichen nachkomme, informieren.
Auch der weitere Einwand, die GmbH sei Ende 1979 liquiditätsmäßig nicht mehr in der Lage gewesen, den Umsatzsteuerrückstand zu tilgen, und das FA sei gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt worden, könne den Kläger nicht entlasten. Der Kläger habe zu dem Vorbringen des FA, aus der Bilanz per 31. Dezember 1979 ergäben sich - von einer Schuld an das Steuerberatungsbüro (5 037 DM) abgesehen - keine Verbindlichkeiten an andere Gläubiger, nicht geäußert, insbesondere von sich aus keine weiteren Gläubiger benannt. Der einzige nennenswerte Gläubiger neben dem FA, die Kreissparkasse, sei gegenüber dem FA einseitig und unverhältnismäßig bevorzugt worden. Denn die Mittel, die der GmbH aus Maschinenverkäufen an die beiden Geschäftsführer für deren Einzelunternehmen in beträchtlicher Höhe (insgesamt rd. 244 700 DM) zugeflossen seien, seien von der Sparkasse noch Ende November 1979 in Absprache mit den beiden Geschäftsführern restlos zur Tilgung der Sollsalden auf dem Girokonto und dem Darlehenskonto der GmbH verwendet worden. Der Kläger hätte dafür sorgen müssen, daß im Hinblick auf die ihm im November 1979 bekannt gewesene Umsatzsteuernachzahlungsschuld der GmbH für das Jahr 1977 (39 704,85 DM) ein Teilbetrag von den der GmbH zugeflossenen Mitteln abgezweigt und an das FA abgeführt worden wäre. Er hätte sich auf gegenteilige Abmachungen mit der Sparkasse, die einseitig nur deren Interessen dienten, nicht einlassen dürfen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter, hilfweise beantragt er, die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückzuverweisen. Er rügt unrichtige Anwendung der §§ 69, 34 AO 1977.
Zu Unrecht habe das FG dem Kläger die Verantwortung für die steuerlichen Belange - hier diejenigen der Umsatzsteuer - zugewiesen. Es werde - wie bereits im Klageverfahren - daran festgehalten, daß der Kläger für diese Angelegenheit nach der mit dem Mitgeschäftsführer B getroffenen Absprache und Geschäftsverteilung nicht zuständig gewesen sei.
Mindestens fehle es aber an einem Verschulden im Sinne einer grob fahrlässigen Pflichtwidrigkeit. Die Gesellschaft sei nach Erlaß des Jahressteuerbescheids 1977 im November 1979 wegen Fehlens flüssiger Mittel nicht mehr in der Lage gewesen, die in diesem festgesetzte Nachzahlungsschuld zu begleichen. Die den beiden Gesellschaftern von der Sparkasse im Darlehensweg zum Maschinenkauf zur Verfügung gestellten und anschließend der GmbH zugeführten Mittel hätten nach den mit der Sparkasse vor Erlaß des geänderten Umsatzsteuerbescheids 1977, nämlich bereits Ende 1978, getroffenen Absprachen zur Abtragung der GmbH-Sollsalden auf dem Girokonto und dem Kreditkonto verwendet werden müssen, und zwar durch unmittelbare Verrechnung. Der in Vollzug des Maschinenverkaufs seitens der GmbH auf dem Girokonto eingegangene Veräußerungserlös sei folglich von der Sparkasse - entsprechend der mit den Gesellschaftern getroffenen Abmachung - unmittelbar zur Abdeckung der Sollsalden auf dem Darlehenskonto und - soweit möglich - dem Girokonto der GmbH verwendet worden. Auf diese von der Sparkasse eigenständig vorgenommenen Umbuchungen hätten die Gesellschafter ihrerseits keinen Einfluß gehabt. Sie seien daher - entgegen der Auffassung des FG - auch nicht in der Lage gewesen, einen Teil des Veräußerungserlöses zugunsten anderer Gläubiger - hier das FA - abzuzweigen. Eine dahingehende Überweisung wäre von der Sparkasse nicht durchgeführt worden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
1. Die persönliche Haftung des Klägers in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH (§ 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG - i.V.m. § 34 AO 1977) wäre gegeben, wenn die hier - durch Nichtentrichtung der Steuernachzahlung von 39 704,85 DM (Steuerbescheid vom 19. November 1979) - eingetretene Steuerverkürzung auf eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers als Geschäftsführer der GmbH zurückzuführen wäre (§ 69 AO 1977). Dies wiederum hängt davon ab, ob dem Kläger bei Fälligkeit der Nachzahlungsschuld zu deren Begleichung im Dezember 1979 (vgl. § 18 Abs. 4 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1973) hinreichende Mittel der GmbH zur Verfügung gestanden haben oder - wenn dies nicht der Fall gewesen ist - er mindestens zu einer in etwa - d.h. bei überschlägiger Berechnung - im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern der GmbH gleichmäßigen Befriedigung des FA in der Lage gewesen wäre (vgl. die Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776, und vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539). Der Senat kann aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG nicht entscheiden, ob diese Voraussetzungen gegeben sind.
2. Das FG ist aufgrund des seitens des FA unwidersprochen gebliebenen Vortrages des Klägers davon ausgegangen, daß nach Ergehen des Veranlagungsbescheids 1977 vom 19. November 1979 der Schuldenstand (Sollsalden) der GmbH bei ihrem Hauptgläubiger - der Sparkasse - auf dem Girokonto der GmbH 182 524,58 DM und auf dem Darlehens-(Kredit-) konto der GmbH 77 990 DM, zusammen also 260 514 DM betragen hat. Es stützt seine Annahme einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Klägers (§ 69 AO 1977) ausschließlich auf die Erwägung, der Kläger hätte von dem der GmbH aus dem Maschinenverkauf (an die beiden Gesellschafter) Ende November 1979 zugeflossenen Verkaufserlös (120 736 DM und 124 062 DM = insgesamt 244 798 DM) einen Teilbetrag zur Tilgung des Umsatzsteuerrückstandes abzweigen müssen. Er hätte - darauf läuft diese Erwägung hinaus - verhindern müssen, daß der von der GmbH vereinnahmte Verkaufserlös, wie geschehen, von der Sparkasse zum Ausgleich des Darlehenskontos (./. 77 990 DM) und - soweit dann noch ausreichend - zum Ausgleich des Girokontos (./. 182 524 DM) der GmbH verwendet wurde.
Die Darstellung des FG ist in einem wesentlichen Punkt unklar. Das FG geht bei seinen tatsächlichen Feststellungen davon aus, die Geschäftsführer seien Ende 1978 übereingekommen, den Maschinenpark jeweils zu einem Teil zu erwerben und danach mit den Maschinen als Einzelgewerbetreibende tätig zu sein. Zur Finanzierung des Maschinenkaufs habe ihnen die Sparkasse - die Hauptgläubigerin der GmbH - bereits Ende 1978 entsprechende Darlehen zugesagt. Die Gesellschafter seien mit der Sparkasse so verblieben, daß die aus dem Maschinenverkauf auf dem Girokonto der GmbH (bei der Sparkasse) eingehenden Gelder zur Abdeckung der Debetsalden der GmbH bei der Sparkasse (./. 260 514 DM) verwendet werden sollten.
Diese Feststellungen reichen nicht aus für die von dem FG vertretene Auffassung, von dem auf dem Konto der GmbH eingegangenen Gegenwert für den Maschinenkauf hätte der Kläger einen Teilbetrag zur Tilgung der Umsatzsteuerrückstände verwenden, also für das FA abzweigen müssen. Denn die Begründung des FG läßt offen, ob der Kläger tatsächlich in der Lage war, über den Erlös aus dem Maschinenverkauf - nach dessen Eingang auf dem GmbH-Konto - in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH zu verfügen. Darauf kommt es aber gerade an. Denn wenn die Sparkasse den fraglichen Betrag - also insgesamt 244 798 DM - zunächst dem bei ihr unterhaltenen Konto der GmbH zugeführt und diesen zugleich mit den Debetsalden der GmbH auf dem Giro- und dem Kreditkonto (insgesamt ./. 260 514 DM) verrechnet haben sollte, hätte es sich bei dieser Umschuldung um einen bloßen Buchungsvorgang gehandelt, auf dessen Ablauf der Kläger auch als Geschäftsführer der GmbH keinen Einfluß gehabt hätte. Die Vornahme der Umbuchungen hätte in der Hand der Sparkasse gelegen. Diese hätte also eine Überweisung an Dritte, die an dem Umschuldungsvorgang überhaupt nicht beteiligt waren - hier das FA -, nicht zugelassen, sondern verhindert.
Bei dieser Sachlage reichen die von dem FG für seine Entscheidung angegebenen Gründe nicht aus, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Würdigung zu ermöglichen. Hierin liegt ein Fehler in der Urteilsfindung, der auch ohne entsprechende Verfahrensrüge zur Aufhebung der Vorentscheidung führt (vgl. Urteil des BFH vom 16. November 1971 VIII R 37/68, BFHE 104, 277, BStBl II 1972, 349; Gräber, Finanzgerichtsordnung, Tz. 13 zu § 118; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 118 FGO Anm. 4; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Tz. 11).
3. Das Urteil des FG ist somit aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache geht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Dieses wird auch zu prüfen haben, ob der von dem Kläger - erstmals in der Revisionsinstanz erhobene - Einwand, die Maschinen hätten bei ihrem Verkauf an die Gesellschafter im Sicherungseigentum der Sparkasse gestanden, zutrifft und welche Folgerungen hieraus ggf. zu ziehen sind.
Fundstellen