Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft durch unzutreffende Spendenbescheinigung; Feststellung im ApBericht als Mitteilung i. S. d. § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977
Leitsatz (NV)
1. Die Verantwortlichen für die Ausstellung inhaltlich unzutreffender Spendenbescheinigungen sind nicht als mittelbare Täter einer Steuerhinterziehung anzusehen.
2. Die Feststellung im Ap-Bericht, es hätten sich - von einer Freibetragsänderung abgesehen - keine Änderungen der Besteuerungsgrundlagen ergeben, ist als Mitteilung i. S. d. § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 zu werten.
Normenkette
EStG § 10b; AO 1977 §§ 370, 202 Abs. 1 S. 3
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute; sie wurden in den Streitjahren 1972 und 1980 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger spendete im Streitjahr 1972 an die Staatsbürgerliche Vereinigung 1954 e. V. (SV) . . . DM. Die Spendenquittung der SV verwies auf die Anerkennung der SV als begünstigte juristische Person i. S. des § 49 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) in der Fassung vom 13. März 1959 (BGBl I 1959, 120) durch die Zweite Verordnung über den Abzug von Spenden zur Förderung staatspolitischer Zwecke vom 23. Oktober 1956 (BGBl I 1956, 457) und enthielt die ausdrückliche Bestätigung, daß die SV ,,die ihr zugewendeten Beträge und ihre übrigen Mittel nur für staatspolitische Zwecke, aber nicht für die unmittelbare oder mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwendet".
Im Streitjahr 1980 spendete der Kläger . . . DM an die Studiengesellschaft . . . e. V. (SG). In der von ihr erteilten Spendenbescheinigung heißt es u. a., sie sei nach dem letzten Körperschaftsteuerfreistellungsbescheid wegen Förderung wissenschaftlicher Zwecke als ausschließlich und unmittelbar wissenschaftlichen Zwecken dienend gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) von der Körperschaftsteuer befreit; der zugewendete Betrag werde nur im Sinne der in § 2 der Satzung festgelegten Zwecke verwendet.
In den in den Jahren 1974 und 1981 abgegebenen Einkommensteuererklärungen für 1972 und für 1980 begehrten die Kläger den Abzug dieser Beträge als Spenden für staatspolitische und wissenschaftliche Zwecke.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gewährte den Sonderausgabenabzug sowohl im Einkommensteuerbescheid für 1972 als auch im Einkommensteuerbescheid für 1980.
Bei einer Außenprüfung für die Jahre 1979 bis 1981 kam der Prüfer zu dem Ergebnis, den Klägern stehe ein Freibetrag nach § 33 a Abs. 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von . . . DM für die Betreuung des Sohnes zu. Darüber hinaus wurden lt. Ausführung im Prüfungsbericht vom 27. Juni 1983 keine Feststellungen zur Einkommensteuer 1979 bis 1981 getroffen.
Aufgrund von Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle A und der Staatsanwaltschaft B - festgehalten im Steuerfahndungsbericht vom 4. Juni 1984 - ging das FA davon aus, die SV und die SG hätten die ihnen zugeflossenen Spenden unter Verstoß gegen ihre Satzungen vollständig oder nahezu vollständig an politische Parteien weitergeleitet. Feststellungen, daß den Klägern diese Praktiken bekannt waren, konnten nicht getroffen werden.
Das FA erließ am 13. August 1984 einen das Streitjahr 1972 und am 17. August 1984 einen das Streitjahr 1980 betreffenden Einkommensteueränderungsbescheid. Die Spenden der Kläger wurden darin nicht mehr berücksichtigt.
Der Einspruch der Kläger bezüglich des Streitjahres 1972 blieb erfolglos; bezüglich des Jahres 1980 berücksichtigte das FA den bei der Betriebsprüfung im Jahre 1983 festgestellten Freibetrag von . . . DM für Kinderbetreuungskosten als außergewöhnliche Belastungen.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es führte aus: Das FA habe den Abzug der Spenden für die SV und die SG als Sonderausgaben zu Recht gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) rückgängig gemacht. Die hier fraglichen Beträge seien nach den - insoweit unwidersprochen gebliebenen - Feststellungen der Steuerfahndungsstelle A entgegen der Versicherung in den Spendenbescheinigungen nicht oder nur teilweise für die in § 10 b Abs. 1 Satz 1 EStG genannten Zwecke verwandt worden. Diese steuererhöhende Tatsache sei den für die Veranlagung der Kläger zuständigen Beamten erst nachträglich bekanntgeworden. - Das FA sei an der Änderung weder durch Verjährung und Vertrauensschutz (Einkommensteuer 1972) noch durch erhöhten Bestandsschutz (Einkommensteuer 1980) gehindert gewesen.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 173 AO 1977 und der Grundsätze von Treu und Glauben.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist begründet.
I. Einkommensteuer 1972
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 1985 sowie des Einkommensteueränderungsbescheides vom 13. August 1984.
Zu Unrecht sind FA und FG davon ausgegangen, daß der Einkommensteuerbescheid für 1972 vom 16. März 1976 nachträglich geändert werden durfte. Denn dieser Änderung stand Verjährung entgegen.
Die Verjährung richtet sich gemäß Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694) nach den §§ 143 ff. der Reichsabgabenordnung (AO) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 - AOÄG - (BGBl I 1965, 1356, BStBl I 1965, 643).
1. Im Streitfall betrug die Verjährungsfrist fünf Jahre (§ 144 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. m. Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 EGAO 1977), weil eine Steuerhinterziehung nicht vorlag. Sie begann nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1974, in dem die Kläger ihre Steuererklärung für 1972 abgegeben haben. Die Verjährungsfrist endete mit Ablauf des Jahres 1979, also vor Ergehen des Einkommensteueränderungsbescheides für 1972 vom 13. August 1984.
2. Der Ablauf der Verjährung wurde nicht nach § 146 a Abs. 3 AO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Einkommensteueränderungsbescheid vom 13. August 1984 gehemmt. Die Steuerfahndungsprüfung, die als Betriebsprüfung i. S. von § 146 a Abs. 3 AO anzusehen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Januar 1979 VIII R 149/77, BFHE 127, 128, BStBl II 1979, 453), fand erst nach Verjährungseintritt statt.
3. Es galt nicht die zehnjährige Verjährungsfrist des § 144 Abs. 1 Satz 1 AO.
Die Kläger scheiden - wie das FG zutreffend angenommen hat - als Täter einer Steuerhinterziehung aus, weil Anhaltspunkte fehlen, daß ihnen bei Abgabe der Steuererklärung die tatsächliche Verwendung der Spenden bekannt war.
Eine Steuerhinterziehung durch die für die SV verantwortlich Handelnden - begangen in mittelbarer Täterschaft (§ 25 des Strafgesetzbuches - StGB - i. V. m. § 392 AO) - hätte die Festsetzungsverjährungsfrist zwar ebenfalls auf 10 Jahre verlängert, da es nicht darauf ankommt, wer die Steuer hinterzogen oder verkürzt hat (BFH-Entscheidungen vom 4. März 1980 VII R 88/77, BFHE 139, 131; vom 18. Dezember 1986 I B 1/86, BFHE 148, 222, BStBl II 1988, 211, und I B 49/86, BFHE 148, 218, BStBl II 1988, 213). Die Personen der SV, die für die Ausstellung der inhaltlich unzutreffenden Spendenbescheinigungen verantwortlich waren, sind aber nicht als mittelbare Täter einer Steuerhinterziehung anzusehen. Denn sie haben weder den Geschehensablauf in einer den Anforderungen der mittelbaren Täterschaft genügenden Weise beherrscht noch mit Täterwillen gehandelt (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1989 I R 39/88, BFHE 159, 188, BStBl II 1990, 340).
4. Auf die vom FG erörterte Rechtsfrage, ob die Änderung der Steuerfestsetzung mit Rücksicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben unterbleiben mußte, kommt es hiernach nicht mehr an.
II. Einkommensteuer 1980:
Bezüglich des Streitjahres 1980 führt die Revision zur Änderung des Einkommensteueränderungsbescheides vom 17. August 1984 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 1985.
FA und FG sind zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Berücksichtigung der Spende an die SG im Einkommensteuerbescheid für 1980 vom 11. Juni 1982 rückgängig gemacht werden konnte.
Den Klägern stand zwar auch insoweit ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Spendenabzug nicht zu. Denn das FG hat - für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) - festgestellt, daß die SG die ihr zugeflossene Spende nicht oder nur teilweise für die in § 10 b Abs. 1 Satz 1 EStG genannten Zwecke verwandt hat. Das FA war jedoch nicht befugt, den bestandskräftigen Bescheid vom 11. Juni 1982 entsprechend zu ändern.
1. Einer solchen Änderung stand die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 entgegen.
Danach können Steuerbescheide, soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt (§ 173 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Diese Änderungssperre greift auch dann ein, wenn die Außenprüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt hat und dies dem Steuerpflichtigen schriftlich mitgeteilt wurde (§ 173 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Im Streitfall war im Außenprüfungsbericht festgestellt worden, daß sich für das Streitjahr 1980 - von einer Freibetragsänderung abgesehen - keine Änderungen der Besteuerungsgrundlagen ergeben hätten. Dies ist als Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 zu werten. Nach der Entscheidung des BFH vom 14. Dezember 1989 III R 158/85 (BFHE 159, 120, BStBl II 1990, 283) kann auch ein ausdrücklicher Hinweis in einem Prüfungsbericht als Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 angesehen werden. Der Schutzgedanke des § 173 Abs. 2 AO 1977 muß auch in einem solchen Falle gelten (vgl. Woerner / Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8. Aufl., S. 103). § 173 Abs. 2 AO 1977 mißt Steuerbescheiden, die Gegenstand einer Außenprüfung waren, eine erhöhte Bestandskraft zu, weil bei der Außenprüfung ausgiebig geprüft wird oder hätte geprüft werden können. Dabei ist es unerheblich, ob der Außenprüfer die streitigen Vorgänge überhaupt geprüft hat, ob er sie aus rechtlichen Erwägungen von sich aus nicht aufgegriffen hat oder ob er sie in Übereinstimmung mit der damaligen Verwaltungsübung unbeanstandet gelassen hat (BFH in BFHE 159, 188, BStBl II 1990, 340).
2. Eine Steuerhinterziehung, die eine Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1980 vom 11. Juni 1982 ermöglicht hätte, liegt nicht vor. Denn die Kläger scheiden nach den den Senat bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) als Täter einer Steuerhinterziehung aus. Die Verantwortlichen der SG kommen als mittelbare Täter einer Steuerhinterziehung nicht in Betracht. Insofern gelten die das Streitjahr 1972 betreffenden Ausführungen entsprechend.
III. Die Einkommensteuer für das Jahr 1980 ist wie folgt neu zu berechnen . . .
Fundstellen