Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine materiellrechtliche Prüfung bei Verfahrensrevision
Leitsatz (NV)
Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und zugleich eine Divergenz geltend gemacht, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden, wenn die gerügte Divergenz nicht vorliegt.
Normenkette
FGO § 118 Abs. 3 S. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), in den Streitjahren 1988 und 1989 zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Ehegatten, unterhielten einen Weinbaubetrieb. Für den Veranlagungszeitraum 1988 erklärten sie neben Verlusten aus Land- und Forstwirtschaft aus den Wirtschaftsjahren 1987/1988 und 1988/1989 einen Gewinn aus der Aufgabe ihres Betriebs. Nachdem die Kläger erklärungsgemäß veranlagt worden waren, machten sie im Einspruchsverfahren geltend, der Gewinn aus der Betriebsaufgabe sei zum 30. Juni 1989 entstanden und daher dem Kalenderjahr 1989 zuzurechnen. Mit ihrer Einkommensteuererklärung 1989 erklärten die Kläger wiederum laufende Verluste und einen Betriebsaufgabegewinn von 280 000 DM. Dabei stellten sie klar, daß noch vorhandenes Betriebsvermögen in das Privatvermögen überführt worden sei.
Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Kläger wiederum erklärungsgemäß veranlagt hatte, stellte er anläßlich einer Betriebsprüfung fest, daß die Kläger in der Zeit von November 1988 bis zum 30. Juni 1989 insgesamt sechs nach einem Umlegungsverfahren entstandene Baugrundstücke veräußert hatten. Weitere Bauplätze wurden im Juli 1989 und im Februar 1990 verkauft. Die danach noch verbliebenen Weinbauflächen von 0,5 ha wurden bis zur Ernte des Jahres 1990 weiter bewirtschaftet; notwendige Geräte wie Kelter, Traubenwagen, Spritze und Weinbergspflug wurden danach verkauft. Im September 1991 stand noch ein Schmalspurschlepper und ein Pkw- Anhänger im Eigentum der Kläger. Weitere Grundstücke, auf denen Obst- und Ackerbau betrieben wurde, haben die Kläger zum 1. Januar 1991 verpachtet. Das FA beurteilte die Veräußerungsgewinne als laufende Gewinne, weil es den Tatbestand der Betriebsaufgabe nicht als erfüllt ansah. Nach Abzug eines Freibetrags zur Schuldentilgung von 90 000 DM für das Wirtschaftsjahr 1988/1989 wurde die Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume 1988 erhöht und 1989 herabgesetzt.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt und führte zur Begründung aus: Die Kläger hätten zum 30. Juni 1989 eine Betriebsaufgabe vorgenommen, weil sie die wesentlichen Betriebsgrundlagen innerhalb kurzer Zeit an verschiedene Erwerber veräußert oder in das Privatvermögen überführt hätten (Hinweis auf Senatsurteil vom 29. Oktober 1981 IV R 138/78, BFHE 134, 339, 343, BStBl II 1982, 381). Mit der Veräußerung von sechs ihrer acht Bauplätze hätten sie ihren Weinbau betrieb zum 30. Juni 1989 eingestellt und zu diesem Zeitpunkt die nicht wesentlichen Betriebsgrundlagen zulässigerweise in ihr Privatvermögen überführt. Danach habe schon aus rechtlichen Gründen kein Betrieb mehr bestanden, denn Voraussetzung dafür sei eine Gewinnerzielungsabsicht gewesen. Diese habe, nachdem die Kläger über Jahre hinweg nur Verluste erzielt hätten, nicht mehr bestanden. Vielmehr hätten die Kläger nach dem 30. Juni 1989 nur noch ein Grundstück von 500 qm bewirtschaftet. Bei dieser Größe könne gerichtsbekannt nicht mehr von einer nachhaltigen wirtschaftlichen Betätigung ausgegangen werden. Nach der Betriebsaufgabe seien die verbleibenden beiden und später veräußerten Grundstücke "auch nicht entsprechend einer wirtschaftlichen Notwendigkeit bewirtschaftet worden". Die Kläger hätten keine Reben mehr ersetzt und keine Hilfskräfte mehr beschäftigt.
Da sich aus dem Gesetz eine klare Trennung außerordentlicher von laufenden Einkünften ergebe (§ 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --), müsse einem Steuerpflichtigen auch nach Betriebseinstellung noch die Möglichkeit der endgültigen Beendigung erhalten bleiben. Das Steuergesetz kenne dementsprechend die Möglichkeit, nach dem Erzielen eines Betriebsaufgabegewinns noch laufende Gewinne zu erzielen. Dadurch, daß die Kläger noch die Ernten 1989 und 1990 auf den verbliebenen Flächen eingebracht hätten, hätten sie nur angefangene Geschäfte zu Ende gebracht. Der Zeitraum von acht Monaten sei für eine Betriebsaufgabe unter Veräußerung von sechs Baugrundstücken auch nicht übermäßig lang bemessen.
Mit seiner dagegen gerichteten, vom Senat zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Feststellungen des FG hinsichtlich der Größe der zurückbehaltenen Flächen verstießen gegen den klaren Inhalt der Akten. Soweit das FG von 500 qm ausgegangen sei, habe es seine Ermittlungspflicht verletzt. Auf die zutreffende Größe von 0,5 ha sei in der Einspruchsentscheidung, der Stellungnahme zur Klage und in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden. Dieser Verfahrensmangel sei für die stattgebende Entscheidung auch ursächlich gewesen. Im übrigen weiche die Vorentscheidung von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab, wonach eine Fläche von 30 ar bei normaler landwirtschaftlicher Nutzung eine wesentliche Grundlage eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs sei; bei intensiver Nutzung, wie im Weinbau, treffe dies auch auf noch kleinere Flächen zu (Hinweis auf BFH- Urteil vom 1. Februar 1990 IV R 8/89, BFHE 159, 471, BStBl II 1990, 428).
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Das FG habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt vollständig aufgeklärt. Die Betriebsaufgabe sei zum 30. Juni 1989 erfolgt, weil die wesentlichen Grundlagen des Betriebs wie Weinbauflächen und Inventar veräußert und nicht verkäufliche Maschinen in das Privatvermögen überführt worden seien. Die verbliebenen Flächen von 5 000 qm seien nicht weiter bewirtschaftet worden, da bereits zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe 3 000 qm verpachtet gewesen seien. Erst Anfang 1990 hätten sich die Pächter zum Erwerb dieser Flächen entschlossen. Die Aberntung der Restfläche, Kelterung und Faßlagerung könne nicht als Bewirtschaftung mit Gewinnerzielungsabsicht beurteilt werden. Insoweit seien nur angefangene Arbeiten zu Ende gebracht worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Der vom FA gerügte Verfahrensmangel liegt vor.
Die in den Einwand des Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten gekleidete Rüge des FA ist als Rüge der Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO zu werten (BFH-Urteile vom 17. Februar 1966 V 220/63, BFHE 85, 60, BStBl III 1966, 233; vom 9. Oktober 1985 I R 163/82, BFH/NV 1986, 288, und vom 6. Dezember 1978 I R 131/75, BFHE 126, 379, BStBl II 1979, 162). Danach hat das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamt ergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Zum Gesamt ergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten.
Das FG hat sowohl die in der Einspruchsentscheidung des FA vom 17. Dezember 1992 als auch in der Stellungnahme zur Klage vom 18. Februar 1993 enthaltene Angabe der zurückbehaltenen und weiterhin landwirtschaftlich genutzten Flächen von über 0,5 ha nicht beachtet. Wie das FA unwidersprochen vorgetragen hat, war diese Flächenangabe auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 19. April 1993. Statt dessen ist das FG in seinem angefochtenen Urteil von einer zurückbehaltenen Fläche von 500 qm ausgegangen und hat daraus gefolgert, daß eine Betriebsaufgabe zum 30. Juni 1989 vorgelegen habe, weil ein solch kleines Grundstück weder Grundlage eines Betriebs noch eines Liebhabereibetriebs sein könne. Auf diesem Verstoß beruht das finanzgerichtliche Urteil, denn dort wird u. a. ausgeführt, ohne zu bewirtschaftende Grundstücke seien sowohl Maschinen als auch Betriebsgebäude nicht länger wesentliche Grundlagen eines landwirtschaftlichen Betriebs.
Wegen dieses Verfahrensmangels geht die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Als Revisionsgericht ist der BFH auf die Prüfung des Verfahrensfehlers beschränkt, wenn ein solcher geltend gemacht wird und durchgreift (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242). Zwar hat das FA auch eine Divergenz der Vorentscheidung von der Rechtsprechung des BFH geltend gemacht. Die daher nach § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO erforderliche Prüfung materiellen Rechts ist dem Senat gleichwohl verwehrt, weil die gerügte Abweichung nicht vorliegt. Da das FG, wenn auch in verfahrensfehlerhafter Weise, von einer zurückbehaltenen Fläche von 500 qm ausgegangen ist, konnte es nicht von der Rechtsprechung des Senats abweichen, wonach eine Flächengröße von 30 ar Grundlage eines landwirtschaftlichen Betriebs sein kann (vgl. BFHE 159, 471, BStBl II 1990, 428). Bei erneuter Verhandlung wird das FG daher zu prüfen haben, ob es sich bei den zurückbehaltenen Flächen um wesentliche Betriebsgrundlagen gehandelt hat, die deshalb nicht zum 30. Juni 1989 in das Privatvermögen überführt werden konnten, weil sie weiterbewirtschaftet wurden und noch zwei Ernten einbrachten, bevor die dazu erforderlichen Geräte veräußert wurden. Sollte das FG zu dem Ergebnis gelangen, daß sich der Vorgang der Abwicklung doch über einen längeren Zeitraum erstreckt hat, so wird es die begünstigte Betriebsaufgabe von der nicht begünstigten Betriebsabwicklung abzugrenzen haben (vgl. BFH-Urteil vom 26. Mai 1993 X R 101/90, BFHE 171, 468, BStBl II 1993, 710).
Fundstellen