Leitsatz (amtlich)
§ 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG stellt eine einheitliche Ermessensvorschrift dar. Die ablehnende Entscheidung des Zulassungsausschusses muß das Für und Wider der Ermessenserwägungen erkennen lassen. Es genügt nicht, wenn erst das FG diese Erwägungen anstellt (Anschluß an BFH-Urteil vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493).
Normenkette
StBerG § 37 Abs. 3 Nr. 1, § 38 Abs. 1 Nr. 4a, §§ 57, 164a; AO 1977 § 121 Abs. 1; GG Art. 12; FGO § 102
Verfahrensgang
Gründe
Die Revision hat teilweise Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Ablehnungsbescheides des Zulassungsausschusses vom 28. Mai 1982 und der Vorentscheidung, soweit mit ihr die Klage auf Aufhebung des Ablehnungsbescheides abgewiesen worden ist. Soweit der Kläger mit der Revision begehrt, den Senator zu verpflichten, ihn für die Zulassung als Steuerberater von der Prüfung als Steuerberater zu befreien, ist die Revision unbegründet.
1. Nach § 38 Abs. 2 StBerG gelten die Vorschriften des § 37 für die Zulassung zur Prüfung auch für die vom Kläger beantragte Befreiung von der Prüfung. Nach § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG kann die Zulassung zur Prüfung und damit auch die Befreiung von der Prüfung versagt werden, wenn der Bewerber sich so verhalten hat, daß die Besorgnis begründet ist, er werde den Berufspflichten als Steuerberater nicht genügen. Im Gegensatz zu der bis zum Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 11. August 1972 (BGBl I, 1401) geltenden Rechtslage (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 StBerG a. F.) bildet die Entfernung eines Bewerbers aus dem Dienst durch rechtskräftiges Urteil in einem Dienststrafverfahren (wie sie im Streitfall gegeben ist) nicht mehr einen gesetzlichen, zwingenden Grund für die Versagung der Befreiung von der Prüfung. Die Entfernung aus dem Dienst kann aber von dem dazu zuständigen Zulassungsausschuß des Senators für Finanzen (vgl. § 8 i. V. m. § 4 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften -- DVStB --) im Rahmen des § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG gewürdigt werden. Von dieser Rechtslage ist das FG zutreffend ausgegangen.
a) § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG ermächtigt den Zulassungsausschuß für den Fall, daß aufgrund des Verhaltens des Bewerbers die Besorgnis begründet ist, er werde den Berufspflichten als Steuerberater nicht genügen, die Befreiung von der Prüfung zu versagen. Bei der rechtlichen Wertung dieser Vorschrift geht der Senat davon aus, daß der Begriff "Besorgnis begründet ist" in die Kategorie der unbestimmten Rechtsbegriffe einzuordnen ist, während der Begriff "kann" zum Ausdruck bringt, daß die Versagung der Befreiung von der Prüfung im Ermessen der Verwaltung liegt. Zu den Rechtsfragen, die sich aus einer solchen Koppelung unbestimmter Rechtsbegriffe (die der vollen richterlichen Nachprüfung unterliegen) und einem "Können" der Verwaltungsbehörde ergeben, hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) mit Beschluß vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70 (BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603) ausführlich Stellung genommen. Auf die Gründe der Entscheidung wird verwiesen. Der Senat schließt sich der Auffassung des Gemeinsamen Senats an, daß nur nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift entschieden werden kann, ob sie den Bereich der Ermessensbetätigung oder der Rechtsanwendung betrifft.
Bei der Auslegung des § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG kann nicht an der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift vorbeigegangen werden. Der nunmehr in § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG geregelte Tatbestand war bis zum Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des StBerG vom 11. August 1972 ein gesetzlicher, zwingender Grund für die Versagung der Befreiung von der Prüfung. Wohl aus verfassungsrechtlichen Gründen (vgl. die zu § 7 Abs. 2 Nr. 2 StBerG a. F. vom Senat im Urteil vom 21. Juli 1964 VII 221/63 U, BFHE 80, 59, BStBl III 1964, 495 zum Ausdruck gebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken) hat der Gesetzgeber sie im erwähnten Änderungsgesetz als Ermessensvorschrift konzipiert. Der Senat ist der Auffassung, daß zwischen dem Begriff "Besorgnis begründet ist" und der rechtlichen Folge "kann" (ebenso wie zwischen dem Begriff "unbillig" und der Folge "können" in § 131 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung -- AO --) eine unlösbare Verbindung besteht und daß die Vorschrift des § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG nicht zum Zwecke der Auslegung in ihre Bestandteile zerlegt werden kann. Der Begriff "Besorgnis begründet ist" ragt in den Ermessensbereich hinein und bestimmt damit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung. § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG stellt danach eine einheitliche Ermessensvorschrift dar. (Diese Auffassung hat der erkennende Senat im Ergebnis bereits zu § 7 Abs. 3 Nr. 1 StBerG a. F. vertreten, der wörtlich mit § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG übereinstimmt; vgl. das bereits erwähnte Urteil in BFHE 80, 59, BStBl III 1964, 495, Nr. 3.)
Handelt es sich danach bei der Vorschrift des § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG um eine einheitliche Ermessensregelung, so ist Voraussetzung für die gemäß § 102 FGO eingeschränkte richterliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen, daß die Verwaltungsbehörde ihr Ermessen auch erkennbar ausgeübt hat. Das aber hat der Zulassungsausschuß, wie noch auszuführen sein wird, in der angefochtenen Versagungsverfügung nicht getan.
Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 3. Februar 1981 VII R 86/78 (BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493) entschieden, daß eine nicht begründete Ermessensentscheidung der Verwaltung im Regelfall fehlerhaft ist. Die Grundsätze dieser zu § 118 AO und § 7 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) ergangenen Entscheidungen sind auch im Streitfall anwendbar. In den Gründen hat der Senat darauf hingewiesen, daß nach § 121 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ein schriftlicher Verwaltungsakt zu begründen ist, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist. Diese Vorschrift gilt auch in berufsrechtlichen Angelegenheiten der vorliegenden Art (vgl. § 164 a StBerG). Im Streitfall mußte der Zulassungsausschuß die Entscheidung über die Versagung der Prüfungsbefreiung schriftlich erteilen (§ 1 Abs. 1 und 3 DVStB).
Dem Erfordernis der Begründung des Versagungsbescheides, auch was die Ermessensausübung betrifft, mußte der Zulassungsausschuß insbesondere deshalb nachkommen, weil § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG in das Grundrecht der Berufsfreiheit eingreift (Art. 12 GG). Nach dem für die spätere Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 12 GG grundlegenden Urteil vom 11. Juni 1958 1 BvR 596/56 (BVerfGE 7, 377 f.) ist die Regelungsbefugnis nach Art. 12 Abs. 1 und 2 GG um der Berufsausübung willen gegeben und darf nur unter diesem Blickpunkt allenfalls auch in die Freiheit der Berufswahl eingreifen. Während die Freiheit der Berufsausübung beschränkt werden kann, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es als zweckmäßig erscheinen lassen, darf die Freiheit der Berufswahl nur eingeschränkt werden, soweit es der Schutz besonders wichtiger, überragender Gemeinschaftsgüter zwingend erfordert. Der in § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG geregelte Versagungstatbestand betrifft eine (negative) subjektive Voraussetzung für die Aufnahme des Berufs als Steuerberater. Für solche subjektiven Voraussetzungen gilt nach der erwähnten Entscheidung des BVerfG das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in dem Sinn, daß sie zu dem angestrebten Zweck der ordnungsmäßigen Erfüllung der Berufstätigkeit nicht außer Verhältnis stehen dürfen. Der Senat stimmt bei Zugrundelegung dieser Grundsätze der Auffassung des FG zu, daß der Schutz vor wirtschaftlichen Schädigungen rechtsuchender Bürger ein wichtiges Gemeinschaftsgut ist, das auch im Rahmen der Freiheit der Berufswahl die in § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG getroffene Regelung rechtfertigt. Angesichts des hohen Ranges des Grundrechts der freien Berufswahl muß der Zulassungsausschuß, wenn er die Befreiung von der Prüfung versagen will, in seinem schriftlichen Bescheid nicht nur darlegen, welches Verhalten des Bewerbers ihn zu der Auffassung veranlaßt hat, es sei die Besorgnis begründet, er werde den Berufspflichten als Steuerberater nicht genügen. Er muß darüber hinaus auch begründen, aufgrund welcher Ermessenserwägungen er zu der für den Bewerber negativen Ermessensentscheidung gekommen ist. Der Staatsbürger, in dessen Rechte eingegriffen wird, hat einen Anspruch darauf, die Gründe dafür zu erfahren; denn nur dann kann er seine Rechte sachgemäß verteidigen. Deswegen müssen bei Ausübung des Verwaltungsermessens die angestellten Erwägungen, die Abwägung des Für und Wider der sich gegenüberstehenden Belange aus der Entscheidung erkennbar sein (vgl. Urteil in BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493 und die dort angegebene Rechtsprechung).
b) Der Zulassungsausschuß hat in den Gründen seiner angefochtenen, die Befreiung von der Prüfung ablehnenden Verfügung unter Heranziehung des vom OVG festgestellten Sachverhalts lediglich begründet, welches Verhalten des Klägers ihn zu der Auffassung veranlaßt hat, daß die Besorgnis begründet sei, er werde den Berufspflichten als Steuerberater nicht genügen. Daran schließen sich folgende Absätze an:
"Weiter war der Zulassungsausschuß der Meinung, daß ein solcher Antragsteller für den Berufsstand nicht tragbar ist.
Nach alledem konnte dem Antrag auf Befreiung von der Steuerberaterprüfung nicht entsprochen werden."
Diese Begründung der Versagungsverfügung läßt nicht erkennen, daß der Zulassungsausschuß sein Ermessen entsprechend den vorgenannten Anforderungen ausgeübt hat. Sie lassen vor allem nicht eine Abwägung des Für und Wider der sich gegenüberstehenden Belange erkennen, die bei der Entscheidung des Ausschusses für das Ergebnis maßgebend gewesen sind, die Verhaltensweise des Klägers begründe im Hinblick auf seine Rechtspflichten als Steuerberater so schwerwiegende Bedenken, daß die Zulassung nicht vertretbar erscheine. Der Zulassungsausschuß hätte außerdem im Rahmen seiner Ermessensausübung, was die begründete Besorgnis angeht, darlegen müssen, welche Berufspflichten im einzelnen aufgrund der Verhaltensweise des Klägers gefährdet erschienen. Das erscheint deshalb erforderlich, weil nach den Ausführungen im Urteil des OVG zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, daß die besonderen Pflichten des Klägers als Beamter, insbesondere die Einhaltung der Arbeitszeit und das Erfordernis der Anwesenheit während dieser Zeit, ein wesentlicher Bestandteil des ihm vorgeworfenen Fehlverhaltens dargestellt haben. Danach aber ist es nicht ohne weiteres auszuschließen, daß der Kläger sich pflichtgemäß verhalten wird, wenn er über seine Arbeitszeit und über seinen Aufenthalt während dieser Zeit weitgehend frei verfügen kann.
Darüber hinaus hat der Zulassungsausschuß es versäumt, bei seiner Ermessensausübung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit -- den er, ebenso wie der Gesetzgeber im Rahmen des § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG, bei Anwendung des auszuübenden Ermessens zu beachten hatte -- Erwägungen darüber anzustellen, warum er eine für den Kläger negative Entscheidung getroffen hat, obwohl nach den Feststellungen des FG die ihm vorgeworfenen Geschehnisse schon mehrere Jahre zurücklagen und eine unmittelbare Wiederholungsgefahr nach der Entfernung des Klägers aus dem Dienst nicht gegeben erschien. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß der Zulassungsausschuß bei der von ihm zu treffenden einheitlichen Ermessensentscheidung nicht die gebotenen Erwägungen angestellt hat. Er hat damit die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (Ermessensverletzung in Form der Ermessensunterschreitung, vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 5 AO 1977 Rdnr. 20).
2. Das FG war nicht befugt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des Zulassungsausschusses zu setzen. Gemäß § 102 FGO haben die FG nur zu prüfen, ob Verwaltungsakte, über die die F nanzbehörde nach ihrem Ermessen zu entscheiden hat, rechtswidrig sind, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Das FG konnte daher den Mangel der Wegen fehlender Begründung vorliegenden Rechtswidrigkeit nicht dadurch heilen, daß es die vom Zulassungsausschuß unterlassenen Ermessenserwägungen selbst angestellt und auf dieser Grundlage zuungunsten des Klägers entschieden hat. Das hat das FG verkannt.
3. Nach allem waren der angefochtene Verwaltungsakt und, im eingangs gekennzeichneten Umfang, das Urteil des FG aufzuheben. Dem Verpflichtungsbegehren des Klägers konnte dagegen nicht entsprochen werden. Bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen sind die FG, sofern sie eine Ermessensüberschreitung feststellen, auf die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes beschränkt. Der Ausnahmefall einer sog. Ermessenseinengung, bei dem das Gericht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde setzen kann (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 5 AO 1977, Rdnr. 39 und § 102 FGO Rdnr. 3), liegt nicht vor. Sie wird bei einer Ermessensverletzung in Form der Ermessensunterschreitung auch kaum in Betracht kommen. Der Erlaß eines Verpflichtungs- oder Bescheidungsurteils (§ 101 FGO) scheidet deshalb aus.
Fundstellen
BStBl II 1983, 695 |
BFHE 1983, 508 |