Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätungszuschlag neben Nachzahlungszinsen; Festsetzung gegenüber zusammenveranlagten Ehegatten
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn das FA einem Steuerpflichtigen gegenüber, der seine Steuererklärungen Jahre lang unentschuldigt mit erheblicher Verspätung abgegeben hat, den erneuten Wiederholungsfall zum Anlass nimmt, den Verspätungszuschlag auf den nach § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 zulässigen Höchstbetrag festzusetzen, obgleich der aus der Säumnis gezogene Zinsvorteil schon nach § 233a AO 1977 abgegolten wurde.
2. Bei einer solchen Fallgestaltung bedarf es keiner Berechnung der Zinshöhe unter Angabe des Rechnungszinsfußes in der Verwaltungsentscheidung über den Verspätungszuschlag (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 11. Juni 1997 X R 14/95 (BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642).
3. Im Fall der Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer kann ein Verspätungszuschlag auch dann gegenüber beiden Ehegatten festgesetzt werden, wenn nur einer von ihnen Einkünfte erzielt hat.
Normenkette
AO 1977 § 3 Abs. 1, 3, §§ 5, 44 Abs. 1, § 130 Abs. 1, §§ 152, 233a; FGO § 102; EStG § 25 Abs. 3 S. 2, § 26b
Verfahrensgang
FG Bremen (EFG 1998, 1306; LEXinform-Nr. 0146391) |
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, wenden sich gegen die Festsetzung von Verspätungszuschlägen, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) ihnen gegenüber zusammen mit der Einkommensteuer für 1991 und 1992 festgesetzt hat. Im Einzelnen liegt dem folgender Sachverhalt zugrunde:
Nachdem die Kläger für 1991, ebenso wie für die 7 vorangegangenen Veranlagungszeiträume keine Steuererklärungen abgegeben hatten, setzte das FA ihnen gegenüber mit Verfügung vom 28. Januar 1994 zunächst ein Zwangsgeld in Höhe von 300 DM fest und zog sie schließlich, mit Bescheid vom 4. Oktober 1994, unter Berufung auf § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) im Wege der Schätzung zur Einkommensteuer für 1991 heran (Einkommensteuerschuld hiernach: 56 166 DM). Zugleich setzte das FA Zinsen in Höhe von 3 816 DM und einen Verspätungszuschlag in Höhe von 4 770 DM fest, den es wie folgt errechnete: Zinsvorteil: 0,5 % pro Monat x 17 (Monate der Fristüberschreitung) = 8,5 % von 56 166 DM = (abgerundet) 4 770 DM.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde, mit der die Kläger vor allem geltend machten, die Nachzahlungszinsen müssten vom festgesetzten Verspätungszuschlag abgezogen werden, wies die Oberfinanzdirektion (OFD) mit Entscheidung vom 20. April 1995 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus:
Die Kläger seien ihrer Erklärungspflicht noch immer nicht nachgekommen. Diese Pflichtverletzung sei nicht entschuldbar. Zwangsgeldverfahren und Schätzungsandrohung seien erfolglos geblieben. Entschuldigungsgründe seien nicht erkennbar und auch nicht geltend gemacht worden. Auch liege keine einmalige Versäumnis vor, wie das Verhalten in den 7 vorangegangenen Jahren zeige. Mit der Festsetzung des Verspätungszuschlags habe das FA erkennbar auch die rechtzeitige Abgabe von Steuererklärungen für die Zukunft sichern wollen. Das entspreche der Zielsetzung des § 152 Abs. 1 AO 1977. Außerdem seien die in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 aufgeführten Gesichtspunkte in ermessensfehlerfreier Weise berücksichtigt worden: Die Dauer der Fristüberschreitung habe schon zum Zeitpunkt der Schätzung mehr als 17 Monate betragen; die Schwere des Verschuldens ergebe sich daraus, dass die Kläger die Mahnverfahren, die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeldern, die Androhung und Schätzung von Besteuerungsgrundlagen sowie die Festsetzung von Verspätungszuschlägen in den Vorjahren (für 1990 10 %) nicht zum Anlass genommen hätten, ihr Abgabeverhalten gesetzeskonform zu gestalten. Wegen dieser besonders ausgeprägten Pflichtverletzung sei es nicht erheblich, dass der wirtschaftliche Vorteil aus der Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung durch die vom FA vorgenommene Vollverzinsung abgeschöpft worden sei. Auch der Berechnungsmodus sei nicht zu beanstanden. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kläger sei ebenfalls angemessen berücksichtigt worden, wobei allerdings bedacht werden müsse, dass hinsichtlich der Zuschlagshöhe ohne Vorliegen einer Steuererklärung keine weitere Prüfung möglich sei.
Erst nach Klageerhebung (23. Mai 1995), am 30. August 1996, gaben die Kläger ihre Einkommensteuererklärung für 1991 ab.
Daraufhin änderte das FA am 14. April 1997 den Bescheid vom 28. Januar 1994, in dem es die Einkommensteuer auf 58 132 DM und die Zinsen hierzu auf 4 272 DM heraufsetzte und zum Verspätungszuschlag bemerkte, dass er unverändert bestehen bleibe.
Der hiergegen eingelegte Einspruch führte am 25. Juni 1997 zu einem weiteren Änderungsbescheid, in dem das FA die Einkommensteuer auf 56 852 DM sowie die Zinsen hierzu auf 3 960 DM herabsetzte und zum Verspätungszuschlag wiederum feststellte, dass er in der festgesetzten Höhe von 4 770 DM unverändert bestehen bleibe.
Unter Berufung auf § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hielten die Kläger ihre Klage gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags aufrecht und trugen hierzu noch vor: Als Automatenaufsteller habe sich der Kläger in einer Art Dilemma befunden, weil seit Jahren beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ein Verfahren wegen der Bemessungsgrundlage für die Umsätze von Automatenaufstellern anhängig gewesen und erst mit Urteil vom 5. Mai 1994 dahin entschieden worden sei, dass bei derartigen Umsätzen der Kasseninhalt abzüglich der darin enthaltenen Umsatzsteuer die Bemessungsgrundlage bilde. Wegen der bis dahin bestehenden Ungewissheit habe der Kläger zwar im Rahmen seiner Finanzbuchhaltung die Umsätze erfasst und auch Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben, im Hinblick auf die ertragsteuerlichen Konsequenzen jedoch weder Bilanzen noch Gewinn- und Verlustrechnungen erstellt und folglich auch keine Steuererklärungen abgegeben. Im Hinblick auf die ausstehende Entscheidung des EuGH sei es den Klägern wegen der erheblichen Steuerberatungskosten nicht zuzumuten gewesen, praktisch zweimal Bilanzen nebst Gewinn- und Verlustrechnungen und den dazugehörigen Steuererklärungen aufzustellen. Im Übrigen vertraten die Kläger weiterhin den Standpunkt, bei der Bemessung des Verspätungszuschlags seien der aus der Verspätung gezogene Zinsvorteil und die Zinsen nach § 233a AO 1977 zu berücksichtigen.
Für 1992 erließ das FA, ebenfalls nach vergeblicher Zwangsgeldfestsetzung von 300 DM, am 10. Januar 1996 einen Schätzungsbescheid, in dem die Einkommensteuer für diesen Veranlagungszeitraum auf 144 810 DM, die Zinsen hierzu auf 13 755 DM sowie außerdem ein Verspätungszuschlag in Höhe von 10 000 DM festgesetzt wurden.
Nach Einreichung der Einkommensteuererklärung für 1992 (am 13. Dezember 1996) erließ das FA am 14. April 1997 einen Änderungsbescheid, in dem es die Einkommensteuer auf 23 238 DM, die Zinsen hierzu auf 997 DM und den Verspätungszuschlag auf 2 320 DM herabsetzte. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Unter Berufung auf § 164 Abs. 2 AO 1977 beantragten die Kläger am 16. April 1997 beim FA, den Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 1992 auf 0 DM herabzusetzen. Zur Begründung trugen sie vor, das FA habe die Höhe des Zahlungsanspruchs, der sich aus der Steuerfestsetzung ergebe, nicht berücksichtigt. Außerdem seien die festgesetzten Zinsen abzuziehen, wobei der Verspätungszuschlag höchstens 10 % der auf diese Weise errechneten Bemessungsgrundlage betragen dürfe.
Im ablehnenden Bescheid vom 4. Juni 1997 vertrat das FA den Standpunkt, der Verspätungszuschlag sei nicht auf 10 % der Abschlusszahlung, sondern auf 10 % der festgesetzten Steuer begrenzt. Außerdem seien nicht nur der eventuell gezogene Zinsvorteil, sondern auch die Dauer der Verspätung sowie die Häufigkeit der Verspätung zu berücksichtigen. Eine automatische Kürzung um die festzusetzenden Zinsen sei nicht vorgesehen und die Höhe des Verspätungszuschlags im Hinblick darauf angemessen, dass die Einkommensteuererklärung 1992 mit über 31 Monaten Verspätung eingereicht worden sei.
Der Einspruch hiergegen blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 6. November 1997 heißt es zur Begründung:
Wegen der Fristüberschreitung von mehr als 2 1/2 Jahren und der Nichtbeachtung der in den Vorjahren ergriffenen Maßnahmen müsse unter den Bemessungskriterien des § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 das Verschulden als gravierend eingestuft werden. Im Hinblick auf die besonders ausgeprägte Pflichtverletzung sei es nicht erheblich, dass der wirtschaftliche Vorteil aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung durch die Vollverzinsung abgeschöpft sei. Das mit der Festsetzung des Verspätungszuschlags verfolgte Ziel, den Steuerpflichtigen für die Zukunft zur Einhaltung der Fristen anzuhalten, erfordere, dafür zu sorgen, dass die Maßnahme ihn auch erreiche. Dies aber sei nicht ohne weiteres der Fall, wenn man ihm nur den erwirtschafteten Zinsvorteil nähme. Auch der Hinweis auf § 233a AO 1977 führe zu keiner Herabsetzung des festgesetzten Verspätungszuschlags. Dieser sei im Hinblick auf die fortgesetzte Pflichtverletzung bewusst auf den nach § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 zulässigen Höchstbetrag von 10 % festgesetzt worden. Das sei durch § 233a AO 1977 nicht ausgeschlossen. Darin liege keine Doppelberücksichtigung und infolgedessen auch kein Verstoß gegen das Übermaßverbot. Auch unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei der Zuschlag in Höhe von 2 320 DM gerechtfertigt.
Mit den gegen die ablehnenden außergerichtlichen Rechtsbehelfsentscheidungen erhobenen, vom Finanzgericht (FG) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Klagen, erstrebten die Kläger hinsichtlich der Festsetzung des Verspätungszuschlags für 1991 Aufhebung dieser Festsetzung und der hierzu ergangenen weiteren Verwaltungsakte sowie für 1992 Aufhebung der ablehnenden Verwaltungsakte und Verpflichtung des FA, über den Antrag, diesen Verspätungszuschlag auf 0 DM festzusetzen, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Das FG hat diese Klagen durch Urteil vom 10. März 1998 (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1998, 1306) als unbegründet abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Für die unstreitigen Versäumnisse sei kein Entschuldigungsgrund ersichtlich. Ein beim EuGH anhängiges Musterverfahren bzw. Vorabentscheidungsverfahren gebe anderen Steuerpflichtigen nicht das Recht, von der Abgabe ihrer Steuererklärungen abzusehen. Im Übrigen sei hinsichtlich der Festsetzung der Verspätungszuschläge für 1991 und 1992 ein Ermessensfehler nicht erkennbar. In diesem Zusammenhang sei zutreffend auf die Dauer der Versäumnisse (1991 allein bis zur Schätzung mehr als 17 Monate, 1992 mehr als 2 1/2 Jahre) hingewiesen worden; für das Streitjahr 1991 sei die Erklärung überhaupt erst 21 Monate nach Festsetzung des Verspätungszuschlags abgegeben worden. Berechnungsweise und Höhe der Verspätungszuschläge seien im Hinblick auf die Sachlage und den mit der Zuschlagsregelung verfolgten Zweck nicht zu beanstanden. Zu Recht habe die OFD in der Beschwerdeentscheidung für 1991 auch auf dieselben Versäumnisse hinsichtlich der 7 vorangegangenen Jahre und auf den Umstand hingewiesen, dass schon für 1990 ein Verspätungszuschlag von 10 % festgesetzt worden sei. Auch für sich gesehen handle es sich bei den streitigen Fällen um "außergewöhnliche Fälle", bei denen mehrere erschwerende Umstände zusammengetroffen seien. In beiden Rechtsbehelfsentscheidungen seien sämtliche Beurteilungsmerkmale des § 152 AO 1977 in die Ermessensentscheidung einbezogen worden, zu Recht habe aber jeweils den Ausschlag für die Bemessung die Dauer und die Häufigkeit der Verspätung gegeben.
Mit der Revision erstreben die Kläger für beide Veranlagungszeiträume weiterhin Herabsetzung der Verspätungszuschläge auf 0 DM. Sie begründen ihr Rechtsmittel im Wesentlichen wie folgt: Die Berechtigung zur Festsetzung von Verspätungszuschlägen sei nicht mehr streitig. Dies gelte allerdings nicht hinsichtlich der Klägerin, denn sie habe in beiden Streitjahren keine eigenen Einkünfte gehabt und sei daher auch nicht erklärungspflichtig gewesen. Die Wahl der Zusammenveranlagung habe lediglich "familienpolitische Hintergründe im Hinblick auf den Splittingtarif".
Im Übrigen aber sei das Ermessen in beiden Fällen in fehlerhafter Weise ausgeübt worden. Die Häufigkeit der Versäumnisse spiele schon wegen des Grundsatzes der Abschnittsbesteuerung keine Rolle. Auf den Gedanken der Prävention, der hier die Festsetzung eines Verspätungszuschlags allenfalls rechtfertigen könne, seien weder die Verwaltungsentscheidungen noch das angefochtene Urteil gestützt. Zur Dauer der Fristüberschreitung sei zu berücksichtigen, dass sich die vom EuGH schließlich entschiedene Vorfrage auf die Gewinnermittlung des Klägers ausgewirkt habe. Im Übrigen seien die Verspätungszuschläge falsch berechnet worden. Ausgangsgröße hierfür hätte jeweils die "endgültig richtige Steuer" abzüglich der geleisteten Vorauszahlungen sein müssen. Hierauf sei die Höchstgrenze von 10 % zu beziehen. Dies ergebe unter Berücksichtigung der Zinsen von 3 960 DM (für 1991) bzw. 997 DM (für 1992) allenfalls für 1991 noch eine Berechtigung zur Festsetzung eines Verspätungszuschlags, und zwar in Höhe von 350 DM.
Auch daraus, dass der Einkommensteuerbescheid im Verhältnis zur Festsetzung des Verspätungszuschlags als Grundlagenbescheid anzusehen sei, folge, dass der Höchstbetrag von 10 % bei der Ermittlung des Verspätungszuschlags vor Berücksichtigung der Zinsen anzusetzen sei. Dass im Übrigen die Zinsvorteile durch die Verzinsung nach § 233a AO 1977 teilweise ausgeglichen würden, könne nicht bezweifelt werden. Für den Ansatz der Zinshöhe sei weder diejenige der Kreditinstitute maßgeblich noch die Regelung des § 240 AO 1977. Hinsichtlich des Verschuldens und der Dauer der Fristüberschreitung sei zu berücksichtigen, dass eine für den Kläger bedeutsame und vorgreifliche Rechtsfrage ungeklärt gewesen sei. Unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit müsse schließlich beachtet werden, dass die Klägerin in beiden Jahren keine eigenen Einkünfte gehabt habe.
Die Kläger beantragen, zum Teil sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Festsetzung der Verspätungszuschläge aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Zutreffend hat das FG im angefochtenen Urteil die den Klägern gegenüber für 1991 und 1992 festgesetzten Verspätungszuschläge dem Grunde und der Höhe nach als rechtmäßig angesehen. Sie stehen in materiell-rechtlicher und formell-rechtlicher Hinsicht im Einklang mit den einschlägigen Gesetzesvorschriften.
1. Hinsichtlich des für 1992 festgesetzten Verspätungszuschlags ergibt sich die Richtigkeit des die Klage abweisenden Urteils allerdings nicht schon, wie das FA nunmehr im Revisionsverfahren meint, daraus, dass die ursprüngliche, zugleich mit Erlass des Einkommensteuerbescheids 1992 am 10. Januar 1996 vorgenommene Festsetzung bestandskräftig geworden ist. Zwar ist dem FA darin beizupflichten, dass sich der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO 1977 nur auf die Steuerfestsetzung, nicht auch auf diejenige des Verspätungszuschlags bezog, weil diese Regelung grundsätzlich für Steuern i.S. des § 3 Abs. 1 AO 1977 gilt, für steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 3 AO 1977) aber nur, sofern es ausdrücklich vorgesehen ist; dies ist für die Festsetzung von Verspätungszuschlägen nach § 152 AO 1977 nicht der Fall (s. dazu näher: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 152 AO Rz. 40 f. und Rz. 42, Vor § 172 AO 1977; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 152 AO Rz. 46 f., jeweils m.w.N.). Das hat zur Folge, dass sich die Korrektur solcher Verwaltungsakte allein nach § 130 Abs. 1 AO 1977 richtet und infolgedessen die Unanfechtbarkeit des Steuerverwaltungsakts seiner Korrektur nicht entgegensteht (s. auch Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9. März 1989 VI R 101/84, BFHE 157, 1, BStBl II 1989, 749).
2. Die demgemäß für die erstrebte Rücknahme der Verwaltungsentscheidungen über die Festsetzung der Verspätungszuschläge gemäß § 130 Abs. 1 AO 1977 allein maßgebliche Voraussetzung der Rechtswidrigkeit ist in keinem der hier streitigen Fälle erfüllt. Die hierzu ergangenen Steuerverwaltungsakte sind durch § 152 AO 1977 gedeckt.
Nach § 152 Abs. 1 AO 1977 kann gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden (Satz 1). Von einer solchen Festsetzung ist abzusehen, wenn die Versäumnis entschuldbar erscheint (Satz 2). Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden gleich (Satz 3).
a) Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist von den Gerichten uneingeschränkt nachprüfbar, wie der Senat im Urteil vom 11. Juni 1997 X R 14/95 (BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642, unter I. 1., m.w.N.) näher ausgeführt hat. Dasselbe gilt für die in § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 in der für die Streitjahre geltenden Fassung vorgesehenen Beschränkungen, wonach der Verspätungszuschlag 10 % der festgesetzten Steuer oder des festgesetzten Messbetrages nicht übersteigen und höchstens 10 000 DM betragen darf. Weitere gesetzliche Vorgaben für die Zuschlagsberechnung sind damit ―entgegen der Meinung der Kläger― nicht verbunden.
b) Ob und inwieweit dagegen bei Erfüllung dieser Voraussetzungen und im Rahmen der gesetzlichen Grenzen im Einzelfall ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird, hat die zuständige Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (Senat in BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642, unter II. 1., m.w.N.). Dieser Teil der Entscheidung unterliegt gemäß § 102 FGO nur der eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung dahingehend, ob die Behörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht einwandfrei und erschöpfend ermittelt, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Hierbei darf das Gericht vor allem die für die Ausübung des Ermessens maßgeblichen Erwägungen nicht durch eigene ersetzen (BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642, m.w.N.). Für die Ermessensprüfung kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse an, die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung gegeben bzw. erkennbar waren (BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642), d.h. hier für 1991 bei Erlass der Beschwerdeentscheidung vom 20. April 1995, und für 1992 bei Erlass der Einspruchsentscheidung vom 6. November 1997.
c) Entsprechendes gilt bei der Anwendung des § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977, demzufolge bei der Bemessung des Verspätungszuschlags neben seinem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile, sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen sind.
d) Die Finanzbehörde muss bei ihrer Entscheidung alle in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ausdrücklich und abschließend aufgezählten Kriterien beachten und das Für und Wider ihrer Berücksichtigung gegeneinander abwägen (BFH-Urteile vom 18. August 1988 V R 19/83, BFHE 154, 23, BStBl II 1988, 929; vom 26. April 1989 I R 10/85, BFHE 157, 14, BStBl II 1989, 693). Diese Beurteilungsmerkmale sind auch grundsätzlich gleichwertig (Senatsurteil in BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642, m.w.N.). Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die Finanzbehörden gehalten wären, alle diese Kriterien auch in jedem Fall in gleicher Weise zu gewichten. Dies ist vielmehr ihrer pflichtgemäßen Ermessensausübung überlassen. Hierbei kann im Ergebnis, je nach den Umständen des Einzelfalles, ein Merkmal stärker als ein anderes hervortreten (Senat in BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642, unter II. 2. c) oder schließlich auch ganz ohne Auswirkung auf die Bemessung bleiben. Dem entspricht es, dass die Finanzverwaltung im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO, in der Änderung vom 15. Juli 1998, BStBl I 1998, 630) insoweit gleichfalls keine feste Vorgaben für die Gewichtung der verschiedenen Kriterien vorsah und vorsieht: So ist z.B. ein Ausgleich für die gezogenen Zinsvorteile bei der Bemessung nur "ggf." zu berücksichtigen (Ziff. 8 AEAO zu § 152 AO 1977). Aus diesem Grunde gilt für die Anwendung des § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 grundsätzlich folgendes:
Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Höhe des Verspätungszuschlags den durch die verspätete Abgabe der Erklärung gezogenen Vorteil erheblich übersteigt (BFH-Urteile vom 9. April 1987 IV R 7/86, BFH/NV 1988, 750, und in BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642, unter II. 2. d).
Ein Verspätungszuschlag kann auch festgesetzt werden, obwohl es zu einer Erstattung gekommen ist (BFH-Beschlüsse vom 10. April 1997 II B 120/96, BFH/NV 1997, 731, und vom 14. April 1998 IV B 3/97, BFH/NV 1998, 1243).
Es kommt, weil die Bemessung des Zuschlags nicht durch das Maß des gezogenen Vorteils begrenzt wird, u.U. überhaupt nicht entscheidend darauf an, ob und in welcher Höhe letztlich ein Zinsvorteil erzielt wurde (BFH-Urteile vom 9. April 1987 IV R 8/85, BFH/NV 1989, 1, 2; vom 31. Juli 1987 VI R 193/85, BFH/NV 1988, 282, und vom 29. September 1989 III R 159/86, BFH/NV 1990, 615, 616).
Ein Verspätungszuschlag kann auch festgesetzt werden (und zwar in Höhe des Höchstbetrages von 10 000 DM), wenn ein oder zwei der in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 genannten (und in jedem Fall zu prüfenden) Voraussetzungen nicht erfüllt sind (BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 731, 732).
Es ist in schweren Fällen ―bei erheblicher Fristüberschreitung, schwerwiegendem Verschulden und hoher Steuerfestsetzung― nicht ermessensfehlerhaft, den Verspätungszuschlag so zu bemessen, dass er als angemessene Sanktion wirkt (BFH-Urteil vom 25. November 1988 VI R 137/85, BFH/NV 1989, 279, 281).
3. Die für die Bemessung des Verspätungszuschlags maßgebenden Erwägungen müssen in dem Festsetzungsbescheid, spätestens aber in der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO 1977) begründet werden. Insoweit hat der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642 ausgesprochen, dass die schriftliche Begründung des Verspätungszuschlags außer den aus der verspäteten Abgabe der Erklärung gezogenen Vorteilen auch "die Bestimmung des anzuwendenden Rechnungszinsfußes" enthalten müsse; da letztere im damals entschiedenen Fall unterblieben war, sei die Begründung des Verspätungszuschlags rechtsfehlerhaft gewesen. Diese Ausführungen bedeuten jedoch nicht, wie der Senat hiermit klarstellt, dass Zinshöhe und Zeitdauer der Verspätung stets festliegen und in der Entscheidung über den Verspätungszuschlag enthalten sein müssen. Die Ausführungen in BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642 beziehen sich nur auf den dort entschiedenen Streitfall, in dem gerade die Berechnung der Zinsvorteile durch die Finanzverwaltungsbehörden streitig und von den betroffenen Steuerpflichtigen mit Recht bemängelt worden war.
4. Dem FG ist darin beizupflichten, dass die vorstehenden Grundsätze im Streitfall beachtet worden sind.
a) Angesichts der hartnäckigen Wiederholung und der Dauer der Versäumnisse sind die Finanzbehörden zu Recht von einem schwerwiegenden Verschulden ausgegangen. Dabei stand der Berücksichtigung des Verhaltens der Kläger in den Vorjahren nicht, wie diese meinen, der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung entgegen. Dieser betrifft bei Veranlagungssteuern die Frage, welche Umstände für die Bemessung der Jahressteuerschuld maßgeblich sind und welche Bindungswirkung von der Festsetzung einer solchen Steuerschuld für andere Zeiträume ausgeht (vgl. hierzu Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 40 Rz. 89 und § 110 Rz. 16, jeweils m.w.N.), trägt aber nichts zur Beurteilung von Nebenpflichten aus dem Steuerrechtsverhältnis bei, hier dazu, ob der Gesichtspunkt der Wiederholung ins Gewicht fällt oder nicht. Es entspricht vielmehr der Zielsetzung des § 152 AO 1977, repressiv wie präventiv zu wirken, dem Umstand fortgesetzten Versäumnisses vor allem unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens eine gewichtige Bedeutung beizumessen (s. auch BFH-Urteile in BFH/NV 1989, 1, 2, und in BFHE 157, 1, BStBl II 1989, 749, unter II. 2.; Tipke/Kruse, a.a.O., § 152 AO Rz. 26).
b) Zu Recht ist hierbei sowohl von den Finanzbehörden als auch vom FG die Tatsache, dass eine den Kläger betreffende Rechtsfrage jahrelang in einem Musterverfahren streitig war, nicht entschuldigend berücksichtigt worden. Solche Unklarheiten entbinden nicht von der Verpflichtung, Steuererklärungen abzugeben. Sie müssen im anschließenden Veranlagungsverfahren, entweder durch einen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 AO 1977 oder mit Hilfe eines Rechtsschutzverfahrens geklärt werden.
c) Auch die Berechnung der Verspätungszuschläge ist nicht zu beanstanden: Ausgangsgröße dabei ist, wie schon aus dem Wortlaut des § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 hervorgeht, die festgesetzte Steuer, nicht etwa die Zahlschuld, die sich nach Anrechnung von Vorauszahlungen und dergleichen ergibt (vgl. dazu auch BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1997, 731, und in BFH/NV 1998, 1243). Ob und in welcher Höhe es für den in Frage stehenden Veranlagungszeitraum schließlich zu einem Nachzahlungs- oder zu einem Erstattungsanspruch gekommen ist, kann sich gemäß § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977, zwar unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsziehung und des Verschuldens, auf die Bemessung der Höhe des Verspätungszuschlags auswirken. Dies muss aber, wie zuvor ausgeführt, vor allem in gravierenden Fällen nicht notwendig der Fall sein.
d) Zur Bemessung des Verspätungszuschlags für 1992 war es angesichts der Schwere fortgesetzter Versäumnisse bei der Abgabe der Steuererklärungen nicht ermessensfehlerhaft, dass Zinserwägungen keinen Eingang in die Berechnung gefunden haben. Hierin liegt auch keine Abweichung zum Senatsurteil in BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642, das von der Forderung nach Fixierung des Zinsfußes ebenfalls ausdrücklich (unter II. 2. e) die Fälle ausnimmt, in denen ―wie hier für 1992― die Festsetzung des Verspätungszuschlags allein auf einer "prozentualen Relation" beruht.
5. Zu Recht haben die Finanzbehörden die Verwaltungsentscheidungen auch gegen die Klägerin gerichtet. Für die Entscheidung, inwieweit auch sie Steuererklärungspflichten verletzt hat bzw. ihr eine solche Verletzung gemäß § 152 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 zugerechnet werden kann, kommt es nicht darauf an, ob sie eigene Einkünfte erzielte. Abgesehen davon, dass im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer gemäß § 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Ehegatten, nach Zusammenrechnung ihrer Einkünfte (unabhängig von ihrem Anteil an der Einkünfteerzielung) "gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt" werden, trifft sie gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 EStG (früher § 57a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung) eine gemeinsame Steuererklärungspflicht (s. auch BFH-Urteil vom 28. August 1987 III R 230/83, BFHE 151, 3, BStBl II 1987, 836; Tipke/Kruse, a.a.O., § 152 AO Rz. 16 und 40). Auch diese ist hier unabhängig davon verletzt worden, ob die Klägerin in den Veranlagungszeiträumen 1991 und 1992 eigene Einkünfte hatte. FA und OFD haben sie gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zu Recht als Gesamtschuldnerin für die streitigen Verspätungszuschläge in Anspruch genommen.
Fundstellen
Haufe-Index 426528 |
BFH/NV 2000, 1518 |
BStBl II 2001, 60 |
BFHE 192, 213 |
BFHE 2001, 213 |
BB 2000, 2087 |
DB 2000, 2104 |
DStRE 2000, 1105 |
HFR 2001, 9 |
StE 2000, 623 |