Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten
Leitsatz (NV)
Eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 setzt nicht voraus, daß die offenbare Unrichtigkeit aus dem Bescheid selbst erkennbar ist (Bestätigung der Rechtsprechung).
Normenkette
AO 1977 § 129 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) setzte im Rahmen ihrer Gewinnermittlung für das Streitjahr eine private Pkw- Nutzung in Höhe von 2 150 DM an. In ihrer Umsatzsteuererklärung wies sie u. a. einen Verwendungseigenverbrauch in Höhe von 2 400 DM für die private Pkw- und von 480 DM für die Telefonnutzung aus. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) folgte dem zunächst. Aufgrund einer späteren Außenprüfung sollte der Verwendungseigenverbrauch für die Pkw-Nutzung dagegen zwischen den Beteiligten einvernehmlich um 100 DM höher mit 2 500 DM angesetzt werden. Der Sachbearbeiter des FA addierte irrtümlicherweise die Differenz zwischen diesem und dem Ansatz in der Gewinnermittlung (350 DM) mit dem Betrag in der Umsatzsteuererklärung (2 400 DM) und kam so unter Einbezug des Eigenverbrauchs infolge privater Telefonnutzung zu einem Betrag von 3 230 DM (statt 2 980 DM). Diesen Betrag setzte er unter der Kennziffer 270 in den Eingabewertbogen ein. Das führte dazu, daß die im Festsetzungsspeicher unter Kennziffer 270 gespeicherten Umsätze aus Lieferungen und Leistungen zu einem Steuersatz von 14 % (von ursprünglich 34 712 DM) auf den eingetragenen Betrag reduziert, dagegen die unter Kennziffer 272 (Verwendung von Gegenständen) enthaltenen Beträge nicht berichtigt wurden. Im geänderten Bescheid des FA wurden so steuerpflichtige Umsätze (einschließlich des Eigenverbrauchs) zu einem Steuersatz von 14 % in Höhe von 8 412 DM ausgewiesen. Aus der Anlage zum Bescheid war lediglich ersichtlich, daß das FA bei der privaten Pkw-Nutzung von 2 500 DM ausgegangen war.
Das FA berichtigte unter Berufung auf § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr.
Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, das FA hätte den Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr nicht ändern dürfen, da die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 nicht vorgelegen hätten. Voraussetzung hierfür sei, daß der Steuerpflichtige die offenbare Unrichtigkeit aus dem Steuerbescheid oder sonstigen ihm zugänglichen Unterlagen selbst erkennen könne. Im Streitfall habe die Klägerin lediglich erkennen können, daß die im Bescheid zugrunde gelegten Umsätze niedriger gewesen seien als die erklärten. Die Höhe der Bemessungsgrundlage hätte sie aber nur bei Kenntnis der fehlerhaften Bearbeitung durch den Sachbearbeiter bestimmen können. Das FG folge nicht der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach die offenbare Unrichtigkeit für den Steuerpflichtigen nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar zu sein brauche. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens eines Steuerpflichtigen in die Bestandskraft eines Bescheides entfalle nicht, wenn ein Fehler nur aus den Akten ersichtlich wird, deren Inhalt einzusehen er weder die Möglichkeit noch Anlaß habe. Das Erfordernis der Erkennbarkeit der Fehlerhaftigkeit komme auch in § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 zum Ausdruck. Dagegen spreche nicht die Unterschiedlichkeit der Formulierungen in § 42 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) und in § 129 AO 1977. Auch beim allgemeinen Verwaltungsverfahren handele es sich ebenso wie beim Steuerverfahren um ein Massenverfahren unter Einsatz von Datenverarbeitung. Ein unterschiedlicher Vertrauensschutz sei nicht begründbar. Endlich ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut des § 129 AO 1977, daß die dort genannte offenbare Unrichtigkeit ein eigenes Tatbestandsmerkmal darstelle.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 129 AO 1977. Es beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, im wesentlichen mit der Begründung der Vorentscheidung, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Das FA war zur Berichtigung des Bescheids für das Streitjahr befugt.
1. Nach § 129 Satz 1 AO 1977 kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Sinne dieser Vorschrift müssen einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich sein, d. h. es muß sich um mechanische Fehler handeln, die ebenso mechanisch, d. h. ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können. Bei der bloßen Möglichkeit eines Rechtsirrtums, Denkfehlers oder unvollständiger Sachaufklärung liegt ein mechanisches Versehen dagegen nicht vor (BFH- Urteile vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785; vom 14. Juni 1991 III R 64/89, BFHE 165, 438, BStBl II 1992, 52; vom 28. Oktober 1992 II R 111/89, BFH/NV 1993, 637; vom 17. Februar 1993 X R 47/91, BFH/NV 1993, 638). Die Entscheidung, ob eine offenbare Unrichtigkeit in diesem Sinne vorliegt, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalles, vor allem nach der Aktenlage zu treffen (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 638). Offenbare Unrichtigkeiten können sich auch aus Übertragungsfehlern infolge unbeabsichtigt unrichtigen Ausfüllens eines Eingabewertbogens ergeben (BFH-Urteile in BFHE 165, 438, BStBl II 1992, 52; in BFH/NV 1993, 637; in BFH/NV 1993, 638; vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 129 AO 1977 Tz. 3). Ein derartiger Übertragungsfehler ist dem Sachbearbeiter des FA unterlaufen, als er bei Auswertung der Ergebnisse der vorangegangenen Außenprüfung im Wege der Einzelwerteingabe den Betrag des Eigenverbrauchs statt mit der Kennziffer 272 mit der Kennziffer 270 versah, unter der richtigerweise die Lieferungen und Leistungen, die einem Steuersatz von 14 % unterliegen, aufzuführen sind. Ein Übertragungsfehler liegt insoweit unabhängig davon vor, daß dem Sachbearbeiter daneben ein Fehler bei der Bemessung des einzutragenden Eigenverbrauchs unterlief.
Bei Offenlegung des Sachverhalts war diese Unrichtigkeit der Einzelwerteingabe für jeden unvoreingenommenen Dritten auch eindeutig und augenfällig und damit offenbar (BFH-Urteile in BFH/NV 1993, 637; in BFH/NV 1993, 638). Es war auch offenbar, daß die Summe der einem Steuersatz von 14 % unterliegenden Umsätze (einschließlich Eigenverbrauch) mit 8 412 DM auf dieser Unrichtigkeit beruhte.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH -- auf die auch die Vorentscheidung hinweist -- ist für eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 (wie auch nach § 107 FGO) nicht erforderlich, daß die Unrichtigkeit aus dem Bescheid selbst erkennbar ist (BFH-Urteile vom 31. März 1987 VIII R 46/83, BFHE 149, 478, BStBl II 1987, 588; vom 8. April 1987 II R 236/84, BFHE 149, 413, BStBl II 1988, 164; in BFH/NV 1993, 637). Dieser Wille des Gesetzgebers hat bereits eindeutig im Wortlaut der Vorschrift seinen Ausdruck gefunden, wenn dort auf Unrichtigkeiten abgestellt wird, die "beim Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind". Eine gegenteilige Auffassung läßt sich entgegen der Vorinstanz nicht mit dem Hinweis darauf begründen, daß in § 129 AO 1977 neben Schreib- und Rechenfehlern von anderen offenbaren Unrichtigkeiten gesprochen wird. Denn damit soll kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal geschaffen, sondern zum Ausdruck gebracht werden, daß andere Unrichtigkeiten nur dann unter § 129 AO 1977 fallen, wenn sie in ähnlicher Weise offenbar sind wie Schreib- und Rechenfehler. Auch der Hinweis auf die anderslautende Formulierung des § 42 VwVfG, wo von "offenbaren Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt" gesprochen wird, läßt keine andere Schlußfolgerung für die Auslegung des § 129 AO 1977 zu. Denn auch wenn sich für den Bereich des all gemeinen Verwaltungsverfahrens etwas anderes ergeben sollte, ist diese Unterschiedlichkeit vom Gesetzgeber für das Besteuerungsverfahren bewußt in Kauf genommen worden und gewollt (Tipke/Kruse, a.a.O., § 129 AO 1977 Tz. 6 m. w. N.). Auch der Vorschrift des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 läßt sich für die Auslegung des § 129 AO 1977 nichts anderes entnehmen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im einzelnen auf das BFH-Urteil in BFHE 149, 413, BStBl II 1988, 164 verwiesen.
Im übrigen war für die Klägerin offenbar, daß die Steuerfestsetzung auf einer Unrichtigkeit beruhen mußte. Denn auch die von ihr selbst erklärten Umsätze, die einem Steuersatz von 14 % unterliegen, waren, wovon auch die Vorinstanz ausgeht, erheblich höher als der im Bescheid angesetzte Betrag. Es genügt die Offenbarkeit der Unrichtigkeit als solche; nicht dagegen ist erforderlich, daß für den Steuerpflichtigen auch der an Stelle des unrichtigen zu setzende richtige Inhalt des Bescheides offenbar sein muß (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 129 AO 1977 Tz. 6). Die Klägerin mußte daher nicht in der Lage sein, die zutreffende Höhe des anzusetzenden Eigenverbrauchs selbst zu bestimmen.
Ein Ermessensfehler des FA ist nicht erkennbar. Einer besonderen Begründung der Ermessensausübung durch das FA bedurfte es nach der Sachlage im Streitfall nicht (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 637).
3. Die Vorentscheidung beruht, wovon das FG selbst ausgeht, auf abweichenden rechtlichen Erwägungen. Sie war daher aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Zwar ist die Entscheidung über die tatsächlichen Voraus setzungen des Erlasses eines Berichtigungsbescheides nach § 129 AO 1977 im Regelfalle der Tatsacheninstanz vorbehalten und revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 638). Im Streitfall geht es jedoch ausschließlich um die rechtliche Würdigung der durch die Vorinstanz getroffenen Feststellungen.
Die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten nach § 129 AO 1977 stellt eine punktuelle Berichtigung dar, die die materielle Bestandskraft des berichtigten Bescheids im übrigen unberührt läßt (Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 177 AO 1977 Anm. 4 a), und in deren Rahmen auch § 177 AO 1977 nicht anwendbar ist (BFH-Urteil vom 8. März 1989 X R 116/87, BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531). Die Klage ist daher abzu weisen.
Fundstellen