Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbleibensvoraussetzungen nach § 19 BerlinFG bei Transportmitteln
Leitsatz (NV)
Die Einhaltung der sog. Verbleibensvoraussetzungen nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG verlangt bei Transportmitteln, daß das betreffende Fahrzeug überwiegend (an min destens 183 Tagen im Jahr) und zugleich regelmäßig, d. h. ohne größere zeitliche Unterbrechung, Fahrten in dem ehemaligen Berlin (West) oder wenigstens von und nach Berlin (West) ausgeführt hat. Die zeitlichen Voraussetzungen für Transportmittel (hier LKW-Anhänger) sind bereits nicht erfüllt, wenn die Fahrzeuge innerhalb der dreijährigen Verbleibensfrist einmal länger als 14 Tage von Berlin (West) abwesend waren, ohne daß dies mit ggf. zu berücksichtigenden fahrtbedingten Umständen begründet werden kann.
Normenkette
BerlinFG § 19 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren 1983 und 1985 in Berlin (West) ein Fuhrunternehmen.
Bei einer Kraftfahrzeugsteuerprüfung wurde festgestellt, daß drei LKW-Anhänger, für deren Anschaffung dem Kläger Investitionszulage nach § 19 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) gewährt worden war, innerhalb der dreijährigen Verbleibensfrist u. a. wie folgt eingesetzt waren: ein Anhänger in der Zeit vom 2. Dezember 1986 bis 19. Januar 1987 auf den Strecken X (Ort in Nordbayern) -- Griechenland -- X, X -- Jugoslawien -- X und X -- Griechenland -- Bulgarien -- Jugoslawien -- X; ein zweiter Anhänger in der Zeit vom 3. April bis 12. Mai 1987 auf der Strecke Berlin -- Bulgarien -- Jugoslawien -- Griechenland -- Berlin; ein dritter Anhänger in der Zeit vom 3. Oktober bis zum 11. November 1986 auf den Strecken X -- Ungarn -- Polen -- Griechenland -- X und X -- Polen -- X.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) forderte aufgrund dieser Feststellungen mit nach § 173 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Investitionszulagenbescheiden vom 5. Oktober 1989 und vom 8. Februar 1990 die für die drei Anhänger gewährten Zulagen in Höhe von insgesamt 16 162 DM zurück, da die Verbleibensvoraussetzungen nicht erfüllt worden seien.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 301 veröffentlichten Urteil als unbegründet abgewiesen, da der Anspruch auf Investitionszulage für die drei LKW-Anhänger rückwirkend erloschen sei.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß die Investitionszulage zu Unrecht zurückgefordert worden sei, da die streitbefangenen Anhänger überwiegend im Berlinverkehr eingesetzt worden seien und die betriebsbedingten kurzen Abwesenheitszeiten von der Rechtsprechung zugelassen würden. Insbesondere könne die als Voraussetzung für eine Kraftfahrzeugsteuerbefreiung geltende Begrenzung der Abwesenheit von Berlin auf 14 Tage nicht zur Begründung für die Rückforderung der Investitionszulage herangezogen werden, da der Kraftfahrzeugsteuerbefreiung andere Förderungsgesichtspunkte zugrunde lägen als der Investitionszulage nach dem BerlinFG.
Der Kläger beantragt, die Investitionszulagen-Änderungsbescheide 1983 und 1985 vom 5. Oktober 1989 und vom 8. Februar 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 1991 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die dem Kläger für die Streitjahre gewährten Investitionszulagen zurückzuzahlen sind.
1. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG in der in den Streitjahren geltenden Fassung wird die Investitionszulage nur für solche zum Anlagevermögen eines Betriebs in Berlin (West) gehörenden neuen abnutzbaren, beweglichen Wirtschaftsgüter gewährt, die mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung in einem solchen Betrieb verbleiben. Der Anspruch auf Investitionszulage erlischt gemäß § 19 Abs. 8 Satz 1 BerlinFG mit Wirkung für die Vergangenheit, soweit Wirtschaftsgüter, für die -- wie hier -- Investitionszulage gewährt worden ist, nicht mindestens drei Jahre seit ihrer Anschaffung oder Herstellung in einem Betrieb oder einer Betriebsstätte in Berlin (West) verblieben sind. Die Investitions zulage ist daher gemäß § 19 Abs. 7 Satz 1 BerlinFG i. V. m. § 37 Abs. 2 AO 1977 zurückzuzahlen, wenn die Verbleibensvoraussetzung des § 19 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 8 Satz 1 BerlinFG nicht erfüllt ist. Im Streitfall sind die LKW-Anhänger, für die Investitionszulage gewährt worden war, nicht mindestens drei Jahre im Betrieb in Berlin (West) verblieben.
a) Das Erfordernis des Verbleibens verlangt grundsätzlich, daß für das zulagenbegünstigte Wirtschaftsgut zumindest eine dauerhafte zeitliche und räumliche Bindung zu einer Berliner Betriebsstätte besteht. Ob dies der Fall ist, muß jeweils ggf. unter Berücksichtigung der Eigenart und der Zweckbestimmung des betreffenden Wirtschaftsgutes im Rahmen dieser Verbleibensanforderungen bestimmt werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 17. Mai 1968 VI R 5/68, BFHE 92, 392, BStBl II 1968, 570, zu § 19 des Berlinhilfegesetzes -- BHG -- 1964).
Insbesondere bei Transportmitteln (LKW, LKW-Anhänger und Omnibussen) hat der BFH zwar Ausnahmen von den strengen Verbleibensanfoderungen schon in den Vorgängervorschriften zu § 19 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG (§ 21 Abs. 2 Satz 1 BHG 1962 und § 19 Abs. 2 Satz 1 BHG 1964) und in der vergleichbaren Vorschrift des § 14 BHG 1959 zugelassen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 92, 392, BStBl II 1968, 570; vom 11. Juni 1969 I R 80/68, BFHE 96, 82, BStBl II 1969, 516; vom 20. November 1970 VI R 205/69, BFHE 101, 459, BStBl II 1971, 314, und vom 15. Januar 1974 VIII R 192/71, BFHE 112, 442, BStBl II 1974, 559). Doch hat er dabei stets über die lediglich funktionelle Bindung an den Stamm betrieb hinaus verlangt, daß das betreffende Fahrzeug überwiegend (an mindestens 183 Tagen pro Jahr) und zugleich regelmäßig, d. h. ohne größere zeitliche Unterbrechungen, Fahrten in Berlin oder wenigstens von und nach Berlin ausgeführt hat (vgl. BFH- Beschluß vom 9. Mai 1996 III B 242/95, BFH/NV 1996, 932). An dieser Rechtsprechung hat auch der erkennende Senat für § 19 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG festgehalten (vgl. Senatsurteil vom 23. Mai 1990 III R 76/87, BFHE 161, 281, BStBl II 1990, 1013).
Bei der Auslegung der gesetzlichen Verbleibensanforderungen hat der BFH damit den branchenbedingten Besonderheiten des Transportverkehrs mit LKW Rechnung getragen. Es wurde nicht verlangt, daß auch große Lastzüge nur im Verkehr zwischen Berlin und der damaligen Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden dürften. Vielmehr hat die Rechtsprechung unter Beachtung wirtschaftlicher Notwendigkeiten eine räumliche Bindung an Berlin (West) auch dann angenommen, wenn in einem gewissen Umfang außerhalb des Fördergebiets Zwischenfrachten durchgeführt wurden (vgl. die Urteile in BFHE 92, 392, BStBl II 1968, 570, und in BFHE 101, 459, BStBl II 1971, 314).
b) Eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung von im Berlinverkehr eingesetzten Transportmitteln kann es zwar auch erforderlich machen, weit entfernte Zielorte im In- und Ausland zu erreichen. Im Hinblick auf die dem regionalen Förderzweck grundsätzlich geschuldeten strengen Verbleibensregelungen ist jedoch für die Zulagengewährung Voraussetzung, daß die Transportmittel ohne große zeitliche Unterbrechung regelmäßig im Berlinverkehr eingesetzt bleiben. Dies macht es notwendig, den Zeitraum zwischen dem Tag der Ausfahrt aus Berlin und dem Tag der (Wieder-)Einfahrt nach Berlin zu beschränken. Denn eine zu großzügige Handhabung der Anforderungen an einen regelmäßigen Einsatz der Transportmittel im Berlinverkehr würde zu unan gebrachten Wettbewerbsnachteilen von Verkehrsunternehmen führen, die keine Betriebsstätte im Fördergebiet unterhalten (vgl. schon BFH-Urteile in BFHE 92, 392, BStBl II 1968, 570, und in BFHE 96, 82, BStBl II 1969, 516). Deshalb kann zulagenrechtlich als noch unschädliche Abwesenheitszeit zwischen der Ausfahrt von Berlin und der Wiedereinfahrt nach Berlin lediglich ein Zeitraum in Betracht kommen, der üblicherweise ausreichend ist, um Zielorte im übrigen Bundesgebiet und im angrenzenden europäischen Ausland zu erreichen. Lediglich besondere, etwa reparatur- oder streikbedingte oder auf ausnahmsweise längeren Auslandsfahrten im Berlinverkehr beruhende Abwesenheitszeiten könnten (möglicherweise) darüber hinaus im Einzelfall noch Berücksichtigung finden.
Der VII. Senat des BFH hat die Verbleibensanforderungen der dem Ausgleich von Standortnachteilen für Berliner Unternehmer dienenden Kraftfahrzeugsteuerbefreiung nicht mehr als erfüllt angesehen, wenn das im Berlinverkehr eingesetzte Fahrzeug innerhalb des jeweiligen Entrichtungszeitraums mehr als 14 Tage von Berlin abwesend war (s. BFH-Urteile vom 14. Januar 1986 VII R 184/82, BFHE 146, 275, BStBl II 1986, 494, und vom 3. Mai 1990 VII R 51/89, BFH/NV 1991, 194). Der VII. Senat ist dabei der Auffassung, daß es im Hinblick auf die Entfernung zwischen Berlin (West) und dem übrigen Bundesgebiet sowie dem benachbarten Ausland im allgemeinen keiner längeren Frist zwischen Aus- und Wiedereinfahrt bedürfe.
Ebenso und in Anlehnung an diese Rechtsprechung wendet auch die Finanzverwaltung bereits seit langem die 14-Tage-Regelung im Investitionszulagenrecht an (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 31. Dezember 1986, BStBl I 1987, 51, Tz. 113 zu § 1 des Investitionszulagengesetzes -- InvZulG -- 1986, und Tz. 174 i. V. m. Tz. 113 zu § 19 BerlinFG; vom 28. August 1991, BStBl I 1991, 768, Tz. 48 zu § 2 InvZulG 1991, und des Bundesministeriums der Finanzen vom 30. Dezember 1994, BStBl I 1995, 18, Tz. 3 zum InvZulG 1991 und 1993).
Dem erkennenden Senat erscheint der von der Finanzverwaltung geduldete Abwesenheitszeitraum von 14 Tagen zwischen der Ausfahrt aus dem Fördergebiet und der Wiedereinfahrt in dieses angemessen und ausreichend, um einerseits die rechtlich geforderte Anbindung von Transportmitteln an das Fördergebiet noch zu gewährleisten und andererseits die Transportmittel nicht unnötig und dem wirtschaftlichen Förderzweck widersprechend an das Fördergebiet zu fesseln. Über diese von der Finanzverwaltung anerkannte Toleranzgrenze hinauszugehen besteht -- von den o. g. unvorhersehbaren Ausnahmen ggf. abgesehen -- nach Auffassung des Senats allerdings auch zulagenrechtlich keine Veranlassung. Insbesondere sind keine überzeugenden Gründe ersichtlich, die eine bestimmte längere Frist (z. B. von einem Monat) rechtfertigen könnten. Solche Gründe hat auch der Kläger nicht genannt.
c) Dies zugrunde legend sind im Streitfall die Verbleibensvoraussetzungen für die drei LKW-Anhänger des Klägers nicht erfüllt. Denn nach den vom FG getroffenen und mit zuläsigen Rügen nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) waren die LKW-Anhänger innerhalb der dreijährigen Verbleibensfrist zumindest je einmal länger als einen Monat von Berlin (West) abwesend, ohne daß dies mit ggf. zu berücksichtigenden fahrtbedingten Umständen begründet worden ist. Beim ersten und dritten Anhänger kommt hinzu, daß sie während dieser Zeit nicht einmal mit "Berlinberührung" eingesetzt waren (zu dieser Nowendigkeit s. z. B. das Urteil in BFHE 101, 459, BStBl II 1971, 314, 3. Absatz der Entscheidungsgründe). Ausgangs- und Endpunkt sämtlicher Fahrten war hier jeweils X.
Die für die Zulagengewährung erforderliche räumliche und zeitliche Anbindung der LKW-Anhänger an das Fördergebiet Berlin (West) ist damit innerhalb der gesetzlichen Verbleibensfrist aufgelöst worden. Der Anspruch auf Investitionszulage für die drei LKW-Anhänger ist mit Wirkung für die Vergangenheit erloschen (vgl. § 19 Abs. 8 BerlinFG). Die insoweit gewährte Investitionszulage war dementsprechend zurückzufordern.
Nichts anderes würde sich ergeben, wenn -- was der Kläger mit seiner Revision über die Feststellungen des FG hinaus vorträgt -- die dreijährige Verbleibensfrist des erstgenannten LKW-Anhängers bereits am 21. Dezember 1986 beendet gewesen wäre. Denn auch dann wäre dieser LKW-Anhänger in der Zeit vom 2. bis 21. Dezember 1986 deutlich länger als 14 Tage außerhalb von Berlin (West) und damit nicht mehr regelmäßig im Berlinverkehr eingesetzt gewesen.
Entgegen der Auffassung des Klägers werden mit den hier dargelegten und auch von der Vorinstanz vertretenen zeitlichen Anforderungen an den regelmäßigen Einsatz im Berlinverkehr nicht in unzulässiger Weise Regelungen der Kraftfahrzeugsteuerbefreiung auf das Investitionszulagenrecht des BerlinFG übertragen. Denn diese Anforderungen ergeben sich -- wie dargestellt -- durch Auslegung des BerlinFG selbst.
Fundstellen
Haufe-Index 422308 |
BFH/NV 1997, 898 |
DStRE 1998, 96 |