Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltliche Überlassung zu „Wohnzwecken“ bei zeitlich begrenzter Vermietung einzelner Zimmer einer Wohnung an obdachlose Suchtkranke
Leitsatz (amtlich)
Wohnungen, deren einzelne Zimmer in der Regel für zwölf Monate an obdachlose Suchtkranke vermietet werden, um sie auf ein selbständiges Wohnen vorzubereiten, dienen der entgeltlichen Überlassung zu Wohnzwecken i.S. des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999.
Normenkette
InvZulG 1999 § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines im Fördergebiet belegenen Gebäudes.
Zwei Wohnungen des Gebäudes sind seit dem Jahr 1995 an einen Drogenhilfe-Verein vermietet. Der Verein vermietet die Zimmer der Wohnungen auf die Dauer von längstens zwölf Monaten an obdachlose Suchtkranke weiter, die eine Alkoholentwöhnungsbehandlung durchgeführt haben oder auf eine Therapie warten. Ziel des Vereins ist es, die Suchtkranken innerhalb eines Jahres auf ein selbständiges Wohnen vorzubereiten. Die Bewohner verfügen über einen Zimmerschlüssel. Der zwischen den Bewohnern und dem Verein abgeschlossene Untermietvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:
"1. Dieser Vertrag erlangt nur Gültigkeit in Verbindung mit einer Kostenübernahme der Betreuungskosten (nach Paragraph 39 BSHG). Eine Aufnahme ist erst mit Vorliegen einer Kostenübernahme möglich. … Mit Beendigung der Kostenübernahme der Betreuungskosten nach dem o.g. Paragraphen endet auch der Mietvertrag. …
2. Die Drogenhilfe … e.V. stellt dem Bewohner in der o.g. Wohnung ab dem …, längstens für 12 Monate … ein Zimmer zur Verfügung (Zimmer Nr. …). Die restlichen Räume (Flur, Küche, Bad) müssen mit den anderen Bewohnern der Wohnung geteilt werden. Der gemeinschaftlich genutzte Gruppen- und Arbeitsraum des Betreuers ist nicht Bestandteil dieses Vertrages. … Für die Nutzung der Räume ist also ein monatliches Entgelt in Höhe von derzeit …,.. Euro zu bezahlen, … .
3. Im Rahmen des betreuten Wohnens ist der Bewohner verpflichtet, an den pädagogischen Maßnahmen und Gruppengesprächen teilzunehmen und den Grundsatz der Aufrechterhaltung der absoluten Drogenfreiheit zu unterstützen. …
4. Der vorliegende Vertrag gilt von dem Tag an als aufgehoben, an dem die genannten Verpflichtungen nicht eingehalten bzw. die verantwortlichen Mitarbeiter der … darüber nicht informiert wurden. … Es ist deshalb auch verboten, in der Wohnung Besuche von ehemaligen, rückfälligen Bewohnern oder anderen Personen zu empfangen, die Alkohol oder Drogen konsumieren."
Die Klägerin beantragte u.a. für die im Kalenderjahr 2000 an diesem Gebäude durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen eine Investitionszulage nach § 3 Abs. 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999.
Nach einer Investitionszulagensonderprüfung folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) der Auffassung der Prüferin, dass die Modernisierungsaufwendungen für die dem Verein vermieteten Wohnungen nicht begünstigt seien, da diese Wohnungen nicht der entgeltlichen Überlassung zu Wohnzwecken gedient hätten. Das FA teilte die Modernisierungsaufwendungen entsprechend den Wohnflächen auf und setzte nur für die Modernisierungsaufwendungen der anderen Wohnungen in dem Gebäude Investitionszulage fest. Den Einspruch der Klägerin gegen den Investitionszulagenbescheid 2000 wies das FA zurück.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1297 veröffentlicht.
Das FG hat im Wesentlichen ausgeführt, die dem Verein überlassenen Wohnungen hätten nicht Wohnzwecken gedient. Der Gesetzgeber habe, wie sich aus der Überschrift des § 3 InvZulG 1999 und den Gesetzesmaterialien ergebe, Mietwohnungen fördern wollen. Den Bewohnern würden aber nicht abgeschlossene Mietwohnungen, sondern nur einzelne Zimmer überlassen. Die Bewohner übten weder die rechtliche noch die tatsächliche Herrschaft über die Wohnung insgesamt aus, da sie auf die Auswahl der Mitbewohner keinen Einfluss hätten und ihnen hinsichtlich der für eine eigenständige Haushaltführung notwendigen Räume (Küche, Bad, WC) lediglich ein Mitbenutzungsrecht zustehe. Auch trete nach der Ausgestaltung des Mietvertrags der therapeutische Charakter des Vertragsverhältnisses in den Vordergrund. Die Nutzung der Wohnungen sei insofern mit einem Betrieb zur stationären (Nach-) Betreuung Suchtkranker vergleichbar.
Die Klägerin rügt die Verletzung des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Investitionszulagenbescheids 2000 in der Fassung der Einspruchsentscheidung die Investitionszulage auf … € festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung des Investitionszulagenbescheids 2000 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Das FG hat zu Unrecht eine Investitionszulage für die Modernisierungsmaßnahmen an den dem Verein überlassenen Wohnungen abgelehnt.
1. Nach § 3 Abs. 1 InvZulG 1999 sind nachträgliche Herstellungsarbeiten und Erhaltungsarbeiten an Gebäuden ―unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen― begünstigt, soweit die Gebäude mindestens fünf Jahre nach Beendigung der Maßnahmen der entgeltlichen Überlassung zu Wohnzwecken dienen.
Ein Gebäude dient Wohnzwecken, wenn es dazu geeignet und bestimmt ist, Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft zu ermöglichen. Dies setzt die Eignung der betreffenden Räume zur eigenständigen Haushaltsführung und die tatsächliche und rechtliche Sachherrschaft der Bewohner über sie voraus. Räume, die Wohnzwecken dienen, müssen als Mindestausstattung eine Heizung, eine Küche, ein Bad und eine Toilette enthalten (Senatsurteil vom 19. Mai 2004 III R 12/03, BFHE 205, 561, BStBl II 2004, 837, unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 30. September 2003 IX R 9/03, BFHE 203, 368, BStBl II 2004, 225; vgl. ferner BFH-Urteile vom 30. September 2003 IX R 2/00, BFHE 203, 359, BStBl II 2004, 221; IX R 7/03, BFHE 203, 364, BStBl II 2004, 223, jew. zu § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―).
2. Die überlassenen Räume haben Wohnzwecken i.S. des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999 gedient.
a) Die Bewohner können in den gemieteten Räumen einen eigenständigen Haushalt führen, da die für eine eigenständige Haushaltsführung erforderlichen Räume, nämlich Küche, Bad und Toilette vorhanden sind.
Entgegen der Auffassung des FG kann aus der amtlichen Überschrift zu § 3 InvZulG 1999 "Modernisierungsmaßnahmen an Mietwohngebäuden …" und der Gesetzesbegründung, nach der die Modernisierung der bestehenden "Mietwohnungen" gefördert werden soll, nicht gefolgert werden, dass ein Anspruch auf Investitionszulage nur bei der Vermietung von abgeschlossenen Wohnungen besteht, da eine solche Einschränkung in der Vorschrift selbst nicht zum Ausdruck kommt.
Anders als z.B. § 4 InvZulG 1999, der Modernisierungsmaßnahmen an (eigenen Wohnzwecken dienenden) Wohnungen fördert, begünstigt § 3 Abs. 1 InvZulG 1999 Modernisierungsmaßnahmen an Gebäuden, die der entgeltlichen Überlassung zu Wohnzwecken dienen. Es ist daher nicht erforderlich, dass die einzelnen vermieteten Räume die Merkmale des Wohnungsbegriffs erfüllen. Die vermieteten Einheiten müssen daher nicht notwendig mit einem eigenen Bad oder einer eigenen Küche ausgestattet sein. Es reicht aus, dass die Bewohner durch Mitbenutzung der Gemeinschaftsräume einen eigenen Haushalt führen können. Der Zweck, den Mietwohnungsbestand zu erhalten, wird auch bei Vermietung einer Wohnung an mehrere Untermieter erreicht.
b) Die Bewohner haben auch die tatsächliche und rechtliche Sachherrschaft über die von ihnen gemieteten Räume.
Die vertragliche Verpflichtung, Besuche von ehemaligen, rückfälligen Bewohnern oder anderen Personen nicht zu empfangen, steht dem nicht entgegen. Sie lässt das unbeschränkte Zutrittsrecht der Bewohner zu ihrem Zimmer sowie deren Recht über den Zutritt anderer, jedenfalls nicht zu diesem Kreis gehörender Personen selbständig zu bestimmen, unberührt. Auch wird die Sachherrschaft der Bewohner in tatsächlicher Hinsicht durch das schuldrechtliche Verbot nicht eingeschränkt.
Hinsichtlich Küche, Bad und Toilette genügt es für die Annahme der tatsächlichen und rechtlichen Sachherrschaft, dass die Bewohner diese Räume gemeinsam nutzen können. Auch bei einer Wohngemeinschaft ist die gemeinsame Nutzung von Küche, Bad und Toilette üblich. Nach der Verkehrsanschauung kann nicht in Zweifel gezogen werden, dass eine von einer Wohngemeinschaft bewohnte Wohnung Wohnzwecken dient und die Bewohner der Gemeinschaft die Sachherrschaft über die von ihnen bewohnten Räume inne haben. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Bewohner auf die Auswahl der Mitbewohner Einfluss haben. Die gemeinsame Nutzungsmöglichkeit von Küche, Bad und Toilette hängt nicht davon ab, ob sich die Bewohner nahe stehen.
c) Die überlassenen Räume sind im Streitfall geeignet und bestimmt, Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft zu ermöglichen.
Anspruch auf Investitionszulage besteht entsprechend der Zielsetzung des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999, die Modernisierung des sanierungsbedürftigen Mietwohnungsbestands zu fördern (BTDrucks 13/7792, S. 7), nur für Räume, die zur Deckung eines dauernden Wohnbedarfs bereitgestellt werden. Nicht begünstigt sind daher Räume, die nur für vorübergehende Aufenthalte bestimmt sind wie z.B. Ferienwohnungen, Hotelzimmer, Zimmer in einem Sanatorium u.Ä. (vgl. BFH-Urteil vom 14. März 2000 IX R 8/97, BFHE 191, 502, BStBl II 2001, 66).
Maßgebend für die Entscheidung, ob eine kurzfristige oder eine auf Dauer angelegte Überlassung vorliegt, ist nicht die tatsächliche Dauer der Vermietung, sondern die aus den äußeren Umständen ableitbare Absicht des Vermieters. Eine nur kurzfristige Beherbergung ist anzunehmen, wenn das konkrete Mietverhältnis nach den Vorstellungen des Vermieters nicht länger als sechs Monate dauern sollte (vgl. BFH-Urteil vom 6. August 1998 V R 26/98, BFH/NV 1999, 84, m.w.N.).
Im Streitfall strebte der Verein eine längere Untervermietung als sechs Monate an. Die Zimmer sollten im Regelfall für zwölf Monate vermietet und die Suchtkranken innerhalb dieses Zeitraums auf ein selbständiges Wohnen vorbereitet werden. Unerheblich ist, dass der Mietvertrag bei Beendigung der Kostenübernahme oder bei Nichteinhaltung der vertraglichen Verpflichtungen schon vorher enden konnte.
Für die Annahme einer dauerhaften Unterbringung spricht auch, dass die Bewohner während der Zeit der Untervermietung keine andere Wohnung hatten. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Streitfall von dem nur vorübergehenden Aufenthalt in einer Ferienwohnung oder einem Sanatorium, bei dem die Wohnung beibehalten wird.
d) Die Wohnungen sind auch nicht einer "Gemeinschaftsunterkunft zur fremdbestimmten Unterbringung" vergleichbar, die nach der Rechtsprechung des BFH nicht Wohnzwecken dient (vgl. BFH-Urteile vom 3. Juni 1997 IX R 24/96, BFH/NV 1998, 155, und vom 22. Mai 2003 IX R 23/01, BFH/NV 2003, 1551). Anders als bei einer Gemeinschaftsunterkunft z.B. für Asylbewerber werden den Bewohnern keine Plätze in den Wohnungen zugewiesen. Vielmehr beruht die Überlassung der Wohnräume auf freiwillig abgeschlossenen, entgeltlichen Untermietverträgen, auch wenn die Mietverhältnisse an die Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger gekoppelt sind.
e) Entgegen der Auffassung des FG führt auch der therapeutische Charakter der Wohnraumüberlassung im Streitfall nicht dazu, dass die überlassenen Wohnräume nicht Wohnzwecken i.S. des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999 dienen.
Der Zweck des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999, die Modernisierung des sanierungsbedürftigen Mietwohnungsbestands zu fördern (BTDrucks 13/7792, S. 7), wird unabhängig davon erreicht, ob mit der Vermietung über die Überlassung von Wohnraum hinausgehende Ziele verfolgt werden (Senatsurteil in BFHE 205, 561, BStBl II 2004, 837). Dadurch, dass die Bewohner verpflichtet sind, z.B. an pädagogischen Maßnahmen und Gruppengesprächen teilzunehmen, geht die Wohneigenschaft der Räume nicht verloren (vgl. BFH-Urteil vom 21. April 1999 II R 5/97, BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496, zur Überlassung von Wohnraum im Rahmen einer pflegerischen und therapeutischen Gesamtkonzeption).
3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Unter Änderung des Investitionszulagenbescheids 2000 ist die Investitionszulage entsprechend dem Klageantrag festzusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 1497775 |
BFH/NV 2006, 1229 |
BStBl II 2006, 561 |
BFHE 2007, 376 |
BFHE 212, 376 |
BB 2006, 986 |
DB 2006, 1039 |
DStRE 2006, 603 |
DStZ 2006, 355 |
HFR 2006, 595 |