Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers; Tilgungsquote
Leitsatz (NV)
1. Zur Berechnung der Haftungssumme im Falle der Geschäftsführerhaftung für Umsatzsteuerrückstände (anteilige Tilgungsquote).
2. Eine ,,Tätigkeitsvergütung", die dem geschäftsführenden Gesellschafter einer Personengesellschaft gewährt werden soll, gehört - nur - dann zu den bei der Berechnung der anteiligen Tilgungsquote (1.) zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft, wenn für die Zahlung der Vergütung ein besonderer Rechtsgrund außerhalb der grundsätzlich unentgeltlichen Geschäftsführung besteht.
Normenkette
AO 1977 §§ 69, 34 Abs. 1; HGB § 161 Abs. 2, § 114 Abs. 1, § 164
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits Komplementärin der GmbH & Co. KG war. Über das Vermögen der KG wurde 1987 das Konkursverfahren eröffnet. Der Kläger kündigte den Dienstvertrag mit der GmbH mit Schreiben vom 14. November 1986 (,,außerordentlich bis zur Eintragung in das Handelsregister"). Wegen von der KG geschuldeter Umsatzsteuern und Nebenleistungen (Umsatzsteuer, Stundungszinsen und Säumniszuschläge 1982 und 1983, Säumniszuschläge/Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Dezember 1985, Januar, Juni und Juli 1986, Umsatzsteuer-Vorauszahlungen und Säumniszuschläge August und September 1986) in Höhe von insgesamt 58000 DM wurde der Kläger von dem beklagten und revisionsbeklagten Finanzamt (FA) in Haftung genommen. In der Einspruchsentscheidung wurde die Haftungssumme auf 35000 DM herabgesetzt.
Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Kläger habe die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten verletzt, indem er es unterlassen habe, die 1986 fälligen Umsatzsteuern und Nebenleistungen an das FA abzuführen. Nach den vorliegenden Jahresabschlüssen 1984 bis 1986 hätte die KG 1986 Zahlungsverpflichtungen in Höhe von . . . DM und verfügbare Mittel in Höhe von . . . DM gehabt. Die angewandte Haftungsquote - lt. Einspruchsentscheidung 92,5% - benachteilige den Kläger nicht. Das FA habe dabei zutreffend die auf den Verrechnungskonten der Gesellschafter gebuchten Einlagen als verfügbare Mittel der KG behandelt, denn die eingelegten Mittel hätten im Haftungszeitraum der KG zur Verfügung gestanden.
Der Kläger habe weder eine Beschränkung dieser Mittel noch eine im Haftungszeitraum fällige Zahlungsverpflichtung aus der Hingabe dieser Gelder geltend gemacht. Den Einlagen ständen in der Bilanz keine Verbindlichkeiten der KG gegenüber den Gesellschaftern in gleicher Höhe gegenüber. Die bilanzmäßige Kapitalherabsetzung in Höhe von . . . DM könne keine Berücksichtigung finden, weil das FA diese Maßnahmen gemäß § 174 des Handelsgesetzbuches (HGB) nicht gegen sich gelten lassen müsse. Soweit der Kläger die Umsatzsteuern der KG nicht mit der gleichen Quote wie die anderen Verbindlichkeiten, sondern nur zu 81% getilgt habe, sei seine Pflichtverletzung nicht gerechtfertigt. Der Kläger habe auch schuldhaft (vorsätzlich) gehandelt. Die Zahlung der fälligen Steuerschulden gehöre zu den grundlegenden steuerlichen Pflichten des Unternehmens. Ihre Kenntnis habe der Kläger nicht in Abrede gestellt; sie sei mangels entgegenstehender Anhaltspunkte bei ihm für gegeben zu erachten.
Mit der Revision gegen dieses Urteil rügt der Kläger, das FG habe einen nicht ermittelten bzw. im Widerspruch zu dem Vorbringen im finanzgerichtlichen Verfahren stehenden Sachverhalt zugrunde gelegt. Es habe die Kapitalherabsetzung nicht berücksichtigt, ohne das Vorliegen der Voraussetzungen von § 174 HGB - Eintragung in das Handelsregister - zu prüfen, und eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen, obwohl er - Kläger - seine Kenntnis ausdrücklich bestritten habe. Darüber hinaus sei der im Klageverfahren geltend gemachte außerordentliche Aufwand in Höhe von . . . DM, der als Tätigkeitsvergütung eines Gesellschafters anzusehen sei, nicht berücksichtigt worden. Im übrigen könne eine nur geringfügige Unterscheidung der rechnerischen Haftungsquote ein grobes Verschulden nicht begründen. Ein solches Verschulden sei zudem auszuschließen, da er - Kläger - sein Geschäftsführeramt bereits am 5. November 1986 niedergelegt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorentscheidung leidet an einem Verfahrensfehler. Durcherkennen im Sinne des Hauptantrags der Revision kann der Senat nicht, da nach den bisherigen Feststellungen jedenfalls dem Grunde nach eine Haftung des Klägers für die Steuerschuld der KG gemäß § 69, § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung, § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in Betracht kommt, die ihn auch als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH trifft (Senat, Urteil vom 9. Juli 1985 VII R 127/80, BFH/NV 1986, 129 m.w.N.).
1. Als durchgreifend erweist sich die Verfahrensrüge, das FG habe unter Verletzung von § 96 FGO nicht berücksichtigt, daß bei den Verbindlichkeiten der KG zusätzlich ein ,,außerordentlicher Aufwand" - Vorweggewinn (Tätigkeitsvergütung) der GmbH - in Höhe von . . . DM anzusetzen sei. Diese Rüge ist gehörig vorgebracht (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 120 Anm.41) und auch begründet. Das FG ist auf das entsprechende Vorbringen des Klägers im Klageverfahren nicht eingegangen. Auf diese Frage kann es jedoch ankommen. Nach der Behauptung des Klägers handelt es sich insoweit nicht - wie aber das FA anscheinend meint - um eine bloße Gewinnzuweisung (an einen Gesellschafter), sondern um eine ,,echte Verbindlichkeit" in Form einer Tätigkeitsvergütung (,,wie Lohnzahlung an Arbeitnehmer"). Eine über die Verpflichtung aus dem Gesellschaftsverhältnis - grundsätzlich unentgeltliche Geschäftsführung; § 161 Abs. 2, § 114 Abs. 1, § 164 HGB - hinausgehend oder von ihr unabhängig erbrachte Leistung, die zu einer 1986 bestehenden Verbindlichkeit der KG geführt hätte, wäre bei der für die - zeitraumbezogene - Berechnung der für die Tilgung der Umsatzsteuerschulden maßgebenden anteiligen Tilgungsquote (hierzu Senat, Urteil vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, 314f., BStBl II 1988, 172) zu berücksichtigen gewesen. Dies hätte eine Verringerung dieser (vom FA und FG mit 92,5% angesetzten) Quote zur Folge gehabt. Das FG wird hierzu Feststellungen, auch zur Art der Verbindlichkeit (z.B. kraft besonderer Vereinbarung entgeltliche Geschäftsführung?), zu treffen und darüber zu befinden haben.
2. Die erfolgreiche Verfahrensrüge führt für sich allein zur Aufhebung der Vorentscheidung insgesamt, da jedenfalls der Umfang einer Haftung des Klägers offenbleibt. Auf die weiteren Rügen der Revision ist somit nicht abschließend einzugehen. Zu ihnen bemerkt der Senat für den zweiten Rechtsgang vor dem FG:
a) Das Vorbringen des Klägers, er habe sein Amt als Geschäftsführer bereits am 5. November 1986 niedergelegt, könnte für erst danach eingetretene Fälligkeiten von Steuern von Bedeutung sein, da nach der Amtsniederlegung eine Haftung als Geschäftsführer grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt (Senat, Urteile vom 22.Januar 1985 VII R 112/81, BFHE 143, 203, 209f., BStBl II 1985, 562, und vom 26. Februar 1985 VII R 110/79, BFH/NV 1985, 20). Ggf. wird allerdings auch zu beachten sein, daß die Pflicht des Geschäftsführers, für eine Entrichtung der Steuern aus Verwaltungsmitteln zu sorgen, nicht erst bei der Fälligkeit besteht (Bundesfinanzhof, Urteile vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, 448, BStBl II 1984, 776, und vom 5. März 1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, 209f., BStBl II 1991, 678). Auf mangelnde Kenntnis seiner steuerlichen Pflichten - hier ,,in etwa" anteilige Tilgung der Umsatzsteueransprüche gegen das von ihm geleitete Unternehmen - kann sich der Geschäftsführer nicht berufen; verkennt er sie, so handelt er zumindest grob fahrlässig (z.B. Senat, Urteil vom 12. Mai 1992 VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785). Die Frage, ob ein (grobes) Verschulden zu verneinen ist, wenn der Geschäftsführer die Tilgungsquote geringfügig unterschreitet, wird sich nach den bisherigen Feststellungen der Vorinstanz im Streitfall voraussichtlich nicht stellen. Sie bedarf daher keiner näheren Erörterung (vgl. jedoch insoweit BFHE 150, 312, 315 - Nr.2).
b) Für die Ermittlung der Tilgungsquote maßgebend ist der Vergleich zwischen verfügbaren Mitteln und Verbindlichkeiten der KG. Entscheidend ist mithin nicht, ob eine Herabsetzung einer Kommanditisten-Einlage Gesellschaftsgläubigern gegenüber wirksam ist oder nicht (vgl. § 174 HGB), sondern - wovon in anderem Zusammenhang das FG selbst ausgeht -, ob und in welchem Umfang zur Zeit der Fälligkeit Mittel zu Verfügung gestanden haben (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 69 AO 1977 Tz.12d, m.w.N.). Das FG wird somit zu prüfen haben, ob und inwieweit in der maßgebenden Zeit auf Grund der behaupteten Kapitalherabsetzung Einlagemittel an die Gesellschafter zurückgeflossen (Verminderung der verfügbaren Mittel) bzw. Verpflichtungen der KG zur Zurückzahlung geleisteter Einlagen begründet waren (Verbindlichkeiten). Das Ergebnis kann sich auf die Bestimmung der Tilgungsquote, damit auf den Haftungsumfang auswirken.
Fundstellen
BFH/NV 1993, 707 |
GmbHR 1994, 496 |