Leitsatz (amtlich)
1. Das FA kann vom Testamentsvollstrecker nicht verlangen, anstelle des Erben Steuererklärungen abzugeben, die die gesamten für die betreffende Steuer in Betracht kommenden Verhältnisse umfassen sollen.
2. Als Bevollmächtigter i. S. des § 108 Satz 1 AO tritt nur der auf, der Geldmittel und Vermögenswerte eines anderen verwaltet und darüber so verfügen kann, daß er dessen steuerliche Pflichten erfüllen kann.
2. Das FA darf in der Regel Maßnahmen zur Erzwingung der Abgabe einer Steuererklärung nicht gegen den nach § 107 AO bestellten Bevollmächtigten richten.
Normenkette
AO §§ 104, 107-108, 202
Tatbestand
Ein im Jahre 1966 verstorbener Unternehmer wurde allein von seinem Sohn beerbt; Testamentsvollstrecker ist der Kläger und Revisionskläger (Kläger). Der Erbe erklärte dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -), er könne die Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1967 bis 1971 und die Vermögenserklärungen zum 1. Januar 1967 sowie zum 1. Januar 1969 nicht abgeben, weil er den Nachlaß nicht verwalten dürfe und der Kläger ihm trotz Aufforderung durch einen Rechtsanwalt weder Auskunft erteile noch eine Abrechnung erstelle. Daraufhin schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen und führte die Veranlagungen des Erben durch. Dagegen legte der Kläger für den Erben Einsprüche ein. Im Verfahren über diese Rechtsbehelfe erklärte der Erbe, er habe den Kläger mit der Anfertigung der Erklärungen beauftragt. Der Kläger erklärte sich bereit, diese anzufertigen und abzugeben. Daraufhin forderte das FA den Kläger zur Abgabe der Erklärungen auf. Der Kläger teilte dem FA mit, er sei hierzu bereit, bat um Fristverlängerungen und kündigte mit Schreiben vom 30. November 1974 an, daß die Erklärungen noch vor Ende des Jahres der Rechtsbehelfsstelle des FA vorliegen würden. Nach vergeblicher Bitte um weitere Fristverlängerungen unterließ er jedoch die Abgabe der Erklärungen. Daraufhin erließ das FA gegen ihn Verfügungen vom 24. März, 23. April und 21. Mai 1975, durch die es Erzwingungsgelder zunächst androhte und dann festsetzte. Der Kläger legte Beschwerden ein, ohne sie zu begründen. Diese Rechtsbehelfe wies die Oberfinanzdirektion (OFD) durch Verfügung vom 25. Juli 1975 zurück.
Mit der Klage machte der Kläger geltend: Die Erzwingungsgelder hätten gegen ihn nicht festgesetzt werden dürfen. Der Erbe habe ihn nicht zum steuerlichen Bevollmächtigten bestellt und nicht mit der Wahrung seiner steuerlichen Pflichten beauftragt.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab:
Die Festsetzung der Erzwingungsgelder entspreche den Vorschriften des § 202 der Reichsabgabenordnung (AO). Der Kläger sei verpflichtet, die angeforderten Erklärungen abzugeben. Das folge bereits aus der Tatsache, daß ihm als Testamentsvollstrecker die Verwaltung des Nachlaßvermögens anstelle des Erben zustehe und daher der Tatbestand des § 104 AO gegeben sei und er daher gemäß § 103 AO die Pflichten des Erben zu erfüllen habe. Das FG folge damit der Auffassung von Becker/Riewald/Koch (Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 104 AO Anm. 2 - 2 -), nicht der vom Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 7. Oktober 1970 I R 145/68 (BFHE 100, 346, BStBl II 1971, 119) und von Tipke/Kruse (Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 104 AO Rdnr. 2) vertretenen Gegenmeinung. Der Kläger habe insbesondere die Steuererklärungspflicht des Erben zu erfüllen, weil er dem Erben weder Auskunft noch Abrechnung erteilt und ihm damit unmöglich gemacht habe, die Erklärungen selbst abzugeben. Das FG brauche indessen diese Frage letztlich nicht zu entscheiden, da die Erklärungspflicht des Klägers sich auch aus den §§ 167, 107, 108 AO ergebe.
Der Erbe sei an der Erfüllung seiner auf § 167 AO beruhenden Pflicht zur Abgabe der Steuererklärungen i. S. des § 107 AO dadurch verhindert gewesen, daß ihm der Kläger weder die erforderlichen Aufschlüsse gegeben noch eine Abrechnung erstellt habe. Nach Angaben des FA habe der Erbe deshalb den Kläger zum Bevollmächtigten bestellt. Ob, wie und wann diese Bestellung stattgefunden habe, könne offenbleiben, denn jedenfalls hätten gegen den Kläger deshalb Erzwingungsgelder festgesetzt werden können, weil er i. S. des § 108 AO als Bevollmächtigter des Erben aufgetreten sei. Aus seinen eigenen an das FA gerichteten Schriftsätzen ergebe sich nämlich, daß er sich für berechtigt gehalten habe, die geforderten Steuererklärungen für den Erben abzugeben und auch beabsichtigt habe, dies zu tun. Damit sei der Tatbestand des "Auftretens als Bevollmächtigter" erfüllt; er könne nicht rückwirkend beseitigt werden.
Seiner Verpflichtung aus §§ 103, 108 AO, die vom FA angeforderten Steuererklärungen des Erben abzugeben, sei der Kläger unstreitig nicht nachgekommen. Damit seien die Voraussetzungen für ein Erzwingungsgeld nach § 202 AO erfüllt.
Mit der Revision rügt der Kläger im wesentlichen die Verletzung der §§ 103, 104, 107 und 108 AO. Er beantragt, unter Abänderung des FG-Urteils die Verfügungen des FA vom 24. März, 23. April und 21. Mai 1975 betreffend die Festsetzung von Erzwingungsgeldern aufzuheben, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Verfügungen. Denn das FG-Urteil beruht auf einer Verletzung der §§ 104 und 108 AO.
Die Rechtmäßigkeit der mit der Klage angefochtenen Festsetzungen von Erzwingungsgeldern durch die Verfügungen des FA vom 24. März, 23. April und 21. Mai 1975 hängt davon ab, ob beim Erlaß dieser Verfügungen die Voraussetzungen des § 202 Abs. 1 Satz 1 AO erfüllt waren. Nach dieser Vorschrift können die FÄ die Befolgung von Anordnungen, die sie im Besteuerungsverfahren innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse treffen, durch Auferlegung eines Erzwingungsgeldes erzwingen. Das FA will mit den Festsetzungen von Erzwingungsgeldern durch die drei Verfügungen seine im Verfahren über die Einsprüche gegen die Veranlagungen des Erben an den Kläger gerichtete Aufforderung erzwingen, anstelle des Erben die Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1967 bis 1971 und die Vermögenserklärungen zum 1. Januar 1967 sowie zum 1. Januar 1969 abzugeben. Der Kläger war nicht verpflichtet, diese Anordnung zu befolgen, weil es sich nicht um eigene Erklärungspflichten des Klägers, sondern solche des Erben handelte.
Ein Testamentsvollstrecker hat nach § 104 i. V. m. § 103 AO Pflichten des Erben nur zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht. Seiner Verwaltung unterliegt aber nur der Nachlaß. Dagegen ist es nicht Aufgabe des Testamentsvollstreckers, die persönlichen öffentlichrechtlichen Pflichten des feststehenden Erben zu erfüllen; das gilt insbesondere für dessen Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen in seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger i. S. der Reichsabgabenordnung. Der erkennende Senat schließt sich damit der vom I. Senat des BFH in BFHE 100, 346, BStBl II 1971, 119 und in dem Urteil vom 29. August 1973 I R 242/71 (BFHE 110, 514, BStBl II 1974, 100) vertretenen Auffassung an. Die an den Kläger gerichtete Anordnung, anstelle des Erben die Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1967 bis 1971 und die Vermögenserklärungen zum 1. Januar 1967 sowie zum 1. Januar 1969 abzugeben, betrifft die Erfüllung von Pflichten, die dem Erben in seiner Eigenschaft als Steuerpflichtigem auferlegt sind und der Beschaffung aller, nicht nur der mit dem Nachlaß zusammenhängenden, für seine Veranlagung zur Einkommensteuer und zur Vermögensteuer erforderlichen Grundlagen dienen.
Ob das FA nach § 104 AO vom Kläger als Testamentsvollstrecker hätte verlangen können, einzelne Erklärungspflichten des Erben bezüglich des Nachlaßvermögens zu erfüllen, kann offenbleiben, da das FA hier mehr verlangt hat.
Der Kläger war auch nicht als Bevollmächtigter des Erben persönlich zur Befolgung der Anordnung des FA verpflichtet, anstelle des Erben die Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1967 bis 1971 und die Vermögenserklärungen zum 1. Januar 1967 sowie zum 1. Januar 1969 abzugeben.
Das Auftreten des Klägers als Bevollmächtigter des Erben bei der Einlegung der Einsprüche gegen die dem Erben erteilten Bescheide bedeutete nur, daß der Erbe als nach §§ 229, 231 AO zur Einlegung des Einspruchs Berechtigter von der durch § 240 AO gebotenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte, sich durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen. Dieses Auftreten als Bevollmächtigter des Erben in dessen Eigenschaft als Einspruchsberechtigtem wird durch § 108 AO nicht erfaßt. Dessen Vorschrift, "Wer als Bevollmächtigter oder als Verfügungsberechtigter auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 103)", ist wegen ihres Sinnzusammenhangs mit § 103 AO einschränkend dahin auszulegen, daß sie sich nur auf solche Bevollmächtigte bezieht, die die für eine Besteuerung in Betracht kommenden Geldmittel und Vermögenswerte eines anderen verwalten und so darüber verfügen können, daß sie die steuerlichen Pflichten des anderen erfüllen können, nicht aber auch auf Bevollmächtigte, die zur Wahrung der Rechte eines anderen in einem dafür vorgesehenen Rechtsbehelfsverfahren bestellt sind (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 11. Mai 1928 II A 12/27, Steuer und Wirtschaft 1928 Nr. 402; BFH-Urteil vom 27. Oktober 1960 V 278/58, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 86 Rechtsspruch 46; Tipke/Kruse, a. a. O., 7. Aufl., § 108 AO Rdnr. 2; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1.-6. Aufl., § 108 AO Rdnr. 2 d; Kühn/Kutter, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 108 AO Anm. 3a; Mattern/Meßmer, Abgabenordnung, Kommentar, § 108 AO Rdnr. 683). Die Notwendigkeit zur einschränkenden Auslegung des § 108 AO in diesem Sinne hat der Gesetzgeber bestätigt, indem er in der Nachfolgevorschrift des § 35 der Abgabenordnung (AO 1977) das Auftreten als Bevollmächtigter nicht mehr erwähnt und nur noch auf ein Auftreten als Verfügungsberechtigter abgestellt hat.
Die im Einspruchsverfahren abgegebene Erklärung des Erben, er habe den Kläger mit der Anfertigung der Steuererklärungen beauftragt, und die Erklärung des Klägers, er sei bereit, die Steuererklärungen zu erstellen, bedeutet nicht, daß er damit zum Bevollmächtigten i. S. des oben näher beschriebenen § 108 AO geworden wäre, d. h. also so aufgetreten wäre, als sei er hinsichtlich der Einkünfte und des Vermögens des Erben verwaltungs- und verfügungsberechtigt. Er hat vielmehr als im Rechtsbehelfsverfahren Bevollmächtigter nur seine Bereitschaft bekundet, die Erklärungen abzugeben, die zu einem günstigen Erfolg dieses Verfahren führen konnten.
Ob der Erbe wegen der teilweisen Verhinderung an der Erfüllung seiner Pflicht zur Abgabe der Steuererklärungen und der Vermögenserklärungen den Kläger gemäß § 107 AO auch für diesen Bereich zum Bevollmächtigten bestellen durfte, kann dahingestellt bleiben. Es kann auch, wie das schon das FG getan hat, offengelassen werden, ob der Erbe den Kläger tatsächlich insoweit zum Bevollmächtigten bestellt hat. Selbst wenn eine solche Bestellung zulässig gewesen wäre und stattgefunden hätte, durfte das FA die Abgabe der Steuererklärungen und der Vermögenserklärungen für den Erben durch den Kläger nicht nach § 202 AO durch ein dem Kläger auferlegtes Zwangsgeld durchsetzen. Ein Bevollmächtigter, durch den der an der Erfüllung seiner steuerlichen Pflicht Verhinderte nach § 107 AO tätig werden will, hat, sofern nicht die oben geschilderten Besonderheiten vorliegen, nicht eigene, sondern Pflichten des Vollmachtgebers zu erfüllen und verletzt im Falle seiner Untätigkeit allenfalls die bei seiner Bestellung gegenüber dem Verhinderten eingegangenen privatrechtlichen Verpflichtungen. Auch hier kann dahingestellt bleiben, ob das FA die Erfüllung einzelner, sich auf den Nachlaß beziehender Verpflichtungen vom Kläger als Testamentsvollstrecker verlangen und ggf. erzwingen konnte.
Da der Kläger die Anordnung des FA, anstelle des Erben Einkommensteuer- und Vermögenserklärungen abzugeben, nicht zu befolgen brauchte, waren die Verfügungen vom 24. März, 23. April und 21. Mai 1975, mit denen das FA die Befolgung der Anordnung erzwingen wollte, rechtswidrig. Sie und die sie zu Unrecht bestätigenden Entscheidungen der OFD und des FG waren gemäß dem Antrag des Klägers aufzuheben.
Fundstellen
BStBl II 1980, 605 |
BFHE 1981, 2 |