Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Unternehmensidentität als Voraussetzung des gewerbesteuerlichen Verlustabzugs
Leitsatz (NV)
Veräußert ein Unternehmen sein Betriebsgrundstück an einen fremden Dritten und das gesamte bewegliche Anlagevermögen an eine Schwesterpersonengesellschaft, die fortan die Produktion des veräußernden Unternehmens mit einem Teil von deren Arbeitnehmern betreibt, während das veräußernde Unternehmen abgewickelt wird, so besteht zwischen dem veräußernden Unternehmen und der Schwesterpersonengesellschaft die für den gewerbesteuerlichen Verlustabzug erforderliche Unternehmensidentität.
Normenkette
GewStG § 10a
Verfahrensgang
FG Münster (EFG 2001, 649) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG mit Sitz in X. Einziger Gesellschafter der Komplementär-GmbH und einziger Kommanditist der Klägerin ist Y. Die Klägerin stellt Edelmetallerzeugnisse für technische Zwecke, insbesondere Zubehör für Feuerschutztüren und Türbeschläge, her. Sie bezog die dafür benötigten Türschlösser zunächst von der B GmbH & Co. KG (im Folgenden: KG) mit Sitz in Z. Die KG stellte ausschließlich Türschlösser her. Auch hier war einziger Gesellschafter der Komplementär-GmbH und einziger Kommanditist der Gesellschaft Y.
Im Jahr 1993 wurde das Betriebsgrundstück der KG in Z, das einen Buchwert von 2 595 665 DM hatte, für 2 615 000 DM an einen Dritten verkauft. Das sonstige Betriebsvermögen, das einen Buchwert von insgesamt 445 475 DM hatte, wurde per Einzelrechnungen für insgesamt 1 483 176 DM an die Klägerin verkauft. Soweit Ende 1993 noch Forderungen und Verbindlichkeiten der KG bestanden, wurden diese bei der Klägerin eingebucht und ―mit einer Ausnahme― bis Ende 1994 abgewickelt. Erträge und Aufwendungen der KG wurden bei der Klägerin zunächst als a.o. Erträge bzw. a.o. Aufwand erfasst; der sich schließlich ergebende Habensaldo beider Konten wurde erfolgsneutral über das Kapitalkonto des Y abgeschlossen. Anfang 1993 hatte die KG 69 Arbeitnehmer. Es wurde ein Interessenausgleich und Sozialplan gemäß § 112 des Betriebsverfassungsgesetzes vereinbart, wonach die Arbeitnehmer der KG die Möglichkeit erhielten, bei der Klägerin beschäftigt zu werden. Am 31. Dezember 1994 wurde die Löschung der KG im Handelsregister eingetragen. Die Klägerin betreibt seither die Produktion von Türschlössern selbst.
Mit Bescheid des Finanzamtes Z vom 24. November 1994 wurde für die KG ein vortragsfähiger Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1993 in Höhe von 1 841 000 DM festgestellt. Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 27. April 1995 und 12. September 1997, den Gewerbeverlust der KG bei ihr in Abzug zu bringen. Sie vertrat die Auffassung, dass Unternehmeridentität vorliege, da weder bei ihr, der Klägerin, noch bei der KG die Komplementär-GmbH am Gewinn beteiligt sei und Y jeweils alleiniger Kommanditist sei. Auch Unternehmensidentität sei gegeben, da eine Verschmelzung der beiden Gesellschaften in der Weise stattgefunden habe, dass sämtliche Aktiva und Passiva, alle schwebenden Geschäfte und die Arbeitnehmer der KG von ihr, der Klägerin, übernommen worden seien. Lediglich das Grundstück in Z sei wegen der Standortverlagerung nicht übernommen worden. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) wies den Antrag der Klägerin zurück. Dagegen erhob die Klägerin Sprungklage, der das FA nicht zustimmte, sondern die es als Einspruch behandelte. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Im Klageverfahren trug die Klägerin vor, dass die Aufgabe des Standortes Z und die Integration der Fabrikation in ihren Betrieb in X der Annahme der Unternehmensidentität nicht entgegenstünden. Das FA war demgegenüber der Auffassung, dass keine Unternehmensidentität zwischen der KG und der Klägerin gegeben sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 649 veröffentlichten Gründen ab.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 10a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG).
Sie beantragt, die Vorentscheidung und den ablehnenden Bescheid vom 18. September 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 1999 aufzuheben und das FA zu verpflichten, ihren vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1994 festzustellen sowie die Gewerbesteuermessbescheide dahin gehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag für das Jahr 1994 0 DM und für das Jahr 1995 … DM beträgt.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Einspruchsentscheidung und des angefochtenen Bescheides des FA (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), zur Verpflichtung des FA, den vortragsfähigen Verlust der Klägerin auf den 31. Dezember 1994 auf 919 944 DM festzustellen, sowie zur Abänderung der Gewerbesteuermessbescheide 1994 und 1995 dahin gehend, dass der einheitliche Gewerbesteuermessbetrag 1994 0 DM und der einheitliche Gewerbesteuermessbetrag 1995 … DM betragen.
Das FG hat zu Unrecht die Abzugsfähigkeit des Verlustes der KG aus dem Jahr 1993 bei dem Gewerbeertrag der Klägerin in den Folgejahren verneint.
Gemäß § 10a Satz 1 GewStG wird der Gewerbeertrag um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Voraussetzung der Kürzung des Gewerbeertrags gemäß § 10a GewStG ist nach ständiger Rechtsprechung (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. Januar 1978 IV R 26/73, BFHE 124, 348, 350, BStBl II 1978, 348, 349; vom 12. Januar 1983 IV R 177/80, BFHE 138, 90, 91, BStBl II 1983, 425; vom 14. Dezember 1989 IV R 117/88, BFHE 159, 528, 529, BStBl II 1990, 436 f.; vom 27. Januar 1994 IV R 137/91, BFHE 173, 547, 548, BStBl II 1994, 477, 478) die Unternehmer- und Unternehmensidentität.
a) Unternehmeridentität ist hier, wovon auch die Beteiligten und das FG ausgegangen sind, gegeben. Bei Personengesellschaften richtet sich die Beurteilung der Unternehmeridentität nicht nach der bürgerlich-rechtlichen Identität der Gesellschaften als solcher, sondern nach der Identität der an ihnen als Mitunternehmer beteiligten Gesellschafter (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. Mai 1993 GrS 3/92, BFHE 171, 246, BStBl II 1993, 616). Im Streitfall war Y Kommanditist sowohl der KG als auch der Klägerin. Eine Kürzung des abzugsfähigen Gewerbeverlustes nach den Grundsätzen der Rechtsprechung über den teilweisen Wechsel von Gesellschaftern einer Personengesellschaft kommt hier nicht in Betracht, da weder die Komplementär-GmbH der KG noch die Komplementär-GmbH der Klägerin kapitalmäßig an der jeweiligen Gesellschaft beteiligt war.
b) Unternehmensidentität bedeutet, dass der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch sein muss mit dem Gewerbebetrieb, der im Jahr der Entstehung des Verlustes bestanden hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 138, 90, 91, BStBl II 1983, 425). Dieses Merkmal, das sich nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, wird allgemein aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer hergeleitet (vgl. BFH-Urteile in BFHE 124, 348, 350 f., BStBl II 1978, 348, 350; in BFHE 138, 90, 91, BStBl II 1983, 425; Bittner, Gewerbesteuer-Kommentar, § 10a GewStG Rz. 26; Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, 4. Aufl., § 10a Rz. 6; von Twickel in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 10a GewStG Rz. 65). Danach erfasst die Gewerbesteuer nicht den auf ein bestimmtes Steuersubjekt bezogenen Gewinn oder Gewinnanteil, sondern den Ertrag, den der vom jeweiligen Rechtsträger losgelöste Gewerbebetrieb an sich abwirft (BFH-Urteil vom 5. September 1990 X R 20/89, BFHE 162, 135, 137, BStBl II 1991, 25, 27). Der Gewerbebetrieb als solcher und nicht der Gewerbetreibende unterliegt der Gewerbesteuer. Dies führt dazu, dass dann, wenn ein und derselbe Unternehmer gleichzeitig mehrere ―sachlich selbständige― Gewerbebetriebe unterhält, jeder dieser Betriebe für sich zur Gewerbesteuer heranzuziehen ist. Entsprechendes gilt, wenn ein und derselbe Unternehmer nacheinander mehrere ―sachlich selbständige― Gewerbebetriebe unterhält; die bisherige Steuerpflicht endet, die neue Steuerpflicht beginnt. Demgemäß sind auch gleichartige Beurteilungsmaßstäbe anzuwenden für die Entscheidung der Frage, ob mehrere gewerbliche Betätigungen, die ein und derselbe Unternehmer gleichzeitig oder nacheinander ausübt, je für sich einen sachlich selbständigen Gewerbebetrieb oder zusammen einen einheitlichen Gewerbebetrieb darstellen (BFH-Urteil in BFHE 138, 90, 91 f., BStBl II 1983, 425 f.).
Für die Frage der Identität der Betätigungen kommt es in beiden Fällen auf das Gesamtbild an, das sich aus seinen wesentlichen Merkmalen ergibt, wie insbesondere der Art der Betätigung, dem Kunden- und Lieferantenkreis, der Arbeitnehmerschaft, der Geschäftsleitung, den Betriebsstätten sowie dem Umfang und der Zusammensetzung des Aktivvermögens. Unter Berücksichtigung dieser Merkmale muss ein wirtschaftlicher, organisatorischer und finanzieller Zusammenhang zwischen den Betätigungen bestehen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 173, 547, 548, BStBl II 1994, 477, 478; vom 19. Dezember 1984 I R 165/80, BFHE 143, 276, 278, BStBl II 1985, 403, 404; in BFHE 138, 90, 92, BStBl II 1983, 425, 426 und in BFHE 124, 348, 351, BStBl II 1978, 348, 350).
c) Ein solcher Zusammenhang liegt hier vor. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz fällt nicht besonders ins Gewicht, dass die KG ihr Betriebsgrundstück an einen Dritten verkauft hat. Nach der Rechtsprechung des BFH steht der Verkauf des Betriebsgrundstücks der Annahme der Unternehmensidentität nicht entgegen, wenn der Gewerbebetrieb an einen anderen Ort verlegt wird und wenn er strukturell an veränderte wirtschaftliche Gegebenheiten anzupassen ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 138, 90, 93, BStBl II 1983, 425, 426; vom 14. September 1993 VIII R 84/90, BFHE 174, 233, 240, BStBl II 1994, 764, 767). Davon ist hier auszugehen.
aa) Eine Betriebsverlegung ist anzunehmen, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse der alte und der neue Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung wirtschaftlich identisch sind (BFH-Urteile vom 28. Juni 2001 IV R 23/00, BFHE 196, 228, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst ―DStRE― 2001, 1321; vom 3. Oktober 1984 I R 116/81, BFHE 142, 381, 383 f., BStBl II 1985, 131, 132; vom 11. März 1982 IV R 25/79, BFHE 136, 204, 207, BStBl II 1982, 707, 709; vom 24. Juni 1976 IV R 200/72, BFHE 119, 430, 432, BStBl II 1976, 672, 673). Das ist dann der Fall, wenn die zur Fortführung des Unternehmens benötigten sachlichen und personellen Mittel weiter genutzt werden, soweit die durch die Verlegung des Betriebes veränderten Verhältnisse es zulassen. Der Einsatz der personellen Mittel setzt voraus, dass zumindest ein Teil der Arbeitnehmerschaft weiter beschäftigt wird oder jedenfalls versucht wird, die Arbeitnehmerschaft am neuen Betriebsstandort weiter zu beschäftigen. Die fortgesetzte Nutzung der sachlichen Mittel erfordert, dass die zur Erwirtschaftung des Ertrags eingesetzten Betriebsmittel im Wesentlichen dieselben bleiben. Betriebsbedingte ―auch strukturelle― Anpassungen der gewerblichen Betätigung an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse stehen der Annahme einer identischen Tätigkeit nicht entgegen. Es ist auch nicht erforderlich, dass der eingegliederte Betrieb von der aufnehmenden Gesellschaft als Teilbetrieb fortgeführt wird oder dass er dem neuen Gesamtbetrieb das Gepräge gibt (BFH-Urteil in BFHE 174, 233, 240, BStBl II 1994, 764, 767).
bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach den Feststellungen der Vorinstanz betrieb die Klägerin, ebenso wie zuvor die KG, die Produktion von Türschlössern. Kunden- und Lieferantenkreis hatten sich ―mit Ausnahme der Tatsache, dass die Klägerin selbst nun nicht mehr Abnehmerin, sondern Produzentin der Schlösser war― nicht signifikant geändert. Zudem hat die Klägerin das gesamte bewegliche Anlagevermögen der KG erworben und diejenigen Arbeitnehmer, die für die Fortführung der Schlossproduktion erforderlich waren, weiter beschäftigt.
Die Veräußerung des betrieblich genutzten Grundvermögens steht der Annahme einer Betriebsverlegung nicht entgegen (BFH-Urteil in BFHE 196, 228, DStRE 2001, 1321). Ebenso wenig wird das Vorliegen einer Betriebsverlegung dadurch ausgeschlossen, dass die Forderungen und Verbindlichkeiten der KG nur kurzfristig in das Buchwerk der Klägerin übernommen und alsbald erfolgsneutral über das Privatkonto des Y abgewickelt worden sind. Forderungen und Verbindlichkeiten gehören nicht zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen eines Unternehmens; vielmehr steht es dem Unternehmen frei, jederzeit eine "Bereinigung" aller Geschäftsbeziehungen durch sofortige Erfüllung aller Verbindlichkeiten und ―ihre Fälligkeit unterstellt― Einziehung aller Forderungen vorzunehmen.
d) Die Klägerin hätte den Verlust der KG auch nicht bereits im Jahr 1993 geltend machen müssen. Gemäß § 10a GewStG ist der Gewerbeertrag um noch nicht berücksichtigte Fehlbeträge, die sich bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume ergeben haben, zu kürzen. Da das FA mit bestandskräftigem Bescheid vom 24. November 1994 den vortragsfähigen Gewerbeverlust der KG auf den 31. Dezember 1993 festgestellt hat, konnte dieser Verlust frühestens im folgenden Erhebungszeitraum, also auf den 31. Dezember 1994, und in den darauf folgenden Erhebungszeiträumen zur Kürzung des Gewerbeertrags der Klägerin führen.
Fundstellen
Haufe-Index 867204 |
BFH/NV 2003, 81 |
DB 2015, 1184 |
DStRE 2003, 107 |
HFR 2003, 261 |