Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhalten von Geschäftsräumen als Kriterium für die Unternehmereigenschaft (Nachhaltigkeit)
Leitsatz (NV)
Die Unternehmereigenschaft gemäß § 2 Abs. 1 UStG 1980 setzt u. a. die nachhaltige Erbringung von Leistungen voraus. Nachhaltigkeit ist anhand einer Reihe verschiedener Kriterien zu beurteilen, die je nach dem Einzelfall in unterschiedlicher Gewichtung dafür oder dagegen sprechen. Das Unterhalten von Geschäftsräumen ist nur eines von mehreren Indizien für die Nachhaltigkeit. Das Fehlen von Geschäftsräumen schließt weder eine Leistungstätigkeit als solche noch deren Nachhaltigkeit aus und hat deshalb nicht zwangsläufig die Verneinung der Unternehmereigenschaft zur Folge.
Normenkette
UStG 1980 § 2 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erstellte Schalungen mit vorgefertigten Bauelementen. In den Streitjahren (1986 und 1987) beschäftigte er fünf bis sieben Arbeitnehmer. Einen Teil seiner Aufträge erledigte er mit Hilfe von sog. Nachunternehmern.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) versagte den Abzug von Vorsteuerbeträgen, die die X-GmbH, die Y- GmbH und die Z-GmbH als Umsatzsteuer in Rechnungen gesondert ausgewiesen hatten. Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.
Mit der Klage trug der Kläger vor, er habe keine Veranlassung gehabt, an der Unternehmereigenschaft der Nachunternehmer zu zweifeln. Diese hätten Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Finanzämter, Bescheinigungen der Berufsgenossenschaft, der Krankenkasse und der Handwerkskammer vorgelegt. Die X-GmbH sei in das Handelsregister eingetragen gewesen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte zur Begründung aus: Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer trage die objektive Beweislast für die Unternehmereigenschaft des leistenden Unternehmers. Die Unternehmereigenschaft der X-GmbH, der Y-GmbH und der Z-GmbH sei nicht erweislich gewesen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verfahrensfehler. Er beantragt, das erstinstanz liche Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung und Verhandlung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Die Rüge des Klägers, das FG sei seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht genügend nachgekommen, hat Erfolg.
1. Das FG hat seine Auffassung, die Unternehmereigenschaft der X-GmbH, der Y- GmbH und der Z-GmbH sei nicht erweislich gewesen, auf das jeweilige Fehlen eines Betriebs- oder Geschäftssitzes gestützt. Es hat ausgeführt, die Y-GmbH habe zu keiner Zeit unter den in den Rechnungen angegebenen Anschriften einen Betriebs- bzw. Geschäftssitz unterhalten. Auch unter der in den Rechnungen der X- GmbH angegebenen Adresse habe kein Betriebs- oder Geschäftssitz bestanden. Es habe sich lediglich X in der unter der Anschrift befindlichen Gaststätte im März 1986 eingemietet. Seit August 1986 sei X nicht mehr auffindbar gewesen. Nach einem Urteil des Landgerichts A habe die X-GmbH für einen Monat einen Arbeitnehmer bei der AOK angemeldet und bis Ende 1986 zahlreiche sog. Abdeckrechnungen verkauft. Desgleichen sei ein Betriebs- oder Geschäftssitz der Z-GmbH nicht feststellbar gewesen. Nach dem Urteil des Landgerichts A habe die Z-GmbH lediglich in den Monaten August 1986 bis April 1987 einige Arbeitnehmer bei der AOK angemeldet; sie habe in der Zeit von Juli 1986 bis August 1987 sog. Abdeckrechnungen geliefert.
2. Mit seinem Schriftsatz vom 10. Januar 1991, mit dem er neben der Nichtzulassungsbeschwerde zugleich auch Revision eingelegt hat, macht der Kläger geltend, die Zweifel des FG an der Unternehmereigenschaft der Y-GmbH, der X-GmbH sowie der Z-GmbH seien nicht gerechtfertigt und beruhten auf einer Verletzung der Amts ermittlungspflicht. Das FG hätte bei gehöriger Erfüllung dieser Pflicht feststellen müssen, daß die einzelnen Rechnungsaussteller existierende Firmen waren und daß die der Rechnungserstellung zugrundeliegenden Leistungen auch erbracht worden sind. In den an das FG gerichteten Schriftsätzen vom 1. März 1990 und 30. Oktober 1990 sowie in der mündlichen Verhandlung habe er hierzu Zeugenvernehmung beantragt. Nach Erhebung der angebotenen Zeugenbeweise hätte das FG zu einer anderen Überzeugung kommen können als der, es sei nicht erwiesen, daß die Rechnungen von Unternehmern ausgestellt worden seien und daß die als Rechnungsaussteller aufgetretenen Personen und Firmen im Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als Unternehmen existiert haben. Selbst wenn die X-GmbH -- entsprechend dem Strafurteil des Landgerichts A -- Scheinrechnungen an andere Unternehmer erteilt habe, schließe dies nicht aus, daß sie ihm, dem Kläger, gegenüber Leistungen erbracht habe (und damit unternehmerisch tätig geworden sei).
3. Die auf § 76 Abs. 1 FGO gestützte Verfahrensrüge des Klägers ist zulässig. Die Revisionsbegründung erfüllt die bei einer derartigen Rüge regelmäßig zu beachtenden Voraussetzungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, wonach bei einem gerügten Verfahrensmangel die Tatsachen zu bezeichnen sind, die den Mangel ergeben. Es ist unerheblich, daß die Bezeichnung der Tatsachen nicht (vollständig) in dem Schriftsatz vom 31. Juli 1992 enthalten ist, mit dem nach ihrer Zulassung (erneut) Revision eingelegt und diese begründet worden ist, sondern in dem Schriftsatz vom 10. Januar 1991. Denn bei mehrfacher Revisionseinlegung gegen dasselbe Urteil ist einheitlich über ein einziges Rechtsmittel zu entscheiden und das gesamte Vorbringen entsprechend zu berücksichtigen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 19. Juli 1984 IX R 16/81, BFHE 141, 467, BStBl II 1984, 833).
4. Die Rüge ist auch begründet. Das FG durfte die Klage, soweit es um den Abzug von Vorsteuerbeträgen der X-GmbH ging, nicht unter Berufung auf deren fehlende Unternehmereigenschaft abweisen, ohne die vom Kläger benannten Zeugen dazu zu vernehmen, ob die X-GmbH Leistungen, insbesondere an den Kläger, erbracht hat.
a) Es ist nicht auszuschließen, daß das FG nach Vernehmung der Zeugen aufgrund seiner materiell-rechtlichen Rechtsauf fassung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Das FG geht unter Berufung auf das BFH-Urteil vom 19. Oktober 1978 V R 39/75 (BFHE 127, 71, BStBl II 1979, 345) davon aus, der den Vorsteuer abzug begehrende Unternehmer trage die objektive Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. Von den nach dieser Vorschrift zu erfüllenden Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs hat das FG im Streitfall die Unternehmereigenschaft der X-GmbH verneint (nicht deren zivilrechtliche Existenz).
b) Die Unternehmereigenschaft gemäß § 2 Abs. 1 UStG 1980 setzt u. a. die nachhaltige Erbringung von Leistungen voraus. Nachhaltigkeit ist anhand einer Reihe verschiedener Kriterien zu beurteilen, die je nach dem Einzelfall in unterschiedlicher Gewichtung dafür oder dagegen sprechen (Senatsurteil vom 18. Juli 1991 V R 86/87, BFHE 165, 116, BStBl II 1991, 776). Diese Rechtsauffassung liegt auch dem Urteil des FG zugrunde. Es ist demnach nicht auszuschließen, daß das FG eine nachhaltige Tätigkeit der X-GmbH bejaht haben würde, wenn es aufgrund der Zeugenvernehmung festgestellt hätte, daß die X-GmbH Leistungen an den Kläger ausgeführt hat. Denn das Innehaben eines "Betriebs- und Geschäftssitzes", worauf das FG abgestellt hat und worunter es offenbar Geschäftsräume versteht, ist nur eines von mehreren Indizien für die Nachhaltigkeit. Das Fehlen von Geschäftsräumen schließt weder eine Leistungstätigkeit als solche noch deren Nachhaltigkeit aus und hat deshalb nicht zwangsläufig die Verneinung der Unternehmereigenschaft zur Folge.
5. Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob die Vorentscheidung auch insoweit fehlerhaft ergangen ist, als sie sich auf die von der Y-GmbH und der Z-GmbH gesondert als Umsatzsteuer ausgewiesenen Vorsteuerbeträge bezieht. Denn eine Beschränkung der Revisionsentscheidung auf die Vorsteuerbeträge, die die X-GmbH als Umsatzsteuer gesondert in ihren Rechnungen ausgewiesen hat, wäre nicht möglich, weil das FG nicht festgestellt hat, welche der ins gesamt streitigen Vorsteuerbeträge auf die X-GmbH entfallen. Das Urteil des FG mußte bereits aus diesem Grunde insgesamt aufgehoben werden.
Fundstellen