Leitsatz (amtlich)
Das Halten eines Schlammsaugfahrzeugs, das verwendet wird, um gewerbsmäßig flüssige Abfälle aus gewerblichen und industriellen Unternehmen (z. B. Galvanikschlämme, Säuren, Laugen, Gifte, Öl- und Benzinabscheiderinhalte, Bohr- und Schleifölemulsionen) einzusammeln und zu den hierfür bestimmten Sammelstellen zu befördern, war vor dem 1. Juni 1979 nicht von der Kraftfahrzeugsteuer befreit.
Normenkette
KraftStG 1972 § 2 Nr. 3a; KraftStG 1979 § 3 Nr. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) reinigt und wartet gewerbsmäßig Öltanks, räumt Kanäle, entleert Gruben und verwertet Schrott, insbesondere Autowracks. Außerdem sammelt er gewerbsmäßig flüssige Abfälle aus gewerblichen und industriellen Unternehmen (z. B. Galvanikschlämme, Säuren, Laugen, Gifte, cyanidhaltige Lösungen, Bohr- und Schleifölemulsionen, Sandfangrückstände, Öl- und Benzinabscheiderinhalte, Ölwassergemische, Lösungsmittel, Farbstoffe) und befördert sie zu den hierfür bestimmten Sammelstellen. Er verwendet dazu ein Schlammsaugfahrzeug, das am 30. Mai 1973 für ihn zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen worden ist (amtliches Kennzeichen ..., verkehrsrechtlich zulässiges Gesamtgewicht 22 000 kg, drei Achsen).
Das Fahrzeug ist 1973 gebaut worden, 7,79 m lang, 2,45 m breit, 3,75 m hoch und wird von einem Dieselmotor angetrieben. Sein wesentlicher Aufbau besteht aus einem zylinderförmigen Stahlkessel, der 13 000 I fassen kann und besonders druckfest ist. Befüllt wird der Kessel mit Hilfe von zwei Vakuumpumpen; entleert wird er pneumatisch durch einen Entleerungskolben, so daß es nicht notwendig ist, den Kessel zu kippen. Hinter den Entleerungskolben ist eine Wasserkammer eingebaut. Deren Wasser speist eine eingebaute Kreiselpumpe, mit deren Hilfe Schächte und Gruben ausgespült und feste Ablagerungen aufgeweicht werden können. Es ist äußerlich erkennbar, daß das Fahrzeug nach seiner Bauart und seinen besonderen mit ihm festverbundenen Einrichtungen nur zur Abfuhr flüssiger Abfälle geeignet und bestimmt ist.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte für das Halten des Schlammsaugfahrzeugs die Kraftfahrzeugsteuer durch Bescheid vom 26. Februar 1974 auf 5 957,50 DM fest (bei jährlicher Entrichtung der Steuer), den Einspruch wies das FA zurück. Entgegen der Ansicht des Klägers sei das Halten des Fahrzeugs nicht von der Steuer befreit. Denn es handle sich weder um eine selbstfahrende Arbeitsmaschine, die als solche von den Vorschriften über das Zulassungsverfahren ausgenommen wäre (§ 2 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - KraftStG -), noch werde das Fahrzeug ausschließlich zur Müll- oder zur Fäkalienabfuhr verwendet (§ 2 Nr. 3a KraftStG). "Müll" im Sinne der Befreiungsvorschrift seien nur feste Abfälle aus Haushaltungen, Industrie und Gewerbe.
Das Finanzgericht (FG) hat durch Urteil vom 31. Juli 1975 den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben und den Kläger hinsichtlich des Haltens des bezeichneten Fahrzeugs von der Kraftfahrzeugsteuer freigestellt. Die Gründe seiner Entscheidung sind im wesentlichen die gleichen wie die zu seinem Urteil vom 5. Februar 1976 IV 54/75 Kraft, das auszugsweise veröffentlicht ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 306 Nr. 300 (EFG 1976, 306 Nr. 300).
Mit der Revision rügt das FA die unrichtige Anwendung des § 2 Nr. 3a KraftStG. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FG ist richtig davon ausgegangen, daß das Halten des Schlammsaugfahrzeugs zum Verkehr auf öffentlichen Straßen der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG) und nicht gemäß § 2 Nr. 1 KraftStG von der Steuer befreit ist. Sein Urteil muß jedoch aufgehoben werden, weil es auf unrichtiger Anwendung des § 2 Nr. 3 a KraftStG beruht. Nach Satz 1 dieser Vorschrift (in ihrer vor dem 1. Juni 1979 geltenden Fassung) war von der Steuer befreit das Halten von Fahrzeugen, "die ausschließlich zur Straßenreinigung, zur Müll- oder zur Fäkalienabfuhr verwendet werden". Diese Vorschrift hat das FG insofern unrichtig angewendet, als es angenommen hat, ein Fahrzeug werde auch dann "zur Müllabfuhr" verwendet, wenn mit ihm flüssige Abfälle aus gewerblichen oder industriellen Unternehmen (z. B. Öl- und Giftschlämme) eingesammelt und zu den dafür bestimmten Sammel- oder Beseitigungsstellen befördert werden. "Zur Müllabfuhr" wird ein Fahrzeug jedoch nur dann verwendet, wenn mit ihm feste Abfälle aus Haushaltungen (Hausmüll, Sperrmüll) und aus wirtschaftlichen Unternehmen (Geschäftsmüll) eingesammelt und zu den dafür bestimmten Müllabladeplätzen, Umladestationen oder Müllverbrennungsanlagen befördert werden. Zu diesem Ergebnis führt eine Auslegung der Befreiungsvorschrift nach ihrem Wortsinn, nach ihrem Zusammenhang mit anderen Vorschriften und nach ihrem Zweck.
2. Dem Wortsinne nach sind Müll nur feste Abfälle. Das folgt schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, wie er im Jahre 1948 bestand, als erstmals von der Steuer befreit wurde "das Halten von Kraftfahrzeugen, die nach ihrer Bauart für die Zwecke der Müll- und Fäkalienabfuhr besonders eingerichtet sind, solange sie für eine Gemeinde zugelassen und ausschließlich für diese Zwecke verwendet werden" (II. Durchführungsverordnung zum Kontrollratgesetz Nr. 14 - Kraftfahrzeugsteuer - in der Fassung des Kontrollratgesetzes Nr. 51 - II. Kraft-StDVO - vom 30. April 1948, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1948 S. 107 - BayGVBl 1948, 107 -). Hätte der Gesetzgeber unter "Müllabfuhr" auch die Abfuhr flüssiger Abfälle verstanden, hätte er die "Fäkalienabfuhr" (d. h. die Abfuhr flüssiger, aus dem menschlichen oder tierischen Körper stammender Abfallstoffe) nicht besonders zu erwähnen brauchen. Auch im Sprachgebrauch der Gegenwart werden unter "Müll" nur feste Abfälle verstanden. Beispielsweise enthält § 61 der Saarländischen Bauordnung i. d. F. vom 27. Dezember 1974 (Amtsblatt des Saarlandes 1975 S. 85) Vorschriften über Anlagen für die Aufbewahrung "fester Abfallstoffe (Müll)". Im gleichen Sinne hat der Fachnormenausschuß Kommunale Technik im DIN (Deutsches Institut für Normung e. V.) den Begriff Müll als "Oberbegriff für feste Abfälle bestimmter Herkunft" bestimmt (Normblatt DIN 30 706 Teil 1 "Begriffe der kommunalen Technik, Müllabfuhr", Ausgabe Dezember 1975). Ähnlich wird er im Duden (Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1978, Stichwort Müll) erläutert als "fester Abfall ..., der in bestimmten Behältern gesammelt (u. von der Müllabfuhr abgeholt) wird".
3. Aus dem Zusammenhang der Befreiungsvorschrift mit jenen Rechtsvorschriften, durch welche die Gemeinden die Müllabfuhr geregelt haben, wird darüber hinaus deutlich, daß "Müll" nur feste Abfälle bestimmter Herkunft sind, nämlich solche aus Haushaltungen (Hausmüll, Sperrmüll) und solche aus wirtschaftlichen Unternehmen, soweit sie produktionsunabhängig sind und zusammen mit dem Hausmüll abgefahren werden können (Geschäftsmüll). Die Stadt X beispielsweise, in deren Gebiet der Kläger sein Unternehmen betreibt, hatte in ihrer Müllabfuhrsatzung vom 1. Dezember 1970 (Satzungsund Verordnungsblatt der Stadt X 1970 Nr. 230) bestimmt, daß die Stadt aus Gründen des öffentlichen Wohls eine städtische Müllabfuhranstalt als öffentliche Einrichtung betreibt und mit "Spezialwagen für staubfreie Abfuhr" den Hausmüll von den Grundstücken, die innerhalb der geschlossenen Ortslage liegen, abfahren wird. Als Hausmüll hatte sie bezeichnet "die auf einem Grundstück mit Willen der Verfügungsberechtigen zu wirtschaftlich nicht mehr verwertbarem Abfall gewordenen Gegenstände aller Art, insbesondere nichtflüssige Haus- und Küchenabfälle, Kehricht, erkaltete Asche, Lumpen, Papier, Kartonagen, Flaschen, Scherben, alte Matratzen, Kinderwagen, Fahrräder, Ofenrohre, Lampen, Kannen, Eimer, Wannen, Teppiche, Linoleum u. dgl.". Für sperrige Gegenstände, die nicht in die geschlossen gehaltenen Mülltonnen paßten, aber zum Hausmüll gehörten, hatte sie eine besondere Sperrmüllabfuhr eingerichtet. Nicht zum Hausmüll hatte sie gerechnet "Industrie- und Gewerbeabfälle, Kies, Bauschutt, Erde, Steine, Laub- und Gartenabfälle in größerer Menge, ... menschliche und tierische Fäkalien, Stallmist, ... Schnee, Eis und Flüssigkeiten jeder Art, ... explosive, feuergefährliche, radioaktive und ätzende Stoffe, ... Gegenstände, die aufgrund besonderer Vorschriften auf andere Weise als durch die Müllabfuhr beseitigt werden müssen". Andere Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts hatten gleichartige Regelungen getroffen, z. B. die Landeshauptstadt München (§ 1 Abs. 2 der Müllabfuhrsatzung vom 27. November 1970, Amtsblatt der Landeshauptstadt München 1970 S. 221), die Freie Hansestadt Bremen (§ 2 des Ortsgesetzes über die Müllabfuhr der Stadtgemeinde Bremen i. d. F. vom 18. Februar 1969, Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen 1969 S. 21), das Land Berlin (§ 9 des Stadtreinigungsgesetzes vom 24. Juni 1969, Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl - für Berlin 1969 S. 768). In ähnlichem Sinne werden die Begriffe Hausmüll, Sperrmüll und Geschäftsmüll verwendet in der "Unfallverhütungsvorschrift Müllbeseitigung (GUV 7.8)", die am 1. September 1979 in Kraft getreten ist (Bekanntmachung des Bayerischen Gemeindeunfallversicherungsverbandes vom 13. August 1979, Bayerischer Staatsanzeiger 1979 Nr. 33 S. 2 Spalte 4). Nach den Durchführungsanweisungen zu dieser Vorschrift sind Hausmüll "feste Abfälle aus Haushaltungen und feste Abfälle aus Gewerbebetrieben, Anstalten, Hotels und Gaststätten, Kantinen, Wirtschafts- und Verwaltungsgebäuden mit hausmüllähnlichem Charakter, wie z. B. Speisereste und Küchenabfälle, Papierreste, Heizungsrückstände und kleine Gebrauchsgegenstände, die in die bei der Müllabfuhr ortsüblichen Behälter passen". Sperrmüll sind "feste Abfälle aus Haushaltungen, die wegen ihrer Sperrigkeit nicht in die bei der Müllabfuhr ortsüblichen Behälter passen und bei der Hausmüllabfuhr nicht beseitigt werden". Geschäftsmüll schließlich sind "die in Geschäftshäusern, Gewerbebetrieben und Industriebetrieben anfallenden festen, nicht produktionsabhängigen Abfälle, die mit Hausmüll gemeinsam beseitigt werden können, wie z. B. Verpakkungsmaterial, Heizungsrückstände, Büroabfälle", nicht dagegen "produktionsabhängige Abfälle, die nicht mehr in den Produktionskreislauf gelangen, wie z. B. verdorbene Rohware, Fehlchargen, Formsande und Flugasche". Diese Begriffsbestimmungen beruhen auf der erwähnten Norm DIN 30 706 Teil 1.
4. Zweck der Befreiungsvorschrift war es, die Kosten der öffentlichen Einrichtung "Müll- und Fäkalienabfuhr" zu mindern und es den Gemeinden dadurch zu ermöglichen, die Gebühren für die Abfuhr des Mülls und der Fäkalien entsprechend niedrig zu bemessen. Es war nicht ihr Sinn, in gleicher Weise auch Unternehmer zu begünstigen, die gewerbsmäßig (also mit Gewinnerzielungsabsicht) produktionsabhängige Abfälle aus Gewerbebetrieben und sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen abfahren.
5. Das FG meint demgegenüber, "bereits seit geraumer Zeit" sei "das Bestehen eines Rechtszustandes anzunehmen, der über die Beseitigung dessen, was bisher gebräuchlicherweise als Müll bezeichnet wurde, hinaus auch die Beseitigung all der Gegenstände begünstigt, die heute unter den Begriff Abfall im Sinne des Abfallbeseitigungsgesetzes fallen", "mögen diese fest, halbfest, flüssig oder sogar gasförmig sein"; denn die enzyklopädischen Begriffsbestimmungen kennten inzwischen "den Begriff Sondermüll, der auch flüssige Abfallstoffe ..., insbes. Ölschlämme" umfasse.
a) Diese Ansicht teilt der erkennende Senat nicht. Gegen sie spricht schon die Tatsache, daß die Befreiungsvorschrift erst mit Wirkung ab 1. Juni 1979 erweitert und dem Abfallbeseitigungsrecht angepaßt worden ist (Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - KraftStÄndG - vom 22. Dezember 1978, BGBl I 1978, 2063, BStBl I 1979, 65). Bis zu diesem Zeitpunkt galt die Befreiungsvorschrift in ihrer Fassung, die sie erhalten hatte durch Art. 1 Nr. 1 KraftStÄndG vom 17. März 1964 (BGBl I 1964, 145, BStBl I 1964, 243). Während dieser Zeit (1. April 1964 bis 31. Mai 1979) ließ der Gesetzgeber die Befreiungsvorschrift unverändert, obwohl er wiederholt andere Vorschriften des Gesetzes änderte und neue in das Gesetz einfügte, z. B. durch Art. 8 des Verkehrsfinanzgesetzes 1971 vom 28. Februar 1972 (BGBl I 1972, 201, BStBl I 1972, 109, 112).
b) Gegen die Ansicht des FG spricht ferner, daß Sondermüll nicht etwa eine Unterart von Müll im Sinne der Befreiungsvorschrift ist. Sondermüll sind jene Abfälle, die "nach ihrer Art oder Menge nicht mit den in Haushaltungen anfallenden Abfällen" beseitigt werden können, also "gesondert" zu beseitigen sind (§ 3 Abs. 3 des Abfallbeseitigungsgesetzes - AbfG - vom 7. Juni 1972, BGBl I 873, seit 1. Januar 1977 geltend i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 21. Juni 1976, BGBl I, 1601), ferner solche Abfälle "aus gewerblichen oder sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen, die nach Art, Beschaffenheit oder Menge in besonderem Maße gesundheits-, luft- oder wassergefährdend, explosibel oder brennbar sind oder Erreger übertragbarer Krankheiten enthalten oder hervorbringen können" und an deren Beseitigung deshalb zusätzliche Anforderungen zu stellen sind (§ 2 Abs. 2 Satz 1 AbfG). Demgegenüber sind Müll im Sinne des § 2 Nr. 3a KraftStG feste Abfälle aus Haushaltungen und ähnliche Abfälle. Dieser Begriff Müll ist dem Begriff Sondermüll nicht übergeordnet; vielmehr sind beide Begriffe einander nebengeordnet. Ihr gemeinsamer Oberbegriff ist der Begriff "Abfälle" im Sinne des § 1 Abs. 1 AbfG. Dementsprechend hat das Land Bayern im Rahmen des aufzustellenden Abfallbeseitigungsplans einen Teilplan "Sondermüll" und einen Teilplan "Hausmüll und hausmüllähnliche Abfälle" aufgestellt (Bekanntmachungen des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen vom 22. Dezember 1976, BayGVBl 1977, 55, und vom 17. April 1978, BayGVBl 1978, 199). Andere Bundesländer haben den Ausdruck Sondermüll ganz vermieden und statt dessen den Ausdruck Sonderabfall verwendet (vgl. z. B. die Hessische Verordnung über die Beseitigung von Sonderabfällen aus Industrie und Gewerbe vom 13. November 1978, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen 1978, 556, sowie die Rheinland-Pfälzische Landesverordnung über die Aufstellung eines Teilplans "Sonderabfallbeseitigung" vom 15. März 1978, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz 1978, 141). Der Rat der Europäischen Gemeinschaften gebraucht den Ausdruck "giftige und gefährliche Abfälle" (Richtlinie vom 20. März 1978, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 84 vom 31. März 1978 S. 43). Über die Schwierigkeiten, den Begriff Sonderabfall klar zu bestimmen, berichten Hösel/v. Lersner (Recht der Abfallbeseitigung, 1972/1978, Kennzahl 1120, Rdnr. 29; vgl. ferner Fußnote 2 zu Tz. 591 der Bundestags-Drucksache 8/1938.
6. Das FG war nicht befugt, den Anwendungsbereich der Befreiungsvorschrift über die in ihr einzeln aufgeführten Tatbestände hinaus auszudehnen auf "alle im Interesse der Hygiene notwendigen Transporte von Abfallstoffen", denn es war an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -).
Eine Gesetzeslücke, die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung hätte geschlossen werden können, lag nicht vor. Die Begrenzung der Steuerbefreiung auf das Halten von Fahrzeugen, die "zur Straßenreinigung, zur Müll- oder zur Fäkalienabfuhr verwendet werden", war keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes; sie entsprach vielmehr dem dargelegten Sinn der Vorschrift und damit dem Plan (der Regelungsabsicht) des Gesetzgebers. Die Fassung der Vorschrift beruht auf der vom Gesetzgeber auch sonst innerhalb des § 2 KraftStG angewandten gesetzestechnischen Methode: Fahrzeuge, deren Halten steuerfrei sein sollte, jeweils nach Art und Verwendungszweck möglichst genau zu bezeichnen (vgl. in diesem Zusammenhang z. B. das zu § 2 Nr. 4 KraftStG 1972 ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. November 1977 II R 117/76, BFHE 123, 525, BStBl II 1978, 75, betreffend das Halten eines Leichenwagens durch eine Gemeinde). Aus dem gleichen Grunde ist der Schluß unzulässig, den der VII. Senat des Hessischen FG in einem ähnlichen Fall gezogen hat. Er meint, "es wäre unverständlich, wenn zwar die Beseitigung des ... relativ ungefährlichen Hausmülls steuerlich gefördert, diese Förderung aber bei der Beseitigung des teilweise noch giftigen und für die Umwelt enorm gefährlichen Industriemülls ... versagt würde" (EFG 1976, 306 Nr. 299). Dieser Schluß vom Weniger auf das Mehr ist hier nicht erlaubt, weil eine Gesetzeslücke, welche auf diese Weise vom Gericht zu schließen gewesen wäre, nicht vorliegt. Um die inzwischen "als zu eng und überholt" (Bundestags-Drucksache 8/1679 S. 17) erkannte Entscheidung des damaligen Gesetzgebers zu korrigieren, bedurfte es einer neuen Entscheidung des Gesetzgebers, die dieser mit der am 1. Juni 1979 in Kraft getretenen Neufassung der Befreiungsvorschrift getroffen hat.
7. Eine Befugnis zu gesetzesdurchbrechender richterlicher Rechtsfortbildung war aus mehreren Gründen nicht gegeben:
a) Das FG durfte einer gesetzlichen Änderung der Befreiungsvorschrift nicht vorgreifen, da diese von den gesetzgebenden Körperschaften bereits vorbereitet wurde: Am 8. November 1973, also rund eineinhalb Jahre bevor das FG sein Urteil fällte, hatte die Bundesregierung den Entwurf eines Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG 1975) mit Begründung dem Bundesrat zugeleitet (Bundesrats-Drucksache 701/73). In diesem Entwurf war unter anderem vorgesehen, die bisherige Befreiungsvorschrift des § 2 Nr. 3a KraftStG zu erweitern und die Befreiungstatbestände in Anlehnung an das Abfallbeseitigungsgesetz vom 7. Juni 1972 neu zu formulieren (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs S. 36, zu Abs. 1 Nr. 5).
b) Das FG konnte sich im Rahmen eines Prozesses nicht die Erkenntnisquellen erschließen, die ein Gesetzgebungsausschuß benutzen kann und muß (vgl. z. B. den Erlaß über die Einrichtung eines Rates von Sachverständigen für Umweltfragen bei dem Bundesminister des Innern vom 28. Dezember 1971, Gemeinsames Ministerialblatt 1972 S. 27). Es konnte sich infolgedessen nicht jene umfassende Sachkunde verschaffen, die erforderlich war, um beurteilen zu können, ob und gegebenenfalls auf welche Weise, in welchem Umfange, unter welchen Voraussetzungen die schadlose Beseitigung insbesondere jener Abfälle begünstigt werden soll, die nach Art, Beschaffenheit oder Menge in besonderem Maße gesundheits-, luft- oder wassergefährdend, explosibel oder brennbar sind oder Erreger übertragbarer Krankheiten enthalten oder hervorbringen können. Es konnte beispielsweise schwerlich beurteilen, ob die schadlose Beseitigung der bezeichneten Abfälle durch eine Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer begünstigt werden sollte oder - wie etwa die Sicherung der Altölbeseitigung - durch laufende Zuschüsse aus einem Rückstellungsfonds (vgl. §§ 1, 2, 4 des Altölgesetzes i. d. F. vom 11. Dezember 1979, BGBl I 1979, 2113) oder durch andere finanzielle Förderungsmaßnahmen, z. B. durch Mittel aus dem ERP-Sondervermögen (vgl. Bekanntmachung der Allgemeinen Bedingungen für die Vergabe von ERP-Mitteln sowie der Richtlinien zur Gewährung von ERP-Darlehen vom 9. Juli 1979 durch den Bundesminister für Wirtschaft, Anlage 15, Bundesanzeiger - BAnz - vom 25. Juli 1979 Nr. 136 S. 1 Spalte 3 und S. 4 Spalte 2) oder durch Investitionskredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (vgl. dazu Kumpf/Maas/Straub, Müll- und Abfallbeseitigung, 1964/1980, Kennzahl 0400 - 0445).
c) Dem Gesetzgeber stand eine angemessene Zeit zur Verfügung, in der er Erfahrungen sammeln und die gesetzliche Regelung schrittweise fortbilden konnte. Seine Erfahrungen im Bemühen um eine geordnete Abfallbeseitigung spiegeln sich wider im "Umweltbericht 1976" der Bundesregierung (Bundestags-Drucksache 7/5684 S. 52 bis 85) und im "Umweltgutachten 1978" der Bundesregierung (Bundestags-Drucksache 8/1938 S. 176 bis 232). Als gesetzliche Schritte zur Fortbildung des Abfalleseitigungsrechts folgten dem Abfallbeseitigungsgesetz vom 7. Juni 1972 (BGBl I, 873) z. B. die Abfallnachweis-Verordnung vom 29. Juli 1974 (BGBl I, 1574), die Abfallbeförderungs-Verordnung vom 29. Juli 1974 (BGBl I, 1581) und die Verordnung zur Bestimmung von Abfällen nach § 2 Abs. 2 des Abfallbeseitigungsgesetzes vom 24. Mai 1977 (BGBl I, 773). In der Anlage zu dieser zuletzt genannten Verordnung sind erstmals jene Sonderabfälle, an deren Beseitigung das Gesetz zusätzliche Anforderungen stellt, nach Abfallarten, Eigenschaften. Herkunft und Abfallschlüsselnummern aufgeführt. Diese Gesetzesentwicklung auf dem Gebiete des Abfallbeseitigungsrechts abzuwarten konnte dem Steuergesetzgeber zweckmäßig erscheinen, weil es gegen deren Ende leichter als an deren Anfang war, mit Hilfe des gesetzestechnischen Mittels der Verweisung eine genaue und mit den Begriffen des Abfallbeseitigungsrechts übereinstimmende Befreiungsvorschrift für das Kraftfahrzeugsteuergesetz zu formulieren.
8. Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die Klage ist abzuweisen, denn der angefochtene Bescheid ist aus den dargelegten Gründen rechtmäßig.
Fundstellen
Haufe-Index 73628 |
BStBl II 1980, 677 |
BFHE 1981, 243 |