Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des § 2 Abs. 1 AIG bei Verlusten und späteren Gewinnen aus einer Betriebsstätte in Marokko
Leitsatz (amtlich)
Unterhält eine inländische Personenhandelsgesellschaft eine Betriebsstätte in Marokko, und haben die Gesellschafter für den Betriebsstättenverlust den Abzug nach § 2 Abs.1 Satz 1 AIG in Anspruch genommen, so ist bei ihnen eine Hinzurechnung nach § 2 Abs.1 Satz 3 AIG vorzunehmen, wenn in der Betriebsstätte später ein Gewinn entsteht. Daß nach marokkanischem Steuerrecht die Personenhandelsgesellschaft selbst einkommensteuerpflichtig ist und frühere Verluste bei Ermittlung ihres Einkommens zu berücksichtigen sind, steht dem nicht entgegen.
Orientierungssatz
Inländische Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte: Der Abzugsbetrag nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AIG, der von den Gesellschaftern der Personengesellschaft in Anspruch genommen werden kann, ist in der einheitlichen Gewinnfeststellung auszuweisen. Im Gewinnfeststellungsverfahren ist auch über einen Hinzurechnungsbetrag nach § 2 Abs. 1 Satz 3 AIG und über ein Unterbleiben der Hinzurechnung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 AIG zu entscheiden.
Normenkette
AuslInvG § 2 Abs. 1 S. 1; DBA MAR Art. 7, 10, 23; AuslInvG § 2 Abs. 1 Sätze 3-4; AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2a
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 26.06.1985; Aktenzeichen 1 K 75/84) |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, unterhielt eine Betriebsstätte in Marokko. Sie erwirtschaftete aus dieser Betriebsstätte Verluste, die ihre Gesellschafter entsprechend § 2 Abs.1 Satz 1 des Auslandsinvestitionsgesetzes (AIG) vom 18.August 1969 (BGBl I, 1211, 1214) im Rahmen ihrer Einkommensteuerveranlagungen geltend machten; der Abzugsbetrag und seine Aufteilung auf die Gesellschafter waren in den Gewinnfeststellungsbescheiden der Klägerin festgehalten. Im Jahre 1977 veräußerte die Klägerin ihre Betriebsstätte und erzielte dabei einen Veräußerungsgewinn von 3 761 192,36 DM. In dieser Höhe nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) innerhalb der Gewinnfeststellung 1977 unter Hinweis auf § 2 Abs.1 Satz 3 AIG eine Hinzurechnung vor und verteilte den Hinzurechnungsbetrag auf die Gesellschafter. Das FA bezeichnete den hinzugerechneten Betrag zunächst als tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn. Nach einer Außenprüfung berichtigte das FA diese unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Feststellung; es bezeichnete den Hinzurechnungsbetrag nunmehr als laufenden Gewinn.
Mit der hiergegen erhobenen Sprungklage machte die Klägerin geltend, daß nach § 2 Abs.1 Satz 4 AIG eine Hinzurechnung dann nicht in Betracht komme, wenn der Steuerpflichtige nachweise, daß nach den für ihn geltenden Vorschriften des ausländischen Staates ein Abzug in anderen Jahren als dem Verlustjahr allgemein nicht beansprucht werden könne. Marokko behandle eine Kommanditgesellschaft als einkommensteuerpflichtig; ein Verlustabzug in späteren Jahren komme deswegen nur für sie, nicht für ihre Gesellschafter in Betracht. Nach deutschem Recht seien aber die Gesellschafter als Steuerpflichtige anzusehen. Jedenfalls müsse die Tarifvergünstigung nach den §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewährt werden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; seine Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1985, 562 veröffentlicht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 2 Abs.1 Satz 1 AIG kann ein Steuerpflichtiger einen Verlust, der sich nach den Vorschriften des EStG bei Einkünften ergibt, die er als unbeschränkt Steuerpflichtiger in einer ausländischen Betriebsstätte erzielt und die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) von der Einkommensteuer zu befreien wären, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte insoweit abziehen, als er nach dem DBA zu befreiende positive Einkünfte aus anderen in dem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten übersteigt. Der Abzug kann auch von den Gesellschaftern einer Personengesellschaft in Anspruch genommen werden, die eine ausländische Betriebsstätte unterhält; maßgebend ist dabei der auf den Gesellschafter entfallende Anteil am Gewinn der ausländischen Betriebsstätte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24.Februar 1988 I R 95/84, BFHE 153, 101, BStBl II 1988, 663). Dieser Abzugsbetrag wird gemäß § 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.a der Abgabenordnung (AO 1977) in der einheitlichen Gewinnfeststellung der Gesellschaft ausgewiesen.
Der nach Satz 1 der Vorschrift abgezogene Betrag ist jedoch gemäß § 2 Abs.1 Satz 3 AIG dem Gesamtbetrag der Einkünfte wieder hinzuzurechnen, soweit sich in einem der nachfolgenden Veranlagungszeiträume bei den nach dem DBA zu befreienden Einkünften aus den in dem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten insgesamt ein positiver Betrag ergibt. Für die Gesellschafter einer Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte ist insoweit wiederum ihr gesondert festzustellender Anteil an diesem Hinzurechnungsbetrag maßgebend. Die Hinzurechnung unterbleibt nach Satz 4 AIG nur dann, wenn der Steuerpflichtige nachweist, daß nach den für ihn geltenden Vorschriften des ausländischen Staates ein Abzug von Verlusten in anderen Jahren als dem Verlustjahr allgemein nicht beansprucht werden kann; auch hierüber ist im Falle einer Personengesellschaft im Verfahren der gesonderten Gewinnfeststellung zu entscheiden.
2. Die Vorschriften über Abzug und Hinzurechnung sind auch anzuwenden, wenn der ausländische Staat eine inländische Personengesellschaft als selbständig steuerpflichtig ansieht und den von ihr erzielten Gewinn nicht bei den Einkünften der Gesellschafter, sondern als Einkommen der Gesellschaft besteuert. Auf die Gewährung des Abzugsbetrags hat dies keinen Einfluß, weil die Einkünfte aus der ausländischen Betriebsstätte gemäß Satz 1 nach den Vorschriften des EStG berechnet und damit auch der Abzugsbetrag ungeachtet der ausländischen Beurteilung der Personengesellschaft auf die Gesellschafter aufgeteilt wird. Entsprechendes gilt für den Hinzurechnungsbetrag; er ist nach den Vorschriften des deutschen Einkommensteuerrechts zu ermitteln und auf die Gesellschafter aufzuteilen (vgl. BFH-Urteil vom 2.März 1989 IV R 128/86, BFHE 156, 187, BStBl II 1989, 543); hierfür ist wiederum bedeutungslos, ob das ausländische Steuerrecht die Personengesellschaft als steuerpflichtig ansieht. Auf das ausländische Steuerrecht stellt dagegen die Ausnahmebestimmung in Satz 4 ab; danach ist von der Hinzurechnung abzusehen, wenn nach den für den Steuerpflichtigen geltenden Vorschriften des ausländischen Staates ein Abzug von Verlusten in anderen Jahren als dem Verlustjahr allgemein nicht beansprucht werden kann.
Die Klägerin folgert hieraus, daß die Hinzurechnung unterbleiben müsse, wenn der ausländische Staat die Personengesellschaft als steuerpflichtig ansehe und einen Verlustabzug nur ihr, nicht aber den nach Inlandsrecht steuerpflichtigen Gesellschaftern zugestehe. Diese Auslegung hätte zur Folge, daß die Gesellschafter einer im Ausland als steuerpflichtig behandelten Personengesellschaft durchweg den Abzug nach Satz 1 vornehmen können, ohne eine spätere Hinzurechnung nach Satz 3 befürchten zu müssen. Ihr ist nicht zuzustimmen.
3. § 2 Abs.1 Satz 4 AIG geht davon aus, daß das ausländische Steuerrecht Vorschriften über einen Verlustabzug für denjenigen Steuerpflichtigen enthält, bei dem nach § 2 Abs.1 Sätze 1 bis 3 AIG der Abzug und die Hinzurechnung vorgenommen werden. Ist dies nicht der Fall, weil das ausländische Recht den Betreffenden nicht als Steuerpflichtigen ansieht, würde eine nur am Wortlaut orientierte Auslegung zu dem Ergebnis kommen, daß die Ausnahmevorschrift des Satzes 4 im Streitfall nicht zur Anwendung kommen kann; denn der Gesellschafter kann nach ausländischem Recht den Verlustabzug weder im Verlustjahr noch in einem anderen Jahr in Anspruch nehmen. Dies würde dem Zweck der Regelung aber nicht gerecht werden.
§ 2 Abs.1 AIG will den unbeschränkt Steuerpflichtigen einen Ausgleich für Nachteile gewähren, die sich aus der Anwendung von DBA ergeben können. Sind nach einem derartigen Abkommen nämlich die Einkünfte aus einer ausländischen Betriebsstätte von der inländischen Einkommen- und Körperschaftsteuer befreit, kann auch ein in der Betriebsstätte erwirtschafteter Verlust bei der inländischen Besteuerung nicht berücksichtigt werden; zu derartigen Verlusten kommt es im Anfang insbesondere nach der Vornahme von Investitionen. Dies wäre bei einem abkommenslosen Zustand anders; zur Erleichterung von Auslandsinvestitionen gewährt deshalb § 2 Abs.1 Satz 1 AIG den Abzug, stellt dabei allerdings auf das Gesamtergebnis der im ausländischen Staat vorhandenen Betriebsstätten ab (vgl. BFH-Urteile vom 28.April 1983 IV R 122/79, BFHE 138, 366, BStBl II 1983, 566, und vom 5.Juni 1986 IV R 268/82, BFHE 146, 447, BStBl II 1986, 659; BTDrucks V/4287, S.6). Andererseits soll die Vorschrift im Vergleich zu einem abkommenslosen Zustand nicht zu einer Steuervergünstigung führen. Dies würde eintreten, wenn der im Abzugsbetrag berücksichtigte Verlust in der Folge auch im Ausland durch Absetzung von späteren Gewinnen steuermindernd geltend gemacht werden kann; deswegen ordnet das Gesetz bei späteren Gewinnen aus Betriebsstätten im Auslandsstaat die Hinzurechnung des Abzugsbetrags an, sofern nach ausländischem Recht nicht nachweislich ein Abzug früherer Verluste ausgeschlossen ist. Die Regelung hat in diesem Fall nur die Wirkung einer Steuerstundung (BFH-Urteil vom 8.März 1989 X R 181/87, BFHE 156, 190, BStBl II 1989, 541).
Dieser Gesetzeszweck verlangt die Anwendung der Hinzurechnungsvorschrift auch dann, wenn der ausländische Staat die inländische Personengesellschaft als einkommensteuerpflichtig behandelt. Sieht das ausländische Steuerrecht hinsichtlich des Betriebsstättengewinns eine Minderung um frühere Verluste vor, erlangen die Gesellschafter einer Personengesellschaft durch die Verminderung der ausländischen Steuer auf den Betriebsstättengewinn einen Vorteil, da sich der ihnen zur Verfügung stehende Gesellschaftsgewinn entsprechend erhöht; hierin besteht kein Unterschied gegenüber dem Zustand, daß das ausländische Steuerrecht die Gesellschafter der Personengesellschaft als Steuerpflichtige betrachtet und ihnen einen Verlustabzug gewährt. Hat aber die steuerliche Behandlung der Personengesellschaft im Ausland auf die Belastung des Betriebsstättengewinns keinen Einfluß, muß die Hinzurechnung nach § 1 Abs.1 Satz 4 AIG auch vorgenommen werden, wenn nach dem Recht des Auslandsstaates die Personengesellschaft einkommensteuerpflichtig ist.
4. Hiernach mußte auch im Streitfall eine Hinzurechnung erfolgen. Nach Art.7 und 23 des DBA zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko --DBA-Marokko-- (vom 7.Juni 1972, BGBl II 1974, 22) werden die Einkünfte und damit auch die Verluste aus der ausländischen Betriebsstätte der marokkanischen Besteuerung zugewiesen und von der deutschen Besteuerung freigestellt. Die Klägerin hat deshalb zu Recht für ihre Gesellschafter den Verlustabzug des § 2 Abs.1 Satz 1 AIG in Anspruch genommen. Sie hat in der Folge durch die Veräußerung ihrer Betriebsstätte Gewinne erzielt. Wie vom FG festgestellt und von der Klägerin in der Revisionsinstanz nicht bestritten, konnte der Betriebsstättengewinn nach marokkanischem Recht grundsätzlich um frühere Verluste verringert werden. Damit sind die Voraussetzungen einer Hinzurechnung nach § 2 Abs.1 Satz 4 AIG gegeben, ohne daß es darauf ankäme, daß der Gewinn aus der Veräußerung der Betriebsstätte --wie allerdings anzunehmen-- um die früheren Verluste verringert worden ist. Daß die Klägerin nach marokkanischem Recht als einkommensteuerpflichtig behandelt wird, hat hierauf, wie erläutert, keinen Einfluß.
Die Klägerin hat im Revisionsverfahren geltend gemacht, daß nach dem maßgebenden marokkanischen Steuerrecht Ausschüttungen an ihre Gesellschafter der Einkommensteuer unterliegen würden. Die Klägerin ist jedoch nicht in Marokko ansässig und hat dort keine Ausschüttungen vorgenommen. Sollten nach marokkanischem Steuerrecht auch Ausschüttungen einer im Ausland ansässigen --in Marokko lediglich tätigen-- Personengesellschaft steuerpflichtig sein, so wären diese Ausschüttungen als Dividenden i.S. des Art.10 DBA-Marokko zu betrachten (vgl. Korn/Debatin, Doppelbesteuerung, Bd.I, Systematik IV Rdnr.137 ff.). Da die Gesellschafter nicht in Marokko ansässig sind, stünde der dortigen Besteuerung der Ausschüttungen Art.10 Abs.1 DBA-Marokko entgegen.
5. Zu Recht hat das FG auch entschieden, daß für den Hinzurechnungsbetrag, obwohl er möglicherweise auf die Veräußerung eines Teilbetriebes zurückgeht, die von der Klägerin begehrte Tarifvergünstigung nach § 34 Abs.2 EStG nicht gewährt werden kann. Dies widerspräche dem Sinn der Hinzurechnungsbesteuerung. Der Senat hat hierzu in seiner Entscheidung in BFHE 156, 187, BStBl II 1989, 543 Ausführungen gemacht, auf die verwiesen wird. Wie sich aus der Entscheidung des X.Senats in BFHE 156, 190, BStBl II 1989, 541 ergibt, kommt auch die Gewährung von Freibeträgen nach § 16 Abs.4 EStG nicht in Betracht, über die ebenfalls im Gewinnfeststellungsverfahren zu befinden wäre (vgl. BFH-Urteil vom 10.Juli 1986 IV R 12/81, BFHE 147, 63, BStBl II 1986, 811).
Fundstellen
Haufe-Index 62557 |
BFH/NV 1990, 18 |
BStBl II 1990, 204 |
BFHE 159, 60 |
BFHE 1990, 60 |
BB 1990, 412 (L1) |
DB 1990, 568 (T) |
DStR 1990, 144 (KT) |
HFR 1990, 171 (LT) |