Entscheidungsstichwort (Thema)
Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge während des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens
Leitsatz (NV)
1. Eine unwirksame Einspruchsentscheidung schließt das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren nicht ab.
2. Nach der Vollbeendigung einer OHG (KG) kann eine Einspruchsentscheidung nicht mehr wirksam an die OHG (KG), die den Einspruch gegen einen Umsatzsteuerbescheid eingelegt hatte, bekanntgegeben werden. Die Einspruchsentscheidung ist an den früheren Gesellschafter der OHG (KG) zu richten, der nach dem Ausscheiden der Mitgesellschafter Gesamtrechtsnachfolger der OHG (KG) geworden ist.
Normenkette
AO 1977 § 45; StAnpG § 8; FGO § 44
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Rechtsnachfolger der X-OHG, die Grundstücksvermittlung betrieb.
Die Beteiligten streiten, ob die X-OHG Provisionsanteile aus der Vermittlung von Grundstücken in den Jahren 1963 bis 1966 für mitbeteiligte Makler (Mitmakler) als durchlaufende Posten erklären durfte oder als Entgelte für steuerpflichtige Umsätze behandeln mußte.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bezog in den Umsatzsteuersammelbescheid für 1963 bis 1966 an die X-OHG vom 25. Juni 1968 auch die Provisionsanteile für an Gemeinschaftsgeschäften beteiligte Mitmakler in die Bemessungsgrundlage ein. Mit dem Einspruch begehrte die X-OHG, die Provisionsanteile für Mitmakler als durchlaufende Posten nicht zu besteuern.
Das FA wies den Einspruch in den an die X-OHG adressierten Einspruchsentscheidungen vom 4. Juni 1976 zurück. Dagegen erhob der Kläger Klage.
Er beantragte, die Umsatzsteuer abweichend von den Umsatzsteuerbescheiden 1963 bis 1966 festzusetzen.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) änderte die Umsatzsteuerbescheide 1963 bis 1966 antragsgemäß.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung formellen (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und materiellen Rechts (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1951, §§ 428, 652 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es auf einer Verletzung von § 44 Abs. 1 FGO beruht.
Nach dieser Vorschrift ist ,,in Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, . . . die Klage nur zulässig, wenn das Verfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf erfolglos geblieben ist". Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren muß durch eine Rechtsbehelfsentscheidung gegen den Rechtsbehelfsführer abgeschlossen werden. Die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ist eine Sachurteilsvoraussetzung. Ihr Vorliegen ist auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachten. Die dafür notwendigen Tatsachen darf das Revisionsgericht selbst feststellen.
a) Eine gegen den Kläger gerichtete Einspruchsentscheidung fehlt im Streitfall.
Die vorhandenen Einspruchsentscheidungen richten sich gegen die X-OHG, die den Einspruch im Jahre 1968 zulässig eingelegt hatte, im Zeitpunkt der Zustellung der Einspruchsentscheidungen im Jahre 1976 aber nicht mehr Einspruchsführerin war.
Aus dem Schriftsatz des FA vom 6. September 1976 im Klageverfahren sowie aus dem Betriebsprüfungsbericht vom 14. Juni 1975 geht hervor, daß die X-OHG ab 1. Januar 1970 als X-KG mit den Gesellschaftern A als persönlich haftender Gesellschafter und B als Kommanditist betrieben worden ist. Aus den bei dem FA am 9. Juni 1975 und 16. September 1975 eingegangenen Umsatzsteuererklärungen der X-KG für die Zeit vom 1. Januar bis 11. August 1974 und für die Einzelfirma B, Inhaber A, für die Zeit vom 12. August 1974 bis 31. Dezember 1974 sowie aus dem vorerwähnten Schriftsatz des FA ist ersichtlich, daß der Kaufmann A die X-KG als Einzelfirma fortführte.
Der unter seiner Firma klagende Kaufmann A war danach als Gesamtrechtsnachfolger der X-OHG und der X-KG gegen die erwähnten Verwaltungsakte des FA klagebefugt (§ 40 Abs. 2 FGO). Die Umwandlung der X-OHG in die X-KG führte nur zur Änderung der Unternehmensform, aber nicht zu einer Änderung in der Person des Unternehmers; die Identität des Steuersubjekts blieb gewahrt (vgl. Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, 3. Aufl., § 1 Rdnr. 131). Durch das Ausscheiden des Mitgesellschafters B aus der X-KG wuchs dessen Gesellschaftsanteil dem anderen Gesellschafter A - dem Kläger - an (§ 738 Abs. 1 Satz 1 BGB, §§ 105 Abs. 2, 142, 161 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches - HGB). Hierdurch wurde das Gesellschaftsvermögen der X-KG durch einen einheitlichen Vorgang Alleinvermögen des übernehmenden Gesellschafters A (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. September 1980 V R 175/74, BFHE 132, 348, BStBl II 1981, 293, m.w.N.). Damit trat die Vollbeendigung der X-KG ein. Verwaltungsakte konnten an sie nicht mehr wirksam bekanntgegeben werden (Urteil in BFHE 132, 348, BStBl II 1981, 293). Der als Alleininhaber zurückbleibende frühere Gesellschafter A wurde Gesamtrechtsnachfolger der X-KG. Der Gesamtrechtsnachfolger wurde anstelle seines Rechtsvorgängers Steuerschuldner. Er war befugt, gegen Steuerbescheide, die sich gegen seinen Rechtsvorgänger richten, zu klagen, weil er nach § 8 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) - § 45 der Abgabenordnung (AO 1977) - sachlich-rechtlich und verfahrensrechtlich in die abgabenrechtliche Stellung des Rechtsvorgängers eintrat.
Durch den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge am 12. August 1974 wurde das von der X-OHG eingeleitete Einspruchsverfahren wegen der bestehenden Vertretung durch einen Prozeßbevollmächtigten zwar nicht unterbrochen (§ 238 der Reichsabgabenordnung - AO - i.V.m. §§ 239, 246 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, die im Rechtsbehelfsverfahren entsprechend gelten; vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 2751, 2754). Es trat aber ein Wechsel der am Rechtsbehelfsverfahren Beteiligten ein (vgl. BFH-Urteil vom 14. August 1959 IV 24/57, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Steueranpassungsgesetz, § 8, Rechtsspruch 5). Einspruchsführer war nach dem Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge nicht mehr die X-OHG oder die X-KG, sondern der Kaufmann A. An ihn hat das FA aber keine Einspruchsentscheidungen gerichtet. Die an die X-OHG ergangenen Einspruchsentscheidungen waren an einen im Zeitpunkt der Bekanntgabe rechtlich nicht mehr vorhandenen und deshalb nicht mehr am Verfahren Beteiligten gerichtet. Der Kläger hat danach Klage erhoben, ohne daß gegen ihn eine Einspruchsentscheidung erlassen worden war.
b) Die an die X-OHG gerichteten Einspruchsentscheidungen können nicht als Einspruchsentscheidungen gegen den Kläger angesehen werden.
Für die Einspruchsentscheidung gelten die Vorschriften über Verwaltungsakte (§§ 210 b, 211, 212, 91 AO; §§ 118 ff. AO 1977) sinngemäß. Sie ist selbst ein Verwaltungsakt, der bestimmt, unzweideutig und vollständig den Willen der Behörde ausdrücken und damit auch klar erkennen lassen muß, an wen er sich richtet. Fehler in der Bezeichnung des Steuerschuldners im Verwaltungsakt können durch Richtigstellung im weiteren Verfahren nicht geheilt werden, auch nicht dadurch, daß sich der Empfänger als Adressat angesehen hat (BFH-Beschluß vom 21. Oktober 1985 GrS 4/84, BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230 m.w.N.). Nach Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge ist ein Verwaltungsakt an den Rechtsnachfolger zu richten. Ein an den Rechtsvorgänger gerichteter Verwaltungsakt ist allenfalls dann wirksam, wenn er mit dem Zusatz versehen ist ,,zu Händen des Rechtsnachfolgers . . ." (BFH-Urteil vom 24. März 1970 I R 141/69, BFHE 98, 531, BStBl II 1970, 501 m.w.N.).
Lediglich bei einer formwechselnden Umwandlung (OHG in KG) ist die Angabe der Gesellschaft unter dem Namen der alten Rechtsform als unrichtige Bezeichnung berichtigungsfähig.
c) Die unwirksame Einspruchsentscheidung konnte das Vorverfahren gegen den Kläger nicht abschließen. Ohne erfolglos abgeschlossenes Vorverfahren war die auf Ermäßigung der Steuerfestsetzung gerichtete Anfechtungsklage des Klägers unzulässig. Die widerspruchslose Einlassung des FA auf die Klage und der Klageabweisungsantrag des FA im finanzgerichtlichen Verfahren konnten das erforderliche Vorverfahren nach § 44 Abs. 1 FGO nicht ersetzen. Die Voraussetzungen nach §§ 45, 46 FGO für eine Klage ohne Vorverfahren liegen im Streitfall nicht vor.
d) Der Kläger durfte jedoch gegen den an die Z-OHG gerichteten Umsatzsteuersammelbescheid 1963 bis 1966 vom 25. Juni 1968 und gegen die an die X-OHG gerichteten Einspruchsentscheidungen betreffend Umsatzsteuer 1963 bis 1966 vom 4. Juni 1976 am 7. Juli 1976 zulässig vor dem FG klagen. Er kann geltend machen, durch die Umsatzsteuerbescheide 1963 bis 1966 und durch den von den Einspruchsentscheidungen ausgehenden Schein der Rechtswirksamkeit als Rechtsnachfolger der X-OHG in seinen Rechten verletzt worden zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO).
2. Die Vorentscheidung, die auf anderen Rechtsüberlegungen beruht, war aufzuheben.
Der Senat kann nicht selbst auf Aufhebung der nichtigen Einspruchsentscheidung erkennen, weil nur das FA Revision eingelegt hat und sein Revisionsantrag auf Aufhebung der Vorentscheidung oder Zurückverweisung der Sache an das FG geht.
Der Senat verweist die Sache an das FG zurück. Im Verfahren vor dem FG hat der Kläger die Möglichkeit, die Beseitigung der nichtigen Einspruchsentscheidung zu beantragen und dadurch eine Klageabweisung zu vermeiden.
Fundstellen
Haufe-Index 414654 |
BFH/NV 1987, 111 |