Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlängerung der Klagefrist bei vermutetem Zugang der Einspruchsentscheidung am Wochenende
Leitsatz (NV)
Die Dreitagesfrist zwischen der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post und seiner vermuteten Bekanntgabe (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977) verlängert sich, wenn das Fristende auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend fällt, bis zum nächstfolgenden Werktag (Anschluss an BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898).
Normenkette
AO 1977 § 108 Abs. 3, § 122 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids, den der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) gegen den Kläger und Revisionskläger (Kläger) erlassen hat. Das FA wies den Einspruch des Klägers gegen diesen Bescheid zurück und sandte die Einspruchsentscheidung am 19. Juli 2001 an die Bevollmächtigten des Klägers ab. Zugleich lehnte es einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids ab; der Ablehnungsbescheid ist ausweislich des Eingangsstempels der Bevollmächtigten am 23. Juli 2001 (Montag) bei diesen eingegangen.
Am 23. August 2001 erhob der Kläger eine Klage gegen den Haftungsbescheid, die das Finanzgericht (FG) als unzulässig verwarf. Zur Begründung führte das FG aus, die Klagefrist von einem Monat sei am 22. Juli 2001 angelaufen und durch die am 23. August 2003 eingegangene Klageschrift nicht gewahrt worden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 820 abgedruckt.
Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger Verfahrensfehler des FG sowie eine Verletzung des § 108 der Abgabenordnung (AO 1977). Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das FG. Dieses hat die Klage zu Unrecht als unzulässig angesehen.
1. Nach § 47 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist eine Anfechtungsklage binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu erheben. Letztere gilt wiederum bei einem schriftlichen Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, regelmäßig als am dritten Tag nach Aufgabe des Schriftstücks zur Post erfolgt (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Das FG hat in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) angenommen, dass diese Bekanntgabevermutung auch dann eingreife, wenn der sich aus ihr ergebende Tag der Bekanntgabe ―wie im Streitfall― ein Sonntag ist.
2. Inzwischen hat der BFH jedoch die genannte Rechtsprechung aufgegeben. Der IX. Senat des BFH hat hierzu entschieden, dass im Rahmen der Bestimmung des Bekanntgabezeitpunkts nach § 122 AO 1977 u.a. § 108 Abs. 3 AO 1977 zu beachten ist. Danach endet eine Frist, deren Ende auf einen Sonntag fällt, erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages. Nach Ansicht des IX. Senats ist deshalb in Fällen, in denen der sich aus § 122 Abs. 2 AO 1977 ergebende Bekanntgabezeitpunkt auf einen Sonntag fällt, von einer Bekanntgabe am nächsten Werktag auszugehen (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898). Diejenigen Senate des BFH, die bisher eine abweichende Auffassung vertreten hatten, haben der Rechtsprechungsänderung zugestimmt (BFH-Beschluss vom 23. September 2003 IX R 68/98, BFH/NV 2003, 1461). Der erkennende Senat schließt sich der Ansicht des IX. Senats ebenfalls an.
3. Im Streitfall hat das FA seine Einspruchsentscheidung am 19. Juli 2001 zur Post gegeben. Der dritte darauf folgende Tag, der 22. Juli 2001, war ein Sonntag. Aus § 122 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 108 Abs. 3 AO 1977 folgt daher, dass die Einspruchsentscheidung als am anschließenden Montag, also am 23. Juli 2001 bekannt gegeben gilt. Durch die am 23. August 2001 eingegangene Klageschrift wurde die Klagefrist mithin gewahrt.
Andere Umstände, die zur Unzulässigkeit der Klage führen könnten, sind weder vom FG festgestellt worden noch aus dem sonstigen Akteninhalt erkennbar. Die vom Kläger erhobene Klage war daher zulässig.
4. Das FG hat, auf der Basis seiner Rechtsauffassung folgerichtig, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nicht geprüft. Das wird nunmehr nachzuholen sein. Zu diesem Zweck werden das angefochtene Urteil aufgehoben und das Verfahren an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen