Entscheidungsstichwort (Thema)
USt-Befreiung der Personalgestellung durch ein Krankenhaus
Leitsatz (amtlich)
1. Die Personalgestellung durch ein Krankenhaus an eine Arztpraxis kann ein mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundener Umsatz sein, wenn die Personalgestellung für die ärztliche Versorgung der Krankenhauspatienten unerlässlich ist.
2. Ein mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundener Umsatz kann in Ausnahmefällen sogar dann vorliegen, wenn die Arztpraxis nicht nur die Krankenhauspatienten, sondern auch andere Patienten versorgt. Ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, kann nur unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.
Normenkette
UStG 1993 § 4 Nr. 16; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein Zweckverband, hatte bis zum 14. Dezember 1992 in seinem Krankenhaus eine eigene Abteilung für Röntgendiagnostik, Strahlentherapie und Nuklearmedizin. Im Jahre 1992 gab er diese Abteilung zugunsten der "Gemeinschaftspraxis Dr. med. P, Arzt für Radiologie, und Kollegen" auf. Diese erwarb die Geräte und übernahm als Arbeitgeberin das bisher in dieser Abteilung beschäftigte Personal, soweit es mit dem Wechsel des Arbeitgebers einverstanden war. Die Mitarbeiter, die nicht von der Gemeinschaftspraxis übernommen werden wollten, überließ der Kläger der Gemeinschaftspraxis im Wege der Personalgestellung gegen Zahlung der vom Kläger für dieses Personal tatsächlich verausgabten Personalkosten und einen Zuschlag von 0,5 v.H. für den Verwaltungsaufwand des Klägers. Die Einzelheiten wurden in einem von den Vertretern des Klägers und Dr. P unterzeichneten Kooperationsvertrag geregelt.
Die Gemeinschaftspraxis wurde ―wie zuvor― in den Räumen des Krankenhauses ausgeübt, die die Gemeinschaftspraxis nunmehr vom Kläger mietete. Von der Praxisgemeinschaft wurden die stationären, ambulanten sowie sonstige Patienten des Krankenhauses untersucht, die wahlärztliche Leistungen in Anspruch nahmen. Bei der Honorarabrechnung gegenüber Patienten, die wahlärztliche Leistungen in Anspruch nahmen, zog die Praxisgemeinschaft 15 v.H. gemäß § 6a der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ab, wonach die Gebühren von Belegärzten oder anderen niedergelassenen Ärzten bei vollstationären, teilstationären sowie vor- und nachstationären privatärztlichen Leistungen um 15 v.H. zu mindern sind. In der Praxisgemeinschaft waren im Streitjahr ausschließlich Ärzte als Gesellschafter tätig. Bei den von der Praxisgemeinschaft gegenüber dem Kläger erbrachten Leistungen handelte es sich ausschließlich um steuerbefreite Umsätze nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG).
Der Kläger behandelte die Personalgestellung an die Gemeinschaftspraxis als nach § 4 Nr. 16 UStG steuerfrei.
Demgegenüber vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) die Ansicht, die Personalgestellung sei steuerpflichtig und setzte gegenüber dem Kläger entsprechend die Umsatzsteuervorauszahlungen für das 3. Kalendervierteljahr 1992 fest. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Während des Klageverfahrens setzte das FA die Jahresumsatzsteuer fest und unterwarf ebenfalls die Personalgestellung der Umsatzsteuer. Der Jahressteuerbescheid wurde Gegenstand des Klageverfahrens.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2002, 1410). Es meinte, die Personalgestellung an die Praxisgemeinschaft sei ein mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundener Umsatz i.S. des § 4 Nr. 16 UStG. Dies ergebe sich daraus, dass auch nach der Aufgabe der eigenen Abteilung für Röntgendiagnostik, Strahlentherapie und Nuklearmedizin diese ärztliche Betreuung weiterhin den Patienten des Krankenhauses als Leistung des Krankenhauses angeboten werde. Denn nach dem Kooperationsvertrag trete nicht die Praxisgemeinschaft in unmittelbare Rechtsbeziehung zum Patienten. Vielmehr sei für jede Leistungserbringung der Praxis ein Auftrag des Krankenhausarztes erforderlich; die Praxis stelle die Rechnungen an das Krankenhaus. Durch die Verlagerung der nuklearmedizinischen Abteilung von einer eigenen Abteilung auf die Praxisgemeinschaft habe sich für den Patienten des Krankenhauses keine Veränderung in seiner Rechtsbeziehung zum Krankenhaus ergeben. Der Kooperationsvertrag stelle vielmehr sicher, dass vom Krankenhaus hinsichtlich der nuklearmedizinischen Versorgung des Patienten auch nach der Übernahme durch die Praxis keine Änderung eintrete. Die Personalgestellung für die Praxis stehe somit in einem engen Zusammenhang mit der dem Patienten vom Krankenhaus angebotenen ärztlichen Betreuung für den Bereich Röntgendiagnostik, Strahlentherapie und Nuklearmedizin. Die Personalgestellung diene nicht dazu, dem Kläger zusätzliche Einnahmen durch eine Tätigkeit zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb zu anderen gewerblichen Unternehmen stehen. Ein Wettbewerb zu Personalvermittlungsunternehmen bestehe nicht, weil es nicht das Ziel des Krankenhauses sei, für den nuklearmedizinischen Bereich Personal zu vermitteln. Die Personalgestellung habe vielmehr Übergangscharakter und sei in den arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen dem Krankenhaus zu seinen Mitarbeitern begründet.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es meint, das Urteil berücksichtige nicht, dass die Praxisgemeinschaft nicht nur und ausschließlich in Rechtsbeziehungen zum Kläger trete, sondern auch nach außen mit einem Praxisschild in Erscheinung trete, für jedermann ohne Rechtsbeziehung zum Kläger zugänglich sei und in erheblichem Umfang Leistungen sowohl gegenüber anderen Krankenhäusern und Kliniken als auch gegenüber Personen erbringe, die nicht Patienten des Klägers seien. Der Kooperationsvertrag sei zwar erforderlich gewesen, um die nuklearmedizinische Versorgung der Patienten des Klägers nach der Auslagerung der radiologischen Abteilung sicherzustellen. Insoweit sei der Betrieb der Radiologie für den Betrieb des Krankenhauses notwendig und unerlässlich. Dies gelte aber nicht für die Personalgestellung. Im Ergebnis lasse das angefochtene Urteil völlig offen, warum die Personalgestellung an die Praxisgemeinschaft für den Betrieb des Krankenhauses unerlässlich sein solle. Eine Steuerbefreiung der Personalgestellung führe zu möglichen Wettbewerbsverzerrungen. Entgegen der Ansicht des FG komme es für die Frage, ob das Krankenhaus mit der Personalgestellung zu Personalvermittlungsunternehmen in Wettbewerb trete, nicht auf die Zielsetzung an, die das Krankenhaus mit der Personalgestellung verfolge.
Das FA beantragt sinngemäß die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 4 Nr. 16 Buchst. a UStG sind die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn diese Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden.
Die Vorschrift beruht ―soweit hier von Interesse― auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
"die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt werden beziehungsweise bewirkt werden."
Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist die in Abs. 1 Buchst. b vorgesehene Steuerbefreiung ausgeschlossen, wenn
- sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind;
- sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.
2. Der Kläger ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts.
Das FG ist auch ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, dass die Personalgestellung durch ein Krankenhaus an eine Arztpraxis ein mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundener Umsatz sein kann, wenn die Personalgestellung für die ärztliche Versorgung der Krankenhauspatienten unerlässlich ist. Dies wird auch grundsätzlich von der Finanzverwaltung anerkannt (vgl. Abschn. 100 Abs. 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien ―UStR― 2005). Ein mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundener Umsatz kann in Ausnahmefällen sogar dann vorliegen, wenn die Arztpraxis nicht nur die Krankenhauspatienten, sondern auch andere Patienten versorgt (wie z.B. wohl die niedergelassenen Ärzte in Abschn. 100 Abs. 2 Nr. 5 UStR 2005).
Ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, kann nur unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, die in erster Linie dem FG obliegt. Allgemeine Aussagen, ob die Personalgestellung durch ein Krankenhaus an eine Laborgemeinschaft ein mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundener Umsatz ist (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25. Februar 1998 IV C 4 -S 7172- 5/98, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 1998, 164), erscheinen nicht möglich. Im Streitfall ist das FG jedenfalls ohne Rechtsverstoß zum Ergebnis gelangt, dass die Personalgestellung für die radiologische Behandlung der Krankenhauspatienten unerlässlich war, da dieses Personal für die radiologischen Untersuchungen der Krankenhauspatienten notwendig war und der Kläger seine Angestellten aus arbeitsvertraglichen Gründen nicht zwingen konnte, zu der Gemeinschaftspraxis überzuwechseln. Dies ist im Wesentlichen eine tatsächliche Würdigung des streitigen Sachverhalts, an die der Senat gebunden ist (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Auf die Frage, ob die Gemeinschaftspraxis nur die Krankenhauspatienten des Klägers behandelt hat, kommt es demnach nicht an.
Dem FA ist zwar einzuräumen, dass Steuerbefreiungsvorschriften grundsätzlich eng auszulegen sind. Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) jedoch entschieden hat, verlangt der Begriff der mit der Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG keine besonders enge Auslegung, da durch die Befreiung der eng mit der Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Umsätze gewährleistet werden soll, dass der Zugang zu solchen Behandlungen nicht durch höhere Kosten versperrt wird, die entstünden, wenn die Behandlungen selbst oder die eng mit ihnen verbundenen Umsätze der Mehrwertsteuer unterworfen wären (EuGH-Urteil vom 11. Januar 2001 Rs. C-76/99, Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-249, UR 2001, 62 Randnr. 23). Dies muss auch für § 4 Nr. 16 UStG gelten.
Der Senat kann auch nicht erkennen, dass die streitige Personalgestellung im Wesentlichen dazu bestimmt war, dem Kläger zusätzliche Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden. Ein unmittelbarer Wettbewerb mit einem gewerblichen Personalvermittlungsunternehmen scheidet bereits deshalb aus, weil die Mitarbeiter, um die es hier geht, nicht bereit waren, ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu beenden, und damit einem gewerblichen Personalvermittlungsunternehmen gar nicht zur Verfügung standen. Das FG hat einen schädlichen Wettbewerb i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b 2. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG zutreffend mit der Begründung verneint, dass die Personalgestellung im Streitfall nur Übergangscharakter hatte und in den arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen dem Krankenhaus und seinen Mitarbeitern begründet war. Der Kläger hat die bei ihm verbliebenen Mitarbeiter der ehemaligen Abteilung für Röntgendiagnostik, Strahlentherapie und Nuklearmedizin der Gemeinschaftspraxis nicht deshalb überlassen, um sich eine "zusätzliche Tätigkeit" als Personalvermittlungsunternehmen zu verschaffen, sondern um die im Krankenhaus selbst nicht mehr gebrauchten Mitarbeiter der ehemaligen Abteilung für Röntgendiagnostik, Strahlentherapie und Nuklearmedizin weiterhin sinnvoll zu beschäftigen.
Fundstellen
Haufe-Index 1326319 |
BFH/NV 2005, 652 |
BStBl II 2005, 507 |
BFHE 2005, 486 |
BFHE 208, 486 |
BB 2005, 650 |
DB 2005, 648 |
DStRE 2005, 526 |
DStZ 2005, 211 |
UR 2005, 254 |