Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Berichtigung eines Steuerbescheids wegen einer im maschinellen Veranlagungsverfahren unterlaufenen offenbaren Unrichtigkeit
Leitsatz (NV)
1. Im Laufe der Entstehung eines Verwaltungsakts unterlaufene offenbare Unrichtigkeiten, die nach § 129 AO 1977 berichtigt werden können, sind mechanische Fehler, die ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können, wie z. B. Übertragungsfehler.
2. Sie können auch in einem unbeabsichtigten unrichtigen Ausfüllen des Eingabewertbogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf oder in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisungen bestehen.
3. Eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 ist ausgeschlossen, wenn die nicht nur theoretische Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder bei der Anwendung einer Rechtsnorm besteht.
4. Ob ein mechanisches Versehen, ein Irrtum über den Programmablauf oder ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen - oder Rechtsirrtum vorliegt, muß nach den Verhältnissen des Einzelfalles beurteilt werden.
5. Es besteht kein Erfahrungssatz, wonach ein Sachbearbeiter, dem bekannt ist, daß der Steuerpflichtige das Wirtschaftsjahr umgestellt hat, für die Anwendung des Gewerbesteuergesetzes niemals irrtümlich die Regelungen anwendet, die für den Fall gelten, daß die Steuerpflicht endet.
Normenkette
AO 1977 § 129; GewStG § 10 Abs. 3, § 11 Abs. 6
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, stellte mit Zustimmung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) ihr Wirtschaftsjahr um, so daß sich ein Rumpfwirtschaftsjahr vom 1. Januar bis 31. März 1974 ergab. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung, die u. a. dieses Rumpfwirtschaftsjahr erfaßte, übersandte das FA der Klägerin im Februar 1976 den Betriebsprüfungsbericht mit dem Hinweis, es sei beabsichtigt, das im Bericht niedergelegte Ergebnis der Besteuerung zugrunde zu legen. Bei der Auswertung des Prüfungsberichts diente die von der Klägerin ursprünglich eingereichte Gewerbesteuererklärung für das Jahr 1974 als Eingabewertbogen. Die Klägerin hatte in dieser Erklärung bereits auf das Rumpfwirtschaftsjahr vom 1. Januar bis 31. März 1974 hingewiesen, ihren erklärten Gewinn von . . . DM auf 12/3 = . . . DM hochgerechnet und diesen Betrag in Zeile 13 der Erklärung unter Kennziffer 300 eingetragen. Der in dem Körperschaftsteuerbezirk tätige Finanzwärter strich diese Eintragung durch und trug den aus dem Betriebsprüfungsbericht übernommenen, im Rumpfwirtschaftsjahr erzielten Gewinn von . . . DM im grün umrandeten Feld auf Seite 1 der Erklärung unter Kennziffer 300 ein. Der Sachbearbeiter trug sodann unter Kennziffer 203 das Datum 31. 03. ein. Die Bedeutung dieser Kennziffer ist durch den unmittelbar daneben und darunter vorgedruckten Hinweis ,,Erlöschen der Steuerpflicht" erläutert. Richtig wäre es gewesen, Beginn und Ende des Rumpfwirtschaftsjahres unter Kennziffer 205 und 206 im grün umrandeten Feld auf Seite 3 der Erklärung einzutragen; diese Kennziffern sind durch den Text ,,Für die Ermittlung des Gewerbeertrages maßgebender Zeitraum" erläutert. Durch die fehlerhafte Eintragung unter Kennziffer 203 ,,Erlöschen der Steuerpflicht" wurde der Gewinn aus Gewerbebetrieb zunächst auf einen Jahresbetrag von 12/3 hochgerechnet; der Meßbetrag nach dem Gewerbeertrag und der Meßbetrag nach dem Gewerbekapital wurden aber wieder auf die eingegebene Dauer der Steuerpflichtig, also auf 3/12, zurückgerechnet. Dadurch wurde im Gewerbesteuermeßbescheid 1974 statt des zutreffenden einheitlichen Steuermeßbetrags von . . . DM nur ein solcher von . . . DM festgesetzt. Das FA berichtigte diesen Bescheid nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) mit der Begründung, es handle sich um ein mechanisches Versehen.
Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) den berichtigten Gewerbesteuermeßbescheid 1974 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung auf (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 212).
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA sinngemäß Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das FG habe nicht ausreichend Beweis erhoben. Es habe die erhobenen Beweise in seinem Urteil widersprüchlich und unter Verletzung von Denkgesetzen gewürdigt. Nach Ansicht des FA sei der Streitfall vergleichbar mit dem Sachverhalt, über den der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 10. Februar 1967 VI R 5/66 (BFHE 88, 155, BStBl III 1967, 348) entschieden habe. Dort habe der Bescheid aufgrund eines mechanischen Versehens nicht das Gewollte ausgedrückt, jedoch auf den Betriebsprüfungsbericht hingewiesen. Ähnlich liege es hier.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet, sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Berichtigung des Gewerbesteuermeßbescheids 1974 war, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, gemäß § 129 AO 1977 nicht rechtmäßig.
1. Offenbare Unrichtigkeiten, die sich im Laufe der Entstehung des Verwaltungsaktes ergeben haben, können gemäß § 129 AO 1977 berichtigt werden. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Fehler, die ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können, wie z. B. Übertragungsfehler. Sie können auch in einem unbeabsichtigten unrichtigen Ausfüllen des Eingabewertbogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf oder in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisungen bestehen. Eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 (bzw. § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO -) ist ausgeschlossen, wenn die nicht nur theoretische Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder bei der Anwendung einer Rechtsnorm besteht. Ob ein mechanisches Versehen, ein Irrtum über den Programmablauf oder ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muß nach den Verhältnissen des Einzelfalles beurteilt werden (vgl. BFH- Urteile vom 9. Oktober 1979 VIII R 226 /77, BFHE 129, 5, BStBl II 1980, 62; vom 4. Juni 1986 IX R 52/82, BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3; vom 21. Oktober 1987 IX R 156/84, BFH / NV 1988, 277).
2. Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen hat das FG festgestellt, daß der Veranlagungsbeamte das Datum ,,31. 03. 1974" in die falsche Rubrik (zur Kennziffer 203 statt 205, 206) eintrug. Die Zeugenaussage des Beamten hat das FG in tatsächlicher Hinsicht gewürdigt, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß der Finanzbeamte bei der Eintragung einem Rechtsirrtum unterlegen sei. An diese tatrichterliche Würdigung ist der erkennende Senat im Streitfall gebunden, weil die Würdigung des FG weder gegen Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze verstößt noch unter Verletzung der Verfahrensordnung zustande gekommen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1982 VI R 25/80, BFHE 135, 479, BStBl II 1982, 442).
a) Eine auf einer Beweiswürdigung beruhende Entscheidung des FG ist revisionsrechtlich nur zu beanstanden, wenn das FG zu seinem Ergebnis nicht kommen konnte (Urteil in BFHE 135, 479, 482, BStBl II 1982, 442). Im Steuerprozeß gilt nach § 96 FGO das Prinzip der freien Beweiswürdigung. Das Gericht entscheidet demnach nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis der Verhandlung gewonnenen Überzeugung. Dabei sind u. a. die Behauptungen, Einlassungen und Stellungnahmen der Beteiligten mitzuberücksichtigen.
b) Das FG konnte demnach aus den ermittelten Umständen (Überprüfung des Finanzanwärters durch den Veranlagungsbeamten, volle Aufmerksamkeit des Veranlagungsbeamten, Häufigkeit vergleichbarer Sachverhalte) ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze es für möglich halten, daß der Veranlagungsbeamte entgegen seiner Erinnerung und seiner Aussage den neben der Kennziffer 203 angebrachten Vermerk ,,Erlöschen der Steuerpflicht" zur Kenntnis nahm. Es besteht kein Erfahrungssatz, wonach ein Sachbearbeiter, dem bekannt ist, daß der Steuerpflichtige das Wirtschaftsjahr umgestellt hat, für die Anwendung des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) niemals irrtümlich die Regelungen anwendet, die für den Fall gelten, daß die Steuerpflicht endet. Dann ist aber nicht auszuschließen, daß der Veranlagungsbeamte nach einer rechtlichen Würdigung das Datum eintrug.
c) Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das FG der Aussage des Finanzbeamten, er habe die Eintragung an falscher Stelle aus Versehen vorgenommen, weniger Gewicht beigemessen hat, weil er selbst den Fehler begangen und daher an der Korrektur ein Eigeninteresse gehabt habe. Es gibt zwar keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß die Aussage eines solchen Zeugen in vollem Umfang unbeachtlich sei. Möglich, wenn auch nicht zwingend ist es jedoch, dieser Aussage weniger Gewicht beizumessen, wenn objektive Umstände dieser Aussage widersprechen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. November 1987 VI ZR 95/87, Neue Juristische Wochenschrift 1988, 566), oder die Aussage selbst widersprüchlich ist. Das FG hat zu Recht einen Widerspruch darin gesehen, daß der Zeuge einerseits aussagte, er habe die Eintragung des Finanzanwärters eingehend geprüft, andererseits aber begründete, er habe in äußerster Eile gedankenlos gearbeitet und es sei ihm unerklärlich, warum er das Datum an falscher Stelle eingetragen habe.
d) Nach den Feststellungen des FG ist auch nicht auszuschließen, daß der Veranlagungsbeamte trotz Kenntnis und Verstehen der einschlägigen rechtlichen Vorschriften (§ 10 Abs. 3, § 11 Abs. 6 GewStG) im Streitfall eine rechtlich falsche Würdigung vornahm. Die von dem FA in der Revisionsschrift vorgetragene gegenteilige Würdigung der Zeugenaussage ist zwar ebenfalls möglich; revisionsrechtlich ist jedoch nur entscheidend, ob die Würdigung des FG möglich ist. Angesichts der zum Teil steuerrechtlich unrichtigen Aussage des Veranlagungsbeamten hat das FG zu Recht die mögliche Würdigung vorgenommen, daß der Veranlagungsbeamte den Streitfall rechtlich falsch gewertet habe.
e) Der Streitfall ist nicht, wie das FA vorträgt, mit dem im Urteil in BFHE 88, 155, BStBl III 1967, 348 entschiedenen Sachverhalt vergleichbar. Im angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheid fehlte, anders als im damals entschiedenen Fall, jeglicher Hinweis des FA, daß es das im Betriebsprüfungsbericht niedergelegte Ergebnis der Besteuerung zugrunde gelegt habe. Das erste formularmäßige Anschreiben des FA im Februar 1976, mit dem der Betriebsprüfungsbericht der Klägerin übersandt und darauf hingewiesen wurde, daß beabsichtigt sei, das Betriebsprüfungsergebnis der Besteuerung zugrunde zu legen, sagt nichts über den Willen des FA aus, den es bei Erlaß des angefochtenen Bescheides hatte. Daher ergibt sich auch kein Widerspruch in dem Bescheid selbst, der Anlaß für eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 hätte geben können.
Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von dem BFH-Urteil vom 28. Oktober 1988 III R 49/85 (BFH / NV 1989, 341) ab. In dem vom III. Senat entschiedenen Fall wurde ein Prüfungsbericht überhaupt nicht ausgewertet, was einen Fehler in der Tatsachenwürdigung oder der Rechtsanwendung ausschloß. Liegt nach den tatsächlichen Feststellungen des FG eine falsche rechtliche Würdigung durch den Sachbearbeiter vor, kommt es nicht darauf an, daß die Bediensteten des FA, wenn sie Mehrergebnisse des Außenprüfers außer Ansatz lassen wollen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die dafür maßgeblichen Gründe in den Akten kenntlich machen (BFH-Urteil in BFH / NV 1989, 341).
Fundstellen