Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug aus Herstellungskosten für eine Kindertagesstätte, die an eine Stadt vermietet worden ist
Leitsatz (NV)
Der Vermieter von Gebäudeteilen, die eine Stadt als Kindertagesstätte gemietet hat, kann auf die Steuerbefreiung der Vermietung verzichten. Die Stadt hat die Gebäudeteile als Unternehmer im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art gemietet.
Normenkette
UStG 1980 § 2 Abs. 3 S. 1, § 4 Nr. 12, § 9 Abs. 1-2, § 15 Abs. 1, 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, errichtete Wohnungen, bewirtschaftete und vermietete sie.
Ihre Organgesellschaft, die V-GmbH (Bauträger-GmbH), begann im Streitjahr 1990 mit der Errichtung eines Gebäudes, in dessen Erdgeschoss eine Kindertagesstätte eingerichtet und an die Stadt K (Stadt) vermietet werden sollte. In der Umsatzsteuererklärung für 1990 machte die Klägerin Vorsteuerbeträge von 1 743 DM geltend, die der Bauträger-GmbH im Zusammenhang mit der Errichtung der Kindertagesstätte berechnet worden waren.
Die Kindertagesstätte ist 1993 fertig gestellt und an die Stadt vermietet worden. Kinder wurden von der Stadt aufgrund eines "Vertrages zur Aufnahme und Betreuung eines Kindes in einer städtischen Kindertageseinrichtung" aufgenommen. Betreut wurden in der Kindertagesstätte, die auf Ganztagesbetreuung ausgerichtet war, Kinder vom Säuglingsalter bis zum Eintritt in die Schulpflicht. Dafür zahlten die Eltern ein "Benutzungsentgelt", das nach Grundsätzen erhoben wurde, die die Stadt beschlossen hatte (Nr. 5 des Vertrages). Die Entgelte waren u.a. nach der Dauer der täglichen Betreuung; nach dem Alter des Kindes und nach sozialen Gesichtspunkten gestaffelt.
Im Anschluss an eine Außenprüfung setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) Umsatzsteuer für 1990 durch Änderungsbescheid vom 22. Oktober 1993 gegen die Klägerin fest und ließ bei Errichtung der Kindertagesstätte angefallene Vorsteuerbeträge nicht mehr zum Abzug zu.
Das FA wies den gegen den Änderungsbescheid gerichteten Einspruch zurück und vertrat in der Einspruchsentscheidung die Auffassung, ein Verzicht auf die Steuerbefreiung (§ 9 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes ―UStG― 1980) der Vermietung der Kindertagesstätte (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1980) sei nicht wirksam, weil der Umsatz nicht an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt worden sei. Die Stadt habe die Tagesstätte nicht im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art (§ 2 Abs. 3 UStG 1980), sondern im Rahmen eines auf die Verwirklichung gemeinnütziger Zwecke gerichteten Zweckbetriebes (§ 68 Nr. 1 Buchst. b der Abgabenordnung ―AO 1977―) gemietet. Für private Betreiber einer Kindertagesstätte ergebe sich dadurch kein Wettbewerbsnachteil, weil sie keiner Ertragsteuerpflicht unterlägen.
Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) legte dar, dass die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt seien. Der Verzicht der Klägerin auf die Steuerbefreiung der Vermietung der Kindertagesstätte sei wirksam. Die Voraussetzungen des § 9 UStG 1980 lägen vor. Die Stadt werde beim Betrieb der Kindertagesstätte als Unternehmer tätig. Sie nehme die Kinder durch Abschluss eines Vertrages nach privatem Recht auf. Da sie in den Formen des Zivilrechts tätig geworden sei, seien für sie die allgemeinen Besteuerungsregeln anwendbar.
Mit der Revision begehrt das FA sinngemäß die Aufhebung der Vorentscheidung und die Abweisung der Klage.
Das FA rügt Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil der mit der Entscheidung beauftragte Berichterstatter schneller als erwartet entschieden habe. Dadurch habe eine wichtige Stellungnahme nicht abgegeben werden können. Der Vorsteuerabzug der Klägerin aus den Bauleistungen sei nicht gerechtfertigt, weil sie nicht auf die Steuerpflicht der Vermietung habe verzichten können. Die Stadt habe in Wahrnehmung öffentlicher Fürsorge die Räume für die Kindertagesstätte als Hoheitsträger und nicht als Unternehmer gemietet, so dass die Voraussetzungen für einen Verzicht (§ 9 Abs. 1 UStG 1980) nicht vorgelegen hätten. Der Abschluss von privatrechtlichen Verträgen mit Benutzern der Einrichtung sei nicht ausschlaggebend, weil sich die Stadt bei ihrer Verwaltungstätigkeit nur einer privatrechtlichen Form bedient habe.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Der Senat erachtet die gerügten Verfahrensmängel als nicht durchgreifend. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).
2. Die Revision bleibt auch in der Sache erfolglos.
In der Vorentscheidung ist zutreffend entschieden worden, dass die Klägerin berechtigt war, im Streitjahr 1990 Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Bauleistungen für die an die Stadt vermieteten Räume abzuziehen, die als Kindertagesstätte genutzt werden sollten.
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer für die Lieferungen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG).
b) Die nach § 15 Abs. 2 UStG maßgebende Verwendung von Eingangsleistungen für ein dem Unternehmen zugeordnetes Gebäude durch Vermietung des bebauten Grundstücks ist zwar grundsätzlich nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1980 steuerfrei. Der Unternehmer kann einen solchen Umsatz aber auch nach § 9 Abs. 1 UStG 1980 als steuerpflichtig behandeln, wenn die Grundstücksvermietung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt worden ist. Beim Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstücksvermietung ist der Vorsteuerabzug nicht nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ausgeschlossen. Das gilt auch dann, wenn der Unternehmer im Zeitpunkt der Entstehung des Vorsteuerabzugsanspruchs (d.h. bei Bezug der Leistung) nachweisbar beabsichtigt, auf die Steuerfreiheit der Grundstücksvermietung zu verzichten (vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH― vom 8. Juni 2000 Rs. C-396/98 - Schloßstraße, Slg. 2000, I-4296, BStBl II 2003, 446, und Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 17. Mai 2001 V R 38/00, BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434, m.N.).
aa) Die Klägerin hatte im Streitjahr 1990 beabsichtigt, die Räume für die Kindertagesstätte an die Stadt als Unternehmer für ihr Unternehmen steuerpflichtig zu vermieten. Sie hat auch beabsichtigt, auf die Steuerbefreiung der Umsätze durch Vermietung zu verzichten (§ 9 Abs. 1 UStG 1980); denn sie hat dies durch ihr Vorsteuerabzugsbegehren erkennbar gemacht. Da die an die Stadt vermieteten Räume nicht Wohnzwecken dienten und auch nicht dazu bestimmt waren, steht § 9 Abs. 2 UStG 1980 in der im Streitjahr 1990 geltenden Fassung dem Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstücksvermietung nicht entgegen.
bb) Schließlich ist auch die ―allein zwischen den Beteiligten umstrittene― Voraussetzung für die Wirksamkeit des Verzichts auf die Steuerbefreiung der Grundstücksvermietung erfüllt, dass die Vermietung der Räume der Kindertagesstätte an die Stadt als Unternehmer für deren Unternehmen (§ 9 Abs. 1 UStG 1980) beabsichtigt war.
Die Stadt als Mieterin der Räume war als juristische Person des öffentlichen Rechts grundsätzlich nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 des Körperschaftsteuergesetzes ―KStG―) und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig (§ 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980). Insoweit ist sie Unternehmer (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980) und unterhält ein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980).
Mit der Kindertagesstätte unterhielt sie einen Betrieb gewerblicher Art i.S. des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG. Als Mieterin von Räumen für diesen Betrieb handelte sie deshalb insoweit als Unternehmer.
Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind grundsätzlich alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben; die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich (§ 4 Abs. 1 KStG). Diese Voraussetzungen sind mit dem Betrieb einer Kindertagesstätte erfüllt (vgl. auch Felder in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Körperschaftsteuergesetz, § 4 Rz. 33a, Lfg. Oktober 2003).
Die Stadt betrieb die Kindertagesstätte nicht außerhalb eines Unternehmens in einem Hoheitsbetrieb.
Nicht zu den Betrieben gewerblicher Art (i.S. von § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 i.V.m. § 4 KStG) gehören nach § 4 Abs. 5 KStG Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe). Dementsprechend bestimmt Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), dass Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige gelten, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen, Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben ergeben. Nach der Rechtsprechung des EuGH handelt es sich bei den Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt i.S. von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG um solche, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung ausüben (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Dezember 2000 Rs. C-446/98 - Camara Municipal do Porto, Slg. 2000, I-11435, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 2001, 108, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht ―UVR― 2001, 71, Rdnr. 17).
Bei einer danach gebotenen richtlinienkonformen Auslegung dient eine Tätigkeit nicht der Ausübung öffentlicher Gewalt, wenn sie in den Formen des privaten Rechts ausgeführt wird.
Das FG hat dazu ―für den Senat verbindlich (§ 118 Abs. 2 FGO)― festgestellt, dass die Stadt die entgeltliche Kinderbetreuung in den von der Klägerin gemieteten Räumen aufgrund eines "Vertrages zur Aufnahme und Betreuung eines Kindes in einer städtischen Kindertageseinrichtung" erfüllte. Die Beurteilung des FG, dass es sich dabei um einen privatrechtlichen Vertrag handelte, ist nicht angreifbar, weil entgegenstehende, auf eine öffentlich-rechtliche Regelung hinweisende Indizien (Festsetzung des Entgeltes oder von Betreuungs- und Erziehungsmaßnahmen durch Verwaltungsakt, Anfechtbarkeit der erwähnten Entscheidungen auf dem Verwaltungsrechtsweg, keine Verpflichtung der Eltern zur Betreuung ihrer Kinder in der Kindertagesstätte) nicht vorliegen.
cc) Die übrigen Angriffe des FA gegen die Vorentscheidung gehen fehl. Dafür, dass mit dem Betrieb einer Kindertageseinrichtung keine hoheitliche Tätigkeit verbunden ist, spricht auch die Aufnahme in den Katalog der Zweckbetriebe nach § 68 Nr. 1 Buchst. b AO 1977.
Der Beurteilung des Betriebs einer Kindertagesstätte als im Rahmen eines Unternehmens ausgeführt stehen Regelungen über die Ausgestaltung des Förderangebots in Tageseinrichtungen (§ 24 des Achten Buches Sozialgesetzbuch), die einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz enthalten, nicht entgegen. Sie sind erst zum 1. Januar 1996 eingeführt worden und betreffen die Ausgestaltung der Betreuungsleistung nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 1143934 |
BFH/NV 2004, 985 |
DStRE 2004, 985 |
HFR 2004, 906 |