Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Geschäftsführers bei Konkurs der GmbH
Leitsatz (NV)
1. Die Auflösung einer GmbH berührt nicht deren Fähigkeit, Steuerschuldnerin zu sein. Der Steuerbescheid ist dem Liquidator bekanntzugeben. Ein Hinweis auf den Liquidationsstatus im Bescheid ist entbehrlich, wenn Steuerschuldner und Bekanntgabeempfänger eindeutig erkennbar sind.
2. Ist über das Vermögen der GmbH das Konkursvermögen eröffnet worden, liegt die Annahme nahe, daß die von der GmbH erzielten Einnahmen nicht zur vollständigen Befriedigung des Steuergläubigers ausgereicht haben. Es bedarf einer Berechnung zur anteiligen USt im Haftungsfall.
3. Ist das FA seiner diesbezüglichen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. d. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO vor.
Normenkette
AO §§ 97, 109; AO 1977 §§ 34, 69, 122; FGO § 100 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war von Dezember 1968 bis April 1971 alleiniger Geschäftsführer der A-GmbH, einer Baufirma. Zum 30. April 1971 stellte die A-GmbH ihre Geschäftstätigkeit ein. Im Mai 1971 wurde die Eröffnung eines Konkursverfahrens über das Vermögen der A-GmbH mangels Masse abgelehnt und der Kläger zum Liquidator bestellt. Im Oktober 1971 wurde die Auflösung der Gesellschaft und die Bestellung des Klägers zum Liquidator in das Handelsregister eingetragen, im März 1977 wurde die Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte eine auf die Umsatzsteuer beschränkte Betriebsprüfung durch und setzte daraufhin die Umsatzsteuer 1970 und 1971 auf . . . DM fest. Die am 1. August 1972 zur Post gegebenen Bescheide wurden an die ,,A-GmbH, zu Hd. Herrn H. in M., B-Straße" adressiert. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) wurden die Bescheide nicht angegriffen.
Mit Haftungsbescheid vom 2. August 1972 nahm das FA den Kläger unter anderem wegen Umsatzsteuer 1970 und 1971 der A-GmbH in Haftung. Der Haftungsanspruch wurde auf § 109 der Reichsabgabenordnung (AO) gestützt. Der Einspruch hatte insoweit keinen Erfolg. In der Einspruchsentscheidung führte das FA aus, der Kläger habe als alleiniger Geschäftsführer der Steuerschuldnerin seine ihm nach der Abgabenordnung (AO 1977) auferlegten Pflichten schuldhaft verletzt. Er sei den einfachsten Aufzeichnungspflichten nicht nachgekommen und die Belege seien nur unvollständig aufbewahrt worden. Auch seien in den letzten vier Jahren keine Steuererklärungen abgegeben worden und die eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen wiesen erhebliche Fehler auf. Dem Kläger hätten genügend Mittel zur Verfügung gestanden, um die Steuern am jeweiligen Fälligkeitstag zu bezahlen. Da von der GmbH keine Zahlungen mehr zu erhalten seien, hafte er für deren Steuerrückstände.
Auf die Klage setzte die FG die Haftungssumme für beide Jahre auf insgesamt . . . DM herab.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er beantragt, das Urteil des FG und den Haftungsbescheid aufzuheben.
Das FA beantragt Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Haftungsbescheide und der Einspruchsentscheidung.
1. Der Senat hält allerdings den Revisionsangriff gegen die Ansicht des FG, die Steuerschuld der A-GmbH sei unanfechtbar und der Kläger müsse dies gemäß § 119 AO gegen sich gelten lassen, für unbegründet.
Entgegen der Ansicht des Klägers sind die Umsatzsteuerbescheide 1970 und 1971 trotz Auflösung der A-GmbH wirksam geworden. Die Auflösung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung berührt nicht deren rechtliche Existenz und damit nicht deren Fähigkeit, Steuerschuldnerin zu sein (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. März 1980 I R 111/79, BFHE 130, 477, BStBl II 1980, 587; Oberlandesgericht - OLG - Düsseldorf, Urteil vom 24. September 1987 8 U 8/86, Der Betrieb - DB - 1988, 543). Bei einer nach Auflösung in Liquidation befindlichen Gesellschaft ist der Steuerbescheid dem Liquidator bekanntzugeben. Die Bekanntgabe ist im Streitfall ordnungsgemäß dadurch erfolgt, daß die Bescheide zu Händen des Klägers als Liquidator an dessen Privatanschrift übermittelt worden sind. Ein Hinweis auf den Liquidationsstatus der A-GmbH war entbehrlich, da auch ohne diesen Hinweis Steuerschuldner und Bekanntgabeempfänger eindeutig erkennbar waren.
Als Liquidator hatte der Kläger die A- GmbH außergerichtlich zu vertreten (§ 70 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Er wäre demnach in der Lage gewesen, den gegen die Steuerpflichtige erlassenen Bescheid anzufechten (§ 119 AO).
2. Die Revision ist begründet, weil die tatsächlichen Feststellungen dem Senat nicht die Entscheidung darüber ermöglichen, ob durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers Steueransprüche verkürzt worden sind (§ 109 AO).
Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer bzw. Liquidator der A- GmbH wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen bzw. Nichtbezahlung von Steuerschulden der A-GmbH ist nach § 109 AO dann gegeben, wenn der Kläger in der Lage war, die Steuerschulden aus den von ihm verwalteten Mitteln (vgl. § 103 Abs. 1 AO) zu entrichten. Reichten die Mittel der A-GmbH für eine vollständige Begleichung der Steuerverbindlichkeiten nicht aus, so kommt es darauf an, ob der Steuergläubiger etwa im gleichen Umfang befriedigt wurde wie die anderen Gläubiger der A-GmbH (zum Grundsatz der anteiligen Umsatzsteuer im Haftungsfall siehe BFH-Urteile vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172; vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657; vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539). Für den Umfang einer etwaigen Benachteiligung des FA gegenüber anderen Gläubigern trägt das FA die objektive Beweislast (vgl. BFH- Urteil vom 8. Juli 1982 V R 7/76, BFHE 137, 1, BStBl II 1983, 249).
Im Mai 1971 wurde die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der A-GmbH mangels Masse abgelehnt. Dieser Umstand spricht dafür, daß die von der A-GmbH erzielten Einnahmen nicht ausgereicht hätten, die Steuerschulden in voller Höhe zu begleichen. Das FA hätte daher mittels einer auf den Haftungszeitraum bezogenen Berechnung feststellen müssen, in welchem Umfang die Steuerrückstände bei einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger hätten getilgt werden können. Hierzu wären Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten (einschließlich Steuerschulden) und der im Haftungszeitraum geleisteten Zahlungen erforderlich gewesen. Wurde ein angemessenes Verhältnis bei den Zahlungen nicht eingehalten, haftet der Kläger im Umfang des unterschreitenden Fehlbetrages.
3. Da auch das FG-Urteil keine diesbezüglichen Feststellungen enthält, war es aufzuheben. Darüber hinaus sind gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auch die Haftungsbescheide sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben (vgl. dazu Urteile in BFHE 137, 1, BStBl II 1983, 249, und vom 2. Oktober 1986 VII R 190/82, BFH/NV 1987, 223/225). Es ist ein wesentlicher Fehler des Verwaltungsverfahrens gegeben. In Kenntnis der Vermögenslosigkeit der A-GmbH hätte das FA der Frage nach dem Vorhandensein ausreichender Mittel nachgehen und die notwendigen Feststellungen treffen müssen. Da das FA insoweit seiner Ermittlungspflicht gemäß § 204 AO nicht hinreichend nachgekommen ist, handelte es verfahrensfehlerhaft i. S. des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
Dieser Verfahrensmangel ist auch wesentlich (siehe Urteil in BFH/NV 1987, 223/225). Außerdem erfordert die (nachzuholende) Sachaufklärung einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit. Die für die Verhältnisrechnung notwendigen Zahlen sind nicht allein durch Beweisaufnahme vor oder in der mündlichen Verhandlung zu gewinnen. Es ist im Streitfall vielmehr zu untersuchen, ob anhand evtl. noch vorhandener Unterlagen der Buchführung, der Bankkonten bzw. der Steuerakten die Grundlagen für die Verhältnisrechnung ermittelt werden können.
Fundstellen
Haufe-Index 416219 |
BFH/NV 1989, 563 |