Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen einer Änderung wegen offenbarer Unrichtigkeit, nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder widerstreitender Steuerfestsetzung bei der Ermittlung der nicht abziehbaren Zinsen einer Personengesellschaft
Leitsatz (NV)
1. Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit trägt derjenige, der sich darauf beruft. Ein Anscheinsbeweis genügt.
2. Eine unzutreffende Tatsachenwürdigung oder ein Rechtsfehler bei der Berechnung der nicht abziehbaren Schuldzinsen sind nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass sich die Beträge den eingereichten Jahresabschlussunterlagen entnehmen lassen, wenn weitere Subsumtionen erforderlich sind.
3. Ergibt sich die Zahlung von Zinsen an die Gesellschafter aus den Akten, die dem FA vorlagen, handelt es sich nicht um eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache.
4. Der Hinweis in den Erläuterungen eines Bescheides auf Schriftverkehr und Telefongespräche mit der Steuerberatung bietet Anlass, den Bescheid rechtzeitig der Steuerberatung zur Überprüfung vorzulegen und schließt daher ein grobes Verschulden am Verstreichenlassen der Einspruchsfrist nicht aus.
5. Eine widerstreitende Steuerfestsetzung liegt nicht vor, wenn der Sachverhalt nur in dem angefochtenen Feststellungsbescheid und nicht in einem weiteren Bescheid berücksichtigt wurde.
Normenkette
AO § 129 S. 1, § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 174 Abs. 1; EStG § 4 Abs. 4a, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; FGO § 118 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH und Co. KG, betreibt ein Hotel mit Restaurant. Ausweislich des Jahresabschlusses betrug der Zinsaufwand im Jahr 2000 (Streitjahr) insgesamt 297 823 DM. Davon entfielen 7 910 DM auf Darlehen, die die Klägerin von ihren Gesellschaftern erhalten hatte. In Höhe von 268 439 DM betraf der Zinsaufwand Investitionen.
Am 11. Oktober 2002 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb für das Streitjahr. Darin erhöhte das FA den Gewinn gemäß § 4 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 2000 geltenden Fassung (EStG) um 23 666 DM. Der Feststellungsbescheid enthielt folgende Erläuterung:
"Hinsichtlich der Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG wird auf den bisher geführten Schriftverkehr/Telefongespräche mit Ihrer Steuerberatung hingewiesen. Der Hinzurechnungsbetrag wurde wie folgt ermittelt:
Gewinn des Wj. 2000 |
503 DM |
- Entnahmen des Wj. 2000 |
1.242.159 DM |
= Überentnahmen |
-1.241.656 DM |
+ Unterentnahmen des Vj. |
847.213 DM |
= Ergebnis |
- 394.443 DM |
x 0,06 = |
23.666 DM |
Maximal: Schuldzinsen abzüglich 4.000 DM, abzüglich Schuldzinsen für Investitionsdarlehen = 25.384 DM.”
Die Aktenverfügung zum Feststellungsbescheid enthielt den handschriftlichen Vermerk "QSST P2”. Daraus ergibt sich, dass die "Qualitätssicherungsstelle" des FA an der Veranlagung beteiligt war.
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2002 beantragte die Klägerin, den Feststellungsbescheid nach § 129 der Abgabenordnung (AO) zu ändern und den Hinzurechnungsbetrag nach § 4 Abs. 4a EStG um die an die Gesellschafter gezahlten Zinsen von 7 910 DM auf 17 474 DM zu vermindern. Bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages seien die Zinsen der Gesellschafter in Höhe von 7 910 DM erfasst worden, obwohl diese im Rahmen der Sonderbilanzen bzw. außerhalb der Bilanz hinzugerechnet worden seien.
Das FA schloss sich zwar der Beurteilung der an die Gesellschafter gezahlten Zinsen an. Den Antrag auf Änderung des Feststellungsbescheides für das Streitjahr lehnte es jedoch ab, da kein mechanisches Versehen, sondern eine fehlerhafte Sachverhaltsermittlung vorliege.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab. Der Feststellungsbescheid vom 11. Oktober 2002 sei zwar fehlerhaft, dieser Fehler könne aber weder gemäß § 129 Satz 1 AO noch gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden. Ein Fall widerstreitender Steuerfestsetzung i.S. des § 174 AO sei nicht gegeben. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1550 veröffentlicht.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie geltend macht, die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 129 AO seien erfüllt. Eine Berichtigung komme auch gemäß den §§ 173 und 174 Abs. 1 AO in Betracht.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG Münster vom 8. März 2006 aufzuheben und das FA zu verpflichten,
die Einkünfte aus § 15 EStG im Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung 2000 um 7 910 DM niedriger festzustellen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). FA und FG haben eine Verpflichtung zur Änderung des bestandskräftigen Feststellungsbescheides für das Streitjahr zu Recht abgelehnt.
1. Eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 Satz 1 AO liegt nicht vor.
a) Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Mai 1998 IV B 151/97, BFH/NV 1998, 1452, unter 1. der Gründe).
Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 29. Januar 2003 I R 20/02, BFH/NV 2003, 1139, unter II.1. der Gründe). § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (z.B. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1998 II R 9/96, BFH/NV 1999, 899).
b) Ob jede Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder einer unvollständigen Sachaufklärung bzw. fehlerhaften Tatsachenwürdigung auszuschließen ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles, vor allem nach Aktenlage (BFH-Beschluss vom 5. Januar 2005 III B 79/04, BFH/NV 2005, 1013, unter 1.c der Gründe). Die Entscheidung darüber ist im Wesentlichen eine Tatfrage, die revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 1139, unter II.2.a der Gründe). Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit trägt derjenige, der sich darauf beruft; ein Anscheinsbeweis genügt (vgl. Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 129 Rz 2).
c) Im Streitfall hat das FA bei der Ermittlung der nicht abziehbaren Schuldzinsen den auf die Überentnahmen entfallenden Betrag nach § 4 Abs. 4a Sätze 2 bis 4 EStG --wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist-- zutreffend berechnet. Bei der Berechnung des Höchstbetrages nach § 4 Abs. 4a Satz 5 EStG hat es --unzutreffender Weise, wie die Beteiligten meinen-- die auf die Gesellschafterdarlehen gezahlten Schuldzinsen nicht abgezogen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich dabei um einen bloßen Rechenfehler gehandelt haben könnte, hat das FG nicht festgestellt; es ist davon ausgegangen, dass sich eine unzutreffende Tatsachenwürdigung oder ein Rechtsfehler nicht ausschließen lassen. Die Klägerin macht demgegenüber im Wesentlichen geltend, dass sich die Beträge den eingereichten Jahresabschlussunterlagen entnehmen ließen. Das genügt jedoch angesichts der erforderlichen Subsumtionen unter § 4 Abs. 4a und § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht, um von einem jederzeit erkennbaren mechanischen Fehler auszugehen. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die Ermittlung der nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbaren Zinsen den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 29. März 2007 IV R 72/02 (BFHE 217, 514, BStBl II 2008, 420) entspricht.
2. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt nicht in Betracht.
a) Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
aa) Tatsachen oder Beweismittel werden nachträglich bekannt, wenn sie nach dem Zeitpunkt, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist, bekannt werden (BFH-Urteil vom 26. November 1996 IX R 77/95, BFHE 182, 2, BStBl II 1997, 422, unter 2. der Gründe). Maßgeblich ist die Kenntnis der Finanzbehörde (BFH-Urteil vom 29. Juni 1984 VI R 34/82, BFHE 141, 234, BStBl II 1984, 694). Bekannt ist der Finanzbehörde grundsätzlich das, was sich aus dem Inhalt der von ihr geführten Akten ergibt, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankommt (BFH-Urteile vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492, unter 1.b der Gründe; vom 28. April 1998 IX R 49/96, BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458, unter II.2.a der Gründe; Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 62, m.w.N.).
bb) Grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324, unter 4.a der Gründe). Hat der Steuerpflichtige einen Steuerberater eingeschaltet, muss er dafür Sorge tragen, dass dieser die ihm übertragene Tätigkeit ordnungsgemäß erledigen kann (vgl. Pahlke/Koenig, Abgabenordnung § 173 Rz 122). Dazu kann auch gehören, dass er dem Steuerberater eine Überprüfung des ergangenen Steuerbescheides innerhalb der Einspruchsfrist ermöglicht (zur Überprüfung innerhalb der Einspruchsfrist vgl. BFH-Urteil vom 25. November 1983 VI R 8/82, BFHE 140, 18, BStBl II 1984, 256).
b) Das FG hat danach zu Recht eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO abgelehnt. Vorliegend fehlt es bereits an einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache. Denn die Zinszahlung an die Gesellschafter der Klägerin ergab sich --wie diese selbst zur Begründung ihres Antrags auf Änderung nach § 129 AO geltend gemacht hat-- aus den Akten, die dem FA vorlagen. Überdies ist auch die Auffassung des FG nicht zu beanstanden, dass grobe Fahrlässigkeit vorliegt, weil die Klägerin die Einspruchsfrist hat verstreichen lassen. Daran ändert --anders als die Klägerin meint-- auch die Erläuterung im Feststellungsbescheid nichts, in der das FA hinsichtlich der Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG auf den Schriftverkehr und die Telefongespräche mit der Steuerberatung hingewiesen hat. Denn gerade ein derartiger Hinweis bot Anlass, den Bescheid rechtzeitig der Steuerberatung zur Überprüfung vorzulegen, wenn die Vorgänge der Klägerin selbst nicht hinreichend bekannt waren.
3. Eine widerstreitende Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 1 AO liegt nicht vor.
a) Ein fehlerhafter Steuerbescheid ist nach § 174 Abs. 1 Satz 1 AO auf Antrag aufzuheben oder zu ändern, wenn ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zu Ungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. Maßgeblicher Sachverhalt ist vorliegend die Zahlung der Darlehenszinsen an die Gesellschafter der Klägerin.
b) Diesen Sachverhalt hat das FA --entgegen der Darstellung der Klägerin-- jedoch nicht doppelt berücksichtigt. Zwar trifft es zu, dass die den Gesellschaftern gezahlten Zinsen richtigerweise als Sondervergütungen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG berücksichtigt wurden. Auf der anderen Seite hat das FA aber die nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbaren Zinsen --insoweit ebenfalls noch zutreffend-- nach der gesetzlichen Typisierung mit 6 % der Überentnahmen ermittelt (§ 4 Abs. 4a Satz 4 EStG). Im nächsten Schritt hat es jedoch unzutreffender Weise die nach § 4 Abs. 4a Satz 5 EStG zu berechnende Obergrenze der gezahlten Zinsen nicht um die an die Gesellschafter gezahlten Zinsen vermindert. Als Folge davon ist eine Begrenzung der typisierten Überentnahme-Zinsen auf die tatsächlich gezahlten Zinsen unterblieben. Diese haben sich deshalb --fälschlich-- nicht (begrenzend) auf den Betrag der nicht abziehbaren Zinsen ausgewirkt. Im Ergebnis hat das FA daher die den Gesellschaftern gezahlten Zinsen bei der Berechnung der nicht abziehbaren Zinsen gerade nicht berücksichtigt.
c) Im Übrigen wurden die den Gesellschaftern gezahlten Zinsen, wie das FG entschieden hat, nur in dem vorliegend streitigen Feststellungsbescheid und nicht in einem weiteren Bescheid berücksichtigt.
Fundstellen