Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Klageänderung verwaltungsaktbezogener Klagen; verfahrensrechtliche Voraussetzungen für eine erst während eines Klageverfahrens geänderte Ausübung des Veranlagungswahlrechts
Leitsatz (NV)
1. Die Klageänderung setzt bei verwaltungsaktbezogenen, fristgebundenen Klagen zusätzlich voraus, dass die jeweils einschlägigen Sachentscheidungsvoraussetzungen sowohl für das ursprüngliche als auch für das geänderte Klagebegehren vorliegen.
2. Wird eine Änderung der Veranlagungsart beantragt, handelt es sich nicht um eine Änderung eines bereits ergangenen Veranlagungsbescheides. Vielmehr bedarf es zunächst der Durchführung eines neuen Veranlagungsverfahrens durch die Finanzbehörde.
3. Das Veranlagungswahlrecht kann zwar bis zum Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt werden. Ein Antrag auf Änderung der Veranlagungsart im Anfechtungsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid ist jedoch nur zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen für eine Verpflichtungsklage gegeben sind.
Normenkette
AO 1977 § 347 Abs. 1 S. 2; EStG §§ 26, 26a, 26b; FGO § 40 Abs. 1 Hs. 2, § 44 Abs. 1, § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 1, § 67 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ unter dem Vorbehalt der Nachprüfung für die Streitjahre 1989 bis 1991 antragsgemäß Zusammenveranlagungsbescheide für die --seit 1997 geschiedenen-- Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger). Die Einsprüche wies das FA unter nur teilweiser Abhilfe im Übrigen als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 1997).
Mit der am 7. Februar 1997 erhobenen Klage begehrten die vertretenen Kläger die Aufhebung der geänderten Einkommensteuerbescheide und der Einspruchsentscheidung für die Streitjahre wegen eines geltend gemachten Verwertungsverbots und erhoben ferner materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Ermittlung der von der Klägerin erzielten Einkünfte.
Mit Schreiben vom 14. und 15. November 1997 beantragten die Kläger beim FA die getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer 1988 bis 1993 mit der Begründung, sie hätten bereits seit Jahren dauernd getrennt gelebt. Mit Schreiben vom 24. November 1997 nahm das FA gegenüber dem Bevollmächtigten des Klägers zu diesem Antrag sowie dem gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide wie folgt Stellung:
"Entgegen den Angaben in den Einkommensteuererklärungen 1988 - 1993 erklären Sie nunmehr, seit Jahren dauernd getrennt zu leben. Bitte erläutern Sie diese widersprüchliche Erklärung und legen Sie schriftliche Erklärungen beider Ehegatten vor, aus denen sich ergibt, seit wann sie dauernd getrennt leben. Ihren o.a. Anträgen kann ich leider nicht entsprechen."
Der Bevollmächtigte des Klägers teilte daraufhin mit Schreiben vom 27. November 1997 dem FA u.a. mit, sowohl die Klägerin als auch der Kläger hätten schriftlich gegenüber dem FA erklärt, die bisherige Form der Zusammenveranlagung für die Veranlagungszeiträume 1988 bis 1993 zu widerrufen. Stattdessen sei die getrennte Veranlagung gewählt worden, unabhängig davon, ab wann die "Ex-Eheleute" dauernd getrennt gelebt hätten. Die Anträge und Unterlagen lägen insoweit vollständig dem FA zur Entscheidung vor.
Schließlich forderte der Bevollmächtigte das FA mit Schreiben vom 22. Dezember 1997 auf, innerhalb von 14 Tagen nach Zugang dieses Schreibens die getrennten Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1988 bis 1993 durchzuführen. Anderenfalls werde eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben. Ggf. werde um umgehende Zustimmung zur Sprungklage gemäß § 45 FGO gebeten.
Nachdem das Finanzgericht (FG) im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide die Anträge auf getrennte Veranlagung als rechtsmissbräuchlich beurteilt hatte, beantragten die Kläger zunächst Einzelveranlagungen, stellten aber schließlich wieder den Antrag auf getrennte Veranlagungen zur Einkommensteuer für die Streitjahre 1989 bis 1991, weil zwischen ihnen mindestens noch bis 1993 eine Wirtschaftsgemeinschaft bestanden habe.
Das FG gab der Klage statt und verpflichtete das FA, die Kläger für die Jahre 1989 bis 1991 getrennt zur Einkommensteuer zu veranlagen. Die Änderung der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklage in eine Verpflichtungsklage sei wegen Sachdienlichkeit gemäß § 67 Abs. 1 Halbsatz 1 FGO zulässig.
Die Verpflichtungsklage sei ebenfalls zulässig, auch wenn die Kläger erst während des Klageverfahrens --erstmalig-- die getrennte Veranlagung begehrt hätten. Das Veranlagungswahlrecht nach § 26 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei nicht befristet und dürfe bis zur Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerfestsetzung, im finanzgerichtlichen Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, ausgeübt werden.
Die Klage sei auch begründet, weil die Voraussetzungen für eine getrennte Veranlagung nach den §§ 26 Abs. 2 Satz 1, 26a EStG erfüllt seien. Die übereinstimmend erklärte Wahl der getrennten Veranlagung sei nicht willkürlich, weil die Kläger persönliche und wirtschaftlich verständliche sowie vernünftige Gründe hierfür vorgetragen hätten (Verlustvor- und -rücktrag). Nach bisheriger Rechtsprechung könne ein Missbrauch nur bei einseitiger Ausübung des Wahlrechts in Betracht kommen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Mai 1999 XI R 97/94, BFHE 189, 63, BStBl II 1999, 762). Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen liege auch nicht deshalb vor, weil mit einer getrennten Veranlagung die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen verbunden wäre.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Die geänderte Ausübung des Veranlagungswahlrechts sei rechtsmissbräuchlich und deshalb unbeachtlich. Mit der Durchführung einer getrennten Veranlagung gemäß § 26a EStG könnten die Kläger keine wirtschaftlichen und steuerlichen Vorteile erlangen. Alleiniger Grund sei der Versuch, die Voraussetzungen des § 278 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu beseitigen, um eine Vollstreckung in das vom Kläger auf die Klägerin übertragene Vermögen zu vereiteln. Indes sei ihrem berechtigten Interesse, ihre Haftung zu beschränken (vgl. dazu BFH-Urteil vom 12. August 1977 VI R 61/75, BFHE 123, 172, BStBl II 1977, 870) durch den bestandskräftigen Aufteilungsbescheid vom 22. August 1996 gemäß §§ 268 ff. AO 1977 hinreichend Rechnung getragen worden.
Als sachlicher Grund für die Ausübung des Wahlrechts werde grundsätzlich auch anerkannt, nicht verbrauchte --eigene-- Verluste im Rahmen des Verlustvor- und -rücktrags zu erhalten. Im Streitfall seien jedoch nach Aktenlage keine entsprechenden vor- oder rücktragbare Verluste vorhanden.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
1. Verfahrensfehlerhaft hat das FG über das geänderte Klagebegehren, das FA zur Durchführung der getrennten Veranlagung zur Einkommensteuer 1989 bis 1991 zu verpflichten, in der Sache entschieden. Die Verpflichtungsklage der Kläger ist bereits mangels Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig (§ 44 Abs. 1 FGO).
Das FG hat zwar insoweit keine Feststellungen getroffen, weil es die Klageänderung allein wegen ihrer Sachdienlichkeit als zulässig angesehen hat. Jedoch hat der BFH von Amts wegen auch noch im Revisionsverfahren in jeder Verfahrenslage das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen im finanzgerichtlichen Klageverfahren zu prüfen (BFH-Urteil vom 16. November 1984 VI R 176/82, BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266).
a) Nach § 67 Abs. 1 FGO ist eine Klageänderung zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Darüber hinaus müssen bei fristgebundenen Klagen für jeden Klageantrag die einschlägigen Sachentscheidungsvoraussetzungen sowohl für das ursprüngliche als auch für das geänderte Klagebegehren vorliegen (BFH-Urteile vom 19. Mai 1972 III R 138/68, BFHE 106, 8, BStBl II 1972, 703; vom 9. August 1989 II R 145/86, BFHE 158, 11, BStBl II 1989, 981).
b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann das Veranlagungswahlrecht zwar bis zur Unanfechtbarkeit eines Änderungsbescheides ausgeübt und eine einmal getroffene Wahl hinsichtlich der Veranlagungsart --vorbehaltlich rechtsmissbräuchlicher oder willkürlicher Antragstellung-- bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem FG widerrufen werden (BFH-Urteil vom 24. Januar 2002 III R 49/00, BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408, m.w.N.). Die bis zum Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung unbefristet zulässige Ausübung des Wahlrechts besagt indes nichts darüber, unter welchen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen ein solches Begehren zulässig verfolgt werden kann.
Wird eine Änderung der Veranlagungsart beantragt, handelt es sich nicht um eine Änderung eines bereits ergangenen Veranlagungsbescheides. Vielmehr bedarf es eines neuen Veranlagungsverfahrens (BFH-Urteil vom 9. März 1973 VI R 396/70, BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487; Senatsbeschluss vom 6. Februar 1998 III ER -S- 4/97, BFH/NV 1999, 160).
Auch bei Änderung einer Anfechtungsklage gegen einen Zusammenveranlagungsbescheid in eine Verpflichtungsklage auf Durchführung einer getrennten Veranlagung darf das FG daher über das Verpflichtungsbegehren nur sachlich entscheiden, wenn neben den Voraussetzungen des § 67 FGO die Sachentscheidungsvoraussetzungen für eine Verpflichtungsklage gegeben sind.
c) Nach § 44 Abs. 1 FGO ist eine Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO) --vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO-- nur zulässig, wenn das Vorverfahren über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist.
Für die Streitjahre 1989 bis 1991 hat das FA indes weder die Anträge der Kläger auf getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer verbindlich abgelehnt noch haben die Kläger insoweit ein Vorverfahren erfolglos durchgeführt.
2. Ein Vorverfahren ist auch nicht unter den Voraussetzungen einer sog. Sprungverpflichtungsklage nach § 45 FGO entbehrlich, weil es bereits an einem Ablehnungsbescheid fehlt.
3. Die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO liegen schon deshalb nicht vor, weil die Kläger keinen (Untätigkeits-)Einspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 wegen der vom FA unterlassenen getrennten Veranlagung eingelegt haben.
Der Senat nimmt zur weiteren Begründung auf sein Urteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02 unter Ziff. II. 1. bis 3. der Gründe Bezug.
Fundstellen