Entscheidungsstichwort (Thema)
Beratender Betriebswirt als Konkurs- und Vergleichsverwalter
Leitsatz (NV)
1. Auf die Umsätze aus der Tätigkeit eines beratenden Betriebswirts als Konkurs- und Vergleichsverwalter ist nicht der ermäßigte Steuersatz aus § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1967 i. V. mit § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, sondern der Regelsteuersatz anzuwenden.
2. Zu den Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 23. Oktober 1972, BStBl I 1972, 547, als Übergangsregelung hinsichtlich der Besteuerung der in § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG bezeichneten Tätigkeiten (insbes. Vermögensverwaltung) von Freiberuflern mit dem Regelsteuersatz nach dem UStG.
Normenkette
UStG 1967 § 12 Abs. 2 Nr. 5; EStG § 18 Abs. 1 Nrn. 1, 3; AO 1977 § 163 Abs. 1, § 227 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger sind Erben ihres 1977 (während des Klageverfahrens) verstorbenen Vaters (Erblassers). Sie haben dessen Rechtsstreit bezüglich der Umsatzsteuerfestsetzung 1969 bis 1971 fortgeführt.
Der Erblasser war als beratender Betriebswirt sowie (nach den Einnahmen überwiegend) als Konkurs- und Vergleichsverwalter tätig. Er errechnete aus den Einnahmen aus der Konkurs- und Vergleichsverwaltung die Umsatzsteuer mit dem ermäßigten Steuersatz von 5,5 v. H. für freiberufliche Tätigkeit.
Nach einer Betriebsprüfung verneinte das Finanzamt insoweit freiberufliche Tätigkeit im Sinn des § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1967 i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Unter Änderung der nach § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung vorläufigen Steuerfestsetzung 1969 und abweichend von den Steuererklärungen 1970 und 1971 errechnete das Finanzamt die Umsatzsteuer mit dem Regelsteuersatz von 11 v. H. aus den Einnahmen.
Die Umsatzsteuerbescheide hat der Erblasser nicht angefochten. Er hat vielmehr beantragt, ihm aus Billigkeitsgründen nach § 131 RAO die Differenz zwischen dem Regelsteuersatz von 11 v. H. und dem ermäßigten Steuersatz von 5,5 v. H. zu erlassen, weil er nur den ermäßigten Steuersatz in den Rechnungen ausgewiesen habe. Die Voraussetzungen für die begehrte Billigkeitsmaßnahme seien nach dem Erlaß des Niedersächsichen Ministers der Finanzen vom 9. November 1972 - S 7 235-5-32 1 - erfüllt.
Das Finanzamt hat den beantragten Erlaß abgelehnt. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht hat auf die Klage hin den Ablehnungsbescheid und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion aufgehoben und das Finanzamt antragsgemäß verpflichtet, den Klägern die Umsatzsteuer für 1969, 1970 und 1971 zu erlassen. Es hat die Entscheidung der Finanzbehörden als ermessensfehlerhaft angesehen, weil die Erhebung der Umsatzsteuer zum Regelsteuersatz eine unbillige Härte für den Kläger gewesen sei (§ 131 Abs. 1 RAO). Das Ermessen habe nur mit dem Ergebnis ausgeübt werden können, daß die Mehrsteuer nicht erhoben werden dürfe bzw. hier, nach Entrichtung der Steuern, erstattet werden müsse. Das Finanzamt hätte nach dem Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 9. November 1972, der auf das gleichlautende Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen vom 23. Oktober 1972 - F/IV A 1 - S 7235 - 5/72 - (BStBl I 1972, 547) zurückgehe, verfahren müssen, weil dessen Voraussetzungen erfüllt seien. Es handle sich dabei um eine Übergangsregelung der Verwaltung zur Ausübung des Ermessens im Rahmen des § 131 RAO. Die Tätigkeit als Konkurs- und Vergleichsverwalter falle unter § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG, gehöre einkommensteuerrechtlich aber zur freiberuflichen Tätigkeit des Klägers als beratender Betriebswirt und müsse daher nach der Übergangsregelung noch als freiberufliche Tätigkeit vom ermäßigten Steuersatz erfaßt werden.
Mit der Revision rügt das Finanzamt Verletzung des § 131 Abs. 1 RAO. Die Voraussetzungen für eine - hier allein in Betracht kommende - Billigkeitsmaßnahme aus sachlichen Gründen seien nicht gegeben; insbesondere ergebe sich die Billigkeitsmaßnahme nicht aus dem Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 9. November 1972. Der Erlaß erfasse nur die Umsätze, die mit der Tätigkeit des beratenden Betriebswirts als berufstypische Nebentätigkeiten zusammenhingen. Demgegenüber handle es sich bei der Tätigkeit des Erblassers als Konkurs- und Vergleichsverwalter um eine Tätigkeit, die nicht Ausfluß der Tätigkeit eines beratenden Betriebswirts sei, sondern Vermögensverwaltung, wie sie für einen beratenden Betriebswirt gerade nicht berufstypisch sei. Diese sonstige selbständige Tätigkeit des Erblassers im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG habe bei ihm überwogen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Finanzamts ist hinsichtlich der Steuerfestsetzung 1969 unbegründet und hinsichtlich der Steuerfestsetzungen 1970 und 1971 begründet. Das angefochtene Urteil war, soweit es die Verpflichtung zum Erlaß der Umsatzsteuer 1970 und 1971 betrifft, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
1. Das Finanzgericht hat in dem BMWF-Schreiben vom 23. Oktober 1972 (BStBl I 1972, 547) eine sogenannte Anpassungsregelung bzw. Übergangsregelung (§ 131 RAO, jetzt §§ 163 Abs. 1, 227 Abs. 1 AO 1977) der Verwaltung gesehen, die dazu diene, eine verschärfende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs mit Rückwirkung auf in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte insoweit abzumildern, als der Bürger in seiem Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage gehandelt hatte. Dieses Schreiben hat folgenden für den Fall maßgebenden Wortlaut:
,,(1) Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG begünstigt nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte nicht die Umsätze der Freiberufler schlechthin, sondern nur die jeweilige charakteristische Berufstätigkeit der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG genannten Angehörigen eines freien Berufes (vgl. BFH-Urteil vom 12. August 1971 - V R 49/71, BStBl II S. 789, und vom 28. Oktober 1971 - V R 101/71, BStBl 1972 II S. 102). Hierzu gehören die in § 18 Abs. 1 Ziff. 3 EStG bezeichneten Tätigkeiten - insbesondere die Testamentsvollstreckung und die Vermögensverwaltung - nicht, weil diese in der Regel auch von anderen Personen wahrgenommen werden.
(2) Nach geltendem Recht unterliegen daher die Umsätze der Angehörigen eines freien Berufes aus Tätigkeiten der in § 18 Abs. 1 Ziff. 3 EStG bezeichneten Art dem allgemeinen Steuersatz (§ 12 Abs. 1 UStG). Diese Rechtslage soll bei der Novellierung des Umsatzsteuergesetzes ausdrücklich klargestellt werden.
(3) Sind vor dem 1. Januar 1973 ausgeführte Umsätze aus der Tätigkeit der in § 18 Abs. 1 Ziff. 3 EStG bezeichneten Art, die einkommensteuerrechtlich zur freiberuflichen Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG) gehören, bisher mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG besteuert worden, kann es dabei aus Billigkeitsgründen nach § 131 AO verbleiben. Das gilt jedoch nicht in den Fällen, in denen der Unternehmer die Steuer in Höhe des allgemeinen Steuersatzes gesondert in Rechnung gestellt hat."
Der Senat hält den Ausgangspunkt des Finanzgerichts, der Streitfall sei nach Maßgabe des BMWF-Schreiben als einer Übergangsregelung (vgl. dazu z. B. BFH-Urteil vom 23. Februar 1979 III R 16/78, BFHE 127, 476, BStBl II 1979, 455) zu entscheiden, für vertretbar.
Seit dem Urteil des Reichsfinanzhofs vom 28. Juli 1938 IV 75/38, RStBl 1938, 809 - zu § 34 EStG 1934 -, das die Konkursverwaltung zur regelmäßigen (laufenden) Anwaltstätigkeit rechnete, hat die Verwaltung jedenfalls teilweise diese Beurteilung auch auf die Einordnung der Konkurs- und Vergleichsverwaltung durch Angehörige freier Berufe im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG angewendet. Der Bundesfinanzhof hat zwar bereits z. B. im Urteil vom 16. Februar 1961 IV 235/60 U, BFHE 72, 574, BStBl III 1961, 210, die Tätigkeiten eines Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters als Konkurs- und Vergleichsverwalter als wesensmäßig voneinander verschiedene und steuerlich gesondert zu beurteilende angesehen, dabei aber keine abschließende Stellungnahme zur Einbeziehung in den Rahmen des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG getroffen. Die umsatzsteuerrechtliche Praxis folgte bezüglich des § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1967 mit seiner Verweisung auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG teilweise der umfassenden Anwendung der letztgenannten Vorschrift auf sogenannte gemischte Tätigkeiten (vgl. z. B. Plückebaum / Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 12 Abs. 2 Rz. 858 a. E. zu dieser ihrer Auffassung nach unzutreffenden Praxis).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtspraxis stellten sich die im BMWF-Schreiben vom 23. Oktober 1972 genannten Urteile des Bundesfinanzhofs (BFHE 103, 276, BStBl II 1971, 289; und BFHE 103, 451, BStBl II 1972, 102) als verschärfende Rechtsprechung dar, die zu einer engeren Auslegung des § 12 Abs. 1 Nr. 5 UStG unbeschadet einer einkommensteuerrechtlichen Auslegung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 EStG führte.
a) Hinsichtlich der Umsatzsteuer 1969 folgt aus Absatz 3 der Übergangsregelung des BMWF-Schreibens die Verpflichtung des Finanzamts zum Erlaß der Steuer. Das Ermessen des Finanzamts im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über den Steuererlaß aufgrund sachlicher Härte war durch die Übergangsregelung entsprechend eingeengt. Da die Umsätze des Erblassers aus der Tätigkeit als Konkurs- und Vergleichsverwalter durch vorläufigen Steuerbescheid 1969 mit dem ermäßigten Steuersatz - also ,,bisher" - besteuert worden waren, konnte ,,es dabei aus Billigkeitsgründen nach § 131 AO verbleiben", zumal der Erblasser die Umsatzsteuer nicht in Höhe des allgemeinen Steuersatzes gesondert in Rechnung gestellt hatte.
b) Hinsichtlich der Jahre 1970 und 1971 war das Urteil des Finanzgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Hinsichtlich dieser Jahre hatte das Finanzamt noch keine Besteuerung der Konkurs- und Vergleichsverwaltungsumsätze mit dem ermäßigten Steuersatz vorgenommen; die Besteuerung mit dem allgemeinen Steuersatz erfolgte vielmehr erstmalig. Es konnte somit nicht aus Billigkeitsgründen bei der begünstigten Besteuerung ,,verbleiben". Ob die Umsätze des Erblassers aus Konkurs- und Vergleichsverwaltungen in früheren Jahren mit dem ermäßigten Steuersatz besteuert worden waren, kann dabei offenbleiben. Nach Auffassung des Senats ist der Wortlaut der Übergangsregelung in ihrem Abs. 3 im dargestellten Sinn eindeutig. Aus Billigkeitsgründen kann es nur bei einer Besteuerung ,,verbleiben", die (für den maßgeblichen Veranlagungszeitraum) bereits durch Steuerbescheid vorgenommen worden ist. Für eine andere Beurteilung besteht schon nach dem Wortlaut der Regelung kein Anhalt.
Fundstellen