Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitliche Abgrenzung zwischen „altem“ und „neuem“ Wohnungsbegriff
Leitsatz (NV)
Der von der Rechtsprechung entwickelte bewertungsrechtliche "neue" Wohnungsbegriff ist auch dann anzuwenden, wenn nach dem 1. Januar 1973 in einem bestehenden Haus eine weitere Wohneinheit mit den erforderlichen Nebenräumen geschaffen wird oder wenn Wohnräume, die zuvor als solche vor dem 1. Januar 1973 bereits vorhanden waren, aber nach dem "alten" Wohnungsbegriff keine Wohnung bildeten, zu einer Wohneinheit ausgebaut werden.
Normenkette
BewG § 75 Abs. 5-6
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind seit 1979 Miteigentümer je zur Hälfte eines Grundstücks mit einem 1927 errichteten Wohngebäude. Dieses enthielt schon vor dem Erwerb durch die Kläger im Erd-, Ober- und Dachgeschoss Wohnräume, die über ein vom Erd- bis zum Dachgeschoss reichendes Treppenhaus unmittelbar zugänglich waren. Auf den einzelnen Etagen fehlten gesonderte Wohnungsabschlüsse. Im Erd- und Obergeschoss befanden sich jeweils Küchen und Bäder, im Dachgeschoss jedoch zumindest keine Toilette.
Nach dem Erwerb des Grundstücks führten die Kläger in den Jahren 1980/1981 an dem Gebäude umfangreiche Umbau- und Renovierungsmaßnahmen durch. In diesem Zuge errichteten sie im Dachgeschoss eine Dusche, eine Toilette und (neben dem Treppenaufgang) eine Kochnische. Erdgeschoss und Obergeschoss werden von den Klägern als eine Wohnung genutzt. Eine vorher im Obergeschoss vorhandene Küche wurde im Rahmen der Umbaumaßnahmen entfernt. Die Wohnräume im Erd- und Obergeschoss sind auch nach dem Umbau teilweise zum Treppenhaus hin nicht durch einen gesonderten Wohnungsabschluss getrennt. Im Erdgeschoss werden über eine zum Treppenhaus hin offene Diele drei Wohnräume, im Obergeschoss über einen Flur ein Wohnraum unmittelbar vom Treppenhaus, die übrigen Räume jeweils über eine mit einer Tür abgeschlossene Diele erreicht.
Nach dem Erwerb des Grundstücks wurde den Klägern im Rahmen der Zurechnungsfortschreibung nachrichtlich mitgeteilt, dass (weiterhin) die Grundstücksart "Zweifamilienhaus" gegeben sei. Durch Einheitswertbescheid (Artfortschreibung vom 30. September 1998) stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) auf den 1. Januar 1982 die Grundstücksart Einfamilienhaus fest. Der Bescheid enthält den Hinweis nach § 181 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977).
Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Sie beantragten die Feststellung der Grundstücksart "Zweifamilienhaus" und führten zur Begründung aus, die Artfortschreibung sei durch § 22 des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht gedeckt. Die von ihnen vorgenommene tatsächliche Nutzung des Grundstücks stelle keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse dar. Die Grundstücksart Einfamilienhaus sei nicht zutreffend. Schon vor den von ihnen vorgenommenen Umbau- und Renovierungsarbeiten habe sich im Dachgeschoss eine Wohnung befunden. Die Bewohner der Dachgeschossräume hätten eine im Erdgeschoss neben der Küche gelegene separate Toilette benutzt.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Grundstück der Kläger sei nach dem sog. "neuen" Wohnungsbegriff als Einfamilienhaus zu bewerten. Die Räume im Dachgeschoss stellten keine Wohnung dar, weil diese nicht abgeschlossen und nur über gemeinsame Verkehrsflächen mit der weiteren Wohneinheit im Erd- und Obergeschoss erreichbar seien.
Mit der Revision machen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts und des Verfahrensrechts geltend. Sie meinen, die Frage der Grundstücksart sei für das im Jahre 1927 errichtete Gebäude nach dem "alten" Wohnungsbegriff zu entscheiden. Bei den von ihnen durchgeführten Um- und Ausbauarbeiten sei in die Grundsubstanz des Gebäudes nicht eingegriffen worden. Indem die Kochnische vom Obergeschoss ins Dachgeschoss verlegt worden sei, sei lediglich eine Umstrukturierung und Neuaufteilung innerhalb bestehender Wohneinheiten vorgenommen worden.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG Düsseldorf vom 27. April 1999 11 K 9454/98 BG sowie den Einheitswertbescheid (Artfortschreibung) auf den 1. Januar 1982 vom 30. September 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Dezember 1998 aufzuheben.
Das beklagte FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Der Senat hält die geltend gemachte Verfahrensrüge nicht für durchgreifend und sieht nach § 126 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) von einer Begründung ab.
2. Das FG hat zutreffend entschieden, dass das FA das Wohngebäude der Kläger im Wege einer Artfortschreibung auf den 1. Januar 1982 als Einfamilienhaus bewerten durfte.
Nach § 22 Abs. 2 BewG ist im Wege der Fortschreibung über die Art des Gegenstandes eine neue Feststellung zu treffen, wenn sie von der zuletzt getroffenen Feststellung abweicht und es für die Besteuerung von Bedeutung ist. Dabei ist Fortschreibungszeitpunkt bei einer Fortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse der Beginn des Kalenderjahres, das auf die Änderung folgt (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BewG).a) Nach § 75 Abs. 5 und 6 BewG ist für die Abgrenzung der Grundstücksarten Einfamilienhaus und Zweifamilienhaus entscheidend, ob in dem betreffenden Wohngrundstück eine Wohnung oder zwei Wohnungen enthalten sind. Das BewG selbst enthält keine Legaldefinition des Wohnungsbegriffs. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist für die Annahme einer Wohnung für Stichtage ab 1. Januar 1974 u.a. wesentlich, dass die Räume eine von anderen Räumen eindeutig baulich getrennte, in sich abgeschlossene Einheit bilden und einen eigenen Zugang aufweisen. Außerdem ist erforderlich, dass die für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Nebenräume vorhanden sind (s. BFH-Urteil vom 5. Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151). Die Grundstücksart Zweifamilienhaus setzt voraus, dass beide Wohneinheiten diese Voraussetzungen erfüllen. Gemeinsame Verkehrsflächen stehen der Beurteilung von zwei Wohneinheiten als selbständige Wohnungen i.S. des § 75 Abs. 5 und 6 BewG dann entgegen, wenn sie nach ihrer baulichen Lage und Funktion von beiden Wohnbereichen nicht vollständig getrennt sind (vgl. BFH-Urteile vom 26. März 1985 III R 124/84, BFHE 144, 72, BStBl II 1985, 496; vom 16. September 1987 II R 43/85, BFH/NV 1988, 770, und vom 24. April 1991 II R 106/89, BFH/NV 1992, 370, m.w.N.).
Zum zeitlichen Anwendungsbereich dieser Rechtsgrundsätze hat der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die enger gefassten Voraussetzungen des bewertungsrechtlichen ("neuen") Wohnungsbegriffs erstmalig bei der Bewertung von Wohngrundstücken anzuwenden sind, die im Laufe des Jahres 1973 bezugsfertig errichtet oder im Laufe des Jahres 1973 aus- oder umgebaut wurden (s. BFH-Beschluss vom 31. Januar 1996 II B 107/95, BFH/NV 1996, 459, m.w.N.). Der sog. neue Wohnungsbegriff gilt auch dann, wenn nach dem 1. Januar 1973 in einem bestehenden Haus eine weitere Wohneinheit mit den erforderlichen Nebenräumen geschaffen wird (BFH-Urteil vom 13. Mai 1998 II R 32/96, BFH/NV 1998, 1337) oder wenn ―wie im Streitfall― Wohnräumen, die zwar als solche vor dem 1. Januar 1973 bereits vorhanden waren, aber nach dem "alten" Wohnungsbegriff keine Wohnung bildeten, die erforderlichen Nebenräume hinzugefügt und zu einer Wohneinheit ausgebaut werden. Denn eine Beurteilung nach dem Stichtag (1. Januar 1973) neu geschaffener oder erstmals als Wohnung zusammengefasster Räume nach dem alten Wohnungsbegriff hätte ―dem Sinn und Zweck der zeitlichen Abgrenzung zwischen der Anwendbarkeit beider Wohnungsbegriffe zuwider― zur Folge, dass (in Altbauten ohne zeitliche Beschränkung) auch in Zukunft als Wohnungen anzuerkennende Wohneinheiten neu geschaffen werden könnten, die den heutigen Beurteilungskriterien gerade nicht entsprächen.
Nach diesen Grundsätzen war das Wohngrundstück der Kläger als Einfamilienhaus zu bewerten, da es am 1. Januar 1982 keine zwei Wohnungen enthielt. Erd- und Obergeschoss stellen, jeweils für sich gesehen, keine selbständigen Wohnungen dar, weil die beiden Stockwerke nur zusammengenommen die für eine Wohnung erforderlichen Nebenräume (Küche, Bad, Toilette) aufweisen. Der Hauptwohnbereich im Erd- und Obergeschoss sowie die Wohneinheit im Dachgeschoss sind nicht als selbständige Wohnungen anzusehen; die beiden Wohneinheiten sind nicht eindeutig baulich getrennt und voneinander abgeschlossen. Die Wohnräume im Dachgeschoss sind nur über einen Zugang (Treppe) zu erreichen, der über die Diele im Erdgeschoss und über den Flur im Obergeschoss und damit über Verkehrsflächen führt, die Bestandteile der Wohneinheit im Erd- und Obergeschoss sind. Die Wohnräume im Dachgeschoss sind daher gegenüber der darunter liegenden Wohneinheit baulich nicht abgeschlossen und besitzen keinen eigenen getrennten Zugang.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist für die hier streitige Artfeststellung auf den 1. Januar 1982 der "neue" Wohnungsbegriff maßgebend, weil die bereits vor dem 1. Januar 1973 vorhanden gewesenen Wohnräume im Dachgeschoss nach dem "alten" Wohnungsbegriff keine Wohnung darstellten und diesen Räumen die für die Annahme einer selbstständigen Wohneinheit erforderlichen Nebenräume erst 1980/1981 und damit nach dem 1. Januar 1973 hinzugefügt wurden. Denn auch nach dem alten Wohnungsbegriff mussten die Einrichtungen (Küche, Toilette und eine besondere Waschgelegenheit) vorhanden sein, die die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen (vgl. BFH-Urteile vom 15. März 1974 III R 11/73, BFHE 112, 198, BStBl II 1974, 403; vom 24. November 1978 III R 81/76, BFHE 126, 565, BStBl II 1979, 255, und vom 5. März 1986 II R 248/82, BFH/NV 1987, 423). Die Toilette im Erdgeschoss vermag ―wovon das FG zutreffend ausgeht― die (vor dem Ausbau) im Dachgeschoss fehlende Toilette nicht zu ersetzen. Bereits die räumliche Entfernung zwischen dem Erdgeschoss und dem Dachgeschoss schließt eine Zuordnung der Toilette zu den Wohnräumen im Dachgeschoss aus. Denn die Zuordnung eines Raums zu einer bestimmten "Wohnung" entscheidet sich danach, ob er durch seine Lage Teil dieser bestimmten räumlichen Einheit ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151, 153).
Entgegen der Auffassung der Revision kommt es danach nicht darauf an, welchen (relativen) Umfang die Aus- oder Umbaumaßnahmen an dem Gebäude hatten oder ob im Zuge der Errichtung der für die Anerkennung als Wohnung erforderlichen Einrichtungen im Dachgeschoss die Küche im Obergeschoss entfernt wurde. Unerheblich ist auch, welche Grundstücksart vom FA für das Gebäude vor dem 1. Januar 1974 tatsächlich festgestellt wurde.
b) Das FA durfte auch bereits zum 1. Januar 1982 die Artfortschreibung durchführen. Nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BewG ist Fortschreibungszeitpunkt bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse der Beginn des Kalenderjahrs, das auf die Änderung folgt. Im Streitfall haben sich durch die von den Klägern in den Jahren 1980/1981 vorgenommenen Umbauarbeiten die für die Beurteilung der Grundstücksart maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse geändert. Denn die Kläger haben im Zuge dieser Arbeiten aus dem Obergeschoss eine zur Führung eines selbständigen Haushalts erforderliche Einrichtung (Küche) entfernt und im Dachgeschoss entsprechende Einrichtungen neu geschaffen.
Fundstellen
BFH/NV 2003, 7 |
HFR 2003, 119 |