Leitsatz (amtlich)
Die infolge einer Wertsicherungsklausel nachträglich eingetretene Erhöhung einer Rente ist im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG in vollem Umfang beim Betriebsausgabenabzug zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Steuerberater; die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist seine Ehefrau. Aufgrund eines Vertrages vom 30. Juli 1967 erwarb der Kläger von dem Steuerbevollmächtigten A dessen Beraterpraxis. Nach dem Vertrag war A verpflichtet, seine Praxis - mit Ausnahme der Forderungen, Verbindlichkeiten und des PKW - am 1. April 1968 an den Kläger zu übertragen. Dabei sollten insbesondere die an A erteilten Mandantenaufträge samt den hierzu jeweils angelegten Handakten und sonstigen Unterlagen auf den Kläger übergehen. Ferner sollte A dem Kläger die vorhandene Büroeinrichtung einschließlich Büromaschinen und Literatur übertragen. Als Gegenleistung verpflichtete sich der Kläger zur Zahlung eines Betrages von 25 000 DM und einer lebenslänglichen Rente an A (in Höhe von monatlich 1 670 DM) sowie im Falle seines Todes an dessen Ehefrau (in Höhe von monatlich 1 250 DM). Die Rentenzahlungen sollten sich im gleichen Verhältnis ändern wie das Eingangsgehalt eines Zollamtmanns in der Besoldungsgruppe A 11.
Der Kläger ermittelte seinen Gewinn aus der Steuerberatertätigkeit bis einschließlich 31. Dezember 1973 durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). In seinen Bilanzen aktivierte er den von ihm erworbenen Praxiswert und schrieb ihn bis zum 31. Dezember 1973 vollständig ab. Die Rentenverpflichtung passivierte er in seinen Bilanzen mit dem Barwert; dabei berücksichtigte er die durch das Lebensalter der Rentenberechtigten bedingte jährliche Verminderung der Rentenlaufzeit sowie den Wegfall der Rentenverpflichtung gegenüber dem A, der im Jahr 1971 gestorben war. Dagegen unterließ er es, die infolge der Wertsicherungsklausel eingetretenen jeweiligen Erhöhungen der Rentenverpflichtungen beim Ansatz des Barwerts zu berücksichtigen.
Nachdem der Kläger am 1. Januar 1974 zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG übergegangen war, machte er bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer 1975 im Zusammenhang mit seiner Rentenverpflichtung Betriebsausgaben in Höhe von insgesamt 92 974 DM geltend. Davon entfielen 24 476 DM auf die tatsächlich geleisteten Zahlungen und 68 438 DM auf eine Erhöhung des Rentenbarwerts von 117 374 DM zum 31. Dezember 1974 auf 185 872 DM zum 31. Dezember 1975; die Erhöhung hatte der Kläger unter Hinweis auf die infolge der Wertsicherungsklausel eingetretene, bisher jedoch noch nicht berücksichtigte Erhöhung der Rentenverpflichtung errechnet. Den auf diese Weise ermittelten Gewinn legte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer 1975 zugrunde (Bescheid vom 17. Februar 1977).
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung vertrat das FA die Auffassung, die infolge der Wertsicherungsklausel eingetretene Erhöhung der Rentenverpflichtung sei eine Vermögensminderung, die bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG außer Betracht bleiben müsse. Das FA errechnete den für das Streitjahr als Betriebsausgaben abziehbaren Betrag, indem es den im Streitjahr tatsächlich geleisteten Betrag der Rentenzahlungen (24 476 DM) um den Betrag von 4 600 DM verminderte, um den sich der Rentenbarwert infolge der niedrigen Lebenserwartung der Rentenempfängerin Frau A verringert hatte (Bescheid vom 1. März 1978).
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG wirkten sich Wertverschiebungen im Bereich des Betriebsvermögens grundsätzlich nicht auf den Gewinn aus. Dieser Grundsatz werde nur dann durchbrochen, wenn sich anderenfalls bei dieser Gewinnermittlungsart ein anderer Gesamtgewinn als bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG ergebe. Deshalb würden z. B. der Verlust einer betrieblichen Darlehensforderung als Betriebsausgabe und der Wegfall einer betrieblichen Rentenverpflichtung als Betriebseinnahme erfaßt. Die durch den Eintritt der Wertsicherungsklausel im Streitfall erfolgte Werterhöhung der Rentenverpflichtung stelle mangels tatsächlicher Verausgabung keine Betriebsausgabe dar.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Erhöhung des Rentenstammrechts infolge einer Wertsicherungsklausel müsse auch bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG voll zu Lasten des Gewinns vorgenommen werden. Entgegen der Auffassung des FG handele es sich hierbei nicht um eine bloße Wertverschiebung im Bereich des Betriebsvermögens. Vielmehr entstehe mit jeder Rentenanpassung infolge der Wertsicherungsklausel ein neues Wirtschaftsgut "Rentenstammrechtserhöhung"; diese Erhöhung sei ebenso zu behandeln wie das ursprüngliche Rentenstammrecht, aus dem es entstanden sei. Auch bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG werde die Rentenstammrechtserhöhung während der Dauer der Laufzeit der Rente in voller Höhe wirksam. Eine nachträgliche Erhöhung der Anschaffungskosten des (durch Eingehung der Leibrentenverpflichtung) erworbenen Wirtschaftsguts "Praxiswert" sei nicht möglich.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer aus einem zu versteuernden Einkommen von ... DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Das FG hat zu Recht angenommen, daß die im Praxisveräußerungsvertrag vom 30. Juli 1967 vereinbarte Rente als Betriebsveräußerungsrente anzusehen ist.
Gegenstand des Vertrages war die Veräußerung der von A betriebenen Steuerbevollmächtigtenpraxis. Bei dieser Veräußerung stellte die vereinbarte Rentenverpflichtung einen Teil des Kaufpreises für die übertragenen Wirtschaftsgüter dar. Die vereinbarte Rentenverpflichtung entspricht den Voraussetzungen, die an eine betriebliche Veräußerungsrente gestellt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. September 1982 IV R 154/79, BFHE 136, 527, BStBl II 1983, 99). Leistung und Gegenleistung waren offensichtlich nach kaufmännischen Gesichtspunkten abgewogen; die Vertragspartner sind subjektiv von der Gleichwertigkeit beider Leistungen ausgegangen.
2. Für die steuerrechtliche Behandlung des Praxiserwerbs und seiner Folgen während der Zeit, in der der Kläger seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelte, ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
a) Beim Erwerb einer freiberuflichen Praxis sind die erworbenen Wirtschaftsgüter gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 7 EStG mit dem Teilwert, höchstens jedoch mit den Anschaffungskosten in der Eröffnungsbilanz zu aktivieren.
Dies gilt auch beim Erwerb eines Betriebs gegen eine betriebliche Veräußerungsrente. Als Anschaffungskosten für die erworbenen Wirtschaftsgüter ist in diesem Fall der Betrag anzusetzen, der dem kapitalisierten Barwert der Rente entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 31. Januar 1980 IV R 126/76, BFHE 130, 372, BStBl II 1980, 491; näher hierzu Jansen/Wrede, Renten, Raten, Dauernde Lasten, 8. Aufl., S. 101 ff.). Diese mit dem Barwert der Rentenverbindlichkeit anzusetzenden Anschaffungskosten sind nach dem Verhältnis der Teilwerte der angeschafften Wirtschaftsgüter auf diese aufzuteilen. Der die Wirtschaftsgüter übersteigende Betrag des Rentenbarwerts ist als Praxiswert zu aktivieren.
b) In der Eröffnungsbilanz des Betriebserwerbers ist der Barwert der Rentenverpflichtung zu passivieren. Da sich der Barwert der Rentenverpflichtung laufend durch das Älterwerden der Rentenberechtigten und durch die tatsächlichen Rentenzahlungen verringert, ist er zu den einzelnen Bilanzstichtagen neu zu ermitteln und jeweils mit dem geänderten Wert als Schuldposten in der Bilanz auszuweisen (vgl. hierzu das Beispiel bei Jansen/Wrede, a. a. O., S. 104). Diese Rentenbarwertverminderung beeinflußt auch die Höhe der jährlich als Betriebsausgaben absetzbaren Rentenzahlungen. Da ein Teil der Rentenzahlungen als Aufwendungen für die Tilgung der Rentenschuld angesehen werden muß und dieser Teil nicht den Gewinn mindern kann (BFH-Urteil vom 31. August 1972 IV R 93/67, BFHE 107, 205, BStBl II 1973, 51), wirkt sich nur der den Tilgungsanteil übersteigende Betrag (als Zinsanteil) gewinnmindernd aus. Abziehbare Zinszahlungen liegen nur insoweit vor, als die jährlichen Rentenzahlungen die jährliche Barwertminderung übersteigen; nur in dieser Höhe wird der Gewinn tatsächlich gemindert (Jansen/Wrede, a. a. O., S. 104).
c) Wird beim Erwerb einer Praxis gegen Zahlung einer Rente eine Vereinbarung über die Wertsicherung (z. B. durch Bindung der Rentenhöhe an bestimmte Beamtengehälter) getroffen, so bleibt diese Klausel bei der Berechnung des Rentenbarwerts im Zeitpunkt des Betriebserwerbs grundsätzlich außer Betracht (Jansen/Wrede, a. a. O., S. 128).
Bei der aufgrund der Wertsicherungsklausel nachträglich eintretenden Erhöhung der Rentenverpflichtung ist der Kapitalwert der nunmehr zu leistenden höheren Rente (unter Berücksichtigung auch der übrigen Wertveränderungen; s. oben 2.b) neu zu berechnen und zu passivieren. Tritt aufgrund der Wertsicherungsklausel eine Erhöhung des Barwerts der Rentenlast ein, so wirkt sich dies in vollem Umfang gewinnmindernd aus (Gemeinsamer Ländererlaß im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen, vgl. Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 4. Juni 1968 S 2171 - 2/2157 - 1-31 1 in Betriebs-Berater - BB - 1968, 696).
3. Im Streitfall hat der Kläger den von ihm erworbenen Praxiswert in der Zeit, in der er seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelte (also bis zum 31. Dezember 1973), in vollem Umfang abgeschrieben.
Gleichzeitig hat er die Rentenverpflichtung an den jeweiligen Bilanzstichtagen durch Berücksichtigung des Älterwerdens der Rentenberechtigten gekürzt. Dagegen hat es der Kläger während der Zeit, in der er seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelte, versäumt, die infolge der Wertsicherungsklausel eingetretenen jeweiligen Erhöhungen der Rentenverpflichtung durch gewinnmindernde Passivierung der Erhöhungsbeträge zu berücksichtigen. Hierdurch ist sein Gewinn in den Jahren bis zur Umstellung der Gewinnermittlung zu hoch ausgewiesen worden.
Ob der Kläger die in den Jahren 1968 bis 1973 nicht geltend gemachten Gewinnminderungen bis zum Jahre des Übergangs zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG noch hätte nachholen können, mag hier dahinstehen (vgl. BFH-Urteil vom 4. August 1977 IV R 119/73, BFHE 123, 154, BStBl II 1977, 866). Für das Streitjahr 1975 kommt jedenfalls eine nachträgliche Berücksichtigung dieser die Jahre 1968 bis 1973 betreffenden Gewinnminderungen nicht mehr in Betracht.
4. Dagegen wäre eine infolge der Wertsicherungsklausel im Streitjahr 1975 eingetretene Erhöhung der Rentenverpflichtung zu berücksichtigen; dem steht nicht entgegen, daß der Kläger seinen Gewinn seit dem 1. Januar 1974 nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt.
a) Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ist als Gewinn der Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben anzusetzen. Dagegen wirken sich Wertverschiebungen im Bereich des Betriebsvermögens bei dieser Gewinnermittlungsart grundsätzlich nicht auf den Gewinn aus (BFH-Urteil vom 2. September 1971 IV 342/65, BFHE 104, 311, BStBl II 1972, 334). Im Verhältnis zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG führt die Einnahmen-Überschußrechnung zu periodischen Verschiebungen; sie zielt aber darauf ab, den gleichen Gesamtgewinn (Gewinn von der Eröffnung bis zur Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs) zu erfassen wie die Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG (Grundsatz der "Gesamtgewinngleichheit"; vgl. Tipke, Steuerrecht, 9. Aufl., S. 274).
b) Die durch eine Wertsicherungsklausel bedingte Erhöhung einer Rentenverpflichtung ist auch im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zu berücksichtigen.
Zwar sind Zahlungen, die für die Anschaffung abnutzbarer Wirtschaftsgüter geleistet werden, bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht als Betriebsausgaben anzusetzen. Insoweit sind vielmehr "die Vorschriften über die Absetzung für Abnutzung ... zu befolgen" (§ 4 Abs. 3 Satz 3 EStG). Das bedeutet, daß Rentenzahlungen, die als Tilgungsleistungen für den Erwerb eines aus abnutzbaren Wirtschaftsgütern bestehenden Betriebs erbracht werden, nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden können; eine Berücksichtigung des in der Rentenzahlung liegenden Anschaffungsaufwands ist vielmehr nur im Rahmen der Absetzung für Abnutzung (AfA) für die Wirtschaftsgüter des erworbenen Betriebs möglich. Als Betriebsausgabe berücksichtigungsfähig bleibt nur der in der Rentenzahlung enthaltene Zinsanteil (Urteil in BFHE 107, 205, BStBl II 1973, 51). Dieser Zinsanteil wird berechnet, indem man - wie bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG - den tatsächlich gezahlten Rentenbetrag jeweils um den Betrag vermindert, um den sich der Barwert der Rentenverbindlichkeit infolge der Berücksichtigung der verminderten Lebenserwartung des Rentenberechtigten verringert (Jansen/Wrede, a. a. O., S. 104). In dieser Weise ist auch das FA im Streitfall verfahren; es hat zur Ermittlung des als Betriebsausgabe abziehbaren Zinsanteils von den im Streitjahr tatsächlich geleisteten Rentenzahlungen (24 476 DM) den Betrag abgezogen, um den sich der Rentenbarwert infolge der niedrigeren Lebenserwartung der Rentenempfängerin Frau A vermindert hatte.
Dabei hat das FA allerdings außer acht gelassen, daß auch der durch die Wertsicherungsklausel bedingte Erhöhungsbetrag der Rente in vollem Umfang - mithin nicht nur in Höhe des Zinsanteils - als Betriebsausgabe abziehbar ist (so auch Jansen/Wrede, a. a. O., S. 129). Würde man bei der Berechnung des abziehbaren Teils der Rente die durch die Wertsicherungsklausel bedingte Erhöhung nicht als Betriebsausgabe berücksichtigen, so würde sich für die Einnahmen-Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG im Verhältnis zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG eine Schlechterstellung ergeben und damit der Grundsatz der Gesamtgewinngleichheit verletzt werden. Denn im Falle der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG wird die durch Anwendung der Wertsicherungsklausel bedingte Erhöhung der Rente in vollem Umfang als gewinnmindernder Umstand berücksichtigt (siehe oben 2. c).
5. Da das FG von anderen Rechtsüberlegungen ausgegangen ist, ist sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Es ist noch festzustellen, ob und ggf. in welchem Umfang sich die Rentenverpflichtung des Klägers im Streitjahr infolge der Anwendung der Wertsicherungsklausel erhöht - und sein Gewinn sich demgemäß vermindert - hat. Die Sache wird deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
BStBl II 1984, 516 |
BFHE 1984, 548 |