Entscheidungsstichwort (Thema)
Gültigkeit einer Gemeinschaftshandlung; Abfertigung zum freien Verkehr
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH ist der BFH in Fragen, in denen es um die Gültigkeit einer Gemeinschaftshandlung geht, nur verpflichtet, wenn er die Handlung für ungültig hält oder wenigstens Zweifel an ihrer Gültigkeit hat.
2. Einer „Abfertigung zum freien Verkehr in einem Drittland” im Sinn des Gemeinschaftsrechts über die Gewährung von Ausfuhrerstattungen ist die Abfertigung zu einem Veredelungsverkehr unter keinen Umständen gleichzusetzen.
3. Die VO (EWG) Nrn. 245/80, 739/80 und 875/80 sind nicht deswegen ungültig, weil die Kommission in ihnen –möglicherweise wegen der Intervention der UdSSR in Afghanistan– keine Erstattungssätze mehr für Ausfuhren von Butter nach Ländern der Zone C vorgesehen hat, ohne dies ausdrücklich zu begründen.
Orientierungssatz
1. EWG-Verordnungen sind zu begründen. Eine Begründung genügt den Anforderungen des Art. 190 EWGV, wenn die angeführten Gründe eine Erläuterung der wesentlichen Züge der von den Organen der Gemeinschaft getroffenen Maßnahme enthalten; es bedarf keiner besonderen Begründung sämtliche Einzelheiten, die eine bestimmte Maßnahme mit sich bringen kann, wenn jene sich im systematischen Rahmen der Gesamtregelung hält (vgl. EuGH-Rechtsprechung).
2. Die (teilweise) Nichtigkeit von EWG-Verordnungen kann nur der EuGH feststellen (vgl. EuGH-Urteil vom 13.2.1979 Rs. 101/78).
3. Die Frage, ob für die Ausfuhr in ein bestimmtes Land Ausfuhrerstattung festgesetzt werden soll, ist eine Ermessensentscheidung der Kommission der Gemeinschaft. Bei Ermessensentscheidungen hat die Kommission einen weiten Ermessensspielraum. Bei der Kontrolle der Ausübung dieses Ermessens muß sich das Gericht darauf beschränken zu prüfen, ob der Behörde kein offensichtlicher Irrtum oder Ermessensmißbrauch unterlaufen ist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat (vgl. EuGH-Rechtsprechung).
4. Für die Entscheidung der Frage, ob einem Ausfuhrerstattungs-Rückforderungsbescheid der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengesetzt werden kann, können die Rechtsgrundsätze entsprechend angewendet werden, die der BFH zur Nachforderung von Abgaben entwickelt hat.
Normenkette
EWGVtr Art. 177 Abs. 1, Art. 190; EWGV 192/75 Art. 11 Abs. 1; EWGV 2730/79 Art. 20 Abs. 1-2; EWGV 245/80; EWGV 739/80; EWGV 875/80; EWGVtr Art. 177 Abs. 3
Tatbestand
I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) verkauft seit Jahren an zwei österreichische Käseschmelzwerke deutsche Butter und Käse als Rohware zur Verarbeitung in Schmelzkäse. Zwischen dem 12. Februar 1980 und 9. April 1981 beantragte sie in 22 Kontrollexemplaren bei verschiedenen Zollstellen die Versandabfertigung von Butter zur Ausfuhr nach Österreich. Mit der Ausnahme eines Falles beantragte sie gleichzeitig die Anwendung von Ausfuhrlizenzen, in denen der Satz der Ausfuhrerstattung im voraus festgesetzt worden war. Die Buttersendungen wurden nach ihrer Ausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft von der österreichischen Zollstelle in B zum „Eingangsvormerkverkehr … für … Waren zur Veredelung” (§ 67 Abs. 1 Buchst. j des österreichischen Zollgesetzes –ZG–) abgefertigt.
Mit mehreren Bescheiden setzte der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt –HZA–) die Ausfuhrerstattung fest und zahlte sie aus. Dabei ging das HZA von den Ausfuhrerstattungssätzen aus, die im jeweiligen Vorausfestsetzungszeitpunkt –und in dem Fall, in dem eine Ausfuhrlizenz mit Vorausfestsetzung nicht vorgelegt worden war, am Tag der Ausfuhr– galten. In acht Fällen gewährte das HZA nur 85 % der sich aus den jeweils anwendbaren Sätzen ergebenden Ausfuhrerstattung. Fünf dieser Bescheide änderte das HZA mit Bescheiden vom 10. und 31. März 1981 und zahlte den Unterschied zum vollen Betrag der Ausfuhrerstattung nach. Mit Änderungsbescheid vom 9. Oktober 1981 berechnete das HZA die Ausfuhrerstattung in 19 Fällen neu. Es ging nunmehr davon aus, daß der Klägerin in 10 der Fälle keine Ausfuhrerstattung und in den restlichen neun nur 85 % der auf Grund der anwendbaren Sätze zu gewährenden Ausfuhrerstattung zustehe. Den danach zuviel gezahlten Betrag in Höhe von 963 735,92 DM forderte das HZA zurück. Den Einspruch der Klägerin wies das HZA mit Entscheidung vom 26. Juli 1983 zurück. Gegen die übrigen drei Bescheide vom 25. Juni und 2. Juli 1981, mit denen der Klägerin von vornherein nur 85 % Ausfuhrerstattung (204 124,67 DM) gewährt worden war, legte die Klägerin ebenfalls Einspruch ein, mit dem sie die Auszahlung der restlichen 15 % begehrte (*= 36 022 DM). Diesen Einspruch wies das HZA mit Entscheidung vom 3. August 1983 als unbegründet zurück.
Mit ihrer Klage vom 9. August 1983 beantragte die Klägerin, den Änderungsbescheid vom 9. Oktober 1981 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 1983 ersatzlos aufzuheben (im folgenden: Klage 1 = VII R 29/87). Mit Klage vom 15. August 1983 begehrte die Klägerin, unter Aufhebung der Bescheide vom 25. Juni und 2. Juli 1981 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. August 1983 das HZA zu verpflichten, ihr, der Klägerin, auch den Restbetrag der Ausfuhrerstattung zu gewähren (im folgenden: Klage 2 = VII R 31/86). Mit Urteil vom 5. November 1985 IV 99/83 H wies das Finanzgericht (FG) die Klage 2 als unbegründet ab. Dagegen hob das FG mit Urteil vom 24. Januar 1986 IV 96/83 H den Änderungsbescheid vom 9. Oktober 1981 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 1983 auf (Klage 1).
Zur Begründung seines Urteils zur Klage 2 führte das FG im wesentlichen aus: Das HZA habe es zu Recht abgelehnt, der Klägerin Ausfuhrerstattung in voller Höhe zu gewähren. Der streitige Restbetrag der Ausfuhrerstattung werde nach Art. 5 Abs. 7 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 2044/75 –VO Nr. 2044/75– in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1305/80 –VO Nr. 1305/80– der Kommission vom 29. Mai 1980 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften –ABlEG– L 133/24) nur gezahlt, wenn der Nachweis der Einfuhr des Erzeugnisses in eines der Drittländer vorgelegt werde. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Nach dieser Bestimmung finde u.a. Art. 20 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 –VO Nr. 2730/79– der Kommission vom 29. November 1979 (ABlEG L 317/1) Anwendung. Es müsse also eine Abfertigung zum freien Verkehr in einem Drittland stattgefunden haben und dem HZA ein entsprechender Nachweis vorliegen. Hier aber habe lediglich eine Abfertigung zur aktiven Veredelung in Österreich stattgefunden.
Seine Entscheidung, mit der es der Klage 1 stattgab, begründete das FG im wesentlichen wie folgt: Der Rückforderungsbescheid verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Auf Grund des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 27. April 1979 an die Klägerin sei bei der Klägerin der Eindruck entstanden, daß die Abfertigung der Ware zum Veredelungsverkehr in Österreich für die Entstehung eines Anspruchs sowohl bei differenzierter als auch bei nichtdifferenzierter Erstattung ausgereicht habe. Die Klägerin habe unter den gegebenen Umständen auf das nachhaltige Verhalten der Behörde vertrauen dürfen. Sie habe auf Grund dieses Vertrauens auch nicht mehr rückgängig zu machende Vermögensdispositionen getroffen. Ohne die Ausfuhrerstattung hätte sie die fraglichen Geschäfte nicht getätigt und auch die damit verbundenen Aufwendungen nicht gehabt. Auch der Rückforderung der Ausfuhrerstattung für die neun Ausfuhren mit den Vorausfestsetzungszeitpunkten 29. Oktober und 4. November 1980 –für welche eine einheitliche Festsetzung der Ausfuhrerstattung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2697/80 (VO Nr. 2697/80) der Kommission vom 22. Oktober 1980 (ABlEG L 279/21) gegolten habe– stehe der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Durch den am 30. Mai 1980 in Kraft getretenen Art. 5 Abs. 7 Buchst. c VO Nr. 2044/75 habe sich die Rechtslage gegenüber der Lage im Zeitpunkt des Schreibens des BMF vom 27. April 1979 nicht wesentlich geändert.
In seinem Urteil auf die Klage 2 vertrat das FG die Auffassung, daß der Grundsatz von Treu und Glauben der Klage nicht zum Erfolg verhelfen könne. Anders als bei der Klage 1 gehe es hier nicht um die Rückforderung von Ausfuhrerstattung, sondern um deren restliche Gewährung, obwohl insoweit die Voraussetzungen dafür nicht vorlägen. In diesem Falle würde die Berichtigung der restlichen Ausfuhrerstattung zu einer Perpetuierung einer unrechtmäßigen Verwaltungspraxis führen. Das aber sei grundsätzlich nicht zulässig, weil die Verwaltung an das Gemeinschaftsrecht gebunden sei. Etwas anderes könne nur gelten, wenn in dem Verhalten des HZA eine Zusicherung i.S. des § 38 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) zu sehen wäre, die Ausfuhrerstattung vollen Umfangs zu gewähren. Eine solche Zusicherung könne im Schreiben des BMF vom 27. April 1979 nicht erblickt werden. Denn durch das Inkrafttreten der VO Nr. 1305/80 am 30. Mai 1980 sei eine andere Rechtslage eingetreten.
Gegen das Urteil auf die Klage 1 legte das HZA Revision mit dem Antrag ein, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin legte Revision ein gegen das Urteil auf die Klage 2 mit dem Antrag, unter Abänderung der Vorentscheidung nach ihren Anträgen in der Vorinstanz zu entscheiden. Beide Beteiligten beantragten, die Revision des jeweils anderen Beteiligten als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des HZA im Verfahren VII R 29/87 ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Urteils der Vorinstanz vom 24. Januar 1986 IV 96/83 H und zur Abweisung der Klage. Die Revision der Klägerin im Verfahren VII R 31/86 gegen das Urteil der Vorinstanz vom 5. November 1985 IV 99/83 H ist dagegen unbegründet.
1. Das HZA war nach Gemeinschaftsrecht gehalten, der Klägerin Ausfuhrerstattung nur in der Höhe zu gewähren, wie es das mit den Erstattungsbescheiden in Form des Änderungsbescheides vom 9. Oktober 1981 bzw. mit den Bescheiden vom 25. Juni und 2. Juli 1981 getan hat. In den Fällen der letztgenannten Bescheide ergibt sich das unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht. Im Falle des Änderungsbescheides vom 9. Oktober 1981 ist als zusätzliche Rechtsgrundlage Art. 19 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 2 der EWG-Ausfuhrerstattungs-Verordnung 1980 heranzuziehen, wonach Erstattungsbescheide zurückzunehmen oder zu ändern sind, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung nicht vorgelegen haben oder entfallen sind, und zu Unrecht empfangene Erstattungsbeträge zurückgezahlt werden müssen.
a) Für die 10 Ausfuhrsendungen des Jahres 1980 (vgl. Anlage zur Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 1983) setzte das HZA mit den ursprünglichen Erstattungsbescheiden jeweils Ausfuhrerstattung fest in Höhe von 100 % der Erstattungssätze, die sich aus den Verordnungen (EWG) der Kommission Nr. 245/80 –VO Nr. 245/80– vom 1. Februar 1980, ABlEG L 27/31, Nr. 739/80 –VO Nr. 739/80– vom 27. März 1980, ABlEG L 83/36 und Nr. 875/80 –VO Nr. 875/80– vom 10. April 1980, ABlEG L 94/13, ergaben. Diese Verordnungen sahen für Butter der ausgeführten Beschaffenheit bei der Ausfuhr nach den Zonen C 1 und C 2 keine, bei der Ausfuhr nach den anderen Bestimmungsgebieten Erstattungssätze in bestimmter Höhe vor. Diese Erstattungssätze waren also je nach der Bestimmung unterschiedlich hoch. In solchen Fällen war nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 192/75 (VO Nr. 192/75) der Kommission vom 17. Januar 1975 (ABlEG L 25/1) und Art. 20 Abs. 1 VO Nr. 2730/79 (letztere VO löste mit Wirkung vom 1. April 1980 die erstgenannte ab) die Zahlung der Ausfuhrerstattung davon abhängig, daß das Erzeugnis in eines der Drittländer eingeführt worden war, für das die Ausfuhrerstattung vorgesehen war. Als eingeführt galt das Erzeugnis, für das die Zollförmlichkeiten für die Abfertigung zum freien Verkehr in dem betreffenden Drittland erfüllt worden waren (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 192/75; Art. 20 Abs. 2 VO Nr. 2730/79). Die Butter ist in Österreich zum Eingangsvormerkverkehr (aktiver Veredelungsverkehr) nach österreichischem Recht abgefertigt worden. Der Senat teilt die Auffassung des FG, daß sie damit nicht zum freien Verkehr im Sinne der zitierten Vorschriften abgefertigt worden ist. Daher ist der Änderungsbescheid vom 9. Oktober 1981, nach dem für die genannten 10 Ausfuhren keine Ausfuhrerstattung gewährt und die zuviel gezahlte Ausfuhrerstattung zurückgefordert worden ist, rechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Der Ausdruck „Abfertigung zum freien Verkehr” ist ein zolltechnischer Begriff, dem eine ganz bestimmte Bedeutung zukommt. Diese Bedeutung wird z.B. umschrieben durch die Begriffsbestimmung „Überführung in den freien Verkehr” im Anhang B. 1 zum Internationalen Übereinkommen zur Vereinfachung und Harmonisierung der Zollverfahren (Kyoto-Übereinkommen), den der Rat mit Beschluß vom 7. März 1985 im Namen der Gemeinschaft angenommen hat (ABlEG L 87/8). Dort heißt es, daß die Überführung in den freien Verkehr das Zollverfahren ist, „nach dem die eingeführten Waren ständig im Zollgebiet verbleiben dürfen. Dieses Verfahren schließt die Entrichtung etwa fälliger Eingangsabgaben und die Durchführung aller erforderlichen Zollförmlichkeiten ein.” Die Überführung (Abfertigung) von Waren in den aktiven Veredelungsverkehr ist also der Überführung in den freien Verkehr nicht gleichzusetzen (vgl. auch Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 des Rates vom 16. Juli 1985 über den aktiven Veredelungsverkehr, ABlEG L 188/1). Das gilt auch für Österreich, ebenfalls einem Vertragspartner des Kyoto-Übereinkommens, das die Abfertigung zum freien Verkehr (§§ 61 bis 65 des österreichischen ZG) rechtlich unterscheidet von der Abfertigung zum Vormerkverkehr (einschließlich der zur aktiven Veredelung), die in den §§ 66 ff. des österreichischen ZG geregelt ist.
Eine teleologische Erweiterung der Regelung des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 192/75 bzw. des Art. 20 Abs. 2 VO Nr. 2730/79 in dem Sinn, daß als „eingeführt” auch zum aktiven Veredelungsverkehr abgefertigte Waren angesehen werden, ist nichtzulässig. Eine solche Rechtsfortbildung wäre mit dem Sinn der Regelung, wie ihn der EuGH durch mehrere Urteile beschrieben hat, nicht vereinbar. In seinem Urteil vom 11. Juli 1984 Rs. 89/83 (EuGHE 1984, 2815, 2831) hat der EuGH unter Hinweis auf frühere Urteile zum Ausdruck gebracht, daß Zweck der Differenzierung der Erstattungssätze ist, „die Märkte der in Betracht kommenden Drittländer zu erschließen und zu erhalten” (Absatz 8 der Gründe), weswegen es auf die Besonderheiten der jeweiligen Einfuhrmärkte ankomme und daher die Zahlung der jeweiligen Erstattung von der Erfüllung jener Förmlichkeiten abhängig gemacht werden müsse, die im Prinzip den tatsächlichen Zugang zum Markt des Bestimmungsgebietes garantiere. Wesentlich ist also die Vermarktung, d.h. die Teilnahme am Handel in dem betreffenden Gebiet (vgl. auch die Schlußanträge des Generalanwalts Lenz vom 29. Mai 1984, EuGHE 1984, 2835, 2843). Waren aber, die in einem Drittland zum aktiven Veredelungsverkehr abgefertigt worden sind, sind dort nicht vermarktet. Sie stehen auf diesem Markt nicht frei zur Verfügung, da sie noch unter zollamtlicher Überwachung stehen und der Zoll für sie noch nicht bezahlt ist. Sie konkurrieren daher auch noch nicht in vollem Umfang mit inländischen oder auf dem Inlandsmarkt frei verfügbaren ausländischen Waren und üben somit keinen oder nur geringen Einfluß auf die Preisbildung in diesem Markt aus. Es ist infolgedessen nicht gerechtfertigt, solche Waren in den Genuß von Erstattungssätzen gelangen zu lassen, deren Höhe mit Rücksicht auf die Preisverhältnisse auf diesem Markt festgesetzt worden ist.
Die Einwendungen der Klägerin gegen diese Auffassung sind nicht stichhaltig. Es trifft nach den Ausführungen im Vorabsatz gerade nicht zu, daß die zum aktiven Veredelungsverkehr abgefertigte Butter Zugang zum Binnenmarkt Österreichs gefunden hat. Daran ändert nichts, daß die in Österreich hergestellten Waren Erzeugnisse mit Ursprung in Österreich geworden sind. Es mag sein, daß bei Durchführung der aktiven Veredelung in Österreich (Herstellung von Schmelzkäse) Mißbräuche i.S. der Regelung des Art. 6 Abs. 1 VO Nr. 192/75 bzw. des Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 2730/79 (vgl. die Begründungserwägungen Abs. 6 der VO Nr. 192/75 und Abs. 10 zur VO Nr. 2730/79) nicht zu befürchten waren. Die hier anwendbaren Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 192/75 bzw. Art. 20 Abs. 1 VO Nr. 2730/79 haben eine andere Zielrichtung, nämlich den Zweck sicherzustellen, daß eine Ware den Drittlandsmarkt, auf den der Erstattungssatz zugeschnitten ist, auch erreicht (vgl. die Begründungserwägungen Absatz 12 VO Nr. 192/75 bzw. Abs. 17 VO Nr. 2730/79). Deswegen war dafür durch Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 192/75 bzw. Art. 20 Abs. 2 VO Nr. 2730/79 vorgesehen, daß allein die Abfertigung zum freien Verkehr im genannten Sinn ausreicht.
bb) Unbeschadet der Regelung des Art. 6 VO Nr. 192/75 bzw. Art. 10 VO Nr. 2730/79 wird Erstattung gewährt allein auf Grund des Nachweises, daß das Erzeugnis das geographische Gebiet der Gemeinschaft verlassen hat; das gilt aber nur, sofern für ein Erzeugnis eine Erstattung für alle Drittländer festgesetzt worden ist (Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 192/75; Art. 21 Abs. 1 und 2 VO Nr. 2730/79). Da im maßgebenden Zeitpunkt nach den Verordnungen Nr. 245/80, Nr. 739/80 und Nr. 875/80 keine Ausfuhrerstattung für die Ausfuhr nach den Ländern der Zonen C 1 und C 2 vorgesehen war, kam die Gewährung einer solchen Ausfuhrerstattung allein auf Grund des –in den genannten Ausfuhrfällen geführten– Nachweises, daß die Butter das Gebiet der Gemeinschaft verlassen hat, also nicht in Betracht.
cc) Die Klägerin wendet ein, die Verordnungen Nr. 245/80, Nr. 739/80 und Nr. 875/80 seien unwirksam, soweit für die Zonen C 1 und C 2 die Ausfuhrerstattung ausgesetzt worden sei, da diese Maßnahmen allein aus politischen Gründen getroffen worden seien. Es kann dahinstehen, ob eine (teilweise) Nichtigkeit der genannten Verordnungen –die nur der EuGH feststellen könnte (Urteil vom 13. Februar 1979 Rs. 101/78, EuGHE 1979, 623, 636)– überhaupt die Wirkung haben könnte, daß bei Anwendung des Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 192/75 und Art. 20 Abs. 1 VO Nr. 2730/79 zugunsten der Klägerin vom Nichtbestehen unterschiedlicher Ausfuhrerstattungssätze ausgegangen werden könnte. Denn jedenfalls teilt der Senat die Auffassung der Klägerin nicht. Jeder Rechtsakt der Gemeinschaft hat die Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich (EuGHE 1979, 623, 636; Art. 173, 174, 177, 184 EWGV; Wenig in Grabitz, EWG-Vertrag Art. 174 Anm. 1; Daig in Groeben/Boeckh/Thiesing/Ehlermann, EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 174 Anm. 7). Diese Vermutung ist durch das Vorbringen der Klägerin nicht erschüttert worden.
Handlungen der Organe der Gemeinschaft sind unrechtmäßig und ungültig, wenn sie u.a. unter Verletzung von Formvorschriften zustande gekommen sind (Art. 173 Abs. 1, Art. 177 Abs. 1 Buchst. b EWGV). Zu diesen Formvorschriften gehört auch die Pflicht, Verordnungen mit Gründen zu versehen (Art. 190 EWGV). Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die für die Frage, ob unterschiedliche Ausfuhrerstattungen vorliegen, maßgebenden Verordnungen Nr. 245/80, Nr. 739/80 und Nr. 875/80 ausreichend begründet.
Eine Begründung genügt den Anforderungen des Art. 190 EWGV, wenn die angeführten Gründe eine Erläuterung der wesentlichen Züge der von den Organen der Gemeinschaft getroffenen Maßnahme enthalten; es bedarf keiner besonderen Begründung sämtlicher Einzelheiten, die eine bestimmte Maßnahme mit sich bringen kann, wenn jene sich im systematischen Rahmen der Gesamtregelung hält (EuGH-Urteil vom 12. Juli 1979 Rs. 166/78, EuGHE 1979, 2575, 2597). Es ist der Gesamtzusammenhang der Regelung zu sehen und zu bewerten, in dem die Verordnung steht (EuGH-Urteil vom 25. Oktober 1978 Rs. 103 und 145/77, EuGHE 1978, 2037, 2074).
Die genannten Verordnungen gehören in den Gesamtzusammenhang der Regelung der Ausfuhrerstattung. Verordnungen dieser Art erläßt die Kommission in unregelmäßigen Abständen, um die in Art. 17 der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 –VO Nr. 804/68– des Rates vom 27. Juni 1968 (ABlEG L 148/13) vorgesehenen Ausfuhrerstattung der Höhe nach zu bestimmen bzw. den veränderten Umständen anzupassen. Bei solchen Verordnungen, die mehr technischer Natur und schnellebig sind, kann nicht erwartet werden, daß die Höhe der zahlreichen festgesetzten Erstattungssätze besonders begründet wird (vgl. auch EuGH-Urteil vom 1. Dezember 1965 Rs. 16/65, EuGHE 1965, 1151, 1167, in einem teilweise ähnlich liegenden Fall). Es ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, daß die Kommission keine eigene Begründung dazu gegeben hat, warum keine Ausfuhrerstattung für Ausfuhren nach den Ländern der Zonen C 1 und C 2 festgesetzt worden sind.
Anders wäre allenfalls dann zu entscheiden, wenn nicht ausgeschlossen werden könnte, daß sich hinter dem Mangel dieser Begründung ein materieller Rechtsmangel verbirgt (vgl. Daig, a.a.O., Art. 190 Anm. 6). Das Vorliegen eines solchen Rechtsmangels, d.h. die Verletzung des EWGV oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder Ermessensmißbrauch der Kommission (Art. 173 EWGV), behauptet die Klägerin auch. Der Senat folgt ihr darin aber nicht.
Nach Art. 17 VO Nr. 804/68 kann der Unterschied zwischen den Preisen von Milch und Milcherzeugnissen im internationalen Handel und den Preisen dafür in der Gemeinschaft durch eine Ausfuhrerstattung ausgeglichen werden. Die Grundregeln für die Gewährung der Ausfuhrerstattung sind in der VO (EWG) Nr. 876/68 –VO Nr. 876/68– des Rates vom 28. Juni 1968 (ABlEG L 155/1) festgelegt. Nach Art. 4 dieser Verordnung kann die Ausfuhrerstattung je nach Bestimmungsgebiet in unterschiedlicher Höhe festgesetzt werden, wenn die Lage im internationalen Handel oder die besonderen Erfordernisse bestimmter Märkte dies notwendig machen. Zum Erlaß der Durchführungsbestimmungen ist die Kommission ermächtigt (Art. 17 Abs. 4, 30 VO Nr. 804/68). Die Frage, ob für die Ausfuhr in ein bestimmtes Land Ausfuhrerstattung festgesetzt werden soll, ist also eine Ermessensentscheidung der Kommission.
Bei Ermessensentscheidungen hat die Kommission nach ständiger Rechtsprechung des EuGH einen weiten Ermessensspielraum. Bei der Kontrolle der Ausübung dieses Ermessens muß sich das Gericht darauf beschränken zu prüfen, ob der Behörde kein offensichtlicher Irrtum oder Ermessensmißbrauch unterlaufen ist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums nicht offensichtlich überschritten hat (vgl. Urteile des EuGH vom 25. Juni 1975 Rs. 5/75, EuGHE 1975, 759, 770, und vom 22. Januar 1976 Rs. 55/75, EuGHE 1976, 19, 30). Der Senat vermag solche Fehler nicht zu erkennen. Auch wenn für die Nichtfestsetzung von Ausfuhrerstattung bei der Ausfuhr nach Ländern der Zonen C 1 und C 2 politische Motive –die Intervention der UdSSR in Afghanistan– maßgebend gewesen sein sollten, hat die Kommission damit ihr Ermessen nicht fehlerhaft angewendet. Denn es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Kommission bei ihrer Entscheidung über die Festsetzung oder Nichtfestsetzung von Ausfuhrerstattung –eine Entscheidung, die sich zweifellos in den Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik i.S. der Art. 38 ff. EWGV einfügt– nur wirtschaftspolitische und nicht auch allgemeinpolitische Erwägungen –die beide ohnehin nicht immer scharf zu trennen sind– anstellen darf. Die an einer solchen Auffassung vom Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 26. Mai 1983 I/2 E 5763/81, Recht der Internationalen Wirtschaft –RIW– 1984, 227) geäußerten Zweifel teilt der Senat nicht, zumal das Verwaltungsgericht dabei offenbar nicht bedacht hat, daß es sich um eine Ermessensentscheidung der Kommission handelt.
b) Für die 12 Ausfuhrsendungen der Klägerin nach Österreich im Jahre 1981 setzte das HZA zu Recht von vornherein (Bescheide vom 25. Juni und 2. Juli 1981 für die drei letzten Sendungen) bzw. durch Änderungsbescheid vom 9. Oktober 1981 für die neun übrigen Sendungen (Anlage zur Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 1983) Ausfuhrerstattung fest in Höhe von 85 % der Erstattungssätze, die durch die VO Nr. 2697/80 festgesetzt worden waren. Die Zahlung von (nur) 85 % der durch die VO Nr. 2697/80 vorgesehenen Ausfuhrerstattung beruhte auf Art. 5 Abs. 7 Buchst. a VO Nr. 2044/75 (i.d.F. der VO Nr. 1305/80). Danach wurde abweichend von Art. 9 Abs. 1, 21 und 24 und unbeschadet von Art. 10 VO Nr. 2730/79 nur der genannte Betrag gezahlt, wenn allein der Nachweis nach Art. 9 Abs. 1 Zweiter Gedankenstrich VO Nr. 2730/79 (Verlassen des geographischen Gebiets der Gemeinschaft) erbracht worden war. Ein Anspruch auf Zahlung des Restbetrages bestand nach Art. 5 Abs. 7 Buchst. c VO Nr. 2044/75 (in der genannten Fassung) nur bei Vorlage des Nachweises der Einfuhr des Erzeugnisses in eines der Drittländer. Durch ausdrücklichen Hinweis in dieser Vorschrift auf Art. 20 Abs. 2 VO Nr. 2730/79 war klargestellt, daß der Nachweis der Erfüllung der Förmlichkeiten für die Abfertigung zum freien Verkehr gefordert war. Da die Klägerin diesen Nachweis nicht geführt hat (vgl. die Ausführungen unter a, aa), hat sie keinen Rechtsanspruch auf die Zahlung des Restbetrages von 15 %. Die angefochtenen Bescheide des HZA sind daher rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Die Klägerin kann sich gegenüber dem Änderungsbescheid des HZA vom 9. Oktober 1981 und gegenüber den Bescheiden des HZA vom 25. Juni und 2. Juli 1981, in denen ihr nur 85 % der Ausfuhrerstattung zugesprochen worden sind, nicht mit Erfolg auf den Grundsatz von Treu und Glauben bzw. des Vertrauensschutzes berufen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es hier auf Gemeinschaftsrecht ankommt (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 3. Mai 1978 Rs. 112/77, EuGHE 1978, 1019, 1032; Pernice in Grabitz, a.a.O., Art. 164 Anm. 93 ff.) oder ob allein oder teilweise nach deutschem Recht zu entscheiden ist (vgl. Senatsurteil vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90; § 38 VwVfG; zum Problem vgl. auch Kaiser-Plessow in RIW 1988, 71). Denn jedenfalls fehlt es an einem vertrauenstiftenden Verhalten der Verwaltung; allein ein solches Verhalten aber könnte eine Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben bzw. des Vertrauensschutzes rechtfertigen.
a) Das BMF-Schreiben an die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 27. April 1979 hat das FG dahin ausgelegt, daß der BMF damit zugesagt habe, die Abfertigung der Butter zum österreichischen Veredelungsverkehr sei sowohl bei differenzierter als auch bei einheitlicher Erstattung eine ausreichende G rundlage für die Gewährung der Ausfuhrerstattung. Diese Auslegung hat der Senat darauf zu überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches –BGB–) beachtet hat (vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Anm. 17). Diese Prüfung ergibt, daß das FG den objektiven Erklärungswert dieses Schreibens verkannt hat. Dabei geht der Senat wie die Vorinstanz davon aus, wie die Klägerin das BMF-Schreiben nach den ihr bekannten Umständen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. auch Senatsbeschluß vom 25. August 1981 VII B 3/81, BFHE 134, 97, 100, BStBl II 1982, 34).
Das Schreiben des BMF vom 27. April 1979 kann nicht als eine Auskunft, Zusage, Zusicherung oder eine sonst nach dem Grundsatz von Treu und Glauben trotz etwaiger Fehlerhaftigkeit als für die Zukunft verbindlich zu erachtende Erklärung angesehen werden, die als eine ausreichende Grundlage für das Vertrauen der Klägerin darauf gewertet werden könnte, das HZA werde Ausfuhrerstattungen auch für den –erst ab 2. Februar 1980 eingetretenen– Fall weiter gewähren, daß unterschiedliche Erstattungssätze für die Ausfuhr von Butter eingeführt würden.
b) Auch die Erstattungspraxis des HZA ist keine ausreichende Grundlage für die Berufung der Klägerin auf den Grundsatz von Treu und Glauben.
Mit Recht ist das FG davon ausgegangen, daß für die Entscheidung der Frage, ob dem Rückforderungsbescheid des HZA der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengesetzt werden kann, die Rechtsgrundsätze entsprechend angewendet werden können, die der Bundesfinanzhof (BFH) zur Nachforderung von Abgaben entwickelt hat. Danach verstößt die Inanspruchnahme des Betroffenen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sie im Widerspruch steht zu einem vorangegangenen nachhaltigen Verhalten der Verwaltung, der Betroffene wegen dieses Verhaltens auf ein entsprechendes künftiges Verhalten der Verwaltung vertraut und vertrauen durfte und daher die Rückzahlungsaufforderung mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar ist (vgl. z.B. Senatsurteil vom 25. Oktober 1977 VII R 5/74, BFHE 124, 105, 107, BStBl II 1978, 274). Da die Anwendung dieses Grundsatzes dazu führt, daß im Einzelfall gesetztes Recht weichen muß, kann seine Anwendung nur in Frage kommen, wenn es sich um einen besonders gelagerten Fall handelt, in dem das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maße schutzwürdig ist, daß demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der gleichen Behandlung aller Steuerpflichtigen zurücktreten müssen (BFHE 124, 105, 108, BStBl II 1978, 274, 276). Im vorliegenden Fall fehlt der Erstattungspraxis des HZA die nach dieser Rechtsprechung erforderliche Nachhaltigkeit.
Nach Art. 19 und 20 EWG-Ausfuhrerstattungs-Verordnung 1980 ist das HZA verpflichtet, rechtswidrige Erstattungsbescheide zu ändern und zu Unrecht ausbezahlte Ausfuhrerstattung zurückzufordern. Daraus ergibt sich, daß der Erlaß eines oder mehrerer rechtswidriger Bescheide allein nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben der Rückforderung entgegenstehen kann, weil sonst die genannten Vorschriften leer liefen. Eine rechtswidrige Verwaltungspraxis der Verwaltung weist die erforderliche Nachhaltigkeit vielmehr nur dann auf, wenn zur schlichten Fehlerhaftigkeit der Praxis weitere Umstände hinzukommen, die für den Betroffenen in besonderem Maße Anlaß sein können, auf die künftige Beibehaltung der Praxis zu vertrauen. Solche Momente sind im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß es sich um die Praxis des HZA auf einem Rechtsgebiet handelt, das in besonderem Maße gekennzeichnet ist durch häufige Rechtsänderungen, wie etwa den Übergang zur differenzierten Erstattung durch die VO Nr. 245/80 oder die wesentliche Neuregelung durch die VO Nr. 1305/80. In solchen Fällen ist ein Vertrauen des Betroffenen in die künftige Beibehaltung einer aktuellen Verwaltungspraxis im Regelfall nicht gerechtfertigt.
Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß fünf der ursprünglichen Bescheide, nach denen nur 85 % der Ausfuhrerstattung gezahlt worden waren, durch die Bescheide vom 10. und 31. März 1981 zunächst zugunsten der Klägerin geändert worden waren. Es kann dahingestellt bleiben, ob solchen zwischenzeitlichen Änderungen die erforderliche Nachhaltigkeit zuerkannt werden kann. Diese fehlt jedenfalls den beiden Änderungsbescheiden. Nach ihrer Begründung dienten sie u.a. der Berichtigung bestimmter Fehler (Anwendung falscher Erstattungssätze). Es fehlt in ihrer Begründung jeder Hinweis auf die Regelung der VO Nr. 2044/75. Für die Klägerin mußte also unklar bleiben, worauf das HZA die später wieder rückgängig gemachte Auszahlung der restlichen 15 % stützte. Damit fehlte es aber an einer genügend nachdrücklichen Bestätigung einer falschen Erstattungsgewährung durch das HZA mit bindender Wirkung für die Zukunft.
Zu Recht hat das FG entschieden, daß die Bescheide des HZA vom 25. Juni und 2. Juli 1981 in den drei letzten Ausfuhrfällen, in denen dieses von vornherein die Erstattung über 85 % der Erstattungssätze hinaus abgelehnt hatte, nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen hat. Auf die frühere Verwaltungspraxis des HZA kann sich die Klägerin in diesem Fall schon deswegen nicht mit Erfolg berufen, weil die Verwaltung durch den Grundsatz von Treu und Glauben nicht gehindert ist, eine unrichtige Verwaltungspraxis für die Zukunft aufzugeben (vgl. zur parallelen Frage der Nichtbindung des FA an die Sachbehandlung in früheren Veranlagungszeiträumen die Rechtsprechungsübersicht bei Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 4 AO 1977 Anm. 59 Abs. 2).
3. Der Senat ist nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.
a) Wegen der Frage der Gültigkeit der VO Nrn. 245/80, 739/80 und 875/80 bedarf es nach Art. 177 Abs. 1 und 3 EWGV keines Vorabentscheidungsersuchens. Für die Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftshandlungen spricht eine Vermutung (EuGHE 1979, 623, 636). Die nationalen Gerichte können die Gültigkeit einer Gemeinschaftshandlung selbst prüfen und, wenn sie die Gründe, die von den Beteiligten für die Ungültigkeit vorgebracht werden, für nicht zutreffend halten, diese Gründe mit der Feststellung zurückweisen, daß die Handlung in vollem Umfang gültig ist (EuGH-Urteil vom 22. Oktober 1987 Rs. 314/85, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR– 1988, 82, Abs. 14 der Gründe). Wenn die nationalen Gerichte so vorgehen, stellen sie die Existenz der Gemeinschaftshandlung nicht in Frage (EuGH-Urteil in HFR 1988, 82). Die Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft, deren Verhinderung Ziel der in Art. 177 Abs. 3 EWGV geregelten Vorlagepflicht letztinstanzlicher nationaler Gerichte ist (EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415), besteht also nicht. Infolgedessen besteht bei der Prüfung der Gültigkeit von Gemeinschaftshandlungen die Pflicht solcher Gerichte zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nur, wenn sie eine Gemeinschaftshandlung für ungültig halten (EuGH-Urteil in HFR 1988, 82) oder wenn sie zumindest Zweifel an der Gültigkeit dieser Gemeinschaftshandlung haben (vgl. auch Daig, a.a.O., Art. 177 Anm. 41, mit Hinweisen auf das Schrifttum).
b) Bei der Auslegung des Begriffes „Abfertigung zum freien Verkehr” des Gemeinschaftsrechts folgt der Senat der gesicherten Rechtsprechung des EuGH. Auch im übrigen ist die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts im vorliegenden Verfahren derart offenkundig, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Fragen bleibt. In Anwendung der Rechtsgrundsätze des Urteils in EuGHE 1982, 3415, 3430 (Abs. 16 der Gründe) sieht der Senat daher auch insoweit von einer Vorlage an den EuGH ab.
Fundstellen
Haufe-Index 557430 |
BFHE 152, 382 |
HFR 1988, 329 (LT1-30) |