Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuordnung einer Tätigkeit zum Getreidegroßhandel oder zum investitionszulagenbegünstigten verarbeitenden Gewerbe
Leitsatz (NV)
1. Nach ständiger Rechtsprechung sind für die Abgrenzung der nach § 3 Satz 2 InvZulG 1993 von der Förderung ausgenommenen Wirtschaftszweige die vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Verzeichnisse der Wirtschaftszweige als Dokumentation der Verkehrsauffassung heranzuziehen.
2. Zum Handel gehört jede wirtschaftliche Tätigkeit, die überwiegend darin besteht, bewegliche Sachgüter zu beziehen und ohne mehr als handelsübliche Be- oder Verarbeitung weiter zu veräußern. Zu den sog. handelsüblichen Manipulationen, die den Charakter einer Ware als Handelsware nicht berühren, gehören Sortieren, Zerteilen, Mischen, Verpacken u.s.w. und auch geringfügige Bearbeitungsvorgänge.
3. Für das verarbeitende Gewerbe ist kennzeichnend, dass die wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend darin besteht, Erzeugnisse zu be- oder verarbeiten, um dadurch andere Produkte herzustellen, oder die Erzeugnisse zu veredeln. Dabei sind nur solche Tätigkeiten als Verarbeitung anzusehen, welche die Ware in ihrer stofflichen Zusammensetzung erheblich verändern.
4. Wird das zum Weiterverkauf vorgesehene Getreide nicht nur gereinigt, getrocknet und sortiert, sondern dabei auch die äußerste Schalenschicht entspelzt und entfernt (sog. Weißreinigung), führt dies nicht zu einer erheblichen Veränderung des Getreides mit dem Ziel der Herstellung eines neuen Produkts. Diese Arbeiten gehören vielmehr zu den typischen handelsüblichen Manipulationen eines Großhändlers.
Normenkette
InvZulG 1993 §§ 2, 3 S. 1 Nr. 3 Buchst. a, S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt lt. Gewerbeanmeldung ein Unternehmen, das den Großhandel mit Getreide und Ölsaaten sowie die Herstellung von Mischfutter für Tiere zum Gegenstand hat.
Sie beantragte für das Kalenderjahr 1993 für verschiedene Wirtschaftsgüter Investitionszulage in Höhe von … DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte den Antrag ab unter Hinweis darauf, dass die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. Sie habe trotz schriftlicher Aufforderungen weder Rechnungen vorgelegt noch ihre genaue Tätigkeit beschrieben.
Im Einspruchsverfahren trug die Klägerin vor, sie erziele ihre Erlöse im Wesentlichen aus der Veräußerung von Qualitätsgetreide, das im eigenen Unternehmen verarbeitet werde. Im Kalenderjahr 1993 seien von den Gesamterlösen 80 % auf die Getreideverarbeitung entfallen. Die verarbeitende Tätigkeit bestehe im Wesentlichen in einem Veredelungsprozess, der zu einer qualitativen Veränderung der Verwertbarkeit und damit zu einer deutlichen Erhöhung der Wertigkeit des Getreides führe. Dieser Prozess gehe erheblich über eine bloße handelsübliche Be- und Verarbeitung hinaus.
Im Einzelnen handele es sich um folgende Arbeitsschritte:
- Anlieferung des Rohgetreides (Roggen, Weizen, Gerste, Raps, Mais) vom landwirtschaftlichen Erzeuger
- Handelsübliche Grobreinigung (1. Reinigungsstufe)
- Einlagerung in Annahmebunker und Bemusterung je Anlieferung
- Qualitätsanalyse je Anlieferung im Labor durch Laboranten und Einstufung in Qualitätsgruppen
- Getreidetrocknung nach Bedarf
- Separierung in Einzelzellen nach Endverwendungszweck
- Prozentuale Zusammenstellung der Getreidemischungen nach dem vorgegebenen Endverwendungszweck über sog. Mengenregler
- Zweite Reinigungsstufe
- Entnahme aus Produktzellen und weiter gehende Veredelung in Spezialreinigungsmaschine (3. Reinigungsstufe)
- Sog. Weißreinigung als 4. Reinigungsstufe auf der Schälmaschine
- Verkauf des Speise- bzw. Mahlgetreides an die Mühle zur Vermahlung bzw. der Braugerste an die Mälzerei
Auf Anfrage der Finanzverwaltung teilte das Statistische Bundesamt mit, das Unternehmen der Klägerin sei der Unterklasse 51.21.0 "Großhandel mit Getreide, Saaten und Futtermitteln" der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 1993 (WZ 93) zuzuordnen. Durch die Tätigkeit der Klägerin entstehe kein neues verkehrsfähiges Gut.
Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, mit der die Klägerin zuletzt noch Investitionszulage in Höhe von … € (… DM) begehrte.
Nach Auffassung des FG ist die Tätigkeit der Klägerin nicht dem "Handel", sondern dem "verarbeitenden Gewerbe" zuzuordnen. Die von der Klägerin beschriebene Getreideaufbereitung (Herstellung von mahlfertigen Getreidemischungen und von Braugerste) sei keine handelsübliche Be- und Verarbeitung im Rahmen der ausgeübten Handelstätigkeit. Es handele sich vielmehr um eine sog. "gemischte Tätigkeit", wobei die Getreideaufbereitung zum verarbeitenden Gewerbe gehöre.
Maßgeblich für die vorgenommene Abgrenzung sei die vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Systematik der Wirtschaftszweige 1979 (WZ 79). Im Streitfall könne die Tätigkeit der Klägerin nicht direkt einer Abteilung der Systematik zugeordnet werden, da sie im systematischen Verzeichnis nicht aufgezählt worden sei. Ihre Tätigkeit sei daher nach der Verkehrsauffassung und unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks in einen der verschiedenen Wirtschaftszweige einzugruppieren. Hierzu werde in den allgemeinen Vorbemerkungen der Abteilungen der WZ 79 aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität auf verhältnismäßig allgemeine und grobe, im Einzelnen leicht nachprüfbare äußere Umstände als Abgrenzungsmerkmale abgestellt.
Nach den von der Klägerin beschriebenen umfangreichen Tätigkeiten von der Anlieferung bis zum Weiterverkauf werde das Getreide im Sinne eines Produktionsprozesses be- oder verarbeitet. Das Getreide bleibe dabei in seinem Wesen nicht unverändert. Nach der intensiven Reinigung und weiteren Bearbeitung entstehe ein ganz anderes neues Produkt. Die Klägerin habe daher Anspruch auf die beantragte Investitionszulage.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 3 Satz 2 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1993. Der Begriff des verarbeitenden Gewerbes sei im InvZulG nicht definiert. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle die Abgrenzung der von der Förderung ausgenommenen bzw. der besonders zu fördernden Branchen nach der Klassifizierung in der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen WZ 79 vorgenommen werden, die als WZ 93 fortgeschrieben worden sei. Der Betrieb der Klägerin sei in der Unterabteilung 40/41 (Großhandel) unter der Nummer 401 14 Großhandel mit Getreide, Saaten und Futtermitteln der WZ 79 bzw. der gleich lautenden Nummer 51.21.0 der WZ 93 einzuordnen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, ihr Betrieb sei nach Abschnitt D Klasse 15.61.2 "Schälmühlen" der WZ 93 dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entgegen der Auffassung des FG ist der Betrieb der Klägerin dem von der Investitionszulage ausgeschlossenen Handel und nicht dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen.
1. Nach § 2 InvZulG 1993 sind die Anschaffung und Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens --neben anderen hier nicht streitigen Voraussetzungen-- begünstigt. Von der Investitionszulage ausgenommen sind nach dem 31. Dezember 1992 begonnene Investitionen in Betriebsstätten des Handels (§ 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 3 Buchst. a InvZulG 1993). Der Klägerin stünde Investitionszulage somit nur zu, wenn sie nicht dem Handel, sondern dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen wäre.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind für die Abgrenzung der nach § 3 Satz 2 InvZulG 1993 von der Förderung ausgenommenen Wirtschaftszweige die vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Verzeichnisse der Wirtschaftszweige als Dokumentation der Verkehrsauffassung heranzuziehen (z.B. Senatsurteil vom 19. Oktober 2000 III R 56/97, BFH/NV 2001, 489, m.w.N.). In diesen Verzeichnissen ist die --an den sich verändernden Wirtschaftsstrukturen angelehnte-- Einschätzung der Wirtschaft über die Zuordnung von Tätigkeiten zu Wirtschaftsbereichen und Wirtschaftszweigen dokumentiert. Auch wenn die Verzeichnisse überwiegend statistischen Zwecken dienen, stellen sie eine Grundsystematik aller Wirtschaftszweige dar, bei der die Erkenntnisse fachlich kompetenter Gremien über die Gruppierungen wirtschaftlicher Institutionen verwertet worden sind (Senatsurteil vom 23. März 2005 III R 20/00, BFHE 209, 186, BStBl II 2005, 497, m.w.N.).
2. Nach diesen Verzeichnissen gehört der Betrieb der Klägerin zum Großhandel.
a) Das FG hat die Zuordnung des Betriebs der Klägerin zu einem Wirtschaftszweig unter Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 31. Dezember 1994 (BStBl I 1995, 18) nach der WZ 79 vorgenommen. Nach diesem BMF-Schreiben ist die WZ 93 in Fällen, in denen sich zuungunsten des Anspruchsberechtigten Änderungen gegenüber der WZ 79 ergeben, aus Vertrauensschutzgründen grundsätzlich erst für Investitionen maßgebend, die nach dem 31. Dezember 1994 begonnen werden. Im Streitfall ergibt sich nach der WZ 93 keine von der WZ 79 abweichende Zuordnung.
b) In der WZ 79 werden in der Unterabteilung "Großhandel" unter der Gliederungsnummer 401 14 der "Großhandel mit Getreide, Saaten und Futtermitteln" und unter den Gliederungsnummern 281 5/281 50 "Schälmühlen" zur "Herstellung von Schälmühlenerzeugnissen, Hafer-, Gersten-, Reis-, Hirse-, Soja-, Buchweizen-, Grünkern- und Milocornerzeugnisse, bearbeitete Hülsenfrüchte" genannt. Die WZ 93 enthält in Abschnitt G (Handel u.a.) die Unterklasse 51.21.0 "Großhandel mit Getreide, Saaten und Futtermitteln" und in Abschnitt D (Verarbeitendes Gewerbe) die Unterklasse 15.61.2 "Schälmühlen", die das "Schälen von Getreide (Hafer, Gerste): Herstellung von Mehl, Grütze, Grieß, Schrot, Dunst, Graupen und Flocken" umfasst.
Zum Handel gehört jede wirtschaftliche Tätigkeit, die überwiegend darin besteht, bewegliche Sachgüter zu beziehen und ohne mehr als handelsübliche Be- oder Verarbeitung weiter zu veräußern.Zu den sog. handelsüblichen Manipulationen, die den Charakter einer Ware als Handelsware nicht berühren, gehören Sortieren, Zerteilen, Mischen, Verpacken usw. und auch geringfügige Bearbeitungsvorgänge. Im Großhandel gibt es Wirtschaftszweige, bei denen handelsübliche Manipulationen von erheblicher Bedeutung sind und beträchtliche maschinelle Vorrichtungen erfordern (vgl. Vorbemerkung zu Abteilung 4 "Handel" der WZ 79; Tz. 3.5 der Vorbemerkungen zur WZ 93; BMF-Schreiben vom 28. Oktober 1993, BStBl I 1993, 904, Rz. 5).
Für das verarbeitende Gewerbe ist kennzeichnend, dass die wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend darin besteht, Erzeugnisse zu be- oder verarbeiten, um dadurch andere Produkte herzustellen, oder die Erzeugnisse zu veredeln (Senatsurteile vom 7. März 2002 III R 44/97, BFHE 198, 169, BStBl II 2002, 545, und in BFHE 209, 186, BStBl II 2005, 497; Vorbemerkung zu Abteilung 2 der WZ 79; BMF-Schreiben in BStBl I 1993, 904, Rz. 4).
c) Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt im Streitfall im Reinigen, Trocknen und Sortieren des zum Verkauf bestimmten Getreides. Diese Arbeiten vor dem Verkauf gehören zu den typischen handelsüblichen Manipulationen eines Großhändlers. Bei der sog. Weißreinigung in der vierten Reinigungsstufe, bei der das Korn entspelzt und die äußerste Schalenschicht des Getreidekorns entfernt wird, wird das Getreide zwar wertsteigernd weiterverarbeitet. Denn die Klägerin kann dadurch das Getreide teurer verkaufen, weil sich die Mühle, an welche die Klägerin das sortierte und gereinigte Getreide liefert, diese Vorbereitung für das Mahlen des Getreides erspart. Diese Bearbeitung ist aber bei der Klägerin ebenfalls als handelsübliche Manipulation zu beurteilen. Nach der Aufzählung in den Vorbemerkungen zur WZ 79 und WZ 93 zählen zu den --die wesentliche Beschaffenheit der Waren nicht beeinträchtigenden-- handelsüblichen Manipulationen z.B. das Sortieren, Trennen, Zusammenstellen und Verpacken. Dieser nicht abschließenden Aufzählung ist zu entnehmen, dass nur solche Tätigkeiten als Verarbeitung anzusehen sind, welche die Ware in ihrer stofflichen Zusammensetzung erheblich verändern (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Januar 2006 VII R 44/04, BFH/NV 2006, 1027). Das Entspelzen und Entfernen der äußersten Schalenschicht führt aber nicht zu einer erheblichen Veränderung des Getreides. Das Getreide wird dadurch lediglich für das Mahlen vorbereitet.
Wäre die Weißreinigung als wesentliche, dem bearbeitenden Gewerbe zuzurechnende Tätigkeit anzusehen, müsste die Klägerin einer Klasse der WZ 79 oder WZ 93 zuzuordnen sein. Insoweit käme nur die Eingruppierung als "Schählmühle" in Betracht. Die Zuordnung zu dieser Unterklasse des verarbeitenden Gewerbes setzt aber zu dem "Schälen von Getreide (Hafer, Gerste)" voraus, dass Grütze, Grieß, Schrot, Dunst, Graupen und Flocken hergestellt werden. Im Betrieb der Klägerin entsteht jedoch kein solches neues Produkt, sondern es wird nach wie vor Getreide veräußert, wenn auch in gereinigtem und vorsortiertem Zustand.
d) Die Zuordnung des Betriebs der Klägerin zum Großhandel wird bestätigt durch die Auskunft des Statistischen Bundesamtes, das aufgrund der Tätigkeitsbeschreibung der Klägerin ebenfalls davon ausgegangen ist, dass die Klägerin keine neuen verkehrsfähigen Wirtschaftsgüter herstellt und deshalb nicht dem verarbeitenden Gewerbe zugeordnet werden kann.
3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1552093 |
BFH/NV 2006, 1709 |