Entscheidungsstichwort (Thema)
Bescheinigung der Agentur für Arbeit über Meldung des Kindes als Arbeitsuchender hat keine Tatbestandswirkung für Kindergeldanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Der Registrierung des arbeitsuchenden Kindes bzw. der daran anknüpfenden Bescheinigung der Agentur für Arbeit kommt keine (echte) Tatbestandswirkung für den Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG zu.
2. Entscheidend für den Kindergeldanspruch ist vielmehr, ob sich das Kind im konkreten Fall tatsächlich bei der Arbeitsvermittlung als Arbeitsuchender gemeldet hat bzw. diese Meldung alle drei Monate erneuert hat.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte für ihre im Juli 1985 geborene Tochter (T) Kindergeld bezogen. Nach der Ausbildung an der Staatlichen Berufsfachschule für Hauswirtschaft bis Juli 2004 war T ab Juli 2004 bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet. In den Monaten November und Dezember 2005 nahm T eine geringfügige Nebentätigkeit in einem Privathaushalt für monatlich 400 € auf. Sie arbeitete unter 15 Stunden pro Woche. Ab 1. Januar 2006 gründete T einen eigenen Betrieb für Hauswirtschafts- und Reinigungsarbeiten.
Nach Aktenlage war T bis 26. September 2005 bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet. Laut einem Computerausdruck der Arbeitsverwaltung hatte T letztmalig am 24. Juni 2005 bei der Arbeitsvermittlung vorgesprochen. Anlässlich dieser Vorsprache wurde sie auf den Drei-Monats-Termin hingewiesen. Nach einer Aktennotiz vom 29. September 2005 erschien T zum vereinbarten Termin nicht. Da sie ihr Arbeitsgesuch nicht spätestens nach drei Monaten erneuert hatte, wurde sie am 27. September 2005 bei der Arbeitsvermittlung abgemeldet und dort nicht mehr als Arbeitsuchende geführt.
Nachdem die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) im März 2006 erfahren hatte, dass T seit 27. September 2005 nicht mehr als Arbeitsuchende bei der Agentur für Arbeit gemeldet war, hob sie mit Bescheid vom 25. April 2006 die Kindergeldfestsetzung von Oktober 2005 bis März 2006 auf und forderte den überzahlten Betrag von der Klägerin zurück. Der Einspruch vom 5. Mai 2006 war erfolglos.
Die Klägerin beantragte in der Vorinstanz die Einspruchsentscheidung bezüglich der Monate Oktober bis Dezember 2005 aufzuheben.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die Familienkasse habe zu Unrecht die Kindergeldfestsetzung für die Monate Oktober bis Dezember 2005 aufgehoben. Im Streitfall habe T in diesem Zeitraum in keinem schädlichen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Die geringfügige Beschäftigung gemäß § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) stehe dem nicht entgegen. Nach Überzeugung des Gerichts sei T in den streitigen Monaten auch arbeitsuchend i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewesen. Die automatische Löschung als Arbeitsuchender bei der Agentur für Arbeit führe nicht zwingend zum Wegfall des Kindergeldanspruchs.
Hinzu kämen im Streitfall die Einlassung der Klägerin und die in der Sache übereinstimmenden Aussagen der Zeuginnen in der mündlichen Verhandlung. Alle befragten Personen hätten übereinstimmend geäußert, dass sich T im maßgeblichen Zeitraum September 2005 telefonisch mit der Agentur für Arbeit in Verbindung gesetzt habe. Nach ebenfalls übereinstimmender Aussage habe man T telefonisch den Kontakt zum Sachbearbeiter verweigert, ihr andererseits aber versichert, dass sie weiterhin als arbeitsuchend geführt werde. Nach Überzeugung des Gerichts habe sich T rechtzeitig, nämlich vor Ablauf der gesetzlich verankerten Drei-Monats-Frist, mit der Agentur für Arbeit in Verbindung gesetzt und sich um einen Vorsprachetermin bemüht.
Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG. Nach dem Wortlaut des im Streitfall anzuwendenden § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG sei ein Kind dann zu berücksichtigen, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet habe, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehe und als Arbeitsuchender bei der Arbeitsagentur im Inland gemeldet sei. Der Gesetzgeber knüpfe dabei an die in den Arbeitsagenturen geltenden Gesetzesregelungen in Bezug auf die Arbeitsuchendmeldung an. Wenn keine Leistung zum Ersatz des Arbeitsentgelts beansprucht werde, sei nach § 38 Abs. 4 Satz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) die Arbeitsvermittlung nach drei Monaten einzustellen. Die von der Vorinstanz vertretene Ansicht, dass die Löschung als Arbeitsuchender bei der Agentur für Arbeit nicht zwingend zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führe, widerspreche dem Wortlaut des Gesetzes. Jedenfalls ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinngehalt der Vorschrift, dass die Familienkasse eine eigene Entscheidung über den Meldestatus des Kindes zu treffen habe. Sie habe vielmehr den bei der Agentur für Arbeit bestehenden Meldestatus bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Die entsprechende Feststellung durch die Agentur für Arbeit entfalte gegenüber der Familienkasse Tatbestandswirkung.
Die Familienkasse beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Vorinstanz sei zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass sich T im September 2005 nochmals bei der Agentur für Arbeit gemeldet habe. Für den Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG sei neben der Altersgrenze nur noch die Meldung des Arbeitsuchenden bei der Agentur für Arbeit Voraussetzung.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Familienkasse ist unbegründet, sie wird nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückgewiesen. Das FG hat zutreffend einen Kindergeldanspruch für den streitigen Zeitraum Oktober bis Dezember 2005 bejaht.
1. Zwar hat das FG rechtsfehlerhaft angenommen, dass die letztmalige Meldung von T als arbeitslos bei der Agentur für Arbeit am 24. Juni 2005 länger als drei Monate fortwirkte (bis Ende des Streitraumes Dezember 2005), da die Löschung als Arbeitsuchender bei der Agentur für Arbeit nicht zwingend zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führe. Diese Auffassung widerspricht dem Senatsurteil vom 19. Juni 2008 III R 68/05 (BFH/NV 2008, 1610), wonach nach Ablauf von drei Monaten die Meldung erneuert werden muss, wenn der Kindergeldanspruch erhalten bleiben soll. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das Senatsurteil in BFH/NV 2008, 1610 Bezug genommen.
2. Die Vorinstanz hat aber das Urteil auf eine zweite Begründung gestützt. Danach ist das FG nach einer Gesamtwürdigung des Einzelfalles unter Einbeziehung der Zeugeneinvernahmen der Tochter der Klägerin sowie ihrer Großmutter zu dem Ergebnis gelangt, dass sich T nochmals im September 2005 telefonisch mit der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit in Verbindung gesetzt hat, wobei man ihr zwar den Kontakt zum zuständigen Sachbearbeiter verweigert, ihr andererseits aber versichert habe, dass sie weiterhin als arbeitsuchend geführt werde. Nach dem Senatsurteil in BFH/NV 2008, 1610 genügt eine fernmündliche Kontaktaufnahme, da keine besondere Form der Erneuerung der Meldung vorgeschrieben ist.
Die Würdigung des FG, dass T tatsächlich Kontakt aufgenommen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Da die Würdigung nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ist sie für den Bundesfinanzhof (BFH) als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Februar 2005 VI B 113/04, BFHE 209, 211, BStBl II 2005, 488).
3. Entgegen der Auffassung der Familienkasse kommt der Registrierung des arbeitsuchenden Kindes bzw. der daran anknüpfenden Bescheinigung der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit keine (echte) Tatbestandswirkung zu (a.A. Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes 63.3.1 Abs. 3, BStBl I 2004, 743, 761). Eine positive Bescheinigung der Agentur für Arbeit reicht zwar in aller Regel als Nachweis der Registrierung als Arbeitsuchender aus. Der Kindergeldanspruch kann aber nicht allein von einer Bescheinigung der Agentur für Arbeit über die Meldung des Kindes abhängig gemacht werden.
Entscheidend abzustellen ist vielmehr darauf, ob sich das Kind im konkreten Fall tatsächlich bei der Arbeitsvermittlung als Arbeitsuchender gemeldet bzw. diese Meldung alle drei Monate erneuert hat und damit seine kindergeldrechtlichen Mitwirkungspflichten wahrgenommen hat. Die Bezugnahme auf die Drei-Monats-Frist in § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III gibt insoweit (lediglich) einen Anhalt für die zeitliche Konkretisierung der kindergeldrechtlichen Mitwirkungspflichten, bei deren Verletzung der Kindergeldanspruch entfällt (vgl. auch Senatsurteil vom 17. Juli 2008 III R 106/07 zu dem insoweit vergleichbaren Fall eines ausbildungsuchenden Kindes, nicht veröffentlicht).
Fundstellen
Haufe-Index 2113089 |
BFH/NV 2009, 449 |
BFH/PR 2009, 179 |
BStBl II 2010, 47 |
BFHE 2008, 354 |
BFHE 223, 354 |
DStRE 2009, 274 |
HFR 2009, 369 |