Leitsatz (amtlich)
1. Die Rüge, der vom FG bestellte Sachverständige sei befangen, kann im Revisionsverfahren nicht mit Erfolg geltend gemacht werden; über die Frage der Befangenheit ist dadurch endgültig entschieden, daß das FG die Ablehnung für nicht begründet erklärt hat und die gegen den Beschluß eingelegte Beschwerde vom BFH als unbegründet zurückgewiesen worden ist.
2. Ein Vorstoß gegen den Grundsatz der (formellen) Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme liegt nicht vor, wenn der vom FG bestellte Sachverständige zur Materialbeschaffung für sein Gutachten eine Ortsbesichtigung vorgenommen, dritte Personen befragt und mündlich behördliche Auskünfte eingeholt hat. Will ein Beteiligter die Ermittlungen des Sachverständigen nicht gelten lassen, kann er gerichtliche Beweiserhebung beantragen. Unterläßt er dies, so kann er in der Revisionsinstanz die Materialbeschaffung durch den Sachverständigen nicht mehr mit Erfolg rügen.
2. Die Beteiligten haben in Beziehung auf außergerichtliche Informationsmaßnahmen des Sachverständigen grundsätzlich ein Recht auf ausreichend frühzeitige Benachrichtigung und auf Anwesenheit; die Verletzung dieses Rechts kann als fehlerhafte Erhebung des Sachverständigenbeweises anzusehen sein.
Normenkette
FGO § 81 Abs. 1, §§ 82, 83 S. 1; ZPO §§ 42, 406
Tatbestand
I.
Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom ... kaufte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ein Grundstück in Z, auf dem unter dem Namen "Y" eine Gaststätte betrieben wurde, die einschließlich von Inventar und Warenbeständen an den Kläger mitverkauft wurde, wobei ihm vom Verkäufer das Recht eingeräumt wurde, unter dem Namen "Y" eine Gaststätte zu betreiben oder betreiben zu lassen. Zugleich verpflichtete sich der Verkäufer, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage war, den veräußerten Betrieb weiter zu führen - er ist Ende ... gestorben -, in Z keinen Gaststättenbetrieb zu eröffnen und zu führen, bzw. sich nicht an einem solchen zu beteiligen und insbesondere Dritten nicht zu gestatten, die Bezeichnung "Y" zu verwenden.
Nachdem das FA gegen den Kläger einen Grunderwerbsteuerbescheid erlassen und der Kläger hiergegen Einspruch eingelegt hatte, setzte das FA durch einen berichtigten Bescheid die Grunderwerbsteuer - niedriger - auf A DM fest, womit dem Einspruch nur teilweise abgeholfen wurde. Im übrigen blieb der Einspruch des Klägers endgültig erfolglos.
Die daraufhin erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab, nachdem es wegen der Bewertung des dem Verkäufer auferlegten Wettbewerbsverbotes und wegen der Höhe des für einen Geschäftswert der Gaststätte anzusetzenden Betrages ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt hatte.
Mit der gegen das Urteil des FG eingelegten Revision beantragt der Kläger, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung dem Klageantrag stattzugeben, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen. Er rügt Verletzung formellen und materiellen Rechts und macht hierzu geltend, der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sei verletzt worden, indem das FG seiner Entscheidung das Sachverständigengutachten zugrunde gelegt habe, obwohl dem FG klar gewesen sei, daß der Sachverständige ohne Zuziehung der Beteiligten Zeugen vernommen habe. Das FG hätte das Sachverständigengutachten auch im Hinblick darauf nicht verwerten dürfen, daß er, der Kläger, den Sachverständigen wegen Befangenheit abgelehnt habe. Auf den angeführten Verfahrensverstößen beruhe das Urteil.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet; denn das FG hätte das Sachverständigengutachten seiner Entscheidung nicht zugrunde legen dürfen.
a) Der Kläger vermag allerdings nicht insoweit mit der Revision durchzudringen, als er geltend macht, das FG habe das Gutachten wegen der Befangenheit des Sachverständigen nicht zur Grundlage seines Urteils machen dürfen. Eine Prüfung der diesbezüglichen Rüge in sachlicher Hinsicht ist dem BFH im Revisionsverfahren verwehrt. Der Gesetzgeber hat die Frage, ob ein Sachverständiger von einem Beteiligten begründetermaßen abgelehnt worden ist, rasch und endgültig bereinigt sehen wollen und hat zu diesem Zweck ein besonderes Verfahren mit selbständiger Anfechtbarkeit der finanzgerichtlichen Entscheidung geschaffen. Entscheidungen dieses Verfahrens unterliegen nicht der Beurteilung des BFH im Revisionsverfahren (§ 155 FGO i. V. m. §§ 512, 548 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) - vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 7. April 1976 VII B 7/76, BFHE 118, 301, 302 f., BStBl II 1976, 387 -. Über das Ablehnungsgesuch ist endgültig dadurch entschieden, daß das FG mit seinem Beschluß vom 8. Februar 1979 die Ablehnung des Sachverständigen durch den Kläger für unbegründet erklärt und der erkennende Senat mit seinem Beschluß vom heutigen Tage II B 10/79 die vom Kläger hiergegen eingelegte Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen hat.
b) An einer Verwertung des Sachverständigengutachtens war das FG ebenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt gehindert, daß dieses Gutachten unter Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zustande gekommen sei, wie der Kläger geltend macht. Der Grundsatz der (formellen) Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO, wonach das Gericht Beweis in der mündlichen Verhandlung erhebt (vgl. § 355 Abs. 1 Satz 1 ZPO: Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem Prozeßgericht). Er steht einer Übertragung der Beweisaufnahme auf Privatpersonen entgegen, was grundsätzlich auch in Beziehung auf einen vom Gericht bestellten Sachverständigen zutrifft (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofes - BGH - vom 29. Januar 1955 IV ZR 125/54, Neue Juristische Wochenschrift 1955 S. 671 - NJW 1955, 671 -; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 355 Anm. I 2 e und Anm. II 5 vor § 402). Dies bedeutet aber nicht, daß der Sachverständige eigene Ermittlungen überhaupt zu unterlassen hätte. Vielmehr darf er, soweit es nicht ohnehin zu seinen Aufgaben gehört, Wahrnehmungen zu machen, zu denen allein er kraft seiner Sachkunde in der Lage ist, tatsächliche Angaben sammeln, soweit er diese als Material für sein Gutachten für erforderlich hält. Insbesondere ist es ihm in diesem Rahmen gestattet, Besichtigungen vorzunehmen und Personen zu befragen. Hierbei handelt es sich weder um eine gerichtliche Beweisaufnahme noch um einen Ersatz für diese. Es wäre nicht sachgerecht, derartige (Hilfs-)Wahrnehmungen dem Gericht vorzubehalten, zumal regelmäßig erst aufgrund der Sachkunde des Sachverständigen und aufgrund von seinen Überlegungen feststeht, auf welche Umstände es ankommt, mögen diese auch, wenn ihre Bedeutung erst einmal erkannt ist, gleichfalls für einen Nichtsachverständigen feststellbar sein. Die prozessualen Rechte der Verfahrensbeteiligten werden dadurch hinreichend gewahrt, daß es den Beteiligten freisteht, eine entsprechende Beweisaufnahme zu beantragen, wenn der Sachverständige sein Gutachten auf von ihm getroffene, aber auch einem Laien mögliche Feststellungen stützt, und daß das Gericht unter solchen Umständen die Beweisaufnahme nicht mit der Begründung ablehnen darf, der Sachverständige habe bereits eine Besichtigung vorgenommen bzw. die betreffenden Personen angehört (Stein/Jonas, a. a. O., Anm. II 5 vor § 402).
Von der Möglichkeit, eine derartige Beweisaufnahme zu beantragen, hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Da er dies unterlassen hat, kann er in der Revisionsinstanz eine entsprechende Verfahrensrüge nicht mehr mit Erfolg anbringen (Stein/Jonas, a. a. O., Anm. II r vor § 402; vgl. auch BGH-Urteil vom 30. Januar 1957 V ZR 186/55, BGHZ 23, 207, 213f., und Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 10. Aufl., Anm. 3 c in Vorbem. vor § 402).
c) Der Verwertung des Gutachtens durch das FG steht jedoch der Umstand entgegen, daß nicht als hinreichend sicher angenommen werden kann, der Sachverständige habe den Beteiligten ausreichende Gelegenheit gegeben, bei seinen Ermittlungen anwesend zu sein.
Bei der Übersendung des Beweisbeschlusses wurde der Sachverständige durch das FG gebeten, wegen der Vereinbarung eines Termins zur Besichtigung des Grundstücks sich mit den Beteiligten in Verbindung zu setzen. Nach dem Inhalt des Gutachtens soll dies dergestalt geschehen sein, daß das "Büro des Beklagten" - gemeint ist wohl die Kanzlei des Klägers - am ... telefonisch durch den Sachverständigen von seiner für den übernächsten Tag vorgesehenen Beschaffung von Material für die Gutachtenanfertigung (Ortsbesichtigung, Erörterung mit der Witwe des Verkäufers und mit dem Ordnungsamt der Stadt Z) unterrichtet worden ist. Der Kläger hat dagegen in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 1979 vor dem FG erklärt, sich nicht erinnnern zu können, daß er durch sein Büro von dem Telefonanruf des Sachverständigen unterrichtet worden sei.
Das FG hat hierzu keine näheren Feststellungen getroffen, so daß nicht davon ausgegangen werden kann, der Kläger sei durch den Sachverständigen über Zeitpunkt und Ort der beabsichtigten Informationsmaßnahmen unterrichtet worden. Mithin muß in Betracht gezogen werden, daß die verfahrensrechtliche Position des Klägers unzulässig beschnitten worden ist. § 83 Satz 1 FGO, ebenso wie die vergleichbare Vorschrift des § 357 Abs. 1 ZPO gestattet es den Beteiligten, der Beweisaufnahme beizuwohnen. Beide Vorschriften gelten an sich allerdings nur für die gerichtliche Beweisaufnahme, nicht dagegen für außergerichtliche Nachforschungen, die ein Sachverständiger bei der Vorbereitung seines Gutachtens vornimmt. In derartigen Fällen haben die Beteiligten jedoch, entsprechend dem Grundsatz der zitierten Bestimmungen, ebenfalls ein Recht auf ausreichend frühzeitige Benachrichtigung und auf Anwesenheit, sofern nicht gerade die Teilnahme rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist oder angesichts der Art der vorgesehenen außergerichtlichen Informationsmaßnahmen nicht als sinnvoll erscheint (vgl. Stein/Jonas, a. a. O., § 357 Anm. I 5), wofür es hier an hinreichenden Anhaltspunkten fehlt. Dies ist vom Sachverständigen und ebenfalls vom FG nicht beachtet worden.
Die angefochtene Entscheidung war daher, weil sie auf einer nicht ordnungsgemäßen Erhebung des Sachverständigenbeweises beruht, aufzuheben (vgl. Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 28. März 1963 5 AZR 206/62, AP § 402 ZPO Nr. 1 und vom 19. April 1966 1 AZR 83/65, AP § 402 ZPO Nr. 2; BGH-Urteil vom 1. Dezember 1953 I ZR 113/52, ZZP 67, 295, 297).
Eine eigene Entscheidung in der Sache ist dem erkennenden Senat nicht möglich, da es im Hinblick auf das verfahrensrechtlich fehlerhafte Zustandekommen des Sachverständigengutachtens an Feststellungen fehlt, die erforderlich sind, um zu ermitteln, ob und in welchem Umfang Teile des Kaufpreises nicht auf den Erwerb des Grundstücks, sondern auf das dem Verkäufer auferlegte Wettbewerbsverbot und auf einen Geschäftswert der Gastwirtschaft entfallen. Die Streitsache war daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
BStBl II 1980, 515 |
BFHE 1980, 366 |