Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur verfahrensrechtlichen Pflicht des Tatsachengerichts, ein Obergutachten einzuholen
Leitsatz (NV)
Die Zuziehung eines Sachverständigen steht im Ermessen des Tatsachengerichts. Liegen dem Gericht bereits zwei Sachverständigengutachten vor, so kann die Ablehnung eines weiteren Obergutachtens im Regelfall kein Verfahrensverstoß sein.
Normenkette
EStG § 55 Abs. 5; FGO § 96
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) beantragten am 1. Juli 1975 gemäß § 55 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG), als Anschaffungskosten der in der Gemarkung . . . gelegenen Weinberge ,,In der . . ." zu 5 140 qm, ,,Am . . ." zu 4 130 qm zum 1. Juli 1970 einen Teilwert von 80 DM je qm anzusetzen. Zur Begründung machten sie geltend, alle die Grundstücke hätten zum 1. Juli 1970 Baulandqualität gehabt; die beiden Grundstücke lägen seit 1960 im Bereich eines Bebauungsplanes. Die ortsüblichen Baulandpreise beliefen sich auf 80 DM je qm.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte die Teilwerte durch Feststellungsbescheid vom 26. Juni 1980 für die Grundstücke auf 36 DM je qm (insgesamt also auf 185 040 DM bzw. 148 680 DM) fest.
Nach erfolglosem Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 9. Dezember 1980) trugen die Kläger mit der Klage vor, die Grundstücke lägen unstreitig im Bereich des rechtskräftigen Bebauungsplanes Nr. 12 und stellten daher Baugelände dar.
Das Finanzgericht (FG) hat auf Antrag der Kläger über die Teilwerte der genannten drei Grundstücke Beweis erhoben durch ein Sachverständigengutachten, das der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vor dem FG erläutert hat.
Die Klage hatte hinsichtlich der Teilwerte der Grundstücke insoweit Erfolg, als das FG die qm-Preise für die Grundstücke zum 1. Juli 1970 von 36 DM auf 40 DM erhöhte.
Das FG führte aus, bei Wirtschaftsgütern, die für den Betrieb entbehrlich oder jeder Zeit ersetzbar seien, werde der Teilwert regelmäßig mit dem Verkehrswert gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung des Teilwertes mit dem Verkehrswert sei nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 25. August 1983 IV R 218/80 (BFHE 139, 268, BStBl II 1984, 33, 34) auch bei betriebsnotwendigen land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken zulässig. Für die Feststellung des Teilwertes komme es daher darauf an, ob landwirt
schaftlich genutzte Grundstücke in einem Flächennutzungs- oder Bebauungsplan als Bau- oder Erwartungsland ausgewiesen seien oder ob die Entwicklung zum Bau- oder Bauerwartungsland, z. B. aufgrund eines in fortgeschrittener Bearbeitung befindlichen neuen Flächennutzungsplanes für die beteiligten Wirtschaftskreise, bereits abzusehen und deshalb in ihre Überlegungen einzubeziehen gewesen sei.
Die streitgegenständlichen Grundstücke lägen im Bereich des rechtskräftigen Teilbebauungsplanes Nr. 12 vom 24. März 1958. Sie seien indes baurechtlich noch nicht erschlossen (Umlegung und Erschließung fehlten noch) und deshalb auf den 1. Juli 1970 als Rohbauland zu bewerten. Davon seien sowohl der Ermittlungsbeamte des FA im Teilwertvorschlag vom 16. Februar 1976, das Preisgutachten des Gutachterausschusses vom 26. Dezember 1978 und das in der mündlichen Verhandlung erläuterte Sachverständigengutachten vom Juni 1973 als auch die Kläger selbst ausgegangen. Daraus folge aber - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht, daß die genannten Grundstücke mit 80 DM pro qm zu bewerten seien.
Fehl gehe das Argument der Kläger, daß sich aus einem Kaufpreis im Mai 1959 von 30 DM pro qm und dem in der vorliegenden Richtwertkarte ausgewiesenen Richtwert von 200 DM pro qm für April 1981 (angeblich) durch Interpolieren ein Teilwert von 80 DM auf den 1. Juli 1970 ermitteln lasse. Zum einen gelte der Richtwert für baureife Grundstücke und nicht für das im Streitfall zu bewertende Rohbauland. Zum anderen handle es sich bei der Richtwertkarte nach den Bekundungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung um eine Kartei, die aufgrund des geänderten Bebauungsplanes von 1982 erstellt worden sei. Der neue Plan sei grundsätzlich anders als der alte, weil er weitaus mehr enge Hochbebauung, überwiegend zwei- bis dreistöckige Reihenhäuser vorsehe. Die somit intensivere Bodennutzung treibe nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen die Grundstückspreise in die Höhe. Des weiteren habe der Gutachterausschuß erwähnt, daß der Preis für Rohbauland im Bereich nach der Bauland-Richtwertkarte vom 31. Dezember 1976 ca. 60 DM betragen habe. Der Gutachterausschuß habe deshalb einen Teilwert von 36 DM pro qm zum Stichtag des 1. Juli 1970 für angemessen gehalten. Auch daran zeige sich deutlich, daß durch Interpolieren aus dem mißglückten Verkaufspreis von 30 DM im Jahre 1959 und dem Richtwert von 200 DM pro qm kein zutreffender Teilwert auf den genannten Bewertungsstichtag ermittelt werden könne. Die von den Klägern angeführten (angeblichen) Vergleichspreise würden den Klageantrag nicht tragen. Es handle sich dabei teilweise um voll erschlossenes baureifes Gelände. Die für diese Grundstücke erzielten Verkaufspreise gäben deshalb für die Bewertung der streitgegenständlichen Grundstücke, bei denen es sich um Rohbauland handle, nichts her. Nach alledem habe das Gericht keine Bedenken, die streitgegenständlichen Grundstücke der Kläger mit dem höchsten in dem bisherigen Gutachten genannten Teilwert von 40 DM pro qm anzusetzen, nachdem die Kläger einen höheren Teilwert nicht hätten nachweisen können. Die Einholung eines Obergutachtens, wie es die Kläger beantragen, sei nicht geboten gewesen, weil sich das Gericht nach bereits vorliegenden Gutachten und Urkunden ein hinreichendes Bild von den wertbildenden Faktoren der streitbefangenen Grundstücke habe machen können.
Gegen das Urteil des FG legten die Kläger Revision ein. Sie stützen ihre Revision auf die Verletzung formellen Rechts, und zwar auf mangelhafte Aufklärung des Sachverhalts durch das FG (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG habe sich über den Antrag der Kläger hinweggesetzt, einen weiteren Sachverständigen zu hören, obwohl hierzu aufgrund der schriftlichen Ausführungen und der ergänzenden Erläuterungen des bestellten Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung hinreichender Anlaß bestanden hätte. Das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom Juli 1983 lasse nicht erkennen, nach welcher Bewertungsmethode er vorgegangen und welche Vergleichswerte er zur Beurteilung herangezogen habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG habe der Sachverständige hierzu erläutert, daß er der Bewertung der einzelnen Grundstücke sechs Verkaufsfälle aus späteren Jahren (z. B. 1977) zugrunde gelegt habe, die tatsächlich dabei erzielten Verkaufspreise durch einen jährlichen Abschlag auf den Bewertungsstichtag zum 1. Juli 1970 zurückgerechnet und sodann das arithmetische Mittel gezogen habe. Die vom Sachverständigen angewandte Bewertungsmethode könne nicht als sachgerecht anerkannt werden. So entbehre der pauschale jährliche Abschlag von 7 v. H. zur Ableitung des Verkehrswerts im Jahre 1970 aus einem Verkaufserlös im Jahre 1977 einer objektiv nachvollziehbaren Grundlage, da weder ein allgemein anerkannter Erfahrungssatz für eine parallele Wertentwicklung auf dem allgemeinen oder speziellen Grundstücksmarkt bestehe noch der Sachverständige eine andere Begründung für den von ihm gewählten gleichmäßigen Abschlag habe geben können. Ebensowenig könne dem Ansatz des arithmetischen Mittelwerts anstelle eines gewichteten Wertes gefolgt werden, da hierbei ohne sachlichen Grund die wertbestimmenden Faktoren der verschiedenen Grundstücksgröße und der unterschiedlichen Zeitnähe zum Bewertungsstichtag außer Betracht blieben. Bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung habe der Sachverständige darüber hinaus einräumen müssen, daß ihm in wesentlichen Punkten die erforderliche Sachkunde fehle.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als es die Feststellung der Teilwerte der Grundstücke mit je 40 DM pro qm bewertet habe, und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es trägt vor, die Meinung der Kläger, das FG habe sich über ihren Antrag, einen weiteren Sachverständigen zu hören, hinweggesetzt, obwohl hierzu aufgrund der schriftlichen Ausführungen und der ergänzenden mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen hinreichender Anlaß bestanden habe, könne nicht überzeugen. Der Sachverständige habe die Werte für die streitbefangenen Grundstücke anhand von Vergleichspreisen und aufgrund objektiver und nachprüfbarer Unterlagen ermittelt. Im Ergebnis stimmten die von ihm ermittelten Werte auch nahezu völlig mit den Werten überein, zu denen bereits ein Sachverständigengremium, der Gutachterausschuß, gelangt sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die Rüge mangelnder Sachaufklärung, die die Kläger damit begründen, daß sich das FG über ihren Antrag hinweggesetzt habe, einen weiteren Sachverständigen zu hören, ist nicht begründet.
Im Steuerprozeß gilt das Prinzip der freien Beweiswürdigung. Danach sind die erhobenen Beweise unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses des Verfahrens frei zu würdigen (§ 96 FGO). Die Zuziehung eines Sachverständigen steht im Ermessen des Tatsachengerichts (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 18. Februar 1975 X ZR 24/74, BGHZ 64, 86, 100). Liegen dem Gericht bereits zwei Sachverständigengutachten vor, so kann die Ablehnung eines weiteren Obergutachtens im Regelfall kein Verfahrensverstoß sein. Eine verfahrensrechtliche Pflicht, ein weiteres Gutachten als Obergutachten einzuholen, könnte nur dann bestehen, wenn es sich um besonders schwierige Fragen handeln würde oder wenn die vorhandenen Gutachten mit schweren Mängeln behaftet wären (so BGH-Urteil vom 14. Juli 1953 V ZR 97/52, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1953, 605).
Keine der beiden Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
Das FG hatte den Verkehrswert zweier landwirtschaftlich genutzter Grundstücke zum 1. Juli 1970 zu ermitteln. Eine solche Wertermittlung, die nur im Schätzungswege erfolgen kann, hat von der Einstufung der Grundstücke als Bauland, Rohbauland, Bauerwartungsland oder land- und forstwirtschaftliche Nutzflächen auszugehen, und kann auf der Grundlage geeigneter Vergleichswerte unter Berücksichtigung der Besonderheiten der zu bewertenden Grundstücke erfolgen. Sie ist von der Sache her nicht so schwierig, daß dazu stets ein Sachverständiger zugezogen werden müßte.
Dem FG lag neben einer Preisschätzung des Stadtbauamtes vom 27. März 1968, das die Grundstücke mit 30 bis 40 DM bewertet hat, bereits ein Preisgutachten des Gutachterausschusses vor. Solche Gutachterausschüsse wurden nach dem Bundesbaugesetz (BBauG §§ 136 ff.) errichtet; sie wurden vom Gesetzgeber ausdrücklich für Wertermittlungen von Grundstücken geschaffen. Der Gutachterausschuß war daher für die Wertermittlung der streitbefangenen Grundstücke zum 1. Juli 1970 das zuständige Gutachtergremium. Dieses Gremium hielt einen Bodenpreis von 36 DM pro qm zum 1. Juli 1970 für beide Grundstücke für angemessen.
Trotz dieser vorhandenen Beweisunterlagen holte das FG auf Antrag der Kläger zusätzlich ein Sachverständigengutachten ein und beauftragte mit der Erstellung des Gutachtens in Übereinstimmung mit den Beteiligten den öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, Architekt X. Sein Gutachten kam zu einem qm-Preis für die beiden Grundstücke von 40 DM, den er in der mündlichen Verhandlung vor dem FG im einzelnen ausführlich erläuterte. Das FG übernahm diesen Wert als den höchsten von neutraler Seite ermittelten Verkehrswert zum 1. Juli 1970.
Für die Einholung eines weiteren Obergutachtens hatte das FG keine Veranlassung. Der Sachverständige X. hat die Werte für die Grundstücke anhand von vergleichbaren Verkaufsfällen in späteren Jahren und deren Zurückrechnung im Schätzungswege ermittelt. Er kam dabei unabhängig von den bisherigen Wertgutachten fast zu denselben Werten wie der Gutachterausschuß.
Die Revisionseinwände der Kläger richten sich gegen die Bewertungsmethode des Sachverständigen, vor allem gegen die Rückrechnung von später erzielten Preisen auf den Stichtag des 1. Juli 1970 durch prozentuale Abschläge, aus denen ein Mittelwert errechnet wurde. Derartige Berechnungsmethoden sind Hilfsmittel der Wertermittlung durch Schätzung; sie können nur Annäherungswerte ergeben, Unsicherheitsfaktoren können dabei nicht ausgeschlossen werden. Die Methode der Zurückrechnung von später erzielten Bodenpreisen auf den Stichtag des 1. Juli 1970 durch entsprechende aus der örtlichen Erfahrung gewonnene Abschläge ist in Ermangelung von Vergleichspreisen zum Stichtag selbst eine allgemein übliche Methode der Wertermittlung, gegen die keine grundsätzlichen Bedenken bestehen. Bei ihr muß die Höhe der Abschläge zwangsläufig auf einer Schätzung beruhen. Im Streitfall läßt die Rückrechnung des Sachverständigen keinen durchschlagenden Fehler bei dieser Schätzung erkennen, der eine nochmalige Wertermittlung erforderlich machen würde. Die Kläger konnten keine überzeugenden Gründe für die erkennbare Unrichtigkeit dieser Methode anführen. Die Befragung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung hat auch nicht ergeben, daß ihm die nötige Sachkunde für sein Gutachten gefehlt habe. Die Tatsachen, die die Kläger zum Beweis dieser Behauptung anführen, sind für das Ergebnis des Gutachtens selbst nicht wesentlich.
Die Einwände der Kläger lassen daher nicht die Folgerung zu, das Sachverständigengutachten sei mit schweren Mängeln behaftet. Danach konnte das FG unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses des Verfahrens bei seiner freien Würdigung der Beweise zur Feststellung der tatsächlichen Wertverhältnisse ohne Verfahrensverstoß und ohne Verstoß gegen die Denkgesetze und die allgemeinen Erfahrungssätze zu dem Ergebnis kommen, daß 40 DM pro qm für die beiden streitbefangenen Grundstücke der wahrscheinlichste Verkehrswert zum 1. Juli 1970 gewesen ist. Diese Tatsachenwürdigung ist für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 414613 |
BFH/NV 1986, 685 |