Leitsatz (amtlich)
Ist ein öffentlichen Zwecken dienendes Grundstück zu einem Teil von sämtlichen einheitswertabhängigen Steuern befreit, so ist ein Einheitswert insoweit nicht festzustellen. Der steuerbefreite Teil bleibt bei der Entscheidung über die Grundstücksart außer Betracht.
Normenkette
BewG 1965 § 75; BewG 1977 § 19
Verfahrensgang
Tatbestand
Zu dem Bahnhofsgrundstück der Deutschen Bundesbahn (Klägerin und Revisionsbeklagte - Klägerin -) in D gehörten im Hauptfeststeilungszeitpunkt (1. Januar 1964) u. a. Gleisanlagen, Zufahrt- und Ladestraßen, Bahnsteige, Lagerplätze sowie Gebäude.
Steuerpflichtig waren ein Güterschuppen (umbauter Raum 315 m3), ein Lagerraum (umbauter Raum 223 m3), Wohnungen für das Bahnhofspersonal (umbauter Raum 1962 m3, Wohnfläche 290 m2) sowie der dazugehörige Grund und Boden.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte durch Bescheid vom 28. Februar 1977 für das Bahnhofsgrundstück die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück (ohne überwiegenden gewerblichen Anteil) und den Einheitswert unter Anwendung der Wertzahl 70 (§ 2 Abs. 1 Buchst. B der Verordnung zur Durchführung des § 90 des Bewertungsgesetzes - VO zu § 90 BewG -) fest.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hob das Finanzgericht (FG) den Einheitswertbescheid auf. Es führte aus: Die Einordnung eines Grundstücks in die zutreffende Grundstücksart hänge davon ab, in welchem Verhältnis - berechnet nach der Jahresrohmiete - das Grundstück Wohnzwecken und anderen Zwecken diene. Dem Bewertungsgesetz (BewG) sei nicht zu entnehmen, daß bei der Ermittlung der anteiligen Nutzung die auf steuerbefreite Teile entfallende Jahresrohmiete außer Ansatz bleiben dürfe.
Das FA rügt mit der Revision die Verletzung von § 75 Abs. 3 und 4 BewG.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 BewG in der ab 1977 geltenden Fassung werden Einheitswerte u. a. für inländische Betriebsgrundstücke festgestellt. Unterliegt ein inländisches Betriebsgrundstück - wie im Streitfall - nur mit einem Teil der Besteuerung, so ist der Einheitswert nur für diesen Teil festzustellen. Dies folgt aus § 19 Abs. 4 BewG in der ab 1977 geltenden Fassung. Danach werden Einheitswerte nur festgestellt, wenn und soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind. Im Streitfall hat das FA zutreffend nur die Teile des Bahnhofsgrundstücks erfaßt, die voll oder halb grundsteuerpflichtig sind. Gegen die Feststellungen des FG zum Umfang der steuerpflichtigen Teile des Bahnhofsgrundstücks haben die Beteiligten Einwendungen nicht erhoben. Rechtsfehler sind insoweit nicht erkennbar.
2. Die Einordnung eines Grundstücks in eine der drei im Streitfall in Betracht kommenden Grundstücksarten "Mietwohngrundstücke", "Geschäftsgrundstücke" und "gemischtgenutzte Grundstücke" richtet sich nach der tatsächlichen Nutzung des Grundstücks im Feststellungszeitpunkt (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 bis 4 BewG 1965 - nachfolgend: BewG -). Bei verschiedenartiger Nutzung eines Grundstücks hängt die Grundstücksart davon ab, in welchem Umfang das Grundstück Wohnzwecken, gewerblichen und (oder) öffentlichen Zwecken dient. Ist ein Grundstück, das zum Teil öffentlichen Zwecken dient, ganz oder teilweise von sämtlichen einheitswertabhängigen Steuern befreit, so soll bei der Entscheidung, welcher Grundstücksart das Grundstück zuzurechnen ist, der steuerbefreite Teil nach der herrschenden Meinung im Schrifttum außer Betracht bleiben (vgl. z. B. Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 7. Aufl., § 75 BewG, Anm. 6 und 7; Rössler/Troll/Langner, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 11. Aufl., § 75 BewG, Anm. 7).
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung aus folgenden Erwägungen an: Gegenstand der Einheitsbewertung ist beim Grundvermögen und bei Betriebsgrundstücken, die losgelöst von ihrer Zugehörigkeit zum gewerblichen Betrieb zum Grundvermögen gehören würden (§ 99 Abs. 1 Nr. 1 BewG), das Grundstück (§§ 70 Abs. 1, 17 Abs. 3, 2 Abs. 1 BewG). Hierzu gehört nur, was der Besteuerung durch einheitswertabhängige Steuern unterliegt. Für Teile des Grundvermögens, die von allen einheitswertabhängigen Steuern befreit sind, werden Einheitswerte nicht festgestellt (§ 19 Abs. 4 BewG in der ab 1977 geltenden Fassung). Sie sind nicht Bestandteil der wirtschaftlichen Einheit des Grundvermögens i. S. der §§ 70 Abs. 1, 17 Abs. 3, 2 Abs. 1 BewG und auf die Bestimmung der Grundstücksart ohne Einfluß. Die festzustellende Grundstücksart bezieht sich allein auf die - für steuerliche Zwecke zu bewertende - wirtschaftliche Einheit i. S. von § 70 Abs. 1 BewG (§ 2 Abs. 1 BewG). Die gegenteilige Auffassung des FG hätte zur Folge, daß bei teilweiser Grundsteuerbefreiung nicht die wirtschaftliche Einheit i. S. von § 70 Abs. 1 BewG (§ 2 Abs. 1 BewG) der Bewertung zugrunde läge, sondern ein nach Art und Umfang anderer Gegenstand die Grundlage für die Feststellung der Grundstücksart bildete.
Die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung steht in Einklang mit der Rechtsansicht des Reichsfinanzhofs (RFH), wonach die nur Wohnzwecken dienenden Teile eines im übrigen steuerbefreiten Postdienstgebäudes nicht mit dem für gemischtgenutzte Grundstücke, sondern mit dem für Mietwohngrundstücke festgesetzten Vervielfältiger zu bewerten sind (Urteil vom 23. November 1933 III A 398/32, RStBl 1934, 72). Würden steuerbefreite Teile bei der Entscheidung, in welche Grundstücksart ein Grundstück einzuordnen ist, mit berücksichtigt, würde die Einheitswertfeststellung systemwidrig durch Wirtschaftsgüter beeinflußt, die nicht Bestandteil des Bewertungsgegenstandes sind. Dies hätte wegen der Bedeutung der Grundstücksart für die Anwendung der zutreffenden Bewertungsmethode und für die Höhe der Vervielfältiger beim Ertragswertverfahren (§ 80 BewG) sowie für die Höhe der Wertzahlen beim Sachwertverfahren (§ 90 BewG i. V. m. § 2 Abs. 1 der VO zu § 90 BewG) sinnwidrige, vom Gesetzgeber nicht gewollte Auswirkungen auf die Höhe des Einheitswerts zur Folge (RStBl 1934, 72).
3. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da sie auf einer anderen Rechtsauffassung beruht.
Die Sache ist entscheidungsreif. Im Streitfall dient das Bahnhofsgrundstück nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz weder zu mehr als 80 v. H. Wohnzwecken noch zu mehr als 80 v. H. eigenen bzw. fremden gewerblichen oder öffentlichen Zwecken. Dabei kann es für die Entscheidung des vorliegenden Falles auf sich beruhen, ob sich das Verhältnis der unterschiedlichen Nutzungen bei im Sachwertverfahren zu bewertenden Grundstücken - wie das FA meint - nach einer im Wege der Schätzung zu ermittelnden Jahresrohmiete, nach dem Verhältnis der Wohn- bzw. Nutzflächen, nach dem Verhältnis des umbauten Raumes oder nach dem Verhältnis der Gebäudewerte bestimmt. Bei Anwendung eines jeden der genannten Aufteilungsmaßstäbe überschreitet der Anteil der Wohnzwecken dienenden Gebäudeteile nach den tatsächlichen Feststellungen des FG 20 v. H. der gesamten Nutzung, ohne jedoch mehr als 80 v. H. zu erreichen, so daß im Streitfall die Grundstücksart gemischt genutztes Grundstuck (§ 75 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BewG) festzustellen ist. Danach war es nicht rechtsfehlerhaft, wenn das FA auf den Ausgangswert die in § 2 Abs. 1 Buchst. B der VO zu § 90 BewG vorgeschriebene Wertzahl 70 angewendet hat.
Zu Unrecht beruft sich die Klägerin zur Begründung ihrer Auffassung, im Streitfall sei die Wertzahl 50 anzuwenden, auf Tz. 4.51 Satz 3 der Richtlinien für die Bewertung der Betriebsgrundstücke der Deutschen Bundesbahn. Nach dieser Bestimmung gilt die Wertzahl 50 "gleichermaßen für Wohnzwecken dienende Teile eines Geschäftsgrundstücks, wenn dieser Teil im Zusammenhang mit der Grundstücksgruppe steht (z. B. Dienstwohnung im Empfangsgebäude)". Die Klägerin übersieht, daß die Wertzahl 50 nur bei Geschäftsgrundstücken anzuwenden ist. Diese Voraussetzung ist jedoch im Streitfall, wie oben dargelegt, nicht gegeben (vgl. jedoch Rössler/Troll/Langner, a. a. O., Anm. 4 am Ende). Soweit die Klägerin unter Berufung auf § 75 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 Satz 2 BewG die Auffassung vertritt, daß Dienstwohnungen bei der Bestimmung der Grundstücksart ganz allgemein nicht mitzurechnen seien, kann dem, wie bereits das FG zutreffend entschieden hat, nicht gefolgt werden. Die Vorschriften des § 75 Abs. 5 Satz 2 und Abs. 6 Satz 2 BewG enthalten eine Ausnahmeregelung für Personalwohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern. Ihnen ist nicht zu entnehmen, daß Dienst-(Werk-)Wohnungen bei der Bestimmung der Grundstücksart gem. § 75 Abs. 2 bis 4 BewG nicht zu berücksichtigen seien.
Fundstellen
BStBl II 1981, 208 |
BFHE 1981, 524 |