Entscheidungsstichwort (Thema)
Billigkeitserlass bei Rechtsirrtum über die Person des Steuerschuldners
Leitsatz (amtlich)
Gehen der Leistende und Leistungsempfänger rechtsfehlerhaft davon aus, dass der Leistende Steuerschuldner ist, obwohl der Leistungsempfänger die Steuer schuldet (§ 13b UStG), sind die sich aus der Versagung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger entstehenden Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn das FA die für die Leistung geschuldete Steuer vom vermeintlichen statt vom wirklichen Steuerschuldner vereinnahmt hatte, der Leistende seine Rechnungen mit Steuerausweis berichtigt und den sich hieraus ergebenden Vergütungsanspruch an den Leistungsempfänger abtritt.
Normenkette
AO §§ 227, 233a; UStG §§ 13b, 14c, 15
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 15.03.2018 – 1 K 2616/17 aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 25.07.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.09.2017 die mit den Zinsbescheiden vom 24.03.2017 festgesetzten Zinsen zur Umsatzsteuer 2011 bis 2014 und die mit Zinsbescheid vom 19.05.2017 festgesetzten Zinsen zur Umsatzsteuer 2015 zu erlassen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
I. Der nach seiner Umsatztätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigte Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog in den Jahren 2011 bis 2015 Bauleistungen, wobei die leistenden Unternehmer Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer erteilten. Aus den von ihm bezahlten Leistungsbezügen machte der Kläger den Vorsteuerabzug geltend.
Rz. 2
Im Anschluss an eine Außenprüfung war der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) der Auffassung, dass auf die Leistungen § 13b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) anzuwenden sei. Das FA versagte daher den Vorsteuerabzug aus den dem Kläger erteilten Rechnungen und gewährte den Vorsteuerabzug nur im Hinblick auf die beim Kläger nach § 13b UStG vorzunehmende Besteuerung. Die Umsatzsteuerbescheide einschließlich der Zinsfestsetzungen wurden bestandskräftig. Die leistenden Unternehmer berichtigten die an den Kläger erteilten Rechnungen und traten die sich hieraus ergebenden Ansprüche an den Kläger ab, so dass die Nachforderung gegen den Kläger hiermit verrechnet wurde.
Rz. 3
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 28.06.2017 den Erlass der Zinsen zur Umsatzsteuer 2011 bis 2015 aus sachlichen wie auch aus persönlichen Gründen. Das FA wies den Antrag mit Bescheid vom 25.07.2017 und den dagegen eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 28.09.2017 als unbegründet zurück.
Rz. 4
Die Klage zum Finanzgericht (FG) hatte keinen Erfolg. Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 1851 veröffentlichten Urteil sind Nachforderungszinsen zur Umsatzsteuer, die aufgrund der Nichtbeachtung der Regeln zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger und in der Folge durch zu Unrecht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG vorgenommenen Vorsteuerabzug ausgelöst werden, nicht wegen sachlicher Unbilligkeit nach § 227 der Abgabenordnung (AO) zu erlassen. Für die Frage eines Zinsvorteils, der dem Steuerpflichtigen wegen seines unberechtigten Vorsteuerabzugs entstanden ist, komme es nur auf das zwischen dem Steuerpflichtigen und dem FA bestehende konkrete Steuerschuldverhältnis an. Dass bei einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung des Verhältnisses zu den leistenden Handwerkern aus der Sicht des Fiskus kein Steuerausfall entstanden sei, spiele keine Rolle. Ein Vergleich der Liquidität des Steuerpflichtigen aufgrund seines „vorschriftswidrigen” Verhaltens mit der fiktiven Liquidität, die er besessen hätte, wenn er sich „vorschriftsmäßig” verhalten hätte, sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht anzustellen. Abweichendes ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.
Rz. 5
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er habe Leistungen im Umfang von über 300.000 EUR von den Bauhandwerkern bezogen und müsse fast 25.000 EUR Zinsen zahlen. Die Verzinsung nach § 233a AO solle typisierend objektive Zins- und Liquiditätsvorteile des Steuerpflichtigen ausgleichen. Diese seien bei ihm nicht eingetreten, da er die Umsatzsteuer, für die er den Vorsteuerabzug geltend gemacht habe, stets an die Leistenden gezahlt habe. Da auch die leistenden Bauhandwerker die empfangenen Zahlungen als –vermeintliche Steuerschuldner– versteuert hätten, sei der gesamte Vorgang liquiditätsmäßig für das FA neutral gewesen. Dementsprechend habe seine Nachzahlungspflicht mit einer Erstattungsberechtigung der Bauhandwerker aufgrund der Rechnungskorrektur korrespondiert. Dies sei durch die Abtretungen dieser Ansprüche an den Kläger belegt. Eine Verzinsung bei dieser Sachlage laufe den Wertungen des Gesetzes zuwider. Eine verschuldensabhängige Verzinsung habe Strafcharakter. Grundgedanke der Rechtsprechung des EuGH sei, dass die Mehrwertsteuer für die Unternehmer keine Belastung sein solle. Nachzahlungszinsen führten aber zu einer derartigen Belastung. Dies gelte hier ebenso wie bei einer aufgrund einer Insolvenz nicht vom Leistenden erlangbaren Umsatzsteuererstattung. Nebenleistungen seien zu behandeln wie die Hauptforderung.
Rz. 6
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 25.07.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.09.2017 zu verpflichten, die mit den Zinsbescheiden vom 24.03.2017 festgesetzten Zinsen zur Umsatzsteuer 2011 bis 2014 und die mit Zinsbescheid vom 19.05.2017 festgesetzten Zinsen zur Umsatzsteuer 2015 zu erlassen.
Rz. 7
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Rz. 8
Auf einen Vergleich der tatsächlichen Situation mit der, die bestanden hätte, wenn sich der Unternehmer vorschriftsgemäß verhalten hätte, komme es nach der Rechtsprechung des BFH nicht an. Die Behandlung bei den leistenden Unternehmern sei für die Beurteilung beim Kläger ebenso wie eine „Null-Situation” ohne Bedeutung. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität liege nicht vor.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und das FA zum beantragten Billigkeitserlass zu verpflichten (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Entgegen dem Urteil des FG ist das FA zum Billigkeitserlass nach § 227 AO verpflichtet. Gehen der Leistende und Leistungsempfänger rechtsfehlerhaft davon aus, dass der Leistende Steuerschuldner ist, obwohl die Leistung § 13b UStG unterliegt, sind die sich aus der Versagung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger entstehenden Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn das FA die für die Leistung geschuldete Steuer vom vermeintlichen statt vom wirklichen Steuerschuldner vereinnahmt hatte, der Leistende seine Rechnungen mit Steuerausweis berichtigt und den sich hieraus ergebenden Vergütungsanspruch an den Leistungsempfänger abtritt.
Rz. 10
1. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls –aus persönlichen oder sachlichen Gründen– unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen (BFH-Urteil vom 10.03.2016 – III R 2/15, BFHE 253, 12, BStBl II 2016, 508) und damit auch Zinsansprüche.
Rz. 11
a) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer unbillig erscheint. Das ist der Fall, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage –wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte– i.S. der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (BFH-Urteile vom 20.09.2012 – IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505, und vom 24.04.2014 – V R 52/13, BFHE 245, 105, BStBl II 2015, 106). Dies wiederum kann seinen Grund entweder in Gerechtigkeitsgesichtspunkten oder in einem Widerspruch zu dem der gesetzlichen Regelung zu Grunde liegenden Zweck haben (BFH-Urteil vom 21.01.2015 – X R 40/12, BFHE 248, 485, BStBl II 2016, 117). Allerdings dürfen Billigkeitsmaßnahmen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem –sich lediglich in einem Einzelfall zeigenden– ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestands abhelfen (BFH-Urteil vom 17.12.2013 – VII R 8/12, BFHE 244, 184). Bei der Billigkeitsprüfung müssen solche Umstände außer Betracht bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt (BFH-Urteil vom 21.07.1993 – X R 104/91, BFH/NV 1994, 597). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt in der Regel keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 07.10.2010 – V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, und vom 04.02.2010 – II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663). Eine sachliche Billigkeitsmaßnahme stellt immer auf den Einzelfall ab und ist atypischen Ausnahmefällen vorbehalten (BFH-Urteil vom 27.02.2019 – VII R 34/17, BFH/NV 2019, 736).
Rz. 12
b) Die Entscheidung über die Erstattung oder den Erlass nach § 227 AO ist eine Ermessensentscheidung der Behörde (§ 5 AO), die im finanzgerichtlichen Verfahren nach § 102 Satz 1 FGO nur daraufhin überprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (BFH-Urteil vom 31.05.2017 – I R 92/15, BFHE 259, 387, BStBl II 2019, 14). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessenfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt, d.h. im Fall einer Ermessensreduzierung auf Null, ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass bzw. zur Erstattung auszusprechen (BFH-Urteil in BFHE 244, 184, und in BFH/NV 2019, 736).
Rz. 13
2. Danach ist im Streitfall das Urteil des FG aufzuheben und der Klage stattzugeben, da eine Ermessenreduktion auf Null vorliegt.
Rz. 14
a) Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat (BFH-Urteile vom 11.07.1996 – V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; vom 21.10.1999 – V R 94/98, BFH/NV 2000, 610, und vom 16.08.2001 – V R 72/00, BFH/NV 2002, 545). Ein Liquiditätsvorteil entsteht z.B. dann, wenn der Unternehmer seine steuerfreien Leistungen rechtsfehlerhaft als steuerpflichtig ansieht, auf dieser Grundlage zu Unrecht den Vorsteuerabzug in Anspruch nimmt und seine Rechnungen mit Steuerausweis nur ohne Rückwirkung auf die Rechnungserteilung berichtigen kann (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 545, und BFH-Beschluss vom 21.05.2010 – V B 91/09, BFH/NV 2010, 1619).
Rz. 15
Zudem ist die Verzinsung nachträglich festgesetzter Umsatzsteuer beim Leistenden nicht deshalb unbillig, da sich per Saldo ein Ausgleich mit den vom Leistungsempfänger abgezogenen Vorsteuerbeträgen ergibt, da § 233a AO auf einen Vorteil nicht des FA, sondern des Steuerpflichtigen abstellt und die Entstehungsvoraussetzungen für die Steuer des Leistenden und den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers nicht deckungsgleich sind (BFH-Urteil vom 20.01.1997 – V R 28/95, BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716). Eine sog. „Null-Situation” (keine Umsatzversteuerung beim Leistenden, keine Möglichkeit des Vorsteuerabzugs für den Leistungsempfänger) rechtfertigt nach der Rechtsprechung auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise keinen Billigkeitserlass zugunsten des leistenden Unternehmers, der seine Umsätze zu Unrecht nicht versteuert hat (BFH-Urteil vom 15.04.1999 – V R 63/97, BFH/NV 1999, 1392).
Rz. 16
b) Demgegenüber ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass die vom Kläger als Leistungsempfänger vorzunehmende, aber zunächst unterbliebene Versteuerung für ihn zu keinem Liquiditätsvorteil führen konnte, da er aus der von ihm geschuldeten Steuer im Hinblick auf seine steuerpflichtige Umsatztätigkeit ohne weitere –insbesondere rechnungsmäßigen– Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt war.
Rz. 17
Zudem haben weder der Kläger aus der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs aus den Rechnungen i.S. von § 14c Abs. 1 UStG noch die diese Rechnungen ausstellenden Bauunternehmer im Streitfall einen Liquiditätsvorteil erlangt. Denn auf der Grundlage der bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat der Kläger die ihm erteilten Rechnungen vollumfänglich, also auch im Umfang des Umsatzsteueranteils bezahlt, während die Bauunternehmer die von ihnen zu Unrecht ausgewiesene Steuer ordnungsgemäß versteuerten, wie sich auch aus den Erstattungsansprüchen aufgrund der späteren Rechnungsberichtigungen ergibt.
Rz. 18
Damit liegt im Streitfall keine „Null-Situation” vor, die einen Billigkeitserlass zugunsten des Leistenden aufgrund der nur hypothetischen Überlegungen zur Behandlung beim Leistungsempfänger nach bisheriger Rechtsprechung nicht zu begründen vermag (s. oben II.2.a), sondern der gesetzlich nicht bedachte Ausnahmefall, dass der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug aus einer in Rechnungen ausgewiesenen, aber gesetzlich nicht geschuldeten Steuer geltend macht, von der zudem feststeht, dass sie vom Rechnungsaussteller ordnungsgemäß abgeführt wurde. Aufgrund der Besonderheit eines gemeinsamen Rechtsirrtums von Leistenden und Leistungsempfänger bei der Anwendung von § 13b UStG und der auf dieser Grundlage fehlerhaften, aber folgerichtigen Versteuerung durch beide Beteiligte kommt es hier nicht in Betracht, für die Liquiditätsbeurteilung ausschließlich auf das zwischen dem Kläger und seinem FA bestehende Steuerschuldverhältnis abzustellen (vgl. aber für andere Fallkonstellationen BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 1619). Dabei sind im Rahmen der Billigkeitsprüfung auch die Schwierigkeiten zu berücksichtigen, die sich für die Unternehmer aus der Anwendung der komplexen und vielschichtigen Regelungen des § 13b UStG ergeben, die den Gesetzgeber veranlasst haben, durch § 13b Abs. 5 Satz 7 UStG die Anwendung dieser Vorschrift –für hier nicht einschlägige Fallkonstellationen– zur Disposition der Beteiligten zu stellen. Schließlich haben der Kläger wie auch die Bauunternehmer nach Aufdeckung des Irrtums für eine zutreffende Behandlung durch Nachversteuerung beim Kläger und Rechnungsberichtigung beim Bauunternehmer gesorgt. Dass den Rechnungsberichtigungen der Bauunternehmer keine Rückwirkung zukam (BFH-Urteil vom 12.10.2016 – XI R 43/14, BFHE 255, 474, zu § 14c Abs. 1 UStG, und BFH-Urteil vom 13.12.2018 – V R 4/18, BFHE 263, 535, zu § 14c Abs. 2 UStG) ist dann bei einer liquiditätsmäßigen Betrachtung für Zwecke des Billigkeitserlasses unerheblich.
Rz. 19
c) Die vom FG für seine gegenteilige Beurteilung angeführte Rechtsprechung steht dem nicht entgegen.
Rz. 20
Zwar hat der erkennende Senat in seinen Urteilen vom 24.02.2005 – V R 62/03 (BFH/NV 2005, 1220) und vom 30.03.2006 – V R 60/04 (BFH/NV 2006, 1434) bei einem Vorsteuerabzug aus einer gesetzlich nicht geschuldeten Steuer trotz Zahlung an den Rechnungsaussteller einen Liquiditätsvorteil bejaht. Hiervon unterscheidet sich aber die hier vorliegende Fallkonstellation, bei der Leistender und Leistungsempfänger gemeinsam die Bedeutung der sie betreffenden §§ 13a, 13b UStG verkennen. Aufgrund dieser Besonderheiten ist keine nur auf den Leistungsempfänger bezogene Liquiditätsbetrachtung vorzunehmen. Im Hinblick auf die bei §§ 13a, 13b UStG bestehende Wechselwirkung, nach der die Steuerschuld nur entweder beim Leistenden oder beim Leistungsempfänger entstehen kann, beschränkt sich die Liquiditätsbetrachtung nicht auf das Verhältnis des Leistungsempfängers (hier: des Klägers) zu seinem FA, sondern hat auch den Leistenden einzubeziehen. Eine derartige Fallgestaltung lag im Übrigen auch nicht dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1619 zugrunde. Die Beurteilung durch den erkennenden Senat steht auch nicht im Widerspruch zu dem nicht zur Umsatzsteuer ergangenen BFH-Beschluss vom 15.01.2008 – VIII B 222/06 (BFH/NV 2008, 753). Zudem liegt auch keine auf den leistenden Unternehmer bezogene „Null-Situation” vor (s. oben II.2.b). Schließlich betrifft der Senatsbeschluss vom 01.03.2013 – V B 112/11 (BFH/NV 2013, 901) den hier nicht zu entscheidenden Fall der Verzinsung aufgrund eines erst nachträglich erklärten Verzichts auf die Steuerfreiheit nach § 9 UStG.
Rz. 21
d) Auf die weitergehenden Überlegungen des Klägers zum Unionsrecht wie etwa den Grundsatz der steuerlichen Neutralität kommt es nicht an.
Rz. 22
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 13543906 |
BFH/NV 2020, 35 |
BFH/PR 2020, 85 |
BStBl II 2024, 80 |
BB 2019, 2901 |
DB 2019, 6 |
DStR 2019, 2531 |
DStRE 2019, 1543 |
DStZ 2020, 68 |
HFR 2020, 8 |
UR 2020, 75 |