Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung einer telefonischen Rechtsauskunft
Leitsatz (NV)
Ob eine außerhalb einer Außenprüfung gegebene, nicht durch die §§204 bis 207 AO 1977 geregelte Auskunft das FA bindet, richtet sich nach den von der Rechtsprechung zur Rechtslage nach der AO entwickelten, aus Treu und Glauben abgeleiteten Rechtsgrundsätzen. Danach ist eine Auskunft des FA nur dann verbindlich, wenn sie der für die spätere Entscheidung im Verwaltungsverfahren zuständige Beamte oder der Vorsteher erteilt hat. Der zuständige Beamte ist dabei nicht etwa der Sachbearbeiter, sondern der abschließend Zeichnungsberechtigte, also in der Regel der Sachgebietsleiter (Fortführung der ständigen BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
AO 1977 § 118 ff., § 204 ff.; InvZulG 1986 § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) baute 1986 (Streitjahr) ein 1985 erworbenes Hotelgebäude um und richtete es neu ein. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) gewährte für die Gebäudeerweiterung und die Anschaffung einiger beweglicher Einrichtungsgegenstände durch unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 31. Juli 1987 sowie Änderungsbescheid vom 10. November 1987 Investitionszulage für 1986 nach §1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1986 in Höhe von letztlich ... DM.
Mit Vertrag vom 21. März 1988 verpachtete der Kläger den Hotel- und Gaststättenbetrieb mit Wirkung ab 20. April 1988 für die Dauer von fünf Jahren. Am selben Tag hatte er sich bei der Sachbearbeiterin beim FA telefonisch erkundigt, ob dies für die Investitionszulage schädlich sei. Die Sachbearbeiterin hatte die Auskunft gegeben, daß die Vermietung ihres Erachtens unschädlich sein müßte.
Mit Bescheid vom 16. Mai 1988 hob das FA den Investitionszulagenbescheid nach §164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO 1977) auf und forderte die gewährte Zulage zurück. Im Einspruchsverfahren machte der Kläger im wesentlichen geltend, daß der Rückforderung der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehe. Er habe vor Abschluß des Pachtvertrags vom FA die verbindliche Auskunft erhalten, daß die Verpachtung nicht investitionszulagenschädlich sei. An dieser Auskunft müsse sich das FA festhalten lassen.
Das Finanzgericht (FG) gab der vom Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage mit dem in Deutsche Steuer-Zeitung 1994, 123 veröffentlichten Urteil statt.
Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung des materiellen Rechts. Das angefochtene Urteil stehe im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), insbesondere zu dem Urteil vom 11. August 1967 IV R 67/66 (BFHE 89, 381, BStBl III 1967, 685). Die dem Kläger erteilte unzutreffende Auskunft der Sachbearbeiterin stehe der Rückforderung nicht entgegen. Entgegen der Ansicht des FG komme es für die Bindungswirkung einer Auskunft auf die organisationsrechtliche Entscheidungsbefugnis des jeweiligen Ansprechpartners des Steuerpflichtigen an. Ein Sachbearbeiter sei für Zusagen wie im Streitfall organisationsrechtlich gar nicht zuständig, erst recht nicht, wenn er -- wie vorliegend -- kein abschließendes Zeichnungsrecht habe. Diese Rechtsauffassung ergebe sich auch aus den BFH-Entscheidungen vom 19. Juni 1975 VIII R 225/72 (BFHE 117, 195, BStBl II 1976, 97) und vom 13. Dezember 1989 X R 208/87 (BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274).
Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er führt im wesentlichen aus: Der BFH solle überdenken, ob die verbindliche Auskunft nicht doch als Verwaltungsakt anzusehen sei, der nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen, die hier nicht vorlägen, zurückgenommen werden könne. Die fehlende gesetzliche Regelung dieses Instituts sei hierbei kein Hinderungsgrund.
Die bisher zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen des BFH beträfen im übrigen allesamt Besteuerungsverfahren. Bei der Investitionszulagengewährung handele es sich um ein Sonderverfahren, welches regelmäßig durch Sachbearbeiter, denen es besonders zugeteilt sei, allein und abschließend durchgeführt werde. Schließlich komme hinzu, daß es dem Rechtsuchenden mangels Einblicks in die behördlichen Organisationsstrukturen nicht möglich sei, die bestehende oder fehlende Entscheidungsbefugnis eines von ihm angesprochenen Bediensteten des Finanzamts festzustellen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Entgegen der Auffassung des FG steht die Auskunft der Sachbearbeiterin des FA der Rückforderung der streitigen Investitionszulage nicht entgegen.
1. Nach §1 InvZulG 1986 erhalten Steuerpflichtige für im Zusammenhang mit der Errichtung einer Betriebsstätte in bestimmten für förderungswürdig erachteten Gebieten vorgenommene Investitionen eine Investitionszulage. Dies gilt u. a. für die Anschaffung beweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die nicht zu den geringwertigen Wirtschaftsgütern i. S. des §6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören. Voraussetzung ist, daß diese Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung in der Betriebsstätte des Steuerpflichtigen verbleiben (§1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1986).
Hiernach erfüllt der Kläger nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Investitionszulage hinsichtlich der beweglichen Einrichtungsgegenstände des Hotels. Denn nach den unbeanstandeten Feststellungen des FG hat er den Hotelbetrieb schon innerhalb der 3-Jahres-Frist nach der Anschaffung der Wirtschaftsgüter für die Dauer von fünf Jahren an einen Dritten verpachtet (vgl. hinsichtlich der Pachtdauer den in den Verwaltungsakten befindlichen Pachtvertrag vom 21. März 1988, auf den das FG im Tatbestand seines Urteils Bezug genommen hat).
Den in den verschiedenen investitionszulagerechtlichen Vorschriften enthaltenen Begriff "verbleiben" hat der Senat in ständiger Rechtsprechung als eine dauerhafte räumliche bzw. tatsächliche Beziehung des Wirtschaftsguts zum Betrieb oder zu der Betriebsstätte verstanden. Damit ist insbesondere das Vermieten oder Verpachten einer ganzen Betriebsstätte regelmäßig zulageschädlich (vgl. dazu nur Senatsurteile vom 25. Oktober 1985 III R 79/82, BFHE 145, 479, BStBl II 1986, 150, und vom 5. Mai 1988 III R 181/83, BFH/NV 1988, 741). Eine Ausnahme gilt nur für den -- hier nicht vorliegenden -- Fall einer bloß kurzfristigen, d. h. nicht länger als drei Monate andauernden Nutzungsüberlassung, weil der Investor dabei innerhalb kurzer Frist die tatsächliche Gewalt über das vermietete Wirtschaftsgut wiedererlangt (vgl. Senatsurteil vom 23. Mai 1986 III R 66/85, BFHE 147, 193, BStBl II 1986, 916).
Aus den gleichen Gründen erfüllt der Kläger auch hinsichtlich seiner Investitionen in die Gebäudeerweiterung, die ein unbewegliches Wirtschaftsgut betreffen, nicht die gesetzlichen Fördervoraussetzungen. Investitionen in ein unbewegliches Wirtschaftsgut sind nach §1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1986 ebenfalls nur zulagefähig, wenn das Wirtschaftsgut 3 Jahre ausschließlich zu eigenbetrieblichen Zwecken verwendet wird. Das ist hier nicht der Fall. Denn eine durchgehend eigenbetriebliche Verwendung des Gebäudes innerhalb der 3- Jahres-Frist i. S. von §1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1986 ist angesichts der Hotelverpachtung ebenfalls nicht gegeben (vgl. dazu allgemein Senatsurteile in BFHE 145, 479, BStBl II 1986, 150 sowie vom 22. Februar 1996 III R 91/93, BFHE 180, 293, BStBl II 1996, 428).
2. Entgegen der Auffassung des FG steht die gegenteilige fernmündliche Auskunft einer Sachbearbeiterin des FA der Rückforderung nicht entgegen.
Bei der fernmündlichen Erklärung der Sachbearbeiterin handelte es sich nicht um einen Verwaltungsakt i. S. von §§118 ff. AO 1977, der nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen des §130 Abs. 2 AO 1977 (insbesondere Abs. 2 Nr. 1: Handeln einer unzuständigen Behörde) mit Wirkung ex tunc zurückgenommen werden könnte (anderer Ansicht z. B.: FG Düsseldorf, rkr. Urteil vom 16. September 1980 II 97/73 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 1981, 296; zustimmend Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, 62. Erg.- Lfg., Vor §§204 bis 207 Rz. 7 und 11 unter Einbeziehung des Rechtsgedankens des §207 AO 1977; ähnlich Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Vor §204 AO 1977 Rz. 16, m. w. N.). Wegen der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich auf das BFH-Urteil in BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274, Abschnitt 2 b der Entscheidungsgründe, Bezug genommen.
Ein Finanzamt kann allerdings auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert sein, einen nach dem Gesetz entstandenen Anspruch auf Rückforderung einer Investitionszulage geltend zu machen, wenn es einem Steuerpflichtigen zugesichert hat, daß ein bestimmtes Verhalten einen solchen Rückforderungsanspruch nicht auslöst. Die AO 1977 regelt zwar nur die verbindliche Zusage im Anschluß an eine Außenprüfung (vgl. §§204 bis 207 AO 1977). Das schließt jedoch nicht aus, daß die Finanzbehörde auch in anderen Fällen Auskünfte mit bindender Wirkung erteilen kann.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH tritt eine Bindungswirkung bei einer behördlichen Zusicherung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nur dann ein, wenn sie der im Zeitpunkt der Auskunftserteilung für die spätere Entscheidung im Verwaltungsverfahren zuständige Beamte oder der Vorsteher der Finanzbehörde gegeben hat. Der zuständige Beamte ist dabei nicht etwa der Sachbearbeiter, sondern der abschließend Zeichnungsberechtigte, also in der Regel der Sachgebietsleiter (vgl. dazu Urteile vom 4. August 1961 VI 269/60 S, BFHE 73, 813, BStBl III 1961, 562; vom 20. Juli 1962 VI 167/61 U, BFHE 76, 64, BStBl III 1963, 23; vom 29. Oktober 1962 IV 146/59, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1963, 229; in BFHE 89, 31, BStBl III 1967, 685; vom 19. Dezember 1973 II R 180/72, BFHE 111, 138, BStBl II 1974, 182; in BFHE 117, 195, BStBl II 1976, 97; in BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274, und vom 5. Oktober 1990 III R 19/88, BFHE 162, 211, BStBl II 1991, 45). Dem entspricht es, wenn in §22 Abs. 1 der Geschäftsordnung für die Finanzämter (FAGO) vom 2. Dezember 1985 (BStBl I 1985, 685) vorgeschrieben ist: "Der Sachgebietsleiter zeichnet abschließend, soweit das Zeichnungsrecht nicht dem Vorsteher vorbehalten ist: ... 2. Vorgänge von erheblicher Bedeutung oder von rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeit, z. B. ... Rechtsauskünfte und verbindliche Zusagen ... ".
Auch diejenigen Stimmen im Fachschrifttum, die zum Schutze des über verwaltungsinterne Zuständigkeitsfragen nicht informierten Steuerpflichtigen sowie zur Gewährleistung von Rechtssicherheit von der konkreten Ausgestaltung der Geschäftsverteilung abstrahieren und generalisierend nur auf die sog. organschaftliche Vertretungsmacht innerhalb eines Finanzamtes abstellen, sprechen diese generelle Vertretungsmacht wegen der eindeutigen, im übrigen bundeseinheitlichen Regelung in §22 FAGO i. V. m. §79 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 nur den Organwaltern im engeren Sinne (Vorsteher und Stellvertreter) sowie den Sachgebietsleitern als Beauftragten oder "Organwaltern im weiteren Sinne" zu (vgl. z. B. Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, 1996, S. 330 f.; Tipke/Kruse, a. a. O., Vor §204 AO 1977 Rz. 11 mit Nachweisen zu einzelnen weitergehenden Ansichten; ähnlich schon Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Vor §204 AO 1977 Rz. 35 i. V. m. §201 AO 1977 Rz. 174). Das gilt sowohl für Steuerveranlagungen als auch für die Gewährung von staatlichen Subventionen durch das Finanzamt, wie z. B. bei der Investitionszulage. Soweit Tipke/Kruse (a. a. O., Vor §204 AO 1977 Rz. 11 i. V. m. Rz. 12) darüber hinaus unter Umständen auch von einem Sachbearbeiter gegebene schriftliche Zusagen für verbindlich erachten, scheitert eine solche Bindungswirkung im Streitfall daran, daß die fragliche Rechtsauskunft nur mündlich erteilt wurde (für Schriftformerfordernis analog §205 Abs. 1 AO 1977 ebenfalls Seer, a. a. O., S. 464 f.).
Damit konnte durch die unzutreffende fernmündliche Auskunft der Sachbearbeiterin keine Bindung des FA eintreten. Der Rückforderungsbescheid war somit insgesamt rechtmäßig.
3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Fundstellen
BFH/NV 1998, 808 |
SteuerBriefe 1998, 1124 |