Entscheidungsstichwort (Thema)
Offenbare Unrichtigkeit bei unterbliebener Berichtigung der Personen-Stammdaten
Leitsatz (NV)
Teilt der Steuerpflichtige in der Einkommensteuer-Erklärung seine im Vorjahr erfolgte Ehescheidung mit und ergeht infolge unterbliebener Berichtigung der Personen-Stammdaten gleichwohl ein Zusammenveranlagungsbescheid, so liegt eine einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeit vor, wenn nach Lage des Falles auszuschließen ist, daß die fehlerhafte Sachbehandlung auf etwas anderes als ein mechanisches Versehen zurückzuführen ist.
Normenkette
AO 1977 § 129
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde, wie auch in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1976 angegeben ist, im August 1975 geschieden. In der auf ausdrückliche Anforderung vorgelegten Lohnsteuerkarte des Klägers für 1976 sind die ursprünglichen Angaben - Familienstand verheiratet, Steuerklasse 3, Zahl der Kinder unter 18 Jahren 2 - aufgehoben und an deren Stelle Steuerklasse 1, Familienstand geschieden und als Zahl der Kinder ,,keine" eingetragen worden.
Nach den zum Zeitpunkt der Veranlagung gespeicherten Personen-Stammdaten wurde der Kläger noch als verheiratet geführt. Die Einkommensteuererklärung des Klägers wurde vom zuständigen Bearbeiter der Veranlagungs- und Verwaltungsstelle (VVSt) auf ihre Übereinstimmung mit den Personen-Stammdaten überprüft. Gleichwohl veranlaßten weder der Bearbeiter der VVSt noch der für die Durchführung der Veranlagung zuständige Bearbeiter der Übernahme- bzw. Amtsprüfungsstelle die gebotene Änderung des gespeicherten Datenbestandes. Deshalb erging am 3. März 1978 ein an ,,Herrn und Frau" adressierter Einkommensteuerbescheid, wie er bei zusammenveranlagten Eheleuten erlassen wird. Dabei wurden die Kinder des Klägers nicht berücksichtigt. Der Bescheid wurde ,,hinsichtlich der Unterhaltszahlungen" nach § 165 AO 1977 für vorläufig erklärt. Dieser an die Adresse des Klägers abgesandte Bescheid wurde nicht angefochten.
Aufgrund einer Mitteilung über zwischenzeitlich einheitlich und gesondert festgestellte Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) am 13. August 1979 einen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geänderten, nach § 129 AO 1977 berichtigten und nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 endgültigen Bescheid, der nur noch an den Kläger adressiert ist und in dem der Kläger unter Anwendung der Grundtabelle einzeln zur Einkommensteuer veranlagt wird.
Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte nur insofern Erfolg, als die Vorsorgeaufwendungen unter Berücksichtigung von zwei Kindern errechnet wurden und auch ein Haushaltsfreibetrag zum Abzug kam.
Mit der Klage machte der Kläger geltend, eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 129 AO 1977 habe nicht vorgelegen, da die Möglichkeit eines Rechtsirrtums nicht auszuschließen sei. Dem FA seien zwei Fehler unterlaufen, nämlich die unterbliebene Zuordnung der Kinder und die Anwendung der Splittingtabelle. Diese Fehler könnten in einem inneren Zusammenhang gestanden haben. Der Bearbeiter habe möglicherweise geglaubt, beim Vorhandensein von Kindern käme die Splittingtabelle, ähnlich wie im Jahr nach Auflösung einer Ehe durch den Tod eines Ehegatten, auch nach einer Scheidung zum Zuge.
Das Finanzgericht (FG) gab dem Klageantrag, die Steuer nach der im ursprünglichen Bescheid vom 3. März 1978 angesetzten Bemessungsgrundlage zuzüglich der aufgrund des Feststellungsbescheides sich ergebenden Erhöhung nach der Splittingtabelle festzusetzen, statt. Es führte aus, § 129 AO 1977 sei nicht anzuwenden, wenn - wie im Streitfall - ein Fehler unterlaufe, der auf der Nichtberücksichtigung feststehender Tatsachen bei der Entscheidung beruhe (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Mai 1977 IV R 44/74, BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853, 854). Obwohl dem FA die Scheidung nämlich bekannt gewesen sei, habe es die für die Veranlagung erforderlichen Konsequenzen nicht gezogen. Es hätte dem Mitarbeiter in der VVSt oder in der Übernahme- bzw. Amtsprüfungsstelle oblegen, sich über den gespeicherten Datenbestand zu vergewissern und die erforderlichen Kennzahlen in den Eingabebogen einzutragen. Da dies unterblieben sei, habe die feststehende Tatsache der Scheidung keine Berücksichtigung gefunden.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 129 AO 1977.
Es ist der Ansicht, es habe ein mechanisch-technischer Fehler vorgelegen, der nicht in den Bereich der Willensbildung gefallen sei. Infolge eines Versehens habe das tatsächlich Erklärte nicht mit dem Erklärungswillen übereingestimmt. In solchen Fällen sei die Behörde nicht daran gebunden, was sie zwar erklärt, in Wirklichkeit aber nicht gewollt habe.
Bei der Veranlagung im automatisierten Verfahren würden die für einen Steuerpflichtigen gespeicherten Stammdaten ohne weitere Eingaben zugrunde gelegt, solange keine Änderung erfolge. Bei der Aktenabgabe innerhalb des FA sei nur die Steuernummer geändert worden, während die Löschung der Daten der Ehefrau unterblieben sei mit der Folge, daß eine Zusammenveranlagung unter Anwendung der Splittingtabelle durchgeführt worden sei. Eine nochmalige Überprüfung der Stammdaten durch die Übernahme- bzw. Amtsprüfungsstelle bei Durchführung der Veranlagung sei nicht vorgesehen.
Bei einem derartigen Sachverhalt könne nicht von einer fehlerhaften Willensbildung des zuständigen Beamten im Tatsachen- oder Rechtsbereich ausgegangen werden. Vielmehr seien solche im automatisierten Besteuerungsverfahren auftretende offenbare Unrichtigkeiten ohne Rücksicht darauf zu berichtigen, auf welcher Stufe des Verfahrens sie entstanden seien. Im übrigen sei nicht erforderlich, daß die Unrichtigkeit ohne weiteres aus dem Verwaltungsakt erkennbar sei, sozusagen ins Auge springen müsse. Dessen ungeachtet, habe der Kläger aus der Adressierung an ,,Herrn und Frau" erkennen können, daß der Bescheid fehlerhaft sei, da die Adressierung von den Angaben in der Steuererklärung abgewichen und die unterschiedliche Besteuerung von Alleinstehenden gegenüber Verheirateten in der Öffentlichkeit hinlänglich bekannt sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Gemäß § 129 AO 1977 können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Die Vorschrift entspricht hinsichtlich des Begriffs der offenbaren Unrichtigkeit dem § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO - (BFH-Urteil vom 9. Oktober 1979 VIII R 226/77, BFHE 129, 5, BStBl II 1980, 62). Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler; sie können aber auch in einem unbeabsichtigten, unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf bzw. in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisungen bestehen (BFH-Urteile vom 31. Juli 1975 V R 121/73, BFHE 116, 462, BStBl II 1975, 868, und in BFHE 129, 5, BStBl II 1980, 62). Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung, unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen, schließen die Anwendung der Vorschrift dagegen aus (BFH-Urteile vom 8. Dezember 1967 VI R 85/67, BFHE 90, 468, BStBl II 1968, 191; vom 13. Februar 1979 VIII R 53/77, BFHE 127, 302, BStBl II 1979, 458, und in BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853).
Der Bescheid vom 3. März 1978 war offenbar unrichtig. Denn aus der Adressierung (,,Herrn und Frau"), aus der ausdrücklichen Erwähnung der Splittingtabelle und der Höhe des Erstattungsbetrages ergab sich für den Kläger ohne weiteres erkennbar, daß eine Zusammenveranlagung durchgeführt worden war, ohne daß deren Voraussetzungen vorlagen.
Es handelte sich auch um eine einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeit; denn es ist auszuschließen, der Fehler könnte auf unzutreffende Rechtsvorstellungen oder darauf zurückzuführen sein, daß das FA infolge mangelhafter Überprüfung der vom Kläger eingereichten Unterlagen einen in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalt angenommen habe.
Nach den Feststellungen des FG hat der Sachbearbeiter der VVSt die Einkommensteuererklärung des Klägers auf ihre Übereinstimmung mit den Personen-Stammdaten überprüft. Da in der Steuererklärung unter den Angaben zur Person nur der Kläger und nicht zusätzlich seine geschiedene Ehefrau aufgeführt war und da zudem ausdrücklich vermerkt war, daß der Kläger im Vorjahr geschieden worden ist, lag die Erforderlichkeit einer Änderung der Personen-Stammdaten auf der Hand. Ob die danach im Rahmen der Eingangsbearbeitung vorzunehmenden Maßnahmen versehentlich überhaupt unterblieben oder ob unzulängliche Angaben erfolgt sind, kann dahinstehen. Denn nach Lage des Falles ist auszuschließen, daß die fehlerhafte Sachbehandlung auf etwas anderes als ein mechanisches Versehen zurückzuführen ist. Auf welchen konkreten Vorgang der Fehler zurückging, ist nicht entscheidend, da nicht mehr als die nur theoretische Möglichkeit besteht, daß der Fehler auf falscher Rechtsanwendung oder mangelnder Sachverhaltsermittlung oder Würdigung beruht.
Die ohnehin sehr fernliegende Annahme, der Sachbearbeiter des FA habe entsprechend der gesetzlichen Regelung des ,,Witwensplittings" eine Veranlagung unter Anwendung eines ,,Geschiedenensplittings" durchführen wollen, scheidet schon deswegen aus, weil im geänderten Bescheid weder eine Einzelveranlagung durchgeführt worden ist noch Kinder berücksichtigt worden sind.
Der Anwendbarkeit des § 129 AO 1977 stand aber auch nicht entgegen, daß eine feststehende Tatsache nicht beachtet wurde. Die - auf Flüchtigkeiten zurückzuführende - Nichtbeachtung feststehender Tatsachen ist vielmehr der Regelfall der offenbaren Unrichtigkeit im Sinne von § 129 AO 1977. Das FG beruft sich in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf das Urteil in BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853. Im dort entschiedenen Fall lag kein mechanischer Fehler vor, denn das FA hatte nicht lediglich versehentlich ein Besteuerungsmerkmal nicht übernommen, sondern aufgrund mangelnder Überprüfung der eingereichten Unterlagen verkannt, daß ein Besteuerungsmerkmal anzusetzen war. Der Fehler beruhte also nicht auf einer Flüchtigkeit bei der Übernahme einer feststehenden Tatsache, sondern darauf, daß nach den gemachten Angaben mögliche Schlüsse unterblieben sind. Damit handelte es sich nicht mehr um ein mechanisches Versehen, das ebenso ,,mechanisch", d. h. ohne weitere Prüfung erkannt oder berichtigt werden konnte (BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853). Im Streitfall lag das Besteuerungsmerkmal ,,geschieden" offen zutage und konnte der Einkommensteuererklärung ohne weitere Überlegungen und Schlußfolgerungen entnommen werden. Anhaltspunkte dafür, daß es im geänderten Bescheid aus anderen Gründen als einem reinen Versehen keine Berücksichtigung gefunden hätte, sind nicht ersichtlich. Das FA hat den Bescheid vom 3. März 1978 somit zu Recht nach § 129 AO 1977 berichtigt. Daß die Besteuerung im angefochtenen Bescheid vom 13. August 1979 materiell zutreffend vorgenommen worden ist, wird auch vom Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Fundstellen