Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldzinsen für die Zeit zwischen Gefahrübergang und Fälligkeit des Grundstückskaufpreises
Leitsatz (amtlich)
Schuldzinsen, die der Erwerber eines zum Vermieten bestimmten Grundstücks vereinbarungsgemäß für den Zeitraum nach dem Übergang von Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahren bis zur später eintretenden Fälligkeit des Kaufpreises an den Veräußerer erstattet, sind als Werbungskosten abziehbar.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nrn. 1, 7; HGB § 255 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Ihr Zweck ist der Erwerb eines Grundstücks, dessen Bebauung mit einem Einkaufszentrum und die Vermietung an gewerbliche Mieter. Sie erwarb das vorgesehene Grundstück mit unfertigen Gebäuden für 4,3 Mio. DM. Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahr gingen vertragsgemäß am 1. November 1991 auf die Klägerin über. Der Kaufpreis war am 31. Oktober 1991 fällig, frühestens jedoch binnen fünf Bankarbeitstagen nach dem Zugang der schriftlichen Mitteilung des Notars über die Erfüllung folgender Voraussetzungen:
- Vorliegen der erforderlichen Erklärungen und Genehmigungen, u.a. nach dem Grundstücksverkehrsgesetz,
- Zeugnis der Gemeinde, dass ein öffentlich-rechtliches Vorkaufsrecht nicht besteht,
- Eintragung der Auflassungsvormerkung zugunsten des Käufers im Grundbuch,
- Löschungsbewilligungen der Grundpfandrechtsgläubiger.
Danach wurde der Kaufpreis erst mit Schreiben des Notars vom 16. Dezember 1991 fällig gestellt und von der Klägerin in zwei Teilbeträgen (am 27. und 31. Dezember 1991) entrichtet. Nach dem Kaufvertrag hatte die Klägerin den Kaufpreis bereits ab dem 1. November 1991 (Tag des Gefahrübergangs) zu verzinsen, und zwar in Höhe des Zinssatzes, den die Veräußerin ihrem finanzierenden Kreditinstitut schuldete. Demgemäß entrichtete die Klägerin an die Veräußerin Zinsen von 60 000 DM im Streitjahr 1991 und 24 200 DM im Streitjahr 1992 und zog diese Beträge jeweils bei der Ermittlung ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für die Streitjahre als Werbungskosten ab.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) ging hingegen davon aus, dass der Kaufpreis erst fünf Tage nach dem vermuteten Zugang des notariellen Schreibens, also am 22. Dezember 1991, fällig geworden sei und berücksichtigte lediglich die seit diesem Zeitpunkt entstandenen Schuldzinsen von 11 933 DM als Werbungskosten. Den restlichen Zinsbetrag von 72 267 DM rechnete das FA den Anschaffungskosten zu und erhöhte entsprechend die Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage ab (Urteil vom 6. März 2001 8 K 7847/94, Entscheidungen der Finanzgerichte 2001, 964). Die vor der vertraglichen Fälligkeit des Kaufpreises angefallenen Zinsen seien keine Werbungskosten (Schuldzinsen), sondern Anschaffungskosten. Vor dem Fälligkeitszeitpunkt habe für die Klägerin kein Finanzierungsbedarf bestanden. Die Fälligkeit sei zwar von Zufälligkeiten abhängig gewesen, dies sei jedoch im Kaufvertrag so vereinbart worden; daran müsse sich die Klägerin festhalten lassen. Der Anlass für die Entstehung der Zinsen vor Fälligkeit des Kaufpreises liege nicht in der Überlassung von Kapital, sondern darin, dass die Klägerin bereits am 1. November 1991 wirtschaftliche Eigentümerin geworden sei. Die strittigen Zinsen stünden mithin in Zusammenhang mit der Überführung des Grundstücks von der fremden in die eigene Verfügungsmacht.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die strittigen Zinsen als Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Das Rubrum dieses Verfahrens ist dahin zu ändern, dass die GbR Klägerin ist. Klage und Revision sind zwar von allen Gesellschaftern erhoben worden, allerdings mit dem Zusatz "als Gesellschafter der … GbR". Die Prozessvollmacht hat seinerzeit der zur Geschäftsführung berechtigte Gesellschafter unterzeichnet. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Mai 2004 IX R 83/00 (BFH/NV 2004, 1323), mit dem der BFH seine Rechtsprechung insoweit geändert hat und das weder die Beteiligten dieses Rechtsstreits noch das FG berücksichtigen konnten, ist eine GbR, die als Vermieterin auftritt, im Rechtsstreit um die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung beteiligtenfähig und klagebefugt. Dementsprechend ist das Rubrum richtigzustellen.
2. Die Revision der Klägerin ist begründet. Nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat die strittigen Zinsen zu Unrecht nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Klägerin berücksichtigt. Die Sache ist indes nicht spruchreif, weil der Klägerin Gelegenheit gegeben werden muss, erneut über die Verteilung der Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz zu entscheiden.
a) Zu den bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―) abziehbaren Werbungskosten, die als sog. vorab entstandene Werbungskosten schon vor Beginn der Einkünfteerzielung anfallen können, gehören auch Schuldzinsen, soweit sie mit dieser Einkunftsart in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG). Ein solcher wirtschaftlicher Zusammenhang ist gegeben, wenn und soweit das Darlehen tatsächlich zum Erzielen von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung verwendet worden ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn damit die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines der Einkünfteerzielung dienenden Gebäudes finanziert werden (BFH-Urteil vom 8. April 2003 IX R 36/00, BFHE 202, 280, BStBl II 2003, 706).
b) Schuldzinsen sind hingegen nicht als Werbungskosten in voller Höhe abzuziehen, wenn sie als Anschaffungskosten zu beurteilen sind; dann sind sie nur in Form der Absetzung für Abnutzung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG, § 7 Abs. 4 und 5 EStG auf die Nutzungsdauer zu verteilen. Zu den Anschaffungskosten gehören alle Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können; dazu zählen auch die Nebenkosten der Anschaffung sowie die nachträglichen Anschaffungskosten (§ 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs ―HGB―, der insoweit auch einkommensteuerrechtlich maßgeblich ist; BFH-Urteil vom 20. August 2002 IX R 70/00, BFHE 200, 227, BStBl II 2003, 585).
aa) Zinsen, die der Veräußerer eines Wirtschaftsguts einem Erwerber in Rechnung stellt, können je nach der Gestaltung der vertraglichen Geschäftsbeziehungen im Einzelfall beim Erwerber Anschaffungskosten des Gebäudes oder ―als eigene Finanzierungskosten― sofort abziehbare Werbungskosten darstellen. Welche Vorgänge im Einzelnen noch in den Bereich der Anschaffung fallen, ist nicht nach bürgerlich-rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden (BFH-Urteile vom 19. April 1977 VIII R 44/74, BFHE 122, 108, BStBl II 1977, 600; vom 19. April 1977 VIII R 119/75, BFHE 122, 111, BStBl II 1977, 601). Unter die sofort als Werbungskosten abziehbaren Finanzierungskosten fallen nicht alle Aufwendungen, die ihrem ursprünglichen Charakter nach Geldbeschaffungskosten darstellen. Mit der Aufwendung muss vielmehr bezweckt werden, dem Erwerber die zur Begleichung der für die Anschaffung erforderlichen Geldmittel zu beschaffen (BFH-Urteil vom 11. Dezember 1973 VIII R 11/71, BFHE 112, 244, BStBl II 1974, 476). Dabei ist unerheblich, ob als Kreditgeber ein am Geschäft unbeteiligter Dritter oder der Veräußerer selbst auftritt (BFH-Urteil vom 24. Mai 1968 VI R 6/67, BFHE 92, 400, BStBl II 1968, 574). Erscheint der Veräußerer gleichzeitig als Kreditgeber, ist für die Besteuerung des Weiteren ohne Bedeutung, wie die Vertragspartner die Zahlungsverpflichtung bezeichnet haben. Entscheidend ist vielmehr, ob die Zahlung bei wirtschaftlicher Betrachtung des gesamten Vorganges als Vergütung für die Überlassung von Kapital zur Finanzierung der Anschaffungskosten angesehen werden kann (Finanzierungskosten des Erwerbers) oder ob sich der Veräußerer nur seine eigenen Aufwendungen für die Baukostenfinanzierung ersetzen lässt, die in der Regel in seine Selbstkosten eingehen und für den Erwerber Anschaffungskosten darstellen (BFH-Urteile in BFHE 122, 111, BStBl II 1977, 601; in BFHE 112, 244, BStBl II 1974, 476).
Die Rechtsprechung des BFH hat bisher Schuldzinsen dann zu den Anschaffungskosten gerechnet, wenn sie vor Übergabe eines Wirtschaftsguts, insbesondere einer Immobilie, an den Erwerber entstanden sind, sei es, dass der Bauträger die ihm während der Bauzeit entstandenen Zinsen dem Erwerber eines noch zu errichtenden Gebäudes in Rechnung stellt (BFH-Urteile in BFHE 112, 244, BStBl II 1974, 476; in BFHE 122, 108, BStBl II 1977, 600; vom 19. April 1977 VIII R 237/73, BFHE 122, 116, BStBl II 1977, 598), der Erwerber dem Veräußerer ein bei diesem angefallenes Disagio (BFH-Urteil vom 17. Februar 1981 VIII R 95/80, BFHE 133, 37, BStBl II 1981, 466) oder vor der Übergabe entstandene Zinsen erstattet (vgl. BFH-Urteil vom 25. September 1990 IX R 45/86, BFH/NV 1991, 236) oder der Erwerber eines Gesellschaftsanteils zuvor für den Anteil entstandene Finanzierungsaufwendungen im Kaufpreis mit vergütet (BFH-Urteil vom 18. Februar 1993 IV R 40/92, BFHE 171, 422, BStBl II 1994, 224).
bb) Das FG hat seine Entscheidung auf die Überlegung gestützt, dass sich für den Erwerber ein Finanzierungsbedarf erst dann ergebe, wenn die Anschaffungskosten ganz oder teilweise fällig sind. Erst ab Fälligkeit des Kaufpreises bestehe für ihn ein Anlass, Fremdmittel in Anspruch zu nehmen und für die Überlassung von Fremdkapital ein Entgelt zu zahlen (der Vorentscheidung folgend auch Schmitz in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, § 9 EStG Anm. 385 "Finanzierungskostenerstattungen"; Schmidt/ Drenseck, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl. 2004, § 9 Rz. 94; ebenso Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 9 EStG Rn. 176).
Die Abziehbarkeit von Schuldzinsen allein von der Fälligkeit des Kaufpreises abhängig zu machen, ist indes unzutreffend, wie sich schon daran zeigt, dass auch vor Fälligkeit des Kaufpreises geleistete Geldbeschaffungskosten und Bereitstellungszinsen Werbungskosten sind (vgl. BFH-Urteil vom 2. August 1977 VIII R 104/74, BFHE 124, 27, BStBl II 1978, 143; Beschluss des BFH vom 5. November 2001 IX B 92/01, BFHE 197, 139, BStBl II 2002, 144).
Für die Beurteilung des Streitfalls ist ausschlaggebend, dass ―im Gegensatz zu den der oben wiedergegebenen BFH-Rechtsprechung zugrunde liegenden Urteilsfällen― Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahr des erworbenen Grundstücks bereits auf die Klägerin übergegangen waren und die strittigen Zinsen auf den Zeitraum danach entfallen, in dem die Zahlung des Kaufpreises zunächst aufgeschoben blieb. Aufgrund dieser Besonderheiten sind die strittigen Zinsen als Werbungskosten der Klägerin zu beurteilen. Üblicherweise werden Immobiliengeschäfte ―wenn nicht ein zu errichtendes Gebäude nach Baufortschritt bezahlt wird― so abgewickelt, dass das wirtschaftliche Eigentum Zug um Zug gegen die Bezahlung des Kaufpreises übertragen wird. Auch im Streitfall sollte der Kaufpreis grundsätzlich im Zeitpunkt des Gefahrübergangs fällig sein, die Fälligkeit wurde aber verzinslich aufgeschoben, um zur Absicherung der Klägerin zunächst bestimmte grundbuchrechtliche und grundstücksverkehrsrechtliche Voraussetzungen abzuwarten. Den Ausgleich für diesen Zahlungsaufschub bildeten die der Klägerin berechneten Zinsen. Sie wurden mithin ―wirtschaftlich betrachtet― für die faktische Kreditierung des Kaufpreises durch die Veräußerin geschuldet. Das wirtschaftliche Ergebnis hätte, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, ebenso durch eine verzinsliche Stundung des fälligen Kaufpreises erreicht werden können. Da die Abgrenzung zwischen Anschaffungskosten und sofort abziehbaren Werbungskosten nicht bürgerlich-rechtlich, sondern wirtschaftlich vorzunehmen ist (BFH-Urteile in BFHE 122, 108, BStBl II 1977, 600; in BFHE 122, 111, BStBl II 1977, 601), kann die einkommensteuerrechtliche Beurteilung nicht davon abhängen, ob die Kreditierung des Kaufpreises durch den Veräußerer in Form einer verzinslichen Stundung oder eines verzinslichen Aufschubs der Fälligkeit geschieht.
c) Da die Vorentscheidung auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte der Klägerin sind dahin zu ändern, dass die strittigen Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen sind. Die Sache ist indes nicht spruchreif, weil die Klägerin während der Außenprüfung den Antrag gestellt hat, den Wegfall der Schuldzinsen als Werbungskosten so weit wie möglich durch höhere Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz auszugleichen. Da nunmehr entschieden ist, dass die Schuldzinsen abziehbar sind, ist der Klägerin im zweiten Rechtszug Gelegenheit zu geben, ihr nach dem Fördergebietsgesetz bestehendes Wahlrecht zur Verteilung der Sonderabschreibungen erneut auszuüben (vgl. BFH-Urteil vom 10. Oktober 2000 IX R 60/96, BFHE 193, 322, BStBl II 2001, 277 unter II. 2. der Gründe).
Fundstellen
Haufe-Index 1237991 |
BFH/NV 2004, 1591 |
BStBl II 2004, 1002 |
BFHE 2005, 200 |
BFHE 207, 200 |
BB 2004, 2278 |
DB 2004, 2245 |
DStR 2004, 1823 |
DStRE 2004, 1320 |
DStZ 2004, 738 |
HFR 2004, 1187 |