Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahrung der Schriftform
Leitsatz (NV)
Zu den Anforderungen an die eigenhändige Unterschrift unter einem bestimmenden Schriftsatz.
Normenkette
FGO § 64 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben mit Schriftsätzen vom 3. Oktober 1984 Klagen erhoben, die - unter dem Briefkopf der Prozeßbevollmächtigten - von Rechtsanwalt Dr. S . . . b . . .l unterzeichnet sind.
Die Schriftzüge sind in drei voneinander räumlich abgesetzte Segmente gegliedert. Das erste Segment - ein auf dem Abstrich hochgezogener Aufstrich, der mit einem spitzen Bogen in einen parallel geführten Abstrich übergeht - ist als ,,D" zu erkennen. Der in den Klageschriften 8 K 300/84 und 8 K 302/84 sich anschließende kurze Aufstrich läßt diesen Schriftteil als - wenn auch verschliffene - Abkürzung des Doktortitels erscheinen. Das zweite Segment beginnt mit einem andeutungsweisen S-förmig gebogenen Abstrich, an den sich je zwei durch spitze Bögen verbundene Auf- und Abstriche anschließen, an deren letzteren sich ein kurzer Aufstrich anschließt. Das dritte Segment gleicht dem zweiten mit dem Unterschied, daß der dritte Abstrich - in den Klageschriften 8 K 300/84 und 8 K 303/84 - über die Grundlinie durchgezogen ist und mit einer Rechtskrümmung - bzw. deren Andeutung (Klageschriften 8 K 302/84, 8 K 303/84 -) ausläuft.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klagen mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, die Schriftsätze seien nicht ordnungsgemäß (§ 64 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) unterzeichnet. Es könne dahingestellt bleiben, welche Anforderungen an die Erkennbarkeit von einzelnen Buchstaben der Unterschrift zu stellen seien. Es sei nicht auszumachen, ob die ,,als Abzeichnung dienende Aneinanderreihung steiler Wellenlinien" Herrn Dr. S., Herrn B. oder einem ihrer Partner zugeordnet werden könne. Die Klageschrift enthalte auch keinen zusätzlichen - ggf. mittelbaren - Hinweis auf die Identität des verantwortlich Zeichnenden.
Mit der vom Senat gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassenen Revision tragen die Kläger vor, die angefochtenen Urteile wichen von der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte ab. In der Sache selbst rügen sie Übergehen von Beweisanträgen, mangelnde Sachaufklärung und Verletzung rechtlichen Gehörs.
Die Kläger beantragen, die Urteile des FG vom 19. Februar 1987 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, ,,ergänzend", den Einkommensteuerbescheid für 1970 bis 1979 vom 28. Dezember 1982/3. Februar 1983 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 31. August 1984 ersatzlos aufzuheben, des weiteren ,,Nachsichtgewährung hinsichtlich der Frist vom 30. Januar 1985" sowie ,,rein vorsorglich . . . Wiedereinsetzung in den vorigen Stand"; hinsichtlich der Gewerbesteuer ,,die Klage zuzulassen" und die Gewerbesteuermeßbescheide 1970 bis 1979 vom 31. Januar, 1. März und 16. März 1983 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 31. August 1984 ersatzlos aufzuheben; die Umsatzsteuerbescheide 1970, 1972, 1974 bis 1979 vom 28. Dezember 1982/3. Februar 1983 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 31. August 1984 ersatzlos aufzuheben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Das FG hat die gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen verkannt.
1. Nach dieser Vorschrift ist die Klage schriftlich zu erheben. Aus diesem Erfordernis der Schriftform folgt, daß die Klageschrift als bestimmender Schriftsatz von demjenigen, der die Verantwortung für ihren Inhalt trägt, eigenhändig mit vollem Namen unterschrieben sein muß (vgl. - zur Funktion der eigenhändigen Unterschrift - Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. März 1984 I R 50/81, BFHE 140, 424, 425, BStBl II 1984, 445, m.w.N.). Die Abkürzung des Namens - sog. Paraphe - reicht für die Erfüllung der Schriftform nicht aus.
Die hier zu beurteilenden Schriftsätze sind nicht lediglich paraphiert worden. Der Schriftzug geht nach dem Umfang des Schriftbildes über ein bloßes Handzeichen (Paraphe) hinaus. Es ist nicht erforderlich, daß der Name voll ausgeschrieben ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1984 IV R 274/83, BFHE 143, 198, BStBl II 1985, 367). Eine flüchtige Schreibweise ist ebenso unschädlich (Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 24. Februar 1983 I ZB 8/82, Versicherungsrecht - VersR - 1983, 555) wie Undeutlichkeiten, Verschleifungen und Verstümmelungen (BGH-Beschluß vom 7. Juli 1982 VIII ZB 21/82, VersR 1982, 973).
2. Die Unterschrift erfordert einen die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug, der einmalig ist, entsprechende charakteristische Merkmale aufweist und deshalb von Dritten nicht ohne weiteres nachgeahmt werden kann.
Außerdem fordert die in Rechtsprechung und Literatur herrschende Meinung (statt vieler Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 64 Rdnr. 20), daß mindestens einzelne Buchstaben erkennbar sein müssen, da es sonst an dem Merkmal einer Schrift überhaupt fehle (BFH-Beschlüsse vom 30. Mai 1984 I R 2/84, BFHE 141, 223, 225, BStBl II 1984, 669; vom 16. Januar 1986 III R 50/84, BFHE 147, 199, BStBl II 1986, 856, jeweils mit Nachweisen; BGH-Beschlüsse vom 21. März 1974 VII ZB 2/74, Lindenmaier/Möhring (LM), Zivilprozeßordnung, § 130 Nr. 6 = Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1974, 354; vom 11. Oktober 1984 X ZB 11/84, VersR 1985, 164 = Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1985, 1227, jeweils mit Nachweisen). Dieses Erfordernis wird zum Teil dahin abgeschwächt, daß ,,wenigstens einzelne Buchstaben andeutungsweise erkennbar" sein müssen (z. B. BGH-Beschluß in VersR 1982, 973; BGH-Urteil vom 20. November 1986 III ZR 18/86, VersR 1987, 507) oder zumindest der erste Buchstabe des Namens erkennbar ist (BGH-Beschlüsse vom 20. September 1974 IV ZB 27/74, HFR 1975, 216; vom 8. Oktober 1975 IV ZB 28/75, VersR 1976, 169; vgl. auch Beschluß in BFHE 141, 223, 225, BStBl II 1984, 669).
Darüber hinaus wird verschiedentlich darauf verzichtet, daß einzelne Buchstaben ,,klar" bzw. ,,zweifelsfrei" erkennbar sind: Es genüge insoweit, daß ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kenne, diesen Namen - und sei es auch als dessen ,,denkbare Verstümmelung" - aus dem Schriftbild ,,noch herauslesen könne" (Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 29. Juli 1981 4 AZR 632/79, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts - Arbeitsrechtliche Praxis - (AP) Nr. 46 zu § 518 ZPO; vgl. auch BGH-Urteil vom 4. Juni 1975 I ZR 114/74, VersR 1975, 925 = NJW 1975, 1705; BGH-Beschluß vom 23. Oktober 1984 VI ZB 11/84, VersR 1985, 59 = HFR 1985, 532). In den letztgenannten Urteilen wird die Grenze dort gezogen, wo der ,,Schriftzug" nicht mehr als solcher angesprochen werden kann, weil seine Entstehung aus der ursprünglichen Schrift in Buchstaben nicht einmal andeutungsweise zu erkennen ist (BGH-Urteil in VersR 1975, 925).
3. Gemessen an diesen Rechtsgrundsätzen genügen die Unterschriften des Rechtsanwalts Dr. S. - noch - den Anforderungen des § 64 Abs. 1 FGO. Der hier zu beurteilende Fall kann mit den Urteilssachverhalten, in denen die Rechtsprechung rechtsgültige Unterschriften nicht anerkannt hat (z. B. BGH-Beschlüsse in LM, a.a.O., § 130, Nr. 6; VersR 1982, 973; BGH-Urteil in VersR 1987, 507; BFH in BFHE 140, 424, BStBl II 1984, 445; BFHE 147, 199, BStBl II 1986, 856; BFH-Beschluß vom 25. März 1983 III R 64/82, BFHE 138, 151, BStBl II 1983, 479), nicht verglichen werden. Die Klageschriften sind unterzeichnet durch individuell gestaltete Schriftzüge, die - bei der gebotenen vergleichenden Betrachtung aller drei Unterschriften - wenn auch nur flüchtig geschriebene Namenszüge sowie - zumindest andeutungsweise - einzelne Buchstaben (,,D" bzw. ,,Dr", ,,S", ,,l") erkennen lassen. Charakteristische Merkmale des Schriftbildes, die zugleich eine Nachahmung erschweren, sind die Gliederung und die Betonung der unteren Bögen. In Verbindung mit dem auf dem Briefkopf vorgedruckten Namen deutet der Schriftzug auf die Urheberschaft des Rechtsanwalts Dr. S hin. Damit ist die Identität des Unterzeichners ausreichend gekennzeichnet.
Fundstellen