Entscheidungsstichwort (Thema)
Häusliches Arbeitszimmer von Außendienstmitarbeitern
Leitsatz (NV)
Bei einem Außendienstmitarbeiter, der als Referatsleiter einer Lebensversicherungsgesellschaft Altersversorgungsmodelle konzipiert und entsprechende Verträge ausarbeitet und betreut, kann das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen Betätigung bilden, so dass die Aufwendungen ohne Beschränkung der Höhe nach steuerlich zu berücksichtigten sind.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3 Hs. 2, § 9 Abs. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Arbeitszimmer des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Betätigung i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetztes (EStG) bildet.
Der ganz überwiegend erfolgsabhängig entlohnte Kläger war im Streitjahr (1996) als Leiter des Referats betriebliche Altersversorgung bei einer Lebensversicherungsgesellschaft nichtselbstständig tätig. Er beriet die hauptamtlichen Geschäftsführer und Vorstände von Genossenschaften, genossenschaftlichen Verbänden und Zentral- und Spezialinstituten in allen Fragen der betrieblichen Altersversorgung. Seine Tätigkeit umfasste im Wesentlichen die Konzeption und Pflege von Altersversorgungsmodellen einschließlich der Beratung zu arbeitsrechtlichen und bilanziellen Konsequenzen. Der Kläger arbeitete nach den persönlichen Vorstellungen der Kunden Altersversorgungskonzepte für einzelne Vorstandmitglieder oder die gesamte Belegschaft aus und betreute diese. Die jeweiligen Modelle wurden durch den Abschluss einer Rückdeckungsversicherung bei seinem Arbeitgeber abgesichert. Bei der Ausarbeitung der Modelle erstellte der Kläger für den Kunden gleichzeitig unterschriftsreife Versorgungsverträge nebst Rückdeckungsversicherungsverträgen. Für diese Tätigkeiten stand dem Kläger bei seinem Arbeitgeber kein eigener Arbeitsplatz zur Verfügung.
In seiner Steuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von ca. 23 000 DM als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) berücksichtigte hiervon nur 2 400 DM.
Die dagegen gerichtete Klage hatte im Wesentlichen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass das häusliche Arbeitszimmer des Klägers im Streitjahr den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Betätigung gebildet habe. Ob der Mittelpunktsbegriff des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG rein qualitativ oder unter Heranziehung auch zeitlicher Kriterien zu bestimmen sei, könne im Streitfall dahinstehen; denn das Berufsbild des Klägers werde durch die Ausarbeitung der Altersversorgungskonzeptionen im häuslichen Arbeitszimmer so stark geprägt, dass das zeitliche Moment in den Hintergrund trete. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 488 veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG unzutreffend ausgelegt. Das Berufsbild des Klägers werde durch zwei Komponenten geprägt: zum einen durch die Ausarbeitung der Altersversorgungskonzeptionen im häuslichen Arbeitszimmer und zum anderen durch die Beratung und Präsentation im Außendienst. Möglicherweise stellten dabei die im häuslichen Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten wesentliche und das Berufsbild prägende Leistungen dar. Der Betreuung und Präsentation im Außendienst komme jedoch nicht eine nur nachgeordnete Bedeutung zu. Der Kläger sei auf den Erfolg im Außendienst ebenfalls angewiesen. Schon aus diesem Grund könne das häusliche Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt im Sinne der Abzugsbeschränkung bilden. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass im Fall des Klägers die Außendiensttätigkeit qualitativ in jedem Fall überwiege; denn hier würden die maßgeblichen Erfolge erzielt, ohne die die Tätigkeit im Arbeitszimmer letztlich bedeutungslos wäre. Schließlich könne der Entscheidung des FG auch insoweit nicht gefolgt werden, als das Gericht den zeitlichen Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers gänzlich vernachlässigt habe.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet.
Das FG hat ohne Rechtsverstoß entschieden, dass das Arbeitszimmer des Klägers den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Betätigung bildet.
1. Das häusliche Arbeitszimmer eines Steuerpflichtigen, der seinen Beruf teilweise im Arbeitszimmer und teilweise außer Haus ausübt, bildet den Betätigungsmittelpunkt i.S. der Abzugsbeschränkung, wenn dort die für den ausgeübten Beruf wesentlichen und prägenden Tätigkeiten verrichtet werden ("qualitativer" Mittelpunkt - Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 13. November 2002 VI R 82/01, BFH/NV 2003, 688, Der Betrieb ―DB― 2003, 808; vom 13. November 2002 VI R 104/01, BFH/NV 2003, 691, DB 2003, 807; vom 13. November 2002 VI R 28/02, BFH/NV 2003, 693, DB 2003, 805). Dies zu beurteilen obliegt nach der Rechtsprechung des Senats in erster Linie dem FG als Tatsacheninstanz.
2. a) Den Feststellungen des FG zufolge hat der Kläger im Außendienst die für die Ausarbeitung und Betreuung der Altersversorgungsverträge erforderlichen Daten aufgenommen und seinen Kunden die verschiedenen Versorgungsmodelle vorgestellt. Im häuslichen Arbeitszimmer hat er dann auf der Grundlage dieser Daten die konkreten Verträge ausgearbeitet und betreut. Das FG hat sich mit den einzelnen Arbeitsschritten, die zu der Erstellung der Versorgungsmodelle führen und mit der nachfolgenden Betreuung verbunden sind, auseinander gesetzt. Es hat hierzu insbesondere festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers nicht mit der eines (regulären) Versicherungsmaklers verglichen werden kann.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das FG zu der Überzeugung gelangt, dass die im häuslichen Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten für das Berufsbild des Klägers wesentlich und prägend gewesen sind, während der Außendiensttätigkeit lediglich eine vorbereitende Funktion zukam. Das häusliche Arbeitszimmer bildet daher nach Ansicht des FG den Betätigungsmittelpunkt im Sinne der Abzugsbeschränkung.
Diese Wertungen und die ihr zugrunde liegenden Feststellungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Sie verstoßen weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze und binden den Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
b) Der Einwand des FA, die Außendiensttätigkeit des Klägers sei entgegen den Feststellungen des FG nicht nur von nachgeordneter Bedeutung gewesen, sondern habe seine berufliche Tätigkeit ―zumindest auch― geprägt, ist aus diesem Grunde unbeachtlich. Es handelt sich um eine von den Feststellungen des FG abweichende Sachdarstellung und eine hieran anknüpfende Tatsachenwürdigung, die im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden können (vgl. hierzu Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Tz. 56 ff.).
Soweit das FA darüber hinaus geltend macht, das FG habe § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG insoweit unzutreffend ausgelegt, als es dem zeitlichen Umfang der Außendiensttätigkeit keine hinreichende Bedeutung beimesse, wird auf die oben genannten BFH-Urteile in BFH/NV 2003, 688, DB 2003, 808; in BFH/NV 2003, 691, DB 2003, 807, und in BFH/NV 2003, 693, DB 2003, 805) Bezug genommen. Dort hat der Senat ausgeführt, dass der zeitlichen (quantitativen) Gewichtung von Außen- und Innendienst nur eine nachgeordnete, indizielle Bedeutung zukommt. Auch in diesem Punkt ist das Urteil des FG nicht zu beanstanden.
Fundstellen
BFH/NV 2004, 319 |
EStB 2004, 64 |