Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
Das Finanzgericht versagt rechtliches Gehör, wenn es gemäß Art. 3 § 3 Abs. 2 Satz 1 VGFGEntlG Beweismittel als verspätet zurückweist, obwohl es keine Frist gemäß Art. 3 § 3 Nr. 3 VGFGEntlG zur Bezeichnung von Beweismitteln gesetzt hatte.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1; VGFGEntlG Art. 3 § 3 Abs. 1 Nrn. 1, 3, Abs. 2 S. 1
Gründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Das FG versagte der Klägerin rechtliches Gehör, indem es die Benennung der Person, die als Beweismittel für die rechtzeitige Einlegung der Beschwerde in Betracht kommt, gemäß Art. 3 § 3 Abs. 2 Satz 1 VGFGEntlG als verspätet zurückwies und für die Entscheidung deshalb nicht berücksichtigte, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zurückweisung nicht vorlagen. Die Versagung rechtlichen Gehörs ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 119 Nr. 3 FGO), der - von im Streitfall nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache führt.
a) Nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) haben die an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten grundsätzlich das Recht, sich vor einer Entscheidung des Gerichts zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Diesem Recht entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Beteiligten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie auch in Erwägung zu ziehen (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 10. Oktober 1973 2 BvR 574/71, BVerfGE 36, 92, 97).
Das Grundrecht auf rechtliches Gehör schließt zwar nicht aus, daß der Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt bleiben darf (vgl. BVerfGE 36, 92, 97, m. w. N.). Eine Zurückweisung und Nichtbeachtung eines Vortrags mit der Begründung, das Vorbringen sei verspätet, ist aber nur in den von den einschlägigen Verfahrensvorschriften gesetzten Grenzen zulässig (Urteil des erkennenden Senats vom 28. Mai 1986 I R 75/83, BFHE 146, 573, 575, BStBl II 1986, 753, 754). Im Streitfall war die Zurückweisung des erstmals während der mündlichen Verhandlung bezeichneten Beweismittels nach Art. 3 § 3 Abs. 2 Satz 1 VGFGEntlG nicht zulässig.
b) Nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG setzt eine Zurückweisung eines Beweismittels wegen verspäteter Bezeichnung u. a. voraus, daß der Vorsitzende oder ein von ihm nach § 79 FGO bestimmter Richter des FG (Berichterstatter) einem Beteiligten bestimmte klärungsbedürftige Tatsachen mitgeteilt und ihm eine Frist zur Bezeichnung der Beweismittel für die Klärung dieser Tatsachen gesetzt hat (Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 3 VGFGEntlG; Urteil des erkennenden Senats vom 14. Januar 1981 I R 133/79, BFHE 132, 508, 511, BStBl II 1981, 443, 444).
Dies ist im Streitfall nicht geschehen. Der Klägerin wurde keine Frist gemäß Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 3 VGFGEntlG, sondern nur eine Frist gemäß Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 1 VGFGEntlG gesetzt. Der Berichterstatter des FG forderte die Klägerin lediglich auf, innerhalb einer bestimmten Frist die Tatsachen anzugeben, auf die das Klagebegehren gestützt wird. Diese Tatsachen - daß das Beschwerdeschreiben am 12. Juli 1982 in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen worden sei - hatte die Klägerin dem FG bereits in der Klageschrift mitgeteilt. Eine Frist zur Bezeichnung der Beweismittel, durch die diese tatsächlichen Angaben der Klägerin bewiesen werden können, wurde der Klägerin nicht gesetzt.
2. Das angefochtene Urteil verletzt zudem - wie zu 1. ausgeführt - Art. 3 § 3 VGFGEntlG und verstößt gegen § 76 Abs. 1 FGO, da das FG - von seiner Rechtsauffassung aus folgerichtig - die zur Aufklärung des Sachverhalts nötigen weiteren Ermittlungen, wie z. B. die Vernehmung der Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten als Zeugin, unterließ.
Fundstellen
Haufe-Index 417155 |
BFH/NV 1991, 549 |