Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Haftung des Geschäftsführers für Verschulden des Erfüllungsgehilfen
Leitsatz (NV)
Der Geschäftsführer einer GmbH haftet steuerlich nur für eigenes Verschulden, nicht für das seines Erfüllungsgehilfen. Der Geschäftsführer ist aber gehalten, den Erfüllungsgehilfen sorgfältig auszuwählen und laufend und sorgfältig bei der Durchführung seiner ihm übertragenen Aufgaben zu überwachen.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69; BGB § 278
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war in der Zeit von Februar bis September 1987 Geschäftsführerin der Firma X- GmbH. Als weitere Geschäftsführerin wurde ihre Tochter T bestellt. Diese erteilte ihrem Verlobten H Generalvollmacht. Gegenstand des Unternehmens war der Handel mit gebrauchten Kfz. Für den An- und Verkauf der Kfz war H zuständig, der auch die diesbezüglichen Belege und Unterlagen selbst an den Steuerberater weiterleitete oder aber der T aushändigte, die das Kassenbuch führte, die Unterlagen für die Umsatzsteuer-Voranmeldung vorbereitete und an den Steuerberater weiterleitete. Die Klägerin kümmerte sich, soweit möglich und erreichbar, darum, daß am Monatsanfang die Unterlagen für die Buchhaltung zusammengestellt und weitergeleitet wurden. Im Zeitraum Februar bis Mai 1987 wurden von der GmbH Umsätze in Höhe von ... DM vorangemeldet und Vorsteuern in Höhe von ... DM abgezogen.
Im Rahmen einer Fahndungsprüfung wurde festgestellt, daß in den Monaten Februar bis April 1987 Vorsteuern in Höhe von ... DM aus gefälschten Bezugsbelegen abgezogen worden waren. H hatte Rechnungsformulare, die ihm von der früheren Geschäftsführerin einer anderen Firma blanko unterschrieben überlassen worden waren, dazu benutzt, Käufe mit vorsteuerabzugsfähiger Umsatzsteuer von dieser Firma zu fingieren. Für den Monat Mai 1987 waren ... DM Vorsteuern abgezogen worden, für die keine Bezugsbelege vorhanden waren. Mit Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung wurde die Klägerin für die genannten Beträge in Haftung genommen. Die GmbH ist seit dem 15. Juni 1988 im Handelsregister gelöscht.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte u. a. aus, die Klägerin sei zu Recht nach § 69 i. V. m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) für die von der GmbH geschuldete Umsatzsteuer in Anspruch genommen worden. Sie habe als Geschäftsführerin der GmbH die ihr obliegenden Pflichten zur wahrheitsgemäßen Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen vorsätzlich verletzt, was dazu geführt habe, daß Umsatzsteuer nicht bzw. nicht in zutreffender Höhe festgesetzt worden sei. Die Pflichtverletzung beruhe zwar nicht auf eigenem Handeln der Klägerin, sondern des Generalbevollmächtigten H, der aufgrund einer internen, nicht schriftlich fixierten Aufgabenverteilung die Erledigung der Steuerangelegenheiten im Zusammenhang mit dem Kfz-Handel übernommen gehabt habe. Die Klägerin müsse sich dieses Verhalten des H wie eigenes Handeln und ebenso dessen Verschulden zurechnen lassen. Der unrechtmäßige Vorsteuerabzug sei vorsätzlich, nämlich wissentlich begangen worden. H sei von Beruf Kaufmann, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, daß ihm die Konsequenzen seines Handelns bzw. seine steuerlichen Pflichten nicht bewußt gewesen seien. Die Pflichtverletzung sei auch für den Ausfall der Abgaben ursächlich gewesen, für die die Klägerin in Haftung genommen werde. Denn die GmbH sei in dem Zeitraum, in dem die Umsatzsteuer aufgrund der wahrheitswidrigen Angaben des H zu niedrig festgesetzt worden sei, weder zahlungsunfähig gewesen noch gebe es Anhaltspunkte dafür, daß für den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) keine erfolgversprechenden Vollstreckungsmöglichkeiten bestanden hätten.
Die Klägerin stützt ihre Revision u. a. auf die Verletzung materiellen Rechts. Dazu führt sie u. a. aus, ihr könne das Verschulden ihres Erfüllungsgehilfen nicht zugerechnet werden. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. November 1990 X R 143/88 (BFHE 163, 329, BStBl II 1991, 325) sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß der Vertretene für ein Verschulden des Erfüllungsgehilfen dann nicht hafte, wenn dieser die Grenzen seiner Vertretungsmacht überschritten habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat der Klägerin zu Unrecht das Verschulden ihres Beauftragten als eigenes Verschulden zugerechnet und deshalb zum Verschulden der Klägerin als Geschäftsführerin keine Feststellungen getroffen. Ohne diese Feststellungen ist die Sache nicht spruchreif und deshalb an das FG zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
1. Der Geschäftsführer einer GmbH haftet nach §§ 34, 69 AO 1977 -- anders als das FG erkannt hat -- nur für eigenes Verschulden. Für die Anwendung verschuldensunabhängiger Zurechnungsvorschriften ist insoweit kein Raum. Eine Haftung der Klägerin kommt daher nur in Betracht, wenn sie selbst vorsätzlich oder grob fahrlässig eine nach §§ 34, 69 AO 1977 erhebliche Pflichtverletzung begangen hat.
Der allgemeine Rechtsgedanke, auf den sich das FG gestützt hat, daß jemand seine Stellung im Rechtsverkehr nicht dadurch verbessern darf, daß er Dritten die Erfüllung seiner Verpflichtungen überläßt und damit seinen Risikobereich ausweitet und daß er sich deshalb das Wissen und Verhalten des für ihn Tätigen zurechnen lassen muß, ist, wie der Senat in seinem Urteil vom 30. August 1994 VII R 101/92 (BFHE 175, 509, BStBl II 1995, 278) im einzelnen ausgeführt hat und worauf er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, im Rahmen der sogenannten Vertreter-Haftung nach §§ 34, 69 AO 1977 nicht anwendbar. Seine Anwendung würde Inhalt und Zweck dieser Haftungsnorm verfehlen, die ausdrücklich an das Handeln der in § 34 AO 1977 bezeichneten Personen anknüpft. Die Inanspruchnahme des Vertreters nach § 69 AO 1977 soll dem Fiskus nur dann ermöglicht werden, wenn dem Betreffenden persönlich der Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit gemacht werden kann. Das gilt gerade auch dann, wenn er sich zur Erfüllung seiner ihm als Geschäftsführer der GmbH durch § 34 Abs. 1 AO 1977 auferlegten steuerlichen Pflichten fremder Hilfe bedient (BFHE 175, 509, 513, BStBl II 1995, 278). Im Streitfall kann daher das Verschulden des H, der nach den Feststellungen des FG als Generalbevollmächtigter der GmbH aufgrund interner -- allerdings nicht schriftlich fixierter -- Aufgabenverteilung die Erledigung der Steuerangelegenheiten im Zusammenhang mit dem Kfz-Handel übernommen hatte und dessen sich die Klägerin bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten als Erfüllungsgehilfen bedient hat, nicht zugerechnet werden.
Da das FG eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, weil das FG -- von seiner Rechtsauffassung ausgehend folgerichtig -- keine Feststellungen zu dem persönlichen Verschulden der Klägerin getroffen hat. Die Sache ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
2. Im Hinblick auf die vom FG noch zu treffenden Feststellungen ist auf folgendes hinzuweisen: Bedient sich der Geschäftsführer fremder Hilfe, so ist er gehalten, denjenigen dessen er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, sorgfältig auszuwählen und laufend und sorgfältig bei der Durchführung seiner ihm übertragenen Aufgaben zu überwachen (BFH, Urteil vom 27. November 1990 VII R 20/89, BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284, 286). Er muß sich insbesondere so eingehend über den Geschäftsgang unterrichten, daß er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann und ihm ein Fehlverhalten des Beauftragten rechtzeitig erkennbar wird.
Die mangelhafte Überwachung der vom Geschäftsführer zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten herangezogenen Personen hat der Senat regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung ("Überwachungsverschulden") eingestuft, gleichwohl aber stets betont, daß die Entscheidung, welche Überwachungsmaßnahmen von einem Geschäftsführer zu treffen sind, wenn er die Erledigung steuerlicher Angelegenheiten auf Mitarbeiter überträgt, weitgehend von den Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl. BFHE 175, 509, 513, BStBl II 1995, 278 m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 65436 |
BFH/NV 1996, 2 |