Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderungsbescheid im Gerichtsverfahren; Ansatz der Kostenmiete für selbstgenutzte Wohnung
Leitsatz (NV)
1. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt und wird der neue Verwaltungsakt bestandskräftig, ohne daß der Kläger beantragt, diesen Verwaltungsakt zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage (ständige Rechtsprechung).
2. Ist der Kläger im gerichtlichen Verfahren durch einen Prozeßbevollmächtigten ordnungsgemäß vertreten, ist der Änderungsbescheid seit dem 1. Januar 1993 dem Prozeßbevollmächtigten bekanntzugeben. Geschieht dies nicht, wird der Be kanntgabemangel geheilt, wenn dem Be vollmächtigten eine Abschrift des Bescheides zugeht.
3. Der Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung im eigenen Zweifamilienhaus ist anhand der Kostenmiete zu ermitteln, wenn im Keller ein Schwimmbad eingerichtet ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 22. Ok tober 1993 IX R 35/92, BFHE 174, 51).
Normenkette
FGO § 68; EStG § 21 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
Die Klägerin war im Streitjahr (1985) Eigentümerin eines Zweifamilienhauses mit einem Schwimmbad im Keller. Die 237 qm große Hauptwohnung nutzten die Kläger selbst, die Einliegerwohnung vermieteten sie.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Fi nanzamt -- FA --) ermittelte den Nutzungswert der Hauptwohnung nach § 21 Abs. 2 Alternative 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anhand der sog. Kostenmiete in Höhe von 75 337 DM (6 v. H. der auf diese Wohnung entfallenden Anschaffungs- und Herstellungskosten des Grund und Bodens und des Gebäudes) und aufgrund eines Werbungskostenabzugs von 140 104 DM. Der Einspruch blieb insoweit erfolglos.
Mit der Klage begehrten die Kläger, den während des finanzgerichtlichen Verfahrens ergangenen Einkommensteuerbescheid vom 20. Oktober 1989 zu ändern und als Mietwert der eigengenutzten Wohnung einschließlich Garage und Schwimmbad monatlich 11,50 DM/qm -- so der Kläger -- bzw. für das ganze Jahr 35 940 DM -- so die Klägerin -- anzusetzen.
Das Finanzgericht (FG) berücksichtigte als Mietwert der eigengenutzten Wohnung einschließlich Schwimmbad und Garage eine Marktmiete in Höhe von 35 940 DM und wies die Klage des Klägers im übrigen ab.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 21 Abs. 2 EStG.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Das FA erließ während des Revisionsverfahrens am 12. Oktober 1993 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1985, mit dem es den nach § 32 Abs. 8 Satz 1 EStG 1983/1985 i. d. F. des § 54 Abs. 1 EStG (Art. 1 Nr. 18 des Steueränderungsgesetzes 1991) rückwirkend erhöhten Kinderfreibetrag ansetzte. Das FA adressierte den Bescheid an die Kläger persönlich und wies darin auf die Möglichkeit hin, Einspruch einzulegen oder innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim Bundesfinanzhof (BFH) zu beantragen, den Bescheid zum Gegenstand des Revisionsverfahrens zu machen. Mit Schreiben vom 26. Oktober 1993 stellte die Klägerin einen solchen Antrag.
Nachdem der Kläger behauptet hatte, den Bescheid vom 12. Oktober 1993 nicht erhalten zu haben, gab ihn das FA am 9. März 1994 erneut zur Post.
Mit Bescheiden vom 30. März 1994 ergänzte das FA die Bescheide vom 12. Oktober 1993 bzw. 9. März 1994 dahin, daß die Steuerfestsetzung für 1985 hinsichtlich der Kinderfreibeträge für vorläufig erklärt wurde. In der Rechtsbehelfsbelehrung wies das FA wiederum auf die Möglichkeit hin, Einspruch einzulegen oder einen Antrag gemäß § 68 FGO zu stellen. Das FA gab die Bescheide den Klägern persönlich bekannt. Die Geschäftsstelle des erkennenden Senats übermittelte mit Schreiben vom 6. April 1994 den Prozeßbevollmächtigten der Kläger Abschriften dieser Bescheide und wies auf § 68 FGO hin.
Mit Schreiben vom 9. Mai 1994 beantragte die Klägerin, den Bescheid vom 30. März 1994 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (Eingang beim BFH am gleichen Tag). Der Kläger legte gegen die Bescheide vom 9. und 30. März 1994 weder Einspruch ein, noch beantragte er, diese Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
I.
Die Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 20. Oktober 1989 ist unzulässig. Das für die Zulässigkeit der Klage erforder liche Rechtsschutzbedürfnis ist entfallen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. März 1979 GrS 4/78, BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375, und GrS 3/78, BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378).
Die Klage richtet sich nach wie vor gegen den Bescheid vom 20. Oktober 1989. Der Kläger hat trotz der Hinweise in den Rechtsbehelfsbelehrungen und im BFH- Schreiben vom 6. April 1994 nicht beantragt, die Änderungsbescheide vom 9. und 30. März 1994 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§§ 68, 121 Satz 1, § 123 Satz 2 FGO). Es ist mithin davon auszugehen, daß der Kläger sein ursprüngliches Klagebegehren aufrechterhält (BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 41/88, BFHE 166, 1, BStBl II 1992, 219). Für dieses Begehren hat er kein Rechtsschutzinteresse.Ä
nderungsbescheide nehmen den ur sprünglichen Bescheid in ihren Regelungsgehalt mit auf. Solange ein Änderungs bescheid Bestand hat, entfaltet der ur sprüngliche Bescheid keine Wirkung. Der ursprüngliche Bescheid ist in dem Um fang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen ist, suspendiert und bleibt dies für die Dauer der Wirksamkeit des neuen Bescheids (BFH-Beschlüsse vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, unter III.3., BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231; vom 11. Februar 1994 III B 127/93, BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 656). Für eine gericht liche Überprüfung des ursprünglichen Be scheids besteht kein Rechtsschutzinteresse, solange der Änderungsbescheid Be stand hat.
Mit Eintritt der Bestandskraft der Bescheide vom 9. und 30. März 1994 gegenüber dem Kläger wegen Versäumens der Einspruchsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe (§ 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) ist das Rechtsschutzbedürfnis für eine gericht liche Überprüfung des Bescheids vom 20. Oktober 1989 endgültig entfallen (BFH-Urteil in BFHE 166, 1, BStBl II 1992, 219).
II.
Die Klage der Klägerin gegen den geänderten Bescheid vom 30. März 1994 ist unbegründet.
1. Dieser Bescheid wurde auf den rechtzeitigen, am 9. Mai 1994 beim BFH eingegangenen Antrag der Klägerin Gegenstand des Verfahrens (§§ 68, 121 Satz 1, § 123 Satz 2 FGO). Es handelt sich um einen Steuerbescheid i. S. des § 157 AO 1977. Die Bezeichnung der festgesetzten Steuer nach Art und Betrag (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) konnte durch Bezugnahme auf den Bescheid vom 12. Oktober 1993 ersetzt werden (BFH-Urteil in BFHE 166, 1, BStBl II 1992, 219). Die Bekanntgabe des Bescheids an die Klägerin persönlich setzte zwar die Frist gemäß § 68 FGO nicht in Lauf (BFH-Urteil vom 5. Mai 1994 VI R 98/93, BFHE 174, 208). Der Bekanntgabemangel wurde jedoch dadurch geheilt, daß den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin eine Abschrift des Bescheids mit dem BFH- Schreiben vom 6. April 1994 zuging (vgl. BFH-Urteil vom 24. Februar 1994 V R 74/92, BFH/NV 1995, 365).
2. Die Revision hat jedoch keinen Erfolg. Das FA hat den Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung nach § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung zu Recht anhand der Kostenmiete ermittelt. Diese ist bereits im Hinblick auf das im Keller eingerichtete Schwimmbad anzusetzen (Senatsurteil vom 22. Oktober 1993 IX R 35/92, BFHE 174, 51). Keiner Entscheidung bedarf, ob der Ansatz von 6 v. H. der Anschaffungs- und Herstellungskosten eine geeignete Schätzungsmethode für die Kostenmiete ist; denn die mit § 21 Abs. 2 EStG vereinbarte Berechnung der Kostenmiete auf der Grundlage der Zweiten Berechnungsverordnung (Senatsurteil vom 22. Oktober 1993 IX R 33/91, BFHE 174, 120) würde im Streitfall zu einem wesentlich höheren Betrag führen.
Fundstellen