Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegedienst als freiberufliche oder gewerbliche Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Entscheidung der Frage, ob die Tätigkeit einer Krankenschwester, die einen Pflegedienst mit 94 Mitarbeitern betreibt, als freiberuflich --und damit umsatzsteuerbefreit-- oder als gewerblich zu qualifizieren ist, ist die Zahl der durchschnittlich zu betreuenden Patienten zu ermitteln; auf dieser Grundlage muß beurteilt werden, ob die Klägerin neben ihren anderen Aufgaben noch eigenverantwortlich im Bereich der Behandlungspflege tätig ist bzw. sein kann.
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 14; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
FG Berlin (Dok.-Nr. 0144441; EFG 1997, 1394) |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist examinierte Krankenschwester. Sie betrieb im Streitjahr (1985) einen häuslichen Krankenpflegedienst und beschäftigte sieben Krankenschwestern/-pfleger, zwei Altenpfleger, fünf Pflegehelferinnen und etwa achtzig Hauspfleger. Die Patienten wurden in der Regel einen Monat, zum Teil auch zwei Monate lang betreut. Der Pflegedienst übernahm die medizinische Betreuung und die hauswirtschaftliche Versorgung. Die Tätigkeit der Klägerin bestand darin, die Patienten aufzunehmen, Behandlungsvorschläge zu erstellen, das eigene Personal in den einzelnen Pflegefall entsprechend den Bedürfnissen des Patienten und der ärztlichen Verordnung einzuweisen, an dem ersten Besuch, gelegentlich auch an weiteren Besuchen in der Wohnung des Patienten teilzunehmen und sich täglich Arbeitsberichte ihrer Mitarbeiter geben zu lassen.
Die Klägerin vertrat die Ansicht, sie übe eine heilberufliche Tätigkeit aus, die einem der in § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) genannten Katalogberufe ähnlich sei. Außerdem sei die Tätigkeit freiberuflich i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Abweichend davon veranlangte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Klägerin für 1985 zur Umsatzsteuer und zur Gewerbesteuer.
Nach erfolglosem Einspruch hob das Finanzgericht (FG) den Gewerbesteuerbescheid auf und änderte den Umsatzsteuerbescheid, indem es die steuerpflichtigen Umsätze aus den Pflegeleistungen und die darauf entfallenden Vorsteuern um ein Drittel minderte. Das FG ging davon aus, daß die Klägerin, soweit sie Behandlungspflege leiste, eine Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübe, die einem der in § 4 Nr. 14 UStG genannten Katalogberufe ähnlich sei. Die auf die steuerfreie Behandlungspflege entfallenden Entgelte schätzte das FG auf ein Drittel des Gesamtumsatzes. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1394 abgedruckt.
Nach Zulassung der Revision durch Senatsbeschluß vom 7. Mai 1997 V B 112/96 (BFH/NV 1997, 800) macht das FA mit der Revision geltend, das FG habe die Kriterien der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Frage, wann ein Freiberufler trotz der Beschäftigung von fachlich vorgebildeten Arbeitskräften noch Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erziele, falsch angewendet. Da die Klägerin 94 Pflegekräfte beschäftigt habe und da --aufgrund Schätzung-- durchschnittlich täglich 192 Patienten hätten betreut werden müssen, könne es mit Rücksicht auf die begrenzte Leistungsfähigkeit eines Menschen als ausgeschlossen betrachtet werden, daß die Klägerin eigenverantwortlich bei der Betreuung eines jeden einzelnen Patienten tätig gewesen sei.
Das FA beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin hat sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
1. Nach den "Ergänzenden Regelungen" des Geschäftsverteilungsplans 1999 des BFH --zu I.1.-- ist dann, wenn eine Entscheidung zu mehreren Steuern angefochten ist, welche in die Zuständigkeit mehrerer Senate fallen, zunächst der Senat zuständig, in dessen Aufgabengebiet die Sache mit dem höchsten Streitwert fällt. Das ist hier der V. Senat.
Der Senat kommt im Rahmen der Revisionsprüfung zu dem Ergebnis, daß im Streitfall zur Gewerbesteuer und Umsatzsteuer nicht nur solche Rechtsfragen streitig sind, die einheitlich zu entscheiden sind. Deshalb ist gemäß I.3. und 4. der "Ergänzenden Regelungen" durch Trennung der Verfahren (§ 73 Abs. 1 i.V.m. § 121 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) nach Gewerbesteuer und Umsatzsteuer jeweils die Zuständigkeit des nach den allgemeinen Regeln der Geschäftsverteilung vorgesehenen Senats begründet.
Wie der erkennende Senat zuletzt in seinem Beschluß vom 16. Dezember 1993 V B 124/93 (BFH/NV 1995, 652) ausgeführt hat, kommt bei einem häuslichen Pflegedienst die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG nur für Leistungen der Behandlungspflege in Betracht, weil nur insoweit eine Ähnlichkeit der ausgeübten Tätigkeit mit einem Katalogberuf gegeben ist. Umsatzsteuerrechtlich wird der häusliche Pflegedienst mithin in steuerfreie und steuerpflichtige Leistungen aufgeteilt. Ob davon abweichend im Bereich der Gewerbesteuer eine einheitliche Beurteilung geboten ist (vgl. dazu Schmidt/Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 15 Rz. 97 f., mit Nachweisen zur Rechtsprechung), hat der dafür zuständige IV. Senat des BFH zu entscheiden.
2. Die Revision wegen Umsatzsteuer ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat die für seine Entscheidung wesentlichen Tatsachen nicht festgestellt.
a) Gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind u.a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Krankengymnast, als Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerfrei. Der Zusatz "im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes" bezieht sich nicht nur auf die ähnlichen heilberuflichen Tätigkeiten, sondern beschränkt erkennbar auch die Steuerfreiheit der Umsätze der genannten Berufe auf ihre freiberufliche Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG (BFH-Beschluß vom 10. Juni 1997 V B 62/96, BFH/NV 1998, 224).
b) Wesentliches Merkmal der Abgrenzung der freiberuflichen Tätigkeit gegenüber der gewerblichen Tätigkeit ist die unmittelbare, persönliche und individuelle Arbeitsleistung des Freiberuflers (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 1. Februar 1990 IV R 140/88, BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507; vom 21. März 1995 XI R 85/93, BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732). Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist ein Angehöriger eines freien Berufs auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient. Voraussetzung ist, daß er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird. Unter Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte ist eine Tätigkeit zu verstehen, die die Arbeit des Berufsträgers jedenfalls in Teilbereichen ersetzt und nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BFH in BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732). Bei einer Krankenschwester, die häusliche Krankenpflege erbringt, zählen Krankenschwestern, Krankenpflegehelferinnen sowie Altenpfleger zu den fachlich vorgebildeten Arbeitskräften. Sie sind nach den mit den Krankenversicherungen geschlossenen Verträgen geeignete Pflegekräfte für die häusliche Krankenpflege. Ob das auch für Hauspfleger gilt, kann zunächst offenbleiben.
Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 zweiter Halbsatz EStG ist die Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte für die Freiberuflichkeit des Berufsträgers unschädlich, solange er bei der Erledigung der einzelnen Aufträge leitend und eigenverantwortlich aufgrund eigener Fachkenntnisse tätig wird. Selbst eine besonders intensive leitende Tätigkeit, zu der u.a. die Organisation des Sach- und Personalbereichs, Arbeitsplanung, Arbeitsverteilung, Aufsicht über Mitarbeiter und deren Anleitung, stichprobenweise Überprüfung der Ergebnisse gehören, vermag allerdings die eigenverantwortliche Tätigkeit nicht zu ersetzen. Diese kann nur angenommen werden, wenn die persönliche Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet ist. Dabei sind die Anforderungen an eine eigenverantwortliche Tätigkeit bei Heilberufen unterschiedlich je nach der Art der Betätigung zu bestimmen. Eine Krankenschwester schuldet eine höchstpersönliche individuelle Arbeitsleistung am Patienten. Sie ist immer dann geleistet, wenn der Pflegedienstbetreiber den wesentlichen Teil der Pflegearbeiten selbst übernimmt. Ein eigenverantwortliches Tätigwerden des Pflegedienstbetreibers i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG kann aber auch dann angenommen werden, wenn er aufgrund seiner Fachkenntnisse durch regelmäßige und eingehende Kontrolle maßgeblich auf die Pflegetätigkeit der Mitarbeiter bei jedem einzelnen Patienten Einfluß nimmt. Denn die Ausführung jedes einzelnen Auftrags muß dem Berufsträger selbst und nicht den qualifizierten Mitarbeitern, den Hilfskräften, den technischen Hilfsmitteln oder dem Unternehmen als Ganzem zuzurechnen sein (vgl. BFH in BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732). Die Arbeitsleistung muß den "Stempel der Persönlichkeit" des Steuerpflichtigen tragen (vgl. BFH in BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507).
Überläßt die Krankenschwester die Pflege am einzelnen Patienten angesichts des Umfangs der zu erbringenden Leistungen nach einem Erstgespräch weitgehend ihren Mitarbeitern, so wird sie i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht eigenverantwortlich tätig. Die erbrachten Pflegeleistungen erhalten nicht dadurch den Stempel der persönlichen Arbeit des Pflegedienstbetreibers, daß dieser bei im übrigen organisatorischer Tätigkeit in Urlaubs- und Krankheitsfällen die Pflegearbeiten der Mitarbeiter übernimmt (BFH-Urteil vom 5. Juni 1997 IV R 43/96, BFHE 183, 424, BStBl II 1997, 681).
c) Das FG ist in seiner Entscheidung zwar von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Das Urteil ist jedoch aufzuheben, weil es auf dem materiell-rechtlichen Fehler beruht, daß die vom FG angenommene Rechtsfolge nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt ist (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 27, m.w.N.).
Wie bereits ausgeführt, kommt bei einem häuslichen Pflegedienst die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG nur für Leistungen der Behandlungspflege in Betracht, weil nur insoweit eine Ähnlichkeit der ausgeübten Tätigkeit mit einem Katalogberuf gegeben ist (BFH-Beschluß in BFH/NV 1995, 652). Das FG hätte deshalb prüfen müssen, ob die Klägerin in diesem Bereich ihres Unternehmens, der ein Drittel der Gesamtumsätze ausmacht, ihre Leistungen eigenverantwortlich ausgeführt hat. Das FG hat jedoch seine tatsächliche Würdigung auf die gesamte unternehmerische Betätigung der Klägerin bezogen.
Darüber hinaus zieht das FA zu Recht in Zweifel, ob die Klägerin angesichts der hohen Zahl der Hilfskräfte maßgeblich auf die Pflegetätigkeit der Mitarbeiter bei jedem Patienten Einfluß nehmen konnte. Zwar kann --entgegen der Ansicht des FA-- die Eigenverantwortlichkeit des Handelns der Klägerin nicht allein wegen dieser Zahl der Hilfskräfte verneint werden, weil nicht festgestellt ist, ob und in welchem Umfang diese im Bereich der steuerfreien Umsätze tätig waren. Um das Tatbestandsmerkmal der Eigenverantwortlichkeit beurteilen zu können, hätte das FG die Zahl der durchschnittlich zu betreuenden Patienten ermitteln und auf dieser --eventuell auch nur geschätzten-- Grundlage würdigen müssen, ob die Klägerin neben ihren anderen Aufgaben noch eigenverantwortlich im Bereich der Behandlungspflege tätig war bzw. sein konnte.
Fundstellen
Haufe-Index 422665 |
BFH/NV 2000, 284 |
BFHE 189, 569 |
BFHE 2000, 569 |
BB 1999, 2656 |
DB 2000, 756 |
DStR 2000, 18 |
DStRE 2000, 146 |
HFR 2000, 293 |
StE 2000, 788 |
UR 2000, 33 |