Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bestimmtheit von Prüfungsanordnungen
Leitsatz (NV)
Eine auf § 193 Abs. 1 und 2 AO 1977 gestützte, an Eheleute, mit der Adressierung ,,Herr und Frau . . ." gerichtete Prüfungsanordnung ist nicht (wegen Unbestimmtheit) nichtig, wenn sich aus dem sonstigen Inhalt dieses Verwaltungsakts mit der erforderlichen Eindeutigkeit ergibt, wer von ihm jeweils in Wirklichkeit betroffen sein soll.
Normenkette
AO 1977 §§ 119, 124-125, 193ff; FGO § 41
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In den Streitjahren erzielte der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die Klägerin aus einem . . . einzelhandel Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ordnete mit Verfügung vom 8. Mai 1981, die an ,,Herrn und Frau A. X." adressiert sowie auf § 193 Abs. 1 und auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt war, eine Betriebsprüfung (Außenprüfung) bei den Klägern an. Die ausdrücklich sowohl an die Klägerin als auch an den Kläger gerichtete Prüfungsanordnung (die keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt) beschreibt den Gegenstand der Prüfung wie folgt:
Umsatzsteuer 1977 bis 1979
Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Feststellung der Einkünfte 1977 bis 1979
Einheitswerte des Betriebsvermögens 1. Januar 1977 bis 1. Januar 1980
Vermögensteuer 1977 bis 1980
Gewerbesteuer 1977 bis 1979.
Am 3. Juni 1981, dem letzten Tag der am 1. Juni 1981 begonnenen Prüfung, dehnte das FA unter Berufung auf § 193 Abs. 1 AO 1977 durch eine wiederum an ,,Herrn u. Frau A. X." gerichtete (ebenfalls nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene) Prüfungsanordnung den Prüfungszeitraum für die geprüften Steuerarten auf die Veranlagungszeiträume 1974 bis 1976 und für die Bewertung der Einheitswerte des Betriebsvermögens auf die Stichtage 1. Januar 1974 bis 1. Januar 1976 aus, und zwar mit der Begründung, es sei mit erheblichen Mehrsteuern zu rechnen.
Im Rahmen der Betriebsprüfung stellte der Prüfer u. a. fest, daß mehrfach Geldbeträge in den Betrieb eingelegt worden waren, obgleich die Kassenberichte noch ausreichende Kassenbestände ausgewiesen hatten. Diese und andere Feststellungen veranlaßten den Prüfer, unter Zugrundelegung eines Rohgewinnaufschlagsatzes von 80 v. H. auf den Wareneinkauf Hinzuschätzungen vorzunehmen.
Entsprechend dem Ergebnis der Außenprüfung änderte das FA die Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1979. Der hiergegen einglegte Einspruch blieb erfolglos.
Die von den Klägern am 11. Oktober 1983 gegen die Prüfungsanordnungen vom 8. Mai und 3. Juni 1981 erhobene Beschwerde hat die Oberfinanzdirektion . . . (OFD) wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als unzulässig verworfen. Der gegen die Prüfungsanordnungen erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) nach Verbindung mit der zuvor schon erhobenen Anfechtungsklage gegen die Einkommensteueränderungsbescheide stattgegeben. Es hat die Klage, soweit sie die Prüfungsanordnungen betraf, als Feststellungsklage i. S. des § 41 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angesehen, ein Feststellungsinteresse der Kläger bejaht und das Begehren unter Bezugnahme auf das Urteil des FG Düsseldorf vom 19. Januar 1984 II 274/83 AO (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 534) für begründet gehalten: Die Prüfungsanordnungen seien nichtig, weil sie nicht eindeutig hätten erkennen lassen, in welchem Umfang der einzelne Steuerpflichtige geprüft werden und mitwirkungspflichtig sein solle, ob insoweit ein Gesamtschuldverhältnis oder eine zwischen den Klägern bestehende Personengesellschaft angenommen werde. - Aus der Nichtigkeit der Prüfungsanordnungen folge ein Verwertungsverbot, das die Aufhebung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide zur Folge habe.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe die Prüfungsanordnungen zu Unrecht als nicht ausreichend bestimmt angesehen.
Die Kläger halten die Prüfungsanordnungen unter Bezugnahme auf das angefochtene Urteil für nichtig und die angefochtenen Änderungsbescheide für rechtswidrig.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und hinsichtlich der die Prüfungsanordnungen betreffenden Klage zu deren Abweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Hinsichtlich der gegen die Einkommensteuerbescheide gerichteten Anfechtungsklage führt die Revision zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Die gegen die Prüfungsanordnungen gerichtete Feststellungsklage ist wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses (§ 41 Abs. 1 FGO) unzulässig (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Februar 1990 IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789).
2. Die Sache ist, soweit es um die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide vom 27. Oktober 1982 geht, nicht entscheidungsreif. Zu Unrecht hat das FG insoweit ein Verwertungsverbot angenommen und von einer Sachprüfung abgesehen.
a) Das FA war nicht gehindert, die im Rahmen der Außenprüfung getroffenen Feststellungen wegen eines Rechtsmangels der Prüfungsanordnungen zu verwerten (vgl. zum Verwertungsverbot: Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 196 AO 1977 Tz. 9 m. w. N.).
aa) Die Prüfungsanordnungen waren nicht nichtig. Nichtig und damit unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO 1977) ist ein Verwaltungsakt gemäß § 125 Abs. 1 AO 1977, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.
Dem FG ist darin beizupflichten, daß hier ein solcher schwerwiegender Mangel gegeben wäre, wenn die Prüfungsanordnungen inhaltlich nicht hinreichend bestimmt wären (§ 119 Abs. 1 AO 1977), d. h. wenn in ihnen nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen wäre, was die Finanzbehörde von wem verlangte (vgl. Tipke / Kruse, a. a. O., § 119 AO 1977 Tz. 2 f. und § 125 AO 1977 Tz. 2). Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz in der Wertung, daß die Prüfungsanordnungen vom 8. Mai und 3. Juni 1981 tatsächlich derartige Unklarheiten enthalten hätten.
Maßgeblich für die in der Revisionsinstanz uneingeschränkt nachprüfbare und korrigierbare Auslegung (vgl. dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 118 Rz. 18 m. w. N.) ist der objektive Erklärungsinhalt der Prüfungsanordnungen aus der Sicht der Kläger als der Empfänger dieser Verwaltungsakte (Urteil des BFH vom 14. März 1990 X R 104/88, BFHE 160, 207, BStBl II 1990, 612).
Danach konnte weder für die Klägerin noch für den Kläger ernstlich zweifelhaft sein, was in den Prüfungsanordnungen wem gegenüber geregelt sein sollte: Die ungenaue Bezeichnung des Inhaltsadressaten mit ,,Herrn und Frau A. X." konnte ebensowenig wirkliche Verständigungsschwierigkeiten auslösen wie die Berufung des FA in der ersten Prüfungsanordnung auf § 193 Abs. 1 und Abs. 2 AO 1977 (vgl. BFH in BFHE 160, 207, BStBl II 1990, 612). Für alle Beteiligten war klar, daß der . . . einzelhandel nur von der Klägerin betrieben wurde, sie also allein für eine Prüfungsanordnung nach § 193 Abs. 1 AO 1977 in Betracht kam, während der Kläger nur gemäß § 193 Abs. 2 AO 1977 betroffen sein konnte. Bestätigt wurde dies durch die in den Prüfungsanordnungen aufgezählten Steuerarten sowie durch die zweite Prüfungsanordnung: durch ihre Rechtfertigung allein aus § 193 Abs. 1 AO 1977 und durch den Hinweis auf die zu erwartenden (betrieblichen) Mehrergebnisse.
Ob es für eine Außenprüfung beim Kläger eine ausreichende Rechtsgrundlage gab und ob diese ihm (rechtzeitig) mitgeteilt wurde, ist für die Nichtigkeitsprüfung ohne Belang (BFH in BFHE 160, 207, BStBl II 1990, 612).
Mit der ausreichenden Benennung der Adressaten und des Prüfungsgegenstandes waren für die Kläger auch deren Mitwirkungspflichten i. S. des § 200 AO 1977 mit hinlänglicher Deutlichkeit festgelegt: Für jeden von ihnen war klar, welche Sachverhalte für die (für jeweils seine) Besteuerung erheblich sein konnten. Offensichtlich ist es darüber tatsächlich auch weder während noch nach der Außenprüfung zu irgendwelchen Mißverständnissen gekommen. Anhaltspunkte dafür, daß eine Gesellschaft zwischen den Klägern bestanden oder daß ein Beteiligter dies jemals angenommen hätte, sind nicht ersichtlich. Entsprechendes gilt ganz allgemein für die vom FG erörterte Möglichkeit der Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses. Es kann daher ausgeschlossen werden, daß derart fernliegende, rein theoretische Umstände das Verständnis der Prüfungsanordnungen vom 8. Mai und 3. Juni 1981 wirklich beeinflußt haben.
bb) Die Prüfungsanordnungen waren auch nicht wegen eines Bekanntgabemangels unwirksam. Ob sie den Klägern jeweils in einer Ausfertigung bekanntgegeben wurden oder jeder ein Exemplar erhielt, ist nicht festgestellt, braucht aber auch nicht aufgeklärt zu werden: Selbst wenn jeweils nur eine Ausfertigung übersandt oder übergeben worden sein sollte, ist die Bekanntgabe wirksam (vgl. BFH in BFHE 160, 207, BStBl II 1990, 612).
cc) Ob die Prüfungsanordnungen aus sonstigen Gründen rechtswidrig waren, muß dahinstehen; denn sie waren wegen Ablaufs auch der einjährigen Rechtsbehelfsfrist des § 356 Abs. 2 AO 1977 nicht mehr anfechtbar.
b) Was die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Änderungsbescheide im übrigen angeht, so hat das FG - aus seiner Sicht zu Recht - keine Tatsachen festgestellt. Der Senat kann weder prüfen, ob das FA zu den Änderungen befugt war, noch inwieweit diese inhaltlich gerechtfertigt sind. Diese Prüfung muß nun im zweiten Rechtsgang nachgeholt werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 und Abs. 2 FGO. Sie betrifft nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidungen (BFH-Entscheidungen vom 14. Juni 1972 I B 16/72, BFHE 106, 19, BStBl II 1972, 707, und vom 24. Juli 1973 VIII R 31/68, BFHE 110, 111, BStBl II 1973, 823) auch die durch die Abweisung der Feststellungsklage ausgelöste Kostenfolge.
Fundstellen