Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerabzug bei Tafelpapieren. Einlösung durch ausländisches Kreditinstitut. Einlösung bei ausländischem Kreditinstitut durch inländisches Kredtinstitut
Leitsatz (redaktionell)
1. Werden Zinsscheine (sog. Tafelpapiere) von einem ausländischen Kreditinstitut eingelöst, wird nach dem Ausnahmetatbestand des § 44 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 a) bb) EStG auch dann keine Pflicht zum Abzug von Kapitalertragsteuer durch das einlösende inländische Kreditinsitut begründet, wenn das ausländische Kreditinstitut selbst im Weg eines Tafelgeschäfts in den Besitz der Zinsscheine gelangt ist.
2. Die Vermeidung des Steuerabzugs nach § 44 Abs. 1 S. 3 EStG durch die Einlösung von Zinsscheinen bei einem ausländischen Kreditinstitut, das die Zinsscheine anschließend bei dem inländischen Kreditinsitut selbst einlöst und dadurch den Ausnahmetatbestand des § 44 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 a) bb) EStG erfüllt, ist nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 42 AO: „Wer Wein trinkt, umgeht damit nicht die Biersteuer”.
3. Übernimmt jedoch ein Angestellter eines inländischen Kreditinstituts für einen inländischen Zinsscheingläubiger die Einlösung der Zinsscheine bei einem ausländischen Kreditinstitut und zahlt er diesem den Gegenwert aus, dann hat das inländische Kreditinstitut als auszahlende Stelle den Steuerabzug nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG vorzunehmen.
Normenkette
EStG 1993-2002 § 44 Abs. 1 Sätze 3, 4 Nr. 1 a) bb), Abs. 5, § 43 Abs. 1 Nr. 7, § 43a Abs. 1; AO §§ 42, 191; GG Art. 20 Abs. 3
Nachgehend
Tenor
1. Unter Änderung des Nachforderungsbescheids vom 09. Januar 2006 werden die darin bezeichneten Abgaben auf folgende Beträge herabgesetzt:
die Kapitalertragsteuer 1993 bis 1997 |
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und die Solidaritätszuschläge hierzu |
auf jeweils |
0 EUR, |
die Kapitalertragsteuer 1998 |
auf |
x.xxx EUR, |
den Solidaritätszuschlag hierzu |
auf |
xxx EUR, |
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die Kapitalertragsteuer 1999 |
auf |
xx.xxx EUR, |
den Solidaritätszuschlag hierzu |
auf |
x.xxx EUR, |
die Kapitalertragsteuer 2000 |
auf |
xx.xxx EUR, |
den Solidaritätszuschlag hierzu |
auf |
x.xxx EUR, |
die Kapitalertragsteuer 2001 |
auf |
xx.xxx EUR, |
den Solidaritätszuschlag hierzu |
auf |
xxx EUR, |
die Kapitalertragsteuer 2002 |
auf |
xx.xxx EUR und |
den Solidaritätszuschlag hierzu |
auf |
xxx EUR. |
2. Das beklagte Finanzamt trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung von mehr als 1.500 EUR, darf sie nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des darin festgesetzten Erstattungsbetrages erfolgen. In anderen Fällen kann das Finanzamt die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des festgesetzten Erstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheids, mit dem das Finanzamt (FA) auf der Grundlage der §§ 167 Abs. 1 Satz 1, 155 der Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit § 44 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von der Klägerin Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschläge hierzu nachgefordert hat, weil diese ihrer aus § 44 Abs. 1 Sätze 3, 4 Nr. 1 a) bb) und 5 EStG folgenden Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung dieser Abgaben insoweit nicht nachgekommen sei, als die Auszahlung der auf eigene Inhaberschuldverschreibungen (IHS) bezogenen Zinserträge über ausländische Kreditinstitute erfolgt ist.
Der streitbefangenen Inanspruchnahme der Klägerin liegt eine Situation auf dem Kapitalanlagemarkt zugrunde, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 27. Juni 1991 – 2 BvR 1493/89 – (BStBl II 1991, 654), die dadurch veranlassten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (durch das sog. Zinsabschlaggesetz vom 09. November 1992 – BGBl I 1992, 1853 –) sowie die Bestrebungen vieler Kapitalanleger geprägt war, den in diesem Zusammenhang eingeführten Zinsabschlag zu vermeiden. Dabei ging es auch und insbesondere um die – vorliegend streitbefangene – Besteuerung der Zinsen aus IHS, die inländische Kreditinstitute als effektive Stücke bei ihren Kunden platziert hatten (sog. Tafelpapiere).
Das BVerfG war in der genannten Entscheidung zu der Erkenntnis gelangt, dass die Besteuerung der privaten Erträge des Kapitalvermögens insofern an einem strukturellen Vollzugsdefizit leide, als die durch den sog. Bankenerlass geprägte Besteuerungspraxis dazu geführt habe, dass die Steuerbelastung in diesem Bereich nahezu ausschließlich auf der Erklärungsbereitschaft der Steuerpflichtigen beruhe und infolge dessen jedenfalls die Hälfte der steuerbaren Kapitaleinkünfte nicht erfasst werde. Dieses Vollzugsdefizit sei dem Gesetzgeber auch zuzurechnen, da ihm die Auswirkungen des Bankenerlasses bekannt seien, er aber gleichwohl keine geeigneten Maßnahmen zur Effektuierung der Zinsbesteuerung ergriffen habe. Die Vorschriften der §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 8 (jetzt Nr. 7) EStG seien nur dann weiterhin eine trag...