Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Überprüfung von Schätzungen des FA. Aufzeichnungspflichten bei Einnahmen-Überschussrechnung. keine ernstlichen Zweifel an Hinzuschätzungen mittels Quantilsschätzung
Leitsatz (redaktionell)
1. Im finanzgerichtlichen Verfahren kann das Gericht im Rahmen der ihm nach § 96 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 FGO obliegenden eigenen Schätzungsbefugnis die Schätzung des FA prüfen und als eigene übernehmen. Es kann sich dann darauf beschränken, substantiierten Einwendungen des Steuerpflichtigen gegen die Schätzung des FA nachzugehen.
2. Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG besteht zwar keine Pflicht zum Führen eines Kassenbuchs. Dennoch müssen aber nach Geldeingang chronologisch geordnete Aufzeichnungen vorliegen, die über eine bloße Belegsammlung hinausgehen. Nur bei Vorlage solchermaßen geordneter und vollständiger Belege kann eine Einnahmen-Überschussrechnung für sich die Vermutung der Richtigkeit in Anspruch nehmen.
3. Eine handschriftliche Liste der täglichen Umsätze ohne Aufbewahrung weiterer Belege genügt nicht als ordnungsgemäße Aufzeichnung der Betriebseinnahmen.
4. Die Höhe der mittels Quantilsschätzung ermittelten Hinzuschätzungen begegnet vorliegend keinen ernstlichen Zweifeln, weil nach dieser Schätzungsmethode der normale Geschäftsverlauf als repräsentativ angesehen wird und zudem mit der vorsichtigen Wahl des obersten Werts mit dem 80 %-Quantil im Streitfall die objektivierte Leistungsfähigkeit unabhängig von Extremwerten berücksichtigt wird und alle betrieblichen Besonderheiten abgebildet werden.
5. Der Senat folgt nicht der Einschätzung des 5. Senats des FG Berlin-Brandenburg, der mit (rechtskräftigem) Beschluss v. 24.8.2016, 5 V 5089/16 entschieden hat, dass die Quantilsschätzung nicht als zulässige Schätzungsmethode, sondern allenfalls als Verprobungsmethode zu erachten sei.
Normenkette
AO § 146 Abs. 1 S. 2, §§ 158, 162; EStG § 4 Abs. 3; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 96 Abs. 1 S. 1
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller zu 4/5 und dem Antragsgegner zu 1/5 auferlegt.
Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Hinzuschätzungen.
Der Antragsteller ist verheiratet. In den Jahren 2008 bis 2010 (Streitjahre) wurde er mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Seine Ehefrau erzielte in geringem Umfang Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Antragsteller erzielte als Einzelunternehmer der Speisegaststätte „B.” (C.-Straße in D.) Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Die Gaststätte hatte keinen festen Ruhetag. Neben den Umsätzen aus dem Verzehr von Speisen und Getränken in der Gaststätte erzielte der Antragsteller auch Einnahmen im Zusammenhang mit Volksfesten sowie der Ausrichtung bzw. Lieferung von Buffets. Aufgrund Gesellschaftsvertrages vom 30.11.2010 wandelte der Antragsteller mit Wirkung zum 01.01.2011 sein Einzelunternehmen in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts um und nahm seine Ehefrau E. als Gesellschafterin (Mitinhaberin) mit einer 2 %igen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen sowie am Gewinn und Verlust der Gaststätte auf. Mit gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung vom 30.06.2013 wurde die GbR zum 31.12.2013 ohne Liquidation vollbeendet. Danach ist Frau E. zum 31.12.2013 aus der zweigliedrigen GbR ausgeschieden und ihr Gesellschaftsanteil dem Antragsteller angewachsen. Seither führt der Antragsteller die Gaststätte wieder als Einzelunternehmen fort.
Zur Erfassung seiner „fast ausschließlich” bar vereinnahmten Erlöse verwendete der Antragsteller in seinem Lokal eine „offene Ladenkasse” (Hinweis auf Seite 4 des Bp-Berichts vom 25.08.2015, ≪Bl. 14 Streitakte≫). Dazu notierte er das Datum der Tageseinnahme, die Summe der jeweiligen Kellnerzettel (Ursprungsaufzeichnungen) und bildete rechnerisch daraus eine tägliche Tageseinnahme. Diese Notizen enthalten außer dem Datum der Tageseinnahme keine fortlaufende Nummerierung. Hinsichtlich seiner aus (Familien-)Festen, Veranstaltungen (F.) und der aus der Lieferung von Buffets resultierenden Bareinnahmen fertigte der Antragsteller gleichfalls handschriftliche Notizzettel, in denen der Tag sowie die Summe der erzielten Tageseinnahmen aufgezeichnet wurden (vgl. Bl. 57 – 61 Bp-Handakte).
Seine gewerblichen Einkünfte aus der Gaststätte ermittelte der Antragsteller gemäß § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) durch EÜR. Die Ursprungsaufzeichnungen bewahrte der Antragsteller nicht auf. Die Einnahmen im Zusammenhang mit den Volksfesten hielt der Antragsteller ebenfalls in einer Summe auf einem „Schmierzettel” unter Angaben des Datums der Einnahme fest.
Aufgrund seiner für die Streitjahre in den Jahren 2009, 2010 und 2011 beim Antragsgegner eingereichten Einkommen-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärungen wurde der Antragsteller mit Einkommen-, Gewerbesteuermess- sowie unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuer-Bescheiden mit folgenden Umsätzen und Gewinnen aus Gewerbebetrieb antragsgemäß veranlagt (i...