Entscheidungsstichwort (Thema)
Innergemeinschaftliche Lieferung sogenannter „Pocket-Bikes” ist nicht nach § 1b UStG umsatzsteuerfrei
Leitsatz (redaktionell)
Sogenannte „Pocket-Bikes” sind mangels Bestimmung zur Güter- oder Personenbeförderung keine Fahrzeuge i. S. d. § 1b UStG und des Art. 28a Abs. 2 Buchst. a der 6. Richtlinie (EWG) Nr. 388/77. Sie unterfallen nicht der Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung neuer Fahrzeuge.
Normenkette
UStG § 1b; EWGRL 388/77 Art. 28a Abs. 2 Buchst. a
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin lieferte im Streitjahr sog. Pocket-Bikes an Privatpersonen und Unternehmer im Gemeinschaftsgebiet. Pocket-Bikes sind kleine Zweiräder, die bis 24 kg schwer sein können und die Maße 110 cm × 50 cm × 50 cm nicht überschreiten. Die Sitzhöhe liegt etwa bei 40-50 cm. Die Motorisierung besteht aus einem Einzylinder-Zweitaktmotor, der zwischen 1,6 und 16 PS stark sein kann. Höchstgeschwindigkeiten liegen teilweise über 70 km/h. Optisch lehnen sich die Pocket-Bikes in der Regel an existierenden Motorräder an, zum Teil in Form von möglichst exakten Kopien. Die von der Klägerin gelieferten Pocket-Bikes sind in der Bundesrepublik Deutschland nicht für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen, weil sie die Anforderungen der Straßenverkehrszulassungsordnung nicht erfüllen.
In den abgegebenen Umsatzsteuererklärungen behandelte die Klägerin die Lieferung der Pocket-Bikes an Privatpersonen im übrigen Gemeinschaftsgebiet als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen neuer Fahrzeuge. Dem folgte der Beklagte im Anschluss an eine im Jahr 2007 durchgeführte Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht. Mit Bescheid vom …2007 setzte er zunächst die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat … 2006 erhöht fest. Während des dagegen geführten Einspruchsverfahrens erließ er am …2008 den Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2006. Den Einspruch wies er mit der Einspruchsentscheidung vom …2008 als unbegründet zurück.
Mit der Klage macht die Klägerin geltend, dass die Lieferungen der Pocket-Bikes an Privatpersonen im übrigen Gemeinschaftsgebiet nach § 1b Umsatzsteuergesetz – UStG – steuerfrei seien. Es handele sich bei den Pocket-Bikes um neue Fahrzeuge im Sinne dieser Vorschrift. Eine Zulassung für den Straßenverkehr sei nicht erforderlich. Der Verwendungszweck sei kein Abgrenzungsmerkmal. Nach der nationalen Vorschrift komme es – anders als nach Art. 28a Abs. 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie des Rates 77/388/EWG vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem (ABl. EG 1977 Nr. L 145, 1 – Sechste Richtlinie –) nicht darauf an, dass das Fahrzeug primär zur Personen- und Güterbeförderung bestimmt sei. Demzufolge könne sie, die Klägerin, sich auf die für sie günstigere Vorschrift des nationalen Rechts berufen. Der nationale Gesetzgeber habe die strengeren Anforderungen der Sechsten Richtlinie nicht in das nationale Recht übernommen. Abgesehen davon dienten die Pocket-Bikes auch der Personenbeförderung, da der Fahrer befördert werde.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer 2006 unter Änderung des Bescheides vom …2008 und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom …2008 dahingehend neu festzusetzen, dass die Lieferungen der Pocket-Bikes an Privatpersonen im übrigen Gemeinschaftsgebiet als umsatzsteuerfrei behandelt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass es sich bei Fahrzeugen im Sinne des § 1b UStG um solche handeln müsse, die zur Personen- und/oder Güterbeförderung bestimmt seien. Dies ergebe sich aus dem Zweck des Art. 28a Abs. 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie, der bei der Auslegung des Begriffs des Fahrzeugs im Sinne des § 1b UStG ergänzend heranzuziehen sei.
Neben der Verfahrensakte haben dem Gericht folgende Akten des Beklagten bei der Entscheidung vorgelegen: Umsatzsteuerakte für den Zeitraum 2006, Akte mit Berichten über Umsatzsteuer-Sonderprüfungen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –)
Nach § 4 Nr. 1 Buchstabe b UStG sind die innergemeinschaftlichen Lieferungen von der Umsatzsteuer befreit. Der Erwerb eines neuen Fahrzeugs ist nach § 1b Abs. 1 UStG unter den Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 Nr. 1 UStG ein innergemeinschaftlicher Erwerb und damit – aus Sicht des Lieferanten – eine innergemeinschaftliche Lieferung. Fahrzeuge im Sinne dieser Regelung sind nach § 1b Abs. 2 Nr. 1 UStG unter anderem motorbetriebene Landfahrzeuge mit einem Hubraum von mehr als 48 cm³ oder einer Leistung von mehr als 7,2 kW. Ein Landfahrzeug gilt nach § 1b Abs. 3 Nr. 1 UStG als neu, wenn es nicht mehr als 6000 km zurückgelegt hat oder wenn seine erste Inbetriebnahme im Zeitpunkt des Erwerbs nich...