Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausübung des Wahlrechts zum Abzug festgestellter Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften von den Kapitaleinkünften ist nicht fristgebunden. Bestandskraft der Veranlagung für das Abzugsjahr. Ausübung steuerlicher Wahlrechte ist keine neue Tatsache
Leitsatz (redaktionell)
1. Macht der Steuerpflichtige auf der Grundlage von § 32d Abs. 4 Satz 1 EStG 2009 die Berücksichtigung eines festgestellten verbleibenden Verlustvortrags aus privaten Veräußerungsgeschäften geltend, ist er hieran zunächst durch keine bestimmte Fristenregelung gehindert.
2. Die fehlende Fristgebundenheit der (erstmaligen) Ausübung der Antragswahlrechte nach § 32d Abs. 4 Satz 1 (und Abs. 6 Satz 1) EStG 2009 zieht es nicht nach sich, dass dadurch zugleich auch eine für den fraglichen Veranlagungszeitraum bereits ergangene bestandskräftige Steuerfestsetzung ohne Weiteres überspielt werden könnte.
3. Die Ausübung eines (steuerlichen) Wahlrechts bildet für sich genommen keine Tatsache i. S. v. § 173 Abs. 1 AO; insoweit handelt es sich vielmehr lediglich um die Vornahme einer Verfahrenshandlung.
Normenkette
EStG § 32d Abs. 4 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 S. 4, Abs. 6, § 20 Abs. 6; AO § 173 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die als Eheleute zusammen veranlagten Kläger wenden sich gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2009, um ihnen gegenüber zum Ende des Vorjahres 2008 jeweils gesondert festgestellte Verluste betreffend ihre Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Wege des Verlustvortrages für das Streitjahr 2009 berücksichtigen lassen zu können.
Am 23. September 2009 erließ der Beklagte gegenüber den Klägern einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2008, mit dem der Beklagte den Verlustvortrag für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften auf 99.082 EUR für den Kläger und auf 97.377,– EUR für die Klägerin feststellte. Der Bescheid wurde den Klägervertretern bekannt gegeben und von diesen geprüft.
Ihrer am 23. September 2010 eingereichten Einkommensteuererklärung 2009 legten die Kläger neben Vermietungseinkünften unter anderem [u.a.] jeweils auch Einkünfte aus Kapitalvermögen zugrunde. Auf dem amtlichen Erklärungsvordruck zu den Einkünften aus Kapitalvermögen machten sie bei der Zeile 59 der Anlage KAP (Antrag auf Verrechnung von Verlusten nach § 23 EStG) indes keine Angaben/Ankreuzungen.
Der Beklagte veranlagte sie mit Einkommensteuerbescheid 2009 vom 1. Dezember 2010 erklärungsgemäß. Mit dem Vorbehalt der Nachprüfung war die Einkommensteuerfestsetzung 2009 nicht verbunden.
Am gleichen Tag erließ der Beklagte einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2009, mit dem der Beklagte den Verlustvortrag für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften auf 135.701,– EUR für den Kläger und auf 133.994,– EUR für die Klägerin feststellte. Er wies darauf hin, dass auf einen bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gestellten Antrag die festgestellten Verluste mit Veräußerungsgewinnen aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden könnten. Dieser Bescheid wurde ebenfalls den Klägervertretern bekannt gegeben.
Mit Schreiben vom 23. Februar 2011 beantragten die Kläger eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 2009, um eine Anrechnung ihrer mit Bescheiden vom 23. September 2009 zum 31. Dezember 2008 festgestellten verbleibenden Verlustvorträge aus privaten Veräußerungsgeschäften (sogenannten [sog.] „Alt”-)Verluste bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erreichen zu können.
Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 2. März 2011 ab. Die ohne den Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Einkommensteuerfestsetzung 2009 sei bereits bestandskräftig geworden. Die Voraussetzungen derjenigen Vorschriften der Abgabenordnung – AO –, die überhaupt noch eine Änderung einer bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung zuließen, seien nicht gegeben.
Ihren am 6. April 2011 erhobenen Einspruch begründeten die Kläger damit, bei § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 2009 geltenden Fassung – EStG 2009 – handele es sich um ein außerhalb der eigentlichen Steuerveranlagung stehendes Wahlrecht. Werde es ausgeübt, sei ein vorangegangener Steuerbescheid gegebenenfalls [ggf.] infolge Vorliegens einer neuen Tatsache jedenfalls innerhalb der Grenzen der Festsetzungsverjährung zu ändern. Bis zum Ablauf des Jahres 2013 treffe einen Steuerpflichtigen hinsichtlich einer (bisherigen) Nichtausübung dieses Wahlrechts auch kein Verschulden im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Denn erst nach Ablauf dieses Zeitraums könne ein Steuerpflichtiger eine sachgerechte Entscheidung über die Ausübung des Wahlrechts nach § 32d Abs. 4 EStG 2009 treffen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 26. September 2011 wies der Beklagte den Einspruch als ...